Wintermärchen
© Gitte Hedderich
Wintermärchen Teil 1!
Die älteren unter euch werden genau wissen wovon ich rede, von der Zeit, als Sommer noch Sommer und Winter noch Winter waren, die jüngeren mögen zuhören und staunen.
Der Winter 1960 war ein sehr grimmiger, die Luft war schneidend kalt und Spaß daran hatten eigentlich nur wir Kinder, denn wir mussten uns keine Sorgen machen, ob der Kohlen Vorrat reicht, ob der Kamin richtig zieht, von den Weihnachtsvorbereitungen gar nicht zu reden. Mein Name ist Gitte und ich war damals acht Jahre alt. Vater und Mutter flüsterten ständig und schwirrten emsig herum. Sie waren also froh, wenn wir Kinder draußen herum tollten. Dick vermummt schellte ich bei meiner Freundin Renate, Nati von mir
genannt. Sie wohnte im gleichen Haus und war zwei Jahre älter als ich. "Komme gleich", rief sie, "ich hole nur meine Schlittschuhe." "Du hast Schlittschuhe", staunte ich. "Na klar und dieser Winter ist wie gemacht zum Eislaufen", klärte sie mich auf. Sie sauste ins Schlafzimmer, zerrte ihre Schlittschuhe unter ihrem Bett hervor und schulterte sie, das heißt sie waren mit einen Band verbunden und einer baumelte vorn, einer hinten herunter.
Als wir aus dem Haus kamen fuhr uns ein eisiger Wind ins Gesicht, der uns kurze Zeit den Atem nahm, wir zogen die langen Wollschals, die wir trugen über unsere Münder und machten uns auf den Weg. Durch unseren Heimatort Essen-Werden fließt die Ruhr und wird dort auch zum Baldeneysee gestaut. Zuerst liefen wir zum Hayerstrang, hier wird der Fluss durch die Brehminsel geteilt. Eine feste graue Eisdecke bedeckte den Fluss. Wir kletterten hinunter und Nati zeigte mir die Meßlatte, die die Wasserpolizei dort befestigt
hatte. "Wenn das Eis 15cm dick ist, darf man darauf Schlittschuh laufen", klärte sie mich auf. Es waren erst 13 cm, aber das Eis wirkte sehr fest und wir wogen ja nicht viel. Nati setzte sich ans Ufer und zog ihre Schlittschuhe an, es war nicht so einfach, denn trotz der Handschuhe die wir trugen, waren die Finger steif vom Frost. Schließlich hatte sie es geschafft, sie stemmte sich hoch, tastete sich auf das Eis und glitt schwerelos über die Fläche, ich stand mit offenem Mund dabei und schaute völlig
fasziniert zu. Schlittschuhe mussten her, das stand fest. Nati fegte über das Eis, mit blitzenden Augen, rot gefrorenen Wangen und Atem Wölkchen vor dem Mund bremste sie mit aufstiebenden Eiskristallen knapp vor mir. "Wie findest du mich auf dem Eis", wollte sie wissen? "Toll, einfach nur toll, darf ich das auch einmal versuchen?" Bettelnd sah ich sie an. "Sie passen dir nicht, ich habe viel größere Füße als du, meinte sie dann." "Das macht gar nichts, ich stecke meine Handschuhe
vorn hinein", hatte ich schnell die Lösung. Nati schwieg eine Weile und sah mich an, es war ihr nicht Recht, das konnte ich sehen und ich verstand es auch. "Na gut", meinte sie schließlich, aber sei vorsichtig, ich habe sie noch nicht lange." Missmutig und für meine Begriffe viel zu langsam zog sie die Schlittschuhe aus. Schnell schlüpfte ich hinein, damit sie es sich nicht noch einmal anders überlegte. Dann stand ich auf wackeligen Füßen. "Sei bloß vorsichtig und ruiniere mir die Kufen
nicht", bat sie. "Ja ja", antwortete ich, schon nicht mehr bei der Sache, es war nicht so einfach das Gleichgewicht zu halten. Nati nahm mich bei der Hand und zog mich übers Eis. War das ein herrliches Gefühl, schwerelos glitt ich dahin. Dann ließ sie mich los und ich, ganz in meinen Träumen versunken, versuchte noch Arm rudernd das Gleichgewicht zu halten, landete aber bäuchlings auf dem Eis. "Oh Mann, ich hab doch gesagt, du sollst vorsichtig sein." "War ich doch, warum hast du
losgelassen, ohne mich zu warnen", fragte ich zurück. Dabei wusste ich die Antwort genau, sie wollte nicht, dass ich mit ihren Schlittschuhen fuhr. Da ich mir doch ziemlich wehgetan hatte bei dem Sturz wollte ich nach Hause. "Gehst du mit", fragte ich Nati. "Nö, wir sind doch gerade erst gekommen", gab sie zur Antwort, "oder hast du dich sehr verletzt und ich muss dich bringen?" "Nein, nein, ich schaff das schon, bleib du ruhig noch, wir sehen uns später", sagte ich
zu ihr und machte mich auf den Weg. Einige Male drehte ich mich um und sah Nati übers Eis fegen, nun hatten sich auch andere Kinder eingefunden und die, welche Schlittschuhe besaßen wurden gehörig bewundert.
Missmutig schlenderte ich heim, meine Mutter wunderte sich mich schon wieder zu sehen. "Habt ihr euch gezankt", wollte sie wissen. "Nein, ich hatte keine Lust mehr", log ich, denn wenn ich berichtete, dass ich hingefallen war, würde ich ganz sicher keine Schlittschuhe bekommen, dann hieße es gleich wieder es ist zu gefährlich. "Habt ihr eigentlich schon ein Weihnachtsgeschenk für mich", wollte ich wissen? Mutter schmunzelte. "Na, was wünscht du dir denn", hakte sie nach.
"Nati hat Schlittschuhe", begann ich vorsichtig. "Nati ist auch zwei Jahre älter als du", hörte ich. Sofort zog ich einen Flunsch. "Ach Mensch, es macht überhaupt keinen Spaß daneben zu stehen, während sie über das Eis gleitet und wer weiß, vielleicht habe ich ja Talent und werde mal so gut, wie Marika Kilius." Mutter lachte. Die hat gewiss schon mit vier Jahren zu Üben begonnen. "Siehste", trumpfte ich nun auf, dann wird es ja höchste Zeit. Mutter drehte mir den Rücken
zu, ein Zeichen dafür, dass die Diskussion für sie beendet war.
Immer wieder brachte ich, wie ich glaubte unbemerkt in der nächsten Zeit das Thema auf Schlittschuhe, ich war sehr lieb und schmeichelte mich bei meinem Vati ein, Am Abend, wenn er Zeit hatte setzte ich mich neben ihn, schmiegte mich an ihn und fragte: "Wäre es nicht wunderschön, wenn du an der Eisbahn in der ersten Reihe sitzen könntest und deiner Tochter zusehen, wie sie die fantastischsten Pirouetten auf dem Eis dreht?" Von der Seite schielte ich zu ihm hoch. "Danach besuche ich sie dann im
Krankenhaus und schreibe auf ihr Gipsbein", schmunzelte er. Beleidigt fuhr ich auf, warum verstand mich keiner? Ohne Schlittschuhe war das Leben nicht mehr schön, es war mein heißester Wunsch. Die Tage vergingen und ich kam nicht wirklich weiter, welche Kniffe ich auch versuchte, meine Eltern schienen Taub für meinen Herzenswunsch zu sein.
"Meinst du, du bekommst auch Schlittschuhe zu Weihnachten", fragte Nati zu allem Überfluss?" "Dann könnten wir immer zusammen laufen, der Baldeneysee ist in diesem Jahr sogar zugefroren." "Echt, das muss ich sehen", lenkte ich ab, ich wollte nicht dass sie in meiner Wunde bohrte. Wir verabredeten und für den Nachmittag um uns dieses Natur Wunder, das nur sehr selten geschieht anzusehen. Es schien, als habe die grimmige Kälte noch zugenommen, wir liefen schnell um nicht trotz
unserer dicken Wintersachen zu frieren. Wir nahmen die Abkürzung durch den dicht verschneiten Wald. Unterwegs machten wir uns einen Spaß daraus an den herabhängenden Zweigen zu ziehen und derjenige von uns, der gerade darunter her ging bekam eine ganze Ladung feinen weißen Puderschnee über sich. Zudem mussten wir aber Acht geben, denn der Weg ging in Serpentinen steil nach unten und manche Stellen waren vereist. Wie fast alle Kinder hatten wir wohl einen besonders wachsamen Schutzengel und kamen unbeschadet am
See an. Tatsächlich, der See war zugefroren und eine Menge Leute tummelten sich schon auf der weiten weißen Eisfläche, nun kam auch noch die Sonne raus und tauchte alles in glitzerndes Weiß. Fast unwirklich, wie auf einem Gemälde lag die herrliche Winterlandschaft vor uns und wäre nicht das Schreien und Gelächter der Menschen gewesen, man hätte an einen Traum glauben können. "Was stehst du denn so rum", Nati knuffte mich in die Seite und weckte mich unsanft aus meinen Träumereien. Sie packte meinen
Anorak und zerrte mich ungeduldig hinter sich her. Nachdem sie die Schlittschuhe angezogen hatte trennten wir uns, sie glitt zu den anderen Schlittschuhläufern und drehte mit ihnen ihre Runden und ich gesellte mich zu den "Schlinderern". Sie hatten eine lange Fläche vom Schnee befreit und standen in einer Reihe dort an, wer dran kam nahm einen Anlauf und schlinderte die Gasse entlang, auch unsere Gruppe hatte einen Riesenspaß und uns wurde warm dabei. Wir verbrachten einen herrlichen Nachmittag auf
dem Eis und gingen später müde uns hungrig gemeinsam heim.
