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Der verirrte Schneeball

© Britta Dubber


Ethan Callum verdankte sein Leben einem Schneeball. So jedenfalls erzählte er es jedem auf dem Weihnachtsfest der städtischen Grundschule, der es hören wollte. Auch die Leute, die es eigentlich nicht hören wollten, erfuhren jedes Detail der hübsch ausgeschmückten Geschichte, in der ein einfacher Grundschullehrer aus Leeds Opfer eines brutalen Raubüberfalls wurde.
Ethan sprach laut und betonte jede Silbe einzeln, als ob die Wörter nur in einer für ihn angemessenen Erzählweise ihre Wirkung richtig entfalten konnten.
Und vermutlich war das auch so. Denn an der Geschichte war im Grunde nichts Aufregendes dran. Ethan war von hinten mit einem Gegenstand auf den Kopf niedergeschlagen worden, als er sich morgens auf der Fußmatte seines Hauses nach der Zeitung gebückt hatte. Er war hinter eine große Hecke gefallen und liegen geblieben, mit einer blutenden Kopfwunde. Die Einbrecher hatten das Haus nach Bargeld durchsucht und ein paar wertvolle Gegenstände entwendet. Darunter seidene Spitzenwäsche einer noblen Designermarke (man konnte nur spekulieren, wozu ein lediger Mann Spitzenwäsche benötigte).
Ethan Callum wäre vermutlich im Schnee erfroren, unentdeckt hinter seiner selbst gezüchteten Hecke, die im Sommer voll kirschroter Blüten erstrahlte, wäre da nicht besagter Schneeball gewesen.
Der Schneeball, der ihm das Leben gerettet hatte.
Denn Tracy Simson war auf dem Weg zur Schule auf der gegenüberliegenden Straßeseite gewesen, als ihr kleiner Bruder ihr die Handtasche geklaut und weg gelaufen war.
Aus Wut formte sie einen Schneeball und bewarf ihn damit, verfehlte ihn jedoch um mehrere Meter.
Statt den Kopf ihres Bruders zu treffen, der im Zickzackkurs auf die andere Straßenseite gelaufen war, war der Schneeball auf Ethan Callums Fußmatte gelandet.
Sie hätte ihn einfach dort liegen gelassen und wäre ihrem Bruder nachgelaufen, um ihn daran zu hindern den Inhalt ihrer Handtasche zu durchwühlen, wenn - ja wenn sie nicht bei dem Wurf einen ihrer künstlichen Fingernägel verloren hätte.
Sie vermutete, oder hoffte besser gesagt, dass besagter Fingernagel in dem Schneeball steckte. Denn künstliche Fingernägel waren teuer und ihr Taschengeld verbraucht. Außerdem hätte sie eher mit dem Loser der Schule einen Zungenkuss ausgetauscht, als mit einer entstellten Hand einen Mathetest zu schreiben.
Besagter Fingernagel, übrigens ein rot lackierter, steckte nicht in dem Schneeball. Doch dafür fand sie Ethan Callum bewusstlos hinter seiner Hecke.
Nach einem Interview mit einer Zeitungsreporterin wurde ein Foto von der Heldin geschossen, in der diese peinlich darauf achtete ihre rechte Hand in der Jackentasche ihres Wollmantels zu verstecken.
Diese Details ließ Ethan bei seiner Ausführung weg. Denn von Tracys Handproblemen bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt wusste er nichts. Zu der Zeit befand er sich auf dem Weg ins Krankenhaus, wo man eine Gehirnerschütterung diagnostizierte und die Wunde mit fünf Stichen nähte.
Seine Details hatten nichts mit oberflächlichem Schnickschnack zu tun. Sondern mit der rauen Realität skrupelloser Verbrecher. So erzählte er von den schmutzigen Fußabdrücken auf dem Wohnzimmerteppich, dessen Reinigung vermutlich ein Vermögen kosten würde. Er ließ es sich auch nicht nehmen über brutal aufgerissene Schubladen zu berichten, dessen Griffe aufgrund der lieblosen Benutzung abgebrochen waren. Und natürlich die Weihnachtsgeschenke, die die brutalen Einbrecher einfach mitgenommen hatten. Noch nicht einmal das Papier hatten sie abgerissen, um zu sehen, ob sie die Geschenke überhaupt benutzen konnten. Alle sorgfältig in buntes Weihnachtspapier eingewickelten Geschenke waren ohne vorherige Begutachtung einfach mitgenommen worden.
"Können Sie mir sagen, was man mit einem Paar brauner Socken anfangen kann?", fragte Ethan seine Kollegin Tina McMiller, als das Büffet eröffnet wurde und sich die gesamte Lehrerschaft nach vorne drängte.
"Die waren für meinen Bruder in Norwegen. Er unterrichtet dort seit einem halben Jahr. Wer weiß, was die da für Socken haben!"
Mrs. Hendricks hinter ihm lachte hysterisch auf. "Meine Güte!", murmelte sie.
Ethan nuschelte etwas, aus dem man deutlich die Wörter raffgierig und an menschlichen Schicksalen uninteressiert heraus hören konnte, als er sich hinter Tina in die Schlange der Wartenden stellte.
"Nun", meinte Tina mit einem zurücksüßen Lächeln auf den Lippen. "Braune Socken sagten Sie?"
Ethan nickte erfreut darüber, doch noch auf wahres Interesse gestoßen zu sein.
"Nun, mit braunen Socken kann man eine Menge anfangen. Ich persönlich hätte da genau in diesem Moment so meine eigene nützliche Verwendung. Einen Knebel."


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Eingereicht am 10. Dezember 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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