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Der Schlüssel zum Nordpol© Britta DubberJannis freute sich dieses Mal ganz besonders auf Weihnachten. Denn da er im letzten Jahr vom Weihnachtsmann vergessen worden war, vermutete er dieses Jahr dafür reichlich beschenkt zu werden. Er wusste natürlich, dass nicht der Weihnachtsmann die Geschenke unter den Baum legte, sondern seine Mutter. Aber es war natürlich einfacher sich einzureden vom Weihnachtsmann vergessen worden zu sein, als sich damit auseinander zu setzen, weshalb seine Mutter ausgerechnet ihn vergessen hatte. Eigentlich war ihm schon klar, wie das hatte passieren können. Immerhin lebten elf Personen in dem großen Haus. Seine Mutter, seine Tante und sein Onkel mit zwei Cousinen und dann Jannis fünf Geschwister. Zudem hatte seine Mutter kurz vor Weihnachten ihren Job in einer Schuhfabrik verloren und war deswegen ziemlich durch den Wind gewesen. Seine Geschwister machten es da auch nicht gerade leichter. Seine älteren Schwestern schrieen sich wegen Kleinigkeiten gegenseitig an und Micki, sein jüngster Bruder fing jeden zweiten Tag an wegen irgendetwas zu Heulen und ließ sich nur von der Mutter trösten. Danny, der Älteste von allen, kam nach Hause wann er wollte; das konnte schon mal um vier Uhr morgens sein. Jannis erinnerte sich nur zu gut an die Keiferei in der Küche am Weihnachtsmorgen. Er hatte nicht einmal frühstücken können, denn seine Mutter, sein Onkel und Danny saßen am Tisch und stritten sich so heftig, dass sogar Teller zu Bruch gingen. Seine Mutter hatte Jannis angeschrien er solle gefälligst in sein Zimmer gehen. Und da hatte er sich dann erst zur Bescherung wieder heraus getraut. Große Augen hatte er gemacht, als seine Geschwister und Cousinen die Geschenke aufrissen und der Teppich im Wohnzimmer binnen kurzer Zeit mit bunt glitzerndem Geschenkpapier übersät war. Doch als er zum Baum blickte, sah er dass dort kein einziges Geschenk mehr drunter lag. Seine Mutter hatte sich hingelegt, weil sie wegen dem Streit mit Danny ganz durcheinander war, die konnte er also nicht fragen. Seine Tante und sein Onkel saßen auf der Couch und guckten sich einen Film an; beide wirkten angespannt und Jannis konnte sich nicht erklären, warum sie so schlechte Laune hatten. "Wo sind denn meine Geschenke?" Seine Tante blickte unter den Baum, zuckte mit den Schultern und fragte dann die Kinder. "Da ist keins mehr. Hier, wir haben nur die aufgemacht, an denen auch unser Name draufgeklebt war", sagte Danny. "Ich hab keine Geschenke?" Jannis war den Tränen nahe. Das konnte doch nicht sein! Er war doch immer der Bravste von allen. Derjenige, der genau wusste, wann seine Mutter einen Tee vertragen konnte. Und er wusste auch ganz genau, wann er sie mit einem Witz aufheitern konnte. Und ebenso wusste er, wann es besser war, ihr aus dem Weg zu gehen. Er half so gut er konnte, versuchte seinen kleinen Bruder davon zu überzeugen, nicht an der Mutter wie eine Klette zu hängen, da sie auch mal Zeit für sich brauchte. Und wenn er einen Streit mitbekam versuchte er zu vermitteln. Manchmal hatte er sogar Erfolg. Und trotz seiner neun Jahre half er schon fleißig im Haushalt mit. Sogar Wäsche waschen konnte er. "Deine Mutter hat im Moment viel um die Ohren", raunzte ihn seine Tante an. "Denk doch nicht immer nur an dich!" Selten hatte sich Jannis so ungerecht behandelt gefühlt. Mit so vielen Leuten im Haus, war er es gewohnt überhört zu werden, vor allem mit seiner leisen Stimme. Seine Mutter sagte ihm immer wieder er müsse lernen sich durchzusetzen. Wie seine Geschwister. Doch