Mittlerweile hatte die Adventzeit begonnen, nun konnte ich mich nur noch hinter meinen Großvater klemmen, er liebte mich sehr und würde sicher alles tun, um mir zu helfen. So gewöhnte ich mir an, die Nachmittage bei meinen Großeltern zu verbringen. Oma backte Unmengen an Plätzchen, denn wir waren sechs Enkelkinder, die verputzten eine Menge und Weihnachten kam noch Dieter dazu, der mit seinen Eltern in Wolfenbüttel lebte. Opa übte schon einmal das Geigenspiel, denn Weihnachten feierte die ganze Familie immer
traditionell hier. Oma gingen wir auf die Nerven und sie verbannte uns in den Keller. Während ich auf dem Hackklotz saß, hüpfte Opa um mich herum und spielte den Bi Ba Butzemann und ich hatte keine Idee, wie ich diplomatisch auf das Thema Schlittschuhe kommen sollte, aber das ergab sich dann ganz von alleine. "Sag mal, kannst du mir raten, was ich Oma zu Weihnachten schenken soll", fragte Opa? "Du bist doch auch eine Frau." Nach diesen Worten wuchs ich ein ganzes Stück. "Am besten wir
gehen in die Stadt und sehen uns das Angebot an", sprach ich, mir ganz meiner neuen Würde als "Frau" bewusst. Das Opa schmunzelte sah ich nicht. Wir verabredeten uns für den nächsten Nachmittag. Wenn Opa von der Arbeit kam, dämmerte es schon mächtig. Wir gingen um siebzehn Uhr los. Es war fast dunkel, aber der Schnee verbreitete ein diffuses, unwirkliches Licht. Froststarr reckten die schwarzen Bäume ihre dürren Äste in den Himmel. Der Schnee dämpfte jedes Geräusch, die ersten Sterne begannen zu
funkeln und wir marschierten schweigend durch den eisigen Abend nebeneinander her. Opa wirkte wie ein großer dunkler Riese neben mir in seinem schweren grauen Wintermantel, der nun in der Dämmerung schwarz wirkte. Als dann die Ludgerus Kirche in unser Blickfeld kam, hielt ich den Atem an, riesige Scheinwerfer strahlten sie an und tauchten sie in grünes Licht. Nie hatte ich so etwas schönes gesehen, man kann es nicht anders ausdrücken, es wirkte heilig. Eine Weile standen wir stumm und genossen diesen Anblick,
dann berichtete mir Opa die alte Legende. "Hast du schon das Schäfchen in der Kirchenwand gesehen", fragte er mich? "Du nimmst mich auf den Arm", argwöhnte ich sogleich, denn Opa war bekannt für seinen Humor und die Scherze, die er mit uns Kindern trieb. Wortlos nahm er meine Hand, führte mich zur Kirchenmauer und wies hinauf, im Licht der Scheinwerfer konnte ich das Schafrelief genau sehen. "Das ist ein Ding", staunte ich fassungslos. "Was macht das Schaf dort?" Opa berichtete.
"Als dieser Teil der Kirche gebaut wurde, stürzte ein Dachdecker hinab, unten stand ein Schäfer mit seiner Herde. Der Mann fiel auf ein Schaf, das wurde dabei getötet, aber ihm ist nichts passiert, zum Gedenken an diese Geschichte hat man das Schaf dorthin gemauert." Das war ja eine tolle Geschichte. Mittlerweile hatten wir die so genannte Stadt, eigentlich unseren Dorfkern erreicht. Alles glitzerte und funkelte, die Geschäftsleute hatten ihre Schaufenster auf das herrlichste heraus geputzt, denn man
wollte ja verdienen und das Geld war immer noch knapp. "Na, wo gehen wir hin", wollte Opa wissen." "Zur Drogerie bestimmte ich, Parfum muss es sein, über Parfum freut sich jede Frau", erklärte ich ihm. "Gut, das ich dich zu Rate gezogen hab", seufzte Opa, ich hätte es nicht gewusst. Am Schaufenster drückte ich mir die Nase platt. "Sieh nur, schau nur hier", flüsterte ich aufgeregt. Opa zog mich in das Geschäft. Schüchtern schaute ich mich um, in so einem vornehmen
Geschäft war ich nie gewesen. "Was darf es sein", fragte die Verkäuferin? Wir suchen eine Flasche Parfum für meine Frau", gab Opa Auskunft. "Eine Flasche, oder soll es eine Geschenkbox sein", erkundigte sie sich. "Bitte legen sie uns etwas vor", bat Opa. Es verschlug mir glatt die Sprache, so eine Box, mir einer Parfum Seife dazu kostete sicher ein Vermögen. "Was meinst du, Tosca, oder lieber 4711", wollte Opa von mir wissen? Wortlos tippte ich auf eine der glänzenden
goldenen Schachteln. "Wir nehmen diese da", entschied Opa. "Soll ich sie als Geschenk verpacken", wurde von der freundlichen Dame gefragt. "Wenn sie so nett wären", gab Opa Antwort und bald darauf verließen wir mit einer in wunderschönes Weihnachtspapier verpackten und mit einem Tannenzweig verzierten Päckchen die Drogerie. "Duuuuu Opa", begann ich auf dem Heimweg. "Hattest du früher Schlittschuhe?" "Dafür hatten meine Eltern kein Geld", Meinte er. "Hättest
du gerne welche gehabt", bohrte ich weiter. "Aber sicher, ich war doch ein Junge", schmunzelte er. "Kannste nicht meinen Eltern eine Tipp geben, ich hätte so furchtbar gerne welche zu Weihnachten. "Na dann will ich das mal dem Christkind schreiben", schmunzelte er. Erleichtert atmete ich auf, das wäre geschafft.
Nach diesem herrlichen Nachmittag fühlte ich mich immer stärker zu meinen Großvater hingezogen und in der folgenden Zeit entdeckten wir die Seelen Verwandtschaft in uns, wenn Opa von der Arbeit kam stand ich nun an der Bushaltestelle. Am ersten Tag entdeckte ich ihn unter den Fahrgästen und er sah entsetzlich müde aus. Als er mich entdeckte hatte, belebte sich sein Gesicht. Wir verbrachten wunderschöne Advent Nachmittage zusammen, Opa erzählte viel aus seiner Jugend und ich erlebte meine Uroma Adele, die zwei
Jahre zuvor gestorben war und die ich nur schwarz gekleidet mit einem strengen weißen Haarknoten kannte, als junge, energische Frau. Auch meine Großtante Anni, Opas Schwester, die ein Jahr älter war als er wurde wieder zum jungen Mädchen, das mit der Mutter zusammen versuchte, den ungebärdigen lebenslustigen Willy im Zaum zu halten. Opa wurde zum zehnjährigen schwarz haarigen Bengel, der nichts als Unsinn im Kopf hatte. Dabei bruzzelten die Äpfel auf dem Ofen und später aßen wir die dampfenden, süßen zischenden
Bratäpfel, während der Sturm um das kleine Fenster der Mansarden Wohnung heulte.
Am vierten Adventsonntag setzte Tauwetter ein. Besorgt beobachteten wir Kinder, wie sich die weiße Pracht in grauen, schmutzigen Matsch verwandelte. Vom Bäumen und Dächern tropfte es herab und alles wurde grau und ungemütlich. Das konnte ich nun gar nicht gebrauchen, erhoffte ich doch zu Weihnachten meine heiß ersehnen Schlittschuhe zu bekommen. Verzweifelt schickte ich ein Stoßgebet nach dem anderen zu Gott, er möge doch ein Einsehen haben und wieder den Winter einkehren lassen, um uns herrliche weiße Weihnachten
zu bescheren und ich wurde erhört. Einen Tag vor dem heiligen Abend kehrte der Frost und Schnee zurück. Die dicken grauen Wolken am Himmel rissen auf und es schneite ununterbrochen. Als wir am heiligen Abend aufstanden, in diesem Jahr fiel er auf einen Samstag, hatte sich die Welt wieder in ein Wintermärchen verwandelt, weiß, rein, klar und glitzernd, denn die Sonne stand am Himmel und ließ die ganze Pracht wie mit Diamanten bestreut funkeln. Mutter seufzte, es wird sehr kalt in der Kirche sein, aber dann ließ
auch sie sich gefangen nehmen von dem herrlichen Anblick.
