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Nick o'Laus

© Ulrike Renk


Schwer atmend ließ er sich in seinen Sessel fallen. Es war einer dieser verflixten Tage, an denen das Chaos überhand zu nehmen drohte. Draußen tobte ein Schneesturm. Die Heizung hatte an diesem Morgen ihren Dienst quittiert. Mühsam grub Nick daraufhin die Holzscheite unter dem Schneeberg aus. Nun waren sie natürlich völlig durchnässt und dicker Qualm zog aus dem Kamin.
Da der Chef vor zwei Jahren die Zentralheizung hatte einbauen lassen, war der Kamin nicht mehr gereinigt worden und nun verstopfte sicherlich das ein oder andere Vogelnest den Abzug.
Es waren nur noch zwei Tage bis zur Deadline. Zwei Tage und eine Nacht. Wie sollte er das schaffen?
Stöhnend richtete er sich auf, ging zu seinem Schreibtisch und schaltete den Computer an. Nick hatte ihn von der Konkurrenz bekommen und war sich nicht sicher, ob dieses Teufelswerk wirklich eine Hilfe darstellte. Er hatte es geahnt, gerade jetzt blieb er Bildschirm schwarz. Fluchend schlug er mit der Faust auf den Schreibtisch und die vergessene Teetasse kippte über die Tastatur.
Na, das war's dann wohl, dachte Nick entnervt. Räumt den hier niemand auf?
Nein, es räumte niemand auf, wer auch. Schon im Sommer hatte seine Frau damit gedroht im Winter zu ihren Eltern nach Florida zu fahren. Sie konnte weder die alljährliche Hektik noch das ewig schlechte Wetter ertragen. Sie hatte ihre Drohung wahr gemacht, war vor drei Wochen mit Sack und Pack abgereist und hatte ihn seinem Schicksal überlassen. War das Liebe? Hieß es nicht in guten wie in schlechten Zeiten? Nick schüttelte traurig den Kopf.
Seine Frau war eine gute Seele, die gute Seele des ganzen Unternehmens. Sie fehlte ihm. Nicht nur um im Bett seine kalten Füße zu wärmen, nein, auch um alles zu organisieren. Sie hatte die Hütte in Schuss gehalten, hatte sich um das Essen gekümmert und die Korrespondenz erledigt. Sie war ein wahrer Engel.
Nun aber war sie weg.
Wieder fluchte Nick, Qualm drang in seine Lungen und er hustete.
Warum hatte er sich das angetan? Warum hatte er sich auf diesen Job beworben? Eigentlich hatte er das ja gar nicht. Sie waren an ihn herangetreten, und das wahrscheinlich auch nur wegen seines Namens. Nick o'Laus, standfester Ire mit langer Ahnenreihe. Na ja, die Arbeitslosigkeit drohte und in den Prospekten hörte sich alles auch recht gut an. Eigenes Haus, Tierhaltung erlaubt, Kinder kein Problem, Werkstatt gut ausgestattet und mit einem festen Mitarbeiterstamm. Die Bilder von der Landschaft waren umwerfend. Schneebedeckte Berge, riesige Tannen, klare Luft...Hochglanz und in stechenden Farben. Er hatte die Formulare ausgefüllt und schneller als er Schwupps sagen konnte war er auch schon da. Also hier. Am Nordpol. Die Tannen waren aus Plastik, Schnee lag hier ganzjährig. Schöne Tage hingegen gab es nur selten.
Früher war er sportbegeistert, Skifahren, Snowboard, Schlitten, Bob...alles hatte er gemacht. Inzwischen langweilte es ihn. Und das mit der Tierhaltung war auch ein Witz. Der Stall war voll mit störrischen Rentieren. Täglich musste er ausmisten und jede Woche Tonnen an Futter herbeischaffen. Dabei waren die Viecher abgesehen davon, dass sie stanken, noch nicht einmal nett. Sie bissen und traten bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Nur seine Frau kam mit ihnen klar. Seine Frau...Nick seufzte tief.