Wir hatten beschlossen, unsere Bescherung schon vorher zu machen, hauptsächlich sicher deshalb, damit ich mich in der Kirche auf den Fest Gottesdienst konzentrieren konnte. Der Tag verging mit tausend kleinen Pflichten, die Geschenke wurden eingepackt, denn die Bescherung fand ja bei den Großeltern statt. Es wurde gebadet, frisiert und gestylt. Nach dem Essen verging die Zeit kriechend langsam, dann klopfte es. Unsere Hauswirtin fragte schmunzelnd, ob ich Fernsehen schauen möchte, sie hatte selbst zwei nun schon
erwachsenen Mädel und wusste, wie ungeduldig Kinder sein können. In diesem Jahr lief zum ersten Mal die Sendung, wir warten aufs Christkind. Mit Nati saß ich vor dem Fernseher und schaute fasziniert diese Sendung an und dabei verrann die Zeit. Gegen siebzehn Uhr klopfte es und mein Vater bat mich hinauf zu kommen. Mit klopfendem Herzen schlich ich nach oben, was würde mich erwarten?
Der Christbaum strahlte und blendete mich zuerst, ich hatte aber keinen rechten Blick dafür, suchend glitten meine Augen umher, lag irgendwo eine große weiße Schachtel? Mein Blick fiel auf den Wohnzimmerschrank, an ihm hing der schönste Wintermantel, den ich je gesehen hatte. Es war ein weinroter Wollmantel aus Boucle Stoff, er hatte drei Riegel vorn, die in Schwarzen Ornamenten saßen und einen schwarzen Pelzkragen, er war tailliert und wirkte zierlich und fein. Es war ein Traum von einem Mantel und meine Enttäuschung
über die fehlenden Schlittschuhe fiel nicht ganz so schlimm aus. Mein Vater nahm mich in den Arm. Das Christkindchen hatte dein Geschenk schon, meinte er tröstend, die Schlittschuhe bringt es dir sicher im nächsten Jahr, dann bist du auch schon größer. Schau mal Nati ist schon zehn Jahre alt, du bist dann erst neun. Ein wenig trösteten mich Vaters Worte und auch das wunderschöne Weihnachtsgeschenk. "Darf ich den Mantel schon anziehen", fragte ich? "Aber sicher", schmunzelten meine Eltern.
Wir zogen uns an, denn es wurde Zeit, der Weihnachtsgottesdienst begann um achtzehn Uhr. Viele Menschen saßen schon in der Kirche, festliche Orgelmusik erklang und Opa winkte uns zu sich. In der Bank saßen außer meinen Großeltern, schon Mutters Bruder, mein Onkel Heinz, mit seiner Frau Tante Christa und seinen Söhnen Rainer und Andreas. Dann Mutters Schwester Tante Anni, ihr Mann Fritz und meinem Cousin Dieter. Auch Mutters jüngste Schwester Tante Edith mit Onkel Wolfgang und ihren Sohn Jörg, sie hatten auch
Onkel Wolfgangs Mutter Frau Borninghoff mitgebracht. Wir füllten eine ganze Bank und stolz zu so einer großen Familie zu gehören nahm ich Platz und kuschelte mich an meinen Opa. Nach dem Gottesdienst gingen wir gemeinsam durch Dunkelheit und Kälte zur Wohnung meiner Großeltern. Bevor wir sie erreichten, verließ uns Opa, "Ich schaue nach, ob das Christkind schon fort ist", sagte er und rannte los. Wir kamen gemächlich und mit viel Schwatzen hinterher. Die Großeltern wohnten unterm Dach, in der vierten
Etage, ich habe mal die Stufen gezählt, es sind 84 Stück. Oben angekommen versammelten wir uns in der Wohnküche, wir schälten uns aus den schweren Mänteln, denn der Ofen bullerte und es war sehr warm. Dann wurden wir still und es ertönte das silberne Glöckchen, ein Zeichen, das wir den Raum betreten durften. Langsam, sehr langsam öffnete Oma die Türe und heller Lichterglanz strahlte uns entgegen. Die Kerzen flackerten wild in der zugigen Kälte, die durch das offene Fenster herein strömte. Opa schloss es. "Danke
liebes Christkind", rief er zuvor. Wir bewunderten den stets liebevoll geschmückten Baum, der im Gegensatz zu dem unsrigen auch Süßigkeiten aufwies, die wir Kinder nach dem Fest runterpflücken durften.
Die Instrumente wurden ausgepackt und es begann das Weihnachtssingen. Opa spielte Geige, meine Mutter und Onkel Heinz Zither und die Jungen Flöte. Wir anderen sangen, ich bemerkte, dass Frau Borninghoff vor Ergriffenheit die hellen Tränen über die Wangen liefen. Opa schaute zu Tante Edith und die senkte den Blick, was es damit auf sich hatte erfuhr ich erst Jahre später von Oma. Tante Edith hatte sich geweigert ihre Schwiegermutter mit zu bringen, denn diese war schwerhörig und sprach furchtbar laut. Als sie
Opa ihren Entschluss mitteilte, hatte der zu ihr gesagt, dann müsse sie aber dann den Heiligen Abend mit ihr verbringen, denn er dulde nicht, das ein Mitglied unserer Familie an so einem Abend allein sei. Natürlich passte ihr das nicht, aber sie hatte sich gefügt und als sie nun die Ergriffenheit der Frau sah, schämte sie sich sehr. Es war immer eine sehr feierliche Atmosphäre, nur auf dem Tisch brannte eine Lampe, damit die Noten gelesen werden konnten, wir Sänger standen nur im Licht des Kerzenscheins und uns
wurde innerlich und äußerlich warm und behaglich.
Nach dem Singen der alten schönen Lieder begann die von uns Kindern heiß ersehnte Bescherung. Oma griff immer wieder unter den Baum, las die Anhänger und reichte jedem seine Gaben, alle wurden reichlich bedacht. Nur meine heiß ersehnten Schlittschuhe waren nicht dabei. Tapfer verbiss ich mir die Enttäuschung, es wäre auch sehr undankbar gewesen, es war ein herrlicher Abend und alle hatten ihr Bestes gegeben, ihn schön und harmonisch zu gestalten. Einige Male sah ich, wenn ich aufblickte, dass Opa mich nun beobachtete,
sicher wollte er sehen, ob ich ein undankbares und nimmersattes Kind war, aber das wollte ich nicht sein und offen und frei lachte ich ihn an. Mir war, als ob er aufatmete. "Nun kommt in die Küche zum Abendessen", bat Oma. "Halt, einen Moment noch bitte", sprach Opa und hob die Tischdecke hoch, von dem Tisch auf dem der Baum stand. Darunter lagen noch etliche Pakete. "Was ist denn das", wollte Oma verblüfft wissen. Opa grinste. "Weißt du, ich habe in diesem Jahr mein Taschengeld
gespart und beim Christkindchen einige extra Aufträge gegeben." "Aber Willy", kam es nun kopfschüttelnd von Oma, wie immer in solchen Situationen. Zuerst verteilte Opa die kleineren Päckchen, die obenauf lagen, dann reichte er mir eine große weiße Schachtel. Die Überraschung hatte mich steif und sprachlos gemacht. "Willst du nicht nachsehen, was das Christkind dir noch gebracht hatte", wollte Opa lächelnd wissen? Mir zittrigen Händen begann ich die Schachtel zu öffnen, sie enthielt die
heiß ersehnten Schlittschuhe, mit einem Jubellaut hing ich Opa am Hals und er tätschelte beruhigend meinen Rücken. Selbstverständlich bekamen alle anderen Enkel etwas im gleichen Wert, Opa würde nie jemanden von und benachteiligen. "Deshalb also die vielen Überstunden", mutmaßte Oma und ich schämte mich ein wenig. Aber Opa strahlte. "Das sind mir die leuchtenden Kinderaugen wert, Guste", meinte er nur. Vom Rest des Abends bekam ich nicht mehr viel mit, mit entrücktem Lächeln sah ich mich schon
über den zugefrorenen See gleiten und bemerkte auch nicht die schmunzelnden Blicke von Opa, der genau wusste, wie es in mir aussah.
Spät am Abend gingen wir durch den froststarren Abend heim. Die Sterne funkelten am Himmel, dass es eine Pracht war. Unterm Arm trug ich selig mein Packet mit den Schlittschuhen. Nati würde Augen machen. Zu Haus ging ich sofort zu Bett, denn es war spät geworden.
Am anderen Tag erwachte ich sehr früh, es war erst sechs Uhr und stockdunkel. Meine Eltern würden länger schlafen, an diesem Feiertag. Es hielt mich nicht mehr im Bett, leise zog ich mich an, band meine Schlittschuhe an den Bändern zusammen, wie ich es bei Nati gesehen hatte und schlich mich aus dem Haus. Etwas hatte sich verändert, aber ich wusste nicht was und die Aufregung ließ mich auch nicht nachdenken. Kein Mensch war unterwegs, kein Laut drang an mein Ohr, es war als wäre ich alleine auf der Welt. Den
Weg durch den Wald nahm ich nicht, ich ging durch die Stadt zum Heyerstrang. Schwarz und glänzend lag der zugefrorene Fluss vor mir. Stolz zog ich meine Schlittschuhe an und begab mich noch ein wenig unsicher auf das Eis. Na bitte, es klappte doch gar nicht so schlecht. Etwas Anlauf und huiii los ging es. Plötzlich verlor ich das Gleichgewicht und Plumps, lag ich auf der Nase.
Ein Lachen stieg in meine Kehle, ohne Blessuren wird man sicher kein Eiskunstläufer. Gleich darauf ließ mich das Entsetzen erstarren. Plötzlich wusste ich glasklar, was sich verändert hatte. Die Temperatur, es war warm geworden. Zugleich merkte ich, wie die Nässe durch meine Handschuhe drang, die Eisfläche war voller Wasser, es taute und als wäre das nicht schon genug spürte ich ein Vibrieren unter meinen Handflächen. Nein, bitte nicht lieber Gott, flehte ich, aber es half nicht, ein leichtes Knirschen wurde
hörbar. Bäuchlings versuchte ich mich zum Ufer zurück zu schieben. Nur noch wenige Meter. Da geschah es, das Eis brach einfach unter mir weg. An den Rändern ist die Einbruch Gefahr am Größten hatte mal jemand gesagt, danach war es mit der Vernunft vorbei. Panik erfasste mich, verzweifelt versuchte ich Halt zu gewinnen, aber immer wenn ich zufasste brach ein weiteres Stück ab, ich paddelte und schrie, denn ich konnte nicht schwimmen. Meine schwere Kleidung zog mich zudem immer wieder unter Wasser. Einige Male
kam ich noch hoch und versuchte irgendwo Halt zu bekommen, aber meine Kräfte erlahmten immer mehr. Meine Bewegungen wurden langsamer, ich war völlig erschöpft, Anstrengung und Atemnot taten ein Übriges. Ein letztes Mal dachte ich an meine Eltern und meinen lieben Opa, ich würde ihnen unendliche Trauer bescheren, dann ich ließ mich fallen, in das schwarze Nichts.
Wintermärchen Teil 2!
Schneeflöckchen und Weißröckchen!
Ach, war das gemütlich, wohlig und warm streckte ich mich unter meiner Decke, aber Moment mal, ich war doch ertrunken, oder nicht? War ich etwa im Himmel? Leises Kichern drang in meine Gedanken. "He, komm her sie wird wach." Sollte ich die Augen öffnen? Ängstlich blinzelte ich durch einen Spalt und schloss sie gleich erschrocken wieder. Eine unglaubliche Helle umgab mich, strahlender, als alles was ich je gesehen hatte. Ganz vorsichtig blinzelte ich wieder und erschrak, jemand hatte mich zart auf die
Wange geküsst und wieder hörte ich ein leises Kichern. Nun riss ich doch die Augen auf und erblickte ein wunderschönes Mädchen. Sie hatte ein zartes Gesichtchen, honigblonde Haare und trug ein weißes schimmerndes Kleidchen, das unten einen breiten Pelzbesatz hatte, dazu hatte sie eine weiße Pelzstola umgelegt und trug einen weißen Hut und weißen Blumen besteckt. Ihre weiße Tasche wurde mit einer Kugel verschlossen, die wie ein Schneeball aussah, auch ihr Gürtel trug weiße Blumen, nie hatte ich ein so strahlendes
Wesen erblickt. "Wer bist du, bin ich im Himmel und du bist ein Engel", fragte ich schüchtern? Nun lachte das weiße Geschöpf richtig. "Oh nein, wenn du im Himmel wärst, dann wärst du ja tot." "Bin ich denn nicht tot, ich bin doch ertrunken", vergewisserte ich mich staunend. "Nein, du bist im Winterreich gelandet, noch nie hat ein Menschenkind hierher gefunden. Neugierig richtete ich mich nun auf und entdeckte ein zweites weißes Wesen. Es trug einen glänzenden weißen Anzug, der
unter dem Knie endete und mit Schneebällen verziert war, dazu einen glänzenden weißen Schal und ein passendes Käppchen. Die Beine steckten in weißen Strümpfen und die Schuhe waren zierliche weiße glänzende Sandalen. Es war ebenfalls ein Mädchen, ihre Haare hatten die gleiche Farbe, waren aber lang und lockig. "Darf ich vorstellen", fragte das schöne Mädchen an meinem Bett, das ist meine Schwester Schneeflöckchen, ich bin das Weißröckchen, unsere Mutter ist die Schneekönigin, in deren Palast du dich
befindest." Nun hielt mich nichts mehr im Bett. Hurtig stand ich auf und sah mich erst einmal um. Alles in dem Zimmer, in dem ich mich befand war weiß und strahlend, oder kristallklar und durchsichtig. Die Wände schimmerten wie ein Iglu im Sonnenlicht und die zierlichen Möbel schienen aus Glas gefertigt zu sein. Schneeflöckchen kicherte. "Du bist ein richtiger Farbklecks hier, ich glaube, das müssen wir ändern." Erstaunt sah ich an mir herab, stimmt in meiner blauen Hose und meinem gestreiften
Pulli stach ich kräftig von der reinweißen Umgebung ab.
Schneeflöckchen klatschte in die Hände und schickte die herbei eilende Schneeflocke los, schleunigst Madam Claire zu holen. Es dauerte nicht lange und eine kleine Person mit entzückenden weißen Löckchen erschien. Sie trug einen weißen Kittel, hatte ein ebensolches Zentimetermaß um ihren Hals hängen und an ihrem Arm steckte ein breiter Reif, auf dem eine mit Nadeln besteckte Schneeflocke saß. "Bonjour ma Petits", grüßte sie uns und lächelte." Was kann isch für euch tun?" "Sie sind Französin",
fragte ich erstaunt und überflüssiger Weise, denn das hörte man ja. "Naturlement ma Cher", antwortete sie mir. "Haute Couture kann nur kommen aus Fronkreisch voui." Sie nahm ihr Zentimetermaß, drehte mich hin und her und vermaß mich, die Maße notierte die kleine Schneeflocke, die sie begleitet hatte. Als sie damit fertig war scheuchte sie die Kleine in ihr Atelier. "Vit Vit, an die Arbeit." Als wir gerade das Frühstück beendet hatten, eilte sie schon wieder herbei und hielt das zauberhafteste
Kleid in den Händen, das ich je gesehen hatte. Es war aus zartem weißen Wollstoff und über und über mit, irisierenden Sternen bestickt, ich konnte es nur anschauen. Aber nicht mit Madame Claire. "Vit vit", scheuchte sie nun auch mich und ihre weißen Löckchen tanzten dabei um ihren Kopf. So zog ich dieses herrliche Kleid über, es fühlte sich wunderbar auf der Haut an und alle klatschten begeistert in die Hände. Lächelnd überreichte mir das begleitende Schneeflöckchen einen passenden Haarreif, der auch
einen solchen Stern trug. Nun fühlte ich mich auch wie eine Prinzessin. Schneeflöckchen lächelte und sagte: "Es ist schon spät, wir müssen an die Arbeit, magst du mitkommen", fragte Weißröckchen mich. Natürlich wollte ich mitkommen, wenn dieses Zimmer schon so schön war, was würde mich erwarten?
Wir lassen es schneien!
Als wir das Haus verließen, standen da tausende kleine weiße Mädchen und Jungen, die bei unserem Anblick in eine Verbeugung niedersanken. "Guten Morgen Prinzessin Schneeflöckchen, guten Morgen Prinzessin Weißröckchen, guten Morgen lieber Gast", klang nun vielstimmig. "Guten Morgen meine lieben Schneeflocken", gaben die Prinzessinnen zurück und auch ich grüßte schüchtern "Guten Morgen." Prinzessin Schneeflöckchen nahm nun Prinzessin Weißröckchen an die eine und mich an die andere
Hand und wir begannen zu tanzen. Immer schneller und ausgelassener tanzten wir und dann ließ Schneeflöckchen Weißröckchen los, die nahm eine Schneeflocke an die Hand, die eine nächste und immer so weiter. Huiiiiiiiiiiiii, nun tanzten tausende Schneeflocken einen wilden Tanz mit uns und hinunter ging es zur Erde. Jubelnd ließ nun eine nach der anderen los und taumelte glücklich hinunter. Siehst du, nun schneit es auf der Erde, wir sorgen dafür, dass die Menschen im Winter den Schnee bekommen. Wir drei tanzten
ausgelassen weiter. "Können die Menschen euch denn nicht sehen", fragte ich verwundert. "Oh nein, wenn es schneit, ist alles weiß und wir fallen in unserer weißen Kleidung nicht auf." Die spüren höchstens einen Eishauch, wenn wir vorbei wirbeln. Flocke um Flocke taumelte zur Erde. Die Kinder jubelten und versuchten sie zu fangen und auch die Gesichter der Erwachsenen sahen erfreut aus, denn wer träumt schließlich nicht von weißen Weihnachten? Erst bildete sich ein feiner weißer Film über dem
Matsch, nach und nach verwandelte sich der in eine herrliche Schneedecke. Die Kinder rannten mit roten Wangen herum, teils von der wieder einsetzenden Kälte, teils von der Anstrengung des Tobens. Einige schlinderten, andere hatten ihre Rodelschlitten herausgeholt und fuhren jauchzend die kleinen Hügel und Abhänge herunter. Manche lagen gar im Schnee und wedelten mit Armen und Beinen und wenn sie sich dann erhoben, sah man einen Engel im Schnee. Wir hatten unseren Spaß, an der Freude und Ausgelassenheit, mit der
die Kinder diese Gabe des Winterlandes genossen. Manchmal wirbelten wir den Schnee auf und freuten uns am ihrem Gelächter, wenn die weiße Wolke sie einhüllte. So verbrachten wir einen herrlichen Wintertag und kehrten erst mit Einsetzen der Dämmerung zurück.
Die Schneekönigin!