Er sah die Auftragsbücher durch. Nur gut, dass er sich nicht völlig auf den Computer verlassen hatte, aber wie sollte er all das noch schaffen?
Es klopfte. Der Oberwichtel. Die Wichtel waren seine Angestellten. Sie wohnten ein Stück weiter den Berg hinunter in ihrer eigenen Siedlung, überhaupt blieben sie am Liebsten unter sich.
"Chef, ich wollte dir nur sagen, dass wir jetzt sofort die Arbeit niederlegen."
"Was? Wie... wieso? Nein, das geht nicht! Nicht jetzt!"
"Doch, wir haben seit Tagen keine vernünftige Mahlzeit mehr bekommen! Das ist uns aber vertraglich zugesichert worden. Eine warme, nahrhafte Mahlzeit pro Tag! Und noch ein Imbiss, wenn wir Überstunden machen müssen."
"Ja ... ja, aber ..."
"Und Überstunden machen wir schon seit Wochen. Es ist jedes Jahr das Gleiche! Nein, wir haben uns mit der Gewerkschaft in Verbindung gesetzt, wir streiken!"
"Ihr...ihr...WAS?" Nick brüllte vor Wut. Er konnte es nicht fassen.
Der Oberwichtel nickte im noch einmal ernst zu und ging. Er ließ die Tür auf und eisiger Wind drang ein.
Nick fühlte sich versucht ihm hinterher zulaufen, doch plötzlich knickten seine Knie ein und er sank zu Boden.
"Warum...?", flüsterte er verzweifelt. "Warum immer ich?"
Tränen sammelten sich in seinen Augen und rannen hinunter. Eine Weile versank er in bitterem Selbstmitleid, aber dann riss er sich zusammen. Übermorgen war Weihnachten, überall auf der Welt warteten die Kinder mit glänzenden Augen auf ihn, er konnte sie nicht im Stich lassen.
Er krempelte die Ärmel hoch und schritt zur Tat. Im frühen Morgengrauen sank er erschöpft in den Sessel und gönnte sich eine kurze Pause. Aber schon bald raffte er sich wieder auf. Er klebte, schraubte und hämmerte, packte ein. Wie ein Wilder arbeitete er verbissen. Der Tag verging, kein Wichtel ließ sich blicken. Heute Abend musste Nick los, bis dahin ...
Er putzte die Renntiere, spannte sie vor seinen Schlitten, verstaute alle Geschenke im Kofferraum. Noch einmal überprüfte er alle Listen.
Laut fluchend musste er feststellen, dass er ein Geschenk vergessen hatte. Stephans. Es sollte fertig sein, aber er fand es nicht. Nick wühlte sich durch die ganze Werkstatt, der Boden war mit Sägespänen übersät, überall flogen Holzreste und Papierfetzen herum.
Stephan Geschenk war nirgendwo zu sehen.
Nick merkte nicht, dass die Werkstatttür geöffnet wurde. Eine kleine Gestalt stand dort und sah ihm verwundert zu.
"Nikolaus." Eine kleine Stimme erklang.
"Was?"
"Nikolaus, ich bringe die bestellten Weihnachtsbäume. Wo soll ich sie hintun?"
Die Bäume! Die hatte er vollständig vergessen. Er drehte sich um, sah das kleine Engelchen an. Die Wut kochte in ihm hoch, der ganze aufgestaute Ärger, die knochentiefe Erschöpfung.
"Weißt du, wo du dir die Bäume hin..."
Seitdem gibt es den netten Brauch, einen kleinen Engel auf die Baumspitze zu stecken.
P.S. Nich o'Laus fand Stephans Geschenk noch, es war hinter einen der Tische gerutscht. Seine Frau kehrte zu ihm zurück und klärte die Probleme mit der Wichtelgewerkschaft.
Für das nächste Jahr erarbeitete sie einen straffen Arbeitsplan, so dass es sicherlich weniger Probleme geben wird.



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