Am Abend kam dann auch die Schneekönigin. "Guten Abend Mutter", begrüßten Schneeflöckchen und Weißröckchen sie, ich starrte sie nur an, noch nie hatte ich so etwas Schönes gesehen. Schneeflöckchen und Weißröckchen waren fein, zart, lieblich, aber ihre Mutter war einfach nur schön. Sie rauschte im wahrsten Sinne des Wortes herein, ihr Kleid aus feiner weißer Seide, mit silbernen Ornamenten bestickt, die bei jedem ihrer Schritte funkelten und blitzten, fiel in bauschigen Wellen um ihre Figur, darüber
trug sie einen Mantel aus spinnwebfeinem weißen Stoff, ebenfalls silbern bestickt, der mit weißem Pelz rundherum verbrämt war und dessen Kapuze ihr wundervoll schimmerndes Lockenhaar bedeckte, das bis zu ihren Hüften reichte. Auf ihrer Stirn prangte ein Eiskristall, ich konnte nur stehen und staunen. Schneeflöckchen und Weißröckchen kicherten. "Hat es dir die Sprache verschlagen", fragten sie? Aber ich war unfähig eine Antwort zu geben. Die Schneekönigin lächelte über meine große Bewunderung. "Kommt
Kinder", bat sie und führte uns zu den gläsernen Sesseln. Ein kleines Schneeflöckchen kam gelaufen und servierte auf einem silbernen Tablett ein Milch Getränk. "Morgen bekommen wir Besuch", berichtete uns die Schneekönigin. "Au fein Mama, wer kommt denn", wollte das vorwitzige Weißröckchen wissen. "Mein Bruder, liebe Kinder, euer Onkel, Brüderchen Frost. Er will mal wieder eine Weile auf der Erde sein Unwesen treiben, damit unsere lieben Brüder und Schwestern, die Schneeflöckchen,
die wir ja gerade zur Erde geschickt haben eine Weile überleben können. Außerdem muss er Flüsse und Seen wieder mit Eis überziehen, damit nicht noch mehr Kinder verunglücken", sagte sie und sah mich dabei an. "Geht früh zu Bett, damit ihr ausgeschlafen seid, wenn mein Bruder eintrifft", bat sie uns und zog sich danach mit einem "Gute Nacht" Gruß in ihre Gemächer zurück. Auch wir gingen schlafen, um für einen neuen aufregenden Tag gerüstet zu sein.
Brüderchen Frost!
Am anderen Morgen fühlte ich mich fast daheim, wir frühstückten Weißbrot mit Quark und tranken dazu Milch. Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Lärm. Draußen war ein Schlitten vorgefahren, vor den vier eisgraue Schimmel gespannt waren. Aus dem stieg ein Mann, wie ich ihn abenteuerlicher nie gesehen hatte,
Er war groß und breit von Statur, vierschrötig nennt man das glaube ich und seine Stimme klang wie Donnergrollen, er trug einen grauen Mantel, der aussah, wie mit Raureif bezogen. In seinen grauen Haaren hingen kleine Eiskristalle, die bei jedem seiner Bewegungen leise klirrten. "Wo sind denn meine Lieblings Nichten", grollte er und breitete seine Arme aus, in die sogleich Schneeflöckchen und Weißröckchen hinein flogen. Sie schienen überhaupt keine Angst vor ihm zu haben. "Komm her", winkten
sie mich zu sich. "Schau nur lieber Onkel, wir haben Besuch bekommen." Bruder Frost ließ die beiden aus seinen Armen und stapfte auf mich zu, um mich in Augenschein zu nehmen. Er ging in die Knie und schaute in mein Gesicht. Nun sah ich es, er hatte wunderschöne Augen eisblau und klar und die blickten überhaupt nicht böse. "Na schau mal einer an, Besuch habt ihr bekommen, gefällt es dir hier Kleine", wollte er wissen. "Oh ja sehr", nickte ich begeistert. Daraufhin schmunzelte er.
"Magst du mich begleiten auf meiner Tour, wenn ich die Erde mit Eis bedecke", wollt er wissen. "Aber sehr gerne", entgegnete ich.
Er nahm einen Sack aus seinem Schlitten, schulterte ihn, setzte mich in seinen Nacken und los ging die wilde Jagd. Er flog so schnell, dass es für einen Beobachter aussehen musste wie ein weißer Blitz. Auf der Erde angekommen setzte er mich hinunter und meinte: "Pass gut auf, so geht das." Daraufhin schüttelte er sich und der Reif sprühte von seinem Mantel in alle Richtungen und überzog die Erde damit, es schien aber so, als erneuere er sich sogleich wieder auf seinem Mantel. Er lachte über mein verblüfftes
Gesicht.
Dann tat er allerdings etwas, was meinen Zorn erregte. Ein alter Mann kam schlurfend des Weges. Bruder Frost streckte seine Hand aus und der Mann sank tot zur Erde. Dann holte er ein Buch aus seiner Tasche und strich etwas durch. Fassungslos hatte ich das Ganze angesehen. "Was hast du getan", fragte ich bestürzt? "Der Mann ist erfroren. Jeden Winter bekomme ich von Gott eine Liste, in der stehen einige Menschen, die erfrieren. Warum regst du dich so auf", meinte Bruder Frost gelassen. "Na
hör mal, das kann doch wohl nicht wahr sein, du bringst ohne mit der Wimper zu zucken einen Menschen um und erwartest dann noch dass ich das verstehe", ich war völlig außer mir. Ruhig setzte Bruder Frost sich in den Schnee und klopfte neben sich, "Setz dich zu mir und lass uns reden", schlug er vor. Zögernd kam ich seiner Bitte nach, in mir allerdings brodelte es. "Weißt du, das Erfrieren ein sehr humaner Tot ist", begann er das Gespräch? "Mord bleibt Mord", entgegnete ich
böse. "Sag mal, hast du eigentlich eine Ahnung, wie grausam ihr Menschen seid", fragte er mich. Ziemlich fassungslos starrte ich ihn an. "Ja, schau nur, dieser alte Mann wurde gerade von seinem Sohn hinaus in die Kälte geschickt. Der erwartet Besuch und der alte Mann hätte gestört. Nun stört er niemanden mehr." Betroffen schwieg ich. Bruder Frost legte den Arm um mich. "Weißt du wie viele Menschen heute ein Herz aus Eis besitzen? Grausamer als der Tot zu erfrieren ist das, was Eltern
ihren Kindern und Kindern ihrem Eltern antun, täglich und immer wieder. Sicher gibt es noch Liebe unter den Menschen, Liebe, die das Herz wärmt und solche Menscher werden auch nicht erfrieren, aber die Kälte nimmt zu" und eine eisige Träne rann Bruder Frost über die eisgraue Wange. Impulsiv schlang ich meine Arme um seinen Hals und küsste die Träne fort. Es war seltsam, ich hatte nie salziges Eis probiert.
Genug gefaulenzt, an die Arbeit forderte Bruder Frost. Er öffnete seinen Rucksack und nahm daraus einen Eiszapfen, den heftete er an eine Regenrinne und so ging es weiter. Felsvorsprunge, Regenrinnen und Bäume wurden mit der glitzernden Eispracht versehen. Sah das herrlich aus, wenn die Sonne das Eis auffunkeln ließ. Langsam sah die ganze Stadt aus wie ein Wintermärchen überall funkelte und glitzerte es. Als wir ein ziemlich großes Gebäude mit Eiszapfen verzierten, bekam ich ein seltsames Gefühl in der Magen
Gegend, als meldete sich eine Erinnerung in mir. Bevor ich dem Ganzen auf den Grund gehen konnte, hob Bruder Frost mich wieder in seinen Nacken und wir flogen zurück. Schneeflöckchen und Weißröckchen warteten schon auf uns. "Hattet ihr Spaß miteinander", wollten sie wissen? Bruder Frost lachte dröhnend. "Ausgezankt hat sie mich." Daraufhin errötete ich, wer war ich denn, die Allmacht Gottes anzuzweifeln? Bruder Frost gab mir einen Nasenstüber. "Alles wieder in Ordnung", verkündete
er. "Wir haben das geklärt." Aufatmend lachte ich ihn an. Dann gesellte sich die Schneekönigin zu uns, an deren Schönheit ich mich immer noch nicht satt sehen konnte und wir aßen in vergnügter Runde zu Abend. Danach verabschiedete sich Bruder Frost und nahm alle noch einmal in den Arm. "Bewahr dir dein Mitleid", flüsterte er mir ins Ohr. Dann schwang er sich trotz seiner Körperfülle in seinen Schlitten und brauste mit lautem Schellen Geläut davon. Wir gingen zur Ruhe und schliefen einem neuen
aufregenden Tag entgegen.
Das Eisblümchen!
Als ich am anderen Morgen zum Frühstück kam, wartete wieder eine Überraschung auf mich. Das ist unsere Cousine Eisblümchen, stellte dieses Mal Weißröckchen den neuen Gast vor. Was diese Wunderwelt zu bieten hatte, war kaum zu glauben, wenn man dachte, nun kenne man alles, tauchte wieder ein seltsames Wesen auf. Eisblümchen trug einen weißen Anzug, wie ihn auch Schneeflöckchen trug, allerdings war der ihre mit Silberfäden durchwirkt und um ihre Taille trug sie einen mit schillernden Pailletten besetzten Gürtel.
Auf ihrem Kopf ein Käppchen, ebenfalls mit Pailletten verziert, dazu passende Sandalen, die sich um das Fußgelenk wanden. Ihre Haare waren weiß und mit Crepelocken gekräuselt, dazu hatte sie ein fein geschnittenes Gesichtchen. Wie ihre Verwandten ein gar wunderschönes Wesen. Sie lächelte mir freundlich zu und wir Frühstückten miteinander.
"Magst du mich heute bei meiner Arbeit begleiten", wollte Eisblümchen wissen? Natürlich wollte ich, ich war schon unglaublich gespannt, welche Wundersachen ich wieder zu sehen bekommen würde. Eisblümchen führte mich zu einer Art Riesen Rutschbahn. "Die hat mein Vater gebaut, du kennst ihn, es ist der Bruder Frost." Meine Augen waren sehr groß. "Du bist die Tochter von Bruder Frost", fragte ich noch einmal nach? "Das hätte ich nicht gedacht." "Mein Äußeres habe ich
von meiner Mutter", schmunzelte Eisblümchen. "Sie ist die Kristallelfe, deshalb glitzert das Eis so. Aber nun komm, es ist schön spät. Sie nahm eine Mal Palette mit und einen Pinsel, was sie damit nur machen würde. Sie nahm auf der Rutschbahn Platz und bat mich, ich solle mich vor sie setzen. "Weißt du, ich bin schon oft gerutscht und halte dich fest." Huiiiiiiiiiiiiiiiii, los ging die wilde Reise, ehe ich mich versah waren wir auf der Erde angekommen.
Durch dicken Schnee stapften wir zu den Häusern, zuvor hatte Eisblümchen über die Eisbahn gehaucht und ein dichter Nebel machte sie unsichtbar. Sie trat an ein Fenster, schraubte eine Tube auf, die sie aus der Tasche ihres Anzuges genommen hatte und gab etwas Paste auf ihre Mal Paillette. Die Paste schillerte wie die Eiskristalle. Eisblümchen tupfte ihren Pinsel hinein und malte an das nächst beste Fenster ganz zauberhafte Eisblumen, mal hoch gewachsen, mal mit weit ausladenden Blüten, unglaublich filigrane Kunstwerke
entstanden unter ihren Pinselstrichen, völlig verzaubert sah ich zu. "Willst du es auch einmal versuchen", wollte sie lächelnd wissen? "oh nein, nie im Leben kann ich so etwas bezauberndes Malen", lehnte ich erschrocken ab. "Aber ich dachte du hilfst mir", meinte sie ein wenig traurig und hielt mir auffordernd die Palette hin. Mit der anderen Hand zauberte sie einen weiteren Pinsel aus ihrer Tasche hervor. Wir gingen zum nächsten Fenster und ich tupfte zaghaft etwas von der herrlichen
Paste darauf. Eisblümchen nahm meine Hand und führte den Pinsel und wie von Zauberhand entstanden herrlich anzusehende Eisblumen. Dann nahm sie ihre Palette und siehe da, es waren zwei übereinander gewesen. Eins davon reichte sie nun mir. "Du bist nun mein Eisblumenmallehrling", scherzte sie. Nun teilten wir uns die Arbeit, Eisblümchen lief von Fenster zu Fenster und ich machte es ebenso, nur in der anderen Richtung, war das Haus fertig, trafen wir wieder aufeinander. Dabei begutachtete sie mein Werk.
"Du bist ein Naturtalent", lobte sie mich, worauf ich heftig errötete. "Wir haben schon Nachmittag", meinte sie plötzlich. "Noch ein Haus, dann gehen wir heim. Das letzte Haus für heute ist ein Krankenhaus und wir werden allen dort eine Freude bereiten, mit den schön bemalten Fenstern. Zügig arbeiteten wir und wieder beschlich mich das seltsame Gefühl, das ich bei der Runde mit Bruder Frost gehabt hatte. Plötzlich schaute ich in eines der Fenster und stutzte. Das war doch……… tatsächlich,
da saßen meine Eltern und mein Opa und da im Bett, dieses zarte blasse Geschöpf…..das war ja ich. Meine Eltern und Opa sahen entsetzlich blass und traurig aus. Eisblümchen hatte mich still von der Seite beobachtet. "Das bin ich", sagte ich leise. "Das weiß ich", entgegnete sie ernst. "Hast du Heimweh?" "Nein, ja, ach ich weiß auch nicht, es ist schön bei euch, aber zu Hause ist es auch schön, dort werde ich geliebt, dort gehöre ich dazu. "Das verstehe ich", entgegnete
Eisblümchen, "lass uns umkehren und mit der Schneekönigin darüber reden." Bedrückt schlich ich hinter Eisblümchen her, zur Rodelbahn. Ein kleiner weißer Motorschlitten wartete auf uns und fuhr uns wieder hinauf.
Alle saßen schon beim Abendbrot, wir waren spät dran. Richtigen Hunger hatte ich nicht und die Schneekönigin beobachtete mich besorgt. Nach der Malzeit berichtete Eisblümchen ihr von meinem Kummer. "Du sehnst dich also zurück", fragte sie mich und ich nickte zaghaft. Die Eiskönigin seufzte, ich hab dich sehr lieb gewonnen, aber wenn du traurig bist, musst du zurück. "Geht das denn", fragte ich. Beruhigend nickte sie mir zu. "Du kannst auf dem gleichen Weg zurück, wie du hierher gekommen
bist, dein Schutzengel wird dich tragen. Geh zu Bett, wenn du schläfst wird er dich heimbringen. "Du sollst von uns allen Abschieds Geschenke erhalten, damit du uns nicht vergisst." Zuerst trat das Eisblümchen heran, sie nahm mich in den Arm, küsste mich auf die Wange und sagte:
"Du sollst weiter herrliche Eisblumen malen können."
"Schneeflöckchen meinte, nachdem auch sie mich umarmt und geküsst hatte:
"Du sollst Schnee herbeirufen können, wann und wo immer du es willst."
Weißröckchen umarmte mich als nächste, sie erbat eine willkommene Gabe für mich:
"Du sollst herrliche Kleider nähen können, wie unsere Madame Claire.
Als letztes kam die Eiskönigin, auch sie nahm mich in ihre Arme, küsste mich und sprach:
"Von mir bekommst du Kraft, du wirst sie brauchen in der nächsten Zeit, zudem wirst du immer ein warmes und mitfühlendes Herz haben, Bruder Frost wird dich nie erfrieren lassen müssen. Leb wohl mein Kind." Dann ging ich zu Bett und schlief ein.
Wintermärchen Teil 3!
Etwas piekte in meinem Arm. "Lass das Weißröckchen", murmelte ich schlaftrunken und hörte einen Freudenschrei. "Doktor, Doktor, kommen sie schnell, ich glaube sie erwacht." Erschrocken fuhr ich zusammen, riss die Augen auf und blickte in das strahlende Gesicht meiner Mutter. "Wo kommst du denn her", fragte ich verblüfft. "Ganz ruhig, mein Kleines, du bist im Krankenhaus. Du bist beim Schlittschuhlaufen eingebrochen, erinnerst du dich?" Gespannt sah sie mich an. "Natürlich
erinnere ich mich, ich war doch……..", eine unerklärliche Scheu hielt mich davon ab weiter zu sprechen. Außerdem war ich furchtbar müde. Mutter streichelte mein Gesicht, ich werde schnell Vater und Großvater Bescheid sagen", meinte sie, "wir haben uns abgewechselt mit der Wache bei dir, denn wir wussten ja nicht, wann du wieder erwachst." "Hab ich denn lange geschlafen", wollte ich von ihr wissen? "Drei lange Wochen", berichtete Mutter, "wir haben nun Mitte Januar,
aber keine Sorge, dein heiß geliebter Winter hält noch an." Sie schmunzelte, während ich rechnete. Drei Wochen, ich hatte einen Tag mit Schneeflöckchen und Weißröckchen verbracht und wir hatten es schneien lassen. Den nächsten Tag mit Bruder Frost, mit dem hatte ich Reif und Eiszapfen auf die Erde gebracht, am dritten Tage war ich mit Eisblümchen unterwegs, um die Fenster zu bemalen. Also waren drei Tage dort drei Wochen auf der Erde. Äußerst merkwürdig das Ganze. In der Zwischenzeit war der Doktor herbeigeeilt.
"Na kleines Fräulein, wie geht es uns denn", wollte er wissen. "Ach, ich bin furchtbar müde", murmelte ich und war auch schon wieder eingeschlafen.
Als ich erwachte saßen Vater, Mutter und Opa an meinem Bett, das man von der Intensiv Station in ein normales Krankenzimmer geschoben hatte. Alle waren glücklich, dass ich erwacht war und konnten mir nicht genug Gutes tun. Papa hatte mir Datteln mitgebracht, die ich so gerne aß, Mama schimpfte, "Das Süße klebrige Zeug." Aber Vater schmunzelte nur. "Wenn sie es doch so gerne mag." Mama hatte ein wunderschönes Nachthemd gekauft, es war rosa und ich lächelte, hatte ich bis vor kurzem in einer
weißen Welt gelebt. "Gefällt es dir, wollte sie wissen?" "Warum Rosa", fragte ich nach? Mama druckste herum und wurde rot. "Weil sie Angst hatte, du würdest demnächst ein weißes Hemd tragen", antwortete Opa, der es nicht leiden konnte, wenn man Kindern eine Frage nicht beantwortet. Das verstand ich nicht und schaute ihn fragend an. "Das letzte Hemd ist gewöhnlich weiß", erwiderte Opa. Nun kapierte ich es. "Oh nein", schmunzelte ich, "ihr werdet mich noch
eine Weile ertragen müssen." "Na Gott sei Dank aber auch", lachte Opa und küsste mich auf die Wange. "Von Oma soll ich dir deine Lieblings Naschereien bringen", richtete er aus und stellte eine große Dose auf mein Bett. Darin waren Dominosteine, Butter Spekulatius und Gelee Früchte, gleich steckte ich eine davon in meinen Mund. "Darf ich bald heim", wollte ich wissen. "Der Arzt meint, du sollst noch eine Weile zur Beobachtung hier bleiben", meine Mutter, "aber
sicher nicht lange, es schmeckt dir ja schon wieder", grinste sie. "So, nun schlaf noch ein wenig, wir gehen nun heim, aber wir schauen heute Abend noch einmal nach dir." "Opa, bleibst du noch ein wenig", bat ich? "Wenn du das möchtest, gerne", antwortete er. "Ihr zwei", bemerkte Mutter und schüttelte lachend den Kopf. Sie winkte uns zu und ging mit Vater heim.
Still saß Opa an meinem Bett und beobachtete mich, wir hatten uns immer alles erzählt und ich überlegte, wie ich das Thema zur Sprache bringen konnte, ohne das er mich für verrückt hielt. Als ich zu ihm schaute, bemerkte ich, dass er lächelte. "Nur immer frisch von der Leber weg", bemerkte er und ich wurde rot. Er nahm meine Hand in die seine. "Denkst du, ich kenne meine Lieblings Enkelin so wenig", gleich darauf verstummte er. "Das ist mir so rausgerutscht, aber das bleibt unser Geheimnis,
wir wollen doch niemanden wehtun, nicht wahr?" Nun war ich es, die Schmunzelte. "Sag mal Opa, wie stellt man fest, ob man geträumt, oder etwas erlebt hat", begann ich vorsichtig. Ernst sah Opa mich an. "Das ist nicht immer leicht mein Kind, der menschliche Geist spielt einem manchmal Streiche, magst du mir mehr erzählen", bat er. Nun berichtete ich ihm alles, was ich erlebt hatte und er hörte aufmerksam zu, ohne mich auch nur einmal zu unterbrechen. Als ich geendet hatte blieb er eine
Weile stumm und überlegte. "In deinem Fall ist es einfach", meinte er dann. "was meinst du damit", wollte ich neugierig wissen. "Warte einen Moment", bat er und verließ das Zimmer. Oh je, er würde doch nicht dem Arzt erzählen, das ich fantasierte? Aber meine Sorgen waren umsonst, nach einer kurzen Weile kam er zurück und hielt etwas hinter seinem Rücken versteckt. "Was hast du da", wollte ich wissen? Opa grinste und reichte mir ein Blatt Papier und einen Bleistift. "Male",
verlangte er. Erst guckte ich dumm, aber dann strahlte ich, das war die Lösung, Eisblümchen hatte gesagt, sie schenke mir die Kunst weiterhin Eisblumen zu malen. Gierig griff ich nach Papier und Stift, nun würde ich ja sehen, ob ich geträumt hatte. Opa reichte mir eine Unterlage und ich begann. Als der Stift das Papier berührte, merkte ich, das etwas meine Hand zu einem geringerem Druck veranlasste, weich glitt der Stift über das Papier und zauberte ein filigranes Gebilde, zarte Zweige und Blumen entstanden fast
ohne mein Zutun, sie flossen sozusagen aus dem Stift. Opa, der erst über meinen Eifer gelacht hatte, blickte nun völlig erstaunt. Er nahm das Blatt, als müsse er es näher betrachten, um es zu glauben. "Das ist wunderbar", meinte er dann, "ganz einfach wunderbar." Er betrachtete mich stumm. "Scheint, als stimme deine Geschichte, so unglaublich sie auch klingt." "Meinst du, ich soll den Eltern davon erzählen", fragte ich ratlos. Opa überlegte. "Das solltest du lieber
erst einmal lassen", meinte er dann, "die Geschichte hört sich trotz des Beweises sehr unrealistisch an." "Glaubst du mir immer noch nicht", fragte ich ein wenig traurig. "Doch mein Kind, ich glaube dir, aber die anderen könnten meinen, das seit dem Koma etwas nicht stimmt in deinem Oberstübchen und das möchte ich dir ersparen." "Er hatte ja Recht, es hörte sich auch wirklich zu seltsam an und ich beschloss erst einmal darüber zu schweigen. Opa verabschiedete sich nun und
bat mich, ein wenig zu schlafen.
Gerade hatte ich die Augen geschlossen, als mich ein leises Klopfen am Fenster dazu veranlasste, sie wieder zu öffnen. Nun musste ich aber doch einige Male zwinkern, ein struppiges Etwas saß dort und klopfte zaghaft. "Kleines, komm doch einmal her bitte", hörte ich es leise durch das Glas. Nachdem ich meinen ersten Schrecken überwunden hatte, stand ich auf und ging hin, ich hatte in den letzten Tagen so viel Merkwürdiges erlebt, das sich meine Angst in Grenzen hielt. Als ich vor dem Fenster stand, blickte
ich genau in ein paar wundervolle blaue Augen, nun wusste ich auch, wer dort hockte, das war doch Bruder Frost. Erfreut öffnete ich das Fenster und umhalste meinen Freund. "Na na", meinte er und tätschelte verlegen meinen Rücken. "Bring einen alten Mann nicht um", aber er schmunzelte dabei und sah überhaupt nicht so aus, als störe es ihn wirklich, im Gegenteil, er wirkte gerührt über meine offensichtliche Freude ihn zu sehen. "Du bist so schnell verschwunden, das ich überhaupt nicht dazu
gekommen bin, dir auch eine meiner Gaben zu schenken", sprach er. "Ihr alle habt mir doch so viel gegeben", sagte ich, schau nur, dabei lief ich zu meinem Nachttischchen und holte das Blatt, auf dem ich die herrlichen Blumen gezeichnet hatte. "Diese Gabe habe ich von deinem Töchterchen, dem reizenden Eisblümchen." "Na und meine Gabe verschmähst du", wollte er nun schmollend wissen. "Aber nein, ihr habt mich so lieb aufgenommen und nun beschenkt ihr mich auch noch reich,
das habe ich doch gar nicht verdient." "Oh doch, das hast du, welches kleine Mädchen traut sich schon den großen Bruder Frost auszuzanken", lachte er nun los? "Bitte verzeih mir das", bat ich nun zerknirscht. "Aber ja doch, du hast es ja gut gemeint und nun zu meiner Gabe. Wenn du in Not bist und Hilfe brauchst, ruf mich, ich werde dich hören und dir beistehen", mit diesen Worten drückte er mir ein kleines gläsernes Pfeifchen in die Hand, küsste mich auf die Wangen und verabschiedete
sich.
Am Nachmittag erschienen noch einmal alle, Mutter war völlig aus dem Häuschen wegen meiner Zeichnung, sie sah in mir gleich den Neuen da Vinci, aber begeistert waren alle, die sie ansahen. "Morgen bringe ich dir Zeichen Material mit", meinte sie, "sag nur, was du brauchst" Block, Pinsel Farbe und welche", sie war völlig aus dem Häuschen, dann schwieg sie überlegend. "Da war doch noch etwas, was ich dir erzählen wollte, ach ja, ich hab es, als ich die Sachen waschen wollte, die du
bei dem Unfall anhattest, entdeckte ich in der Hosentasche ein Tube Farbe, sie glitzert so, du übst wohl schon länger heimlich." Was sie gesagt hatte elektrisierte mich Augenblicklich, hatte das gute Eisblümchen mir etwa eine Tube seiner wundervollen Farbe mitgegeben. Es fiel mir schwer mich völlig normal zu geben, während ich danach fieberte, zu wissen ob ich Recht hatte. "Bitte bring sie mir mit", bat ich Mutter, dann kann ich mir die Zeit besser vertreiben." "Nun lass das Kind doch
erst einmal wieder gesund werden", meinte Vater schließlich.
Der Arzt kam und meinte, er warte noch auf einige Ergebnisse meiner Untersuchungen und wenn diese gut ausfallen, dann könnte ich am anderen Tag heimgehen. "Na, dann kann ich ja zu Hause weiter zeichnen, freute ich mich. "Du malst", fragte der Arzt, aber man sah, er wollte nur freundlich sein, aber ein Meisterwerk erwartete er nicht. Opa reichte ihm meine Zeichnung und hatte er Anfangs nur einen flüchtigen Blick darauf geworfen, schaute er noch einmal und dieses Mal plötzlich sehr interessiert hin.
"Das ist fantastisch", meinte er dann, wo hast du das gelernt", wollte er wissen. "Ach, nirgendwo, das habe ich gerade erst gemalt", sagte ich leichthin. Man merkte, der Doktor war beeindruckt. "Von dir wird man noch hören, junge Dame", prophezeite er mir.
Tatsächlich konnte ich am anderen Tag das Krankenhaus verlassen. Noch ein wenig schwach, legte ich mich auf die Couch. "Bitte bring mir die Malsachen", bat ich Mutter. Sie kam meiner Bitte nach. Tatsächlich, die Tube sah genauso aus, wie die jenige, mit der Eisblümchen und ich gemalt hatten. Das musste ich sofort ausprobieren und flugs malte ich einige Eisblumen auf das Papier. Mutter sah mir über die Schulter und ihr vielen fast die Augen aus dem Kopf. "Herrlich", flüsterte sie. "Wunderschön,
wie die Eisblumen am Fenster, seit wann kannst du so etwas, hat der Unfall dich verändert?" Siedendheißer Schreck durchfuhr mich, sie durfte keinen Verdacht schöpfen. "Nein, nein", entgegnete ich schnell, dieser Winter inspiriert mich dazu und kurz vor dem Unfall schenkte Opa mir die herrliche Farbe, ich musste sie einfach ausprobieren. Du liebe Zeit, was erzählte ich da, ich wusste doch, wie sehr Opa Lügen verabscheute, sagte er doch immer, eine Lüge zieht hundert andere nach sich, aber ich hatte
mir doch nicht zu helfen gewusst und hoffte, Opa verstand das. Schnell malte ich etwas anderes, um Mutter abzulenken. Ganz in Gedanken malte ich Weißröckchens Kleid. Wenn ich Mutter hatte beruhigen wollen, hatte ich nun das genaue Gegenteil erreicht, sie wusste sich vor Entzücken nicht zu lassen. "Du musst Modezeichnerin werden", beschloss sie. Nun musste ich doch Lachen, Mutter übertrieb immer maßlos, aber wenn ich ehrlich war, das Kleid war wunderbar gelungen. Also funktionierte auch Weißröckchens
Gabe. Mit Mühe und Not konnte ich Mutter davon abhalten, mit dem Blatt im Haus herum zu spazieren und es allen zu zeigen. "Bitte lass das bat ich, nachher wollen sie mich sprechen und ich bin doch noch so schwach." Sie hatte ein Einsehen, konnte es aber nicht erwarten, Vater und Opa davon zu erzählen, wenn sie am Nachmittag von der Arbeit kamen. Beide waren ebenfalls über die Maßen erstaunt, als sie meine Bilder sahen. "Vater, wo hast du nur diese herrliche Farbe aufgetrieben", wendete sich
Mutter an ihren Vater." Opa blickte erstaunt, als er aber meine beschwörenden Blicke auffing deutete er sie richtig. "Die habe ich irgendwann mal auf der Arbeit gefunden und dachte, Gitte hat ihre Freude daran, sie liebt doch alles was glitzert", beruhigte er Mutter. Als wir später allein waren, meinte Opa: "Wenn du nicht auffallen willst, solltest du vorsichtiger sein. "Stimmt", gab ich ihm zerknirscht Recht, ich konnte es nicht erwarten, bitte verzeih, das du für mich lügen musstest",
bat ich zerknirscht. "wie wäre es, wenn du weiter Aktionen erst mit mir besprichst", schlug er vor. "Keine schlechte Idee, meinte ich, bitte hole mich doch Morgen zu einem kleinen Spaziergang ab, dann testen wir, ob ich es auch schneien lassen kann."
Der nächste Tag war ein Samstag und Opa kam am Morgen, um mich abzuholen. Mutter wollte unbedingt mit, aber wir redeten es ihr aus. "Wenn wir wieder kommen, können wir sicher einen heißen Kakao gebrauchen", meinte Opa, "und einkaufen solltest du auch, Obst wäre nicht schlecht, das Kinds braucht Vitamine, heute ist Markt." Mutter zog ein Gesicht, aber sie fügte sich dann. Opa und ich suchten einen verschwiegenen Ort auf, den alten Friedhof, der nun ein Park war und auf dem sich bei dieser Kälte
niemand befand. Wir wanderten zu einer Bank. Opa fegte den Schnee herunter und setzte sich. "Dann mal los", meinte er "zeig was du kannst. Unsicher sah ich ihn an. "Soll ich wirklich und wenn es nicht klappt", fragte ich zweifelnd. "Warum sollte gerade das nicht klappen", meinte Opa? "Alles andere funktionierte doch auch." Na wo er Recht hatte, hatte er Recht und außerdem, was sollte passieren? Seufzend breitete ich die Arme aus und tanzte, wie Schneeflöckchen, Weißröckchen
und ich es getan hatten. Immer schneller wirbelte ich und wirklich, Schneeflocken hüllten mich ein. Plötzlich wurden mein Hände gefasst und die beiden tanzten mit mir. "Wo kommt ihr denn her", fragte ich fassungslos?" "Du weißt doch, dass wir den Schnee bringen", antworteten sie. "Aber mein Großvater ist bei mir", sagte ich. "Das wissen wir doch, aber nur du kannst uns sehen. Wir können auch nicht bleiben, aber wir wollten nur schnell unsere liebe Freundin begrüßen."
Damit bekam ich Links und Rechts einen Kuss auf die Wange und wusch, fort waren sie. Völlig außer Atem ging ich nun zu Großvater. "Was sagt du dazu", wollte ich wissen. "Es war faszinierend, nur dort, wo du getanzt hast, schneite es in einer dichten Wolke, du beherrscht also auch das." Nachdenklich betrachtete er mich. "Dass du etwas Besonderes bist, wusste ich schon immer, aber WIE besonders du wirklich bist, hätte ich mir nicht träumen lassen. Ach Kind seufzte er, zeige nur niemanden
unbedacht deine Gaben." Nachdenklich gingen wir heim. "Hast du außer mir noch etwas gesehen", wollte ich wissen. "Nein, nichts, aber du warst ja auch in der Schneewolke verborgen, waren deine Freundinnen da?" "Woher weißt du das", fragte ich verblüfft. "Na wenn du schon so zaghaft nachfragst", lachte er. Zu Hause wartete dann auch wirklich heißer süßer Kakao auf uns.
Die nächsten Tage verliefen ziemlich ereignislos. Da ich wieder genesen war, ging ich auch wieder zur Schule. Im Zeichen Unterricht hielt ich mich ziemlich zurück, trotzdem konnte ich mein neues Talent nicht ganz verbergen, aber gute Noten konnte ich gebrauchen. Ziemlich müde kam ich am Nachmittag aus der Schule und schon von weitem hörte ich Ajax Geheule und das Schimpfen und Schreien unseres Hauswirtes. Ajax war sein Schäferhund, er hielt ihn im Zwinger und richtete ihn zu einem Wachhund ab. Dabei ging er nicht
gerade zimperlich mit dem Tier um, was mich ungeheuer erboste. Alle hatten Angst vor ihm, sah denn wirklich niemand seine traurigen Augen? Oft versteckte ich beim Frühstück eine Scheibe Wurst und reichte sie ihm durch die Maschen seines Zwingers und stets nahm er sie mit seinem mächtigen Gebiss behutsam aus meinen kleinen Fingern. Einmal wurde ich dabei erwischt, gab das ein Geschrei. Als ich näher kam, sah ich, wie sein Herr auf den armen Hund einschlug. Ohne zu Überlegen, ob mich jemand sehen konnte, nahm ich
das Pfeifchen von Bruder Frost, das ich an einer Schnur um meinen Hals trug und blies kräftig hinein. Sogleich kam ein mächtiger Sturm auf und in dessen Zentrum stand er, groß und ungestüm, wie eh und je. "Was kann ich für dich tun", wollte er wissen und stumm, mit Tränen auf den Wangen zeigte ich auf den gequälten Hund und seinen rasenden Herrn. Bruder Frost streckte gebietend den Arm aus und unser Hauswirt verwandelte sich in eine Eissäule. Wir gingen zu dem jaulenden, heulendem Tier. Ajax leckte
meine Hand. Bruder Frost untersuchte ihn. "Es scheint, er hat ihm die Wirbelsäule gebrochen, das arme Tier ist nicht zu retten", sagte er, was mir ein verzweifeltes Schluchzen entlockte. "Keine Sorge, bei mir hat er es gut, der Herr wird nichts dagegen haben, wenn er seine Seele nicht bekommt, ich wünsche mir schon lange einen Gefährten auf meinen einsamen Wegen und ich verspreche dir, Ajax hat es gut bei mir." "Niemandem würde ich ihn lieber anvertrauen, als dir", sprach ich und
umarmte den Freund. "Lebt wohl." Dann sah ich, wie sich die Seele des Tieres von seinem Leib löste und freudig umsprang Ajax seien neuen Herrn. Bruder Frost tippte den Hauswirt an und seine Starre löste sich. Als er das tot Tier vor sich liegen sah, schrie er erbost auf. Seltsamer Weise stellte der Tierarzt fest, das das Tier zwar hätte eingeschläfert werden müssen, wegen der gebrochenen Wirbelsäule, es dann aber erfroren war, obwohl es gar nicht mehr so kalt war, das gab große Rätsel auf und die, die
es hätte erklären können schwieg.
Nun bleibt nur noch zu sagen, dass ich in Essen-Werden wohnte, wo sich die Folkwang Schule befindet, die berühmte Kunst Hochschule, die besuchte ich später, aber das ist eine andere Geschichte.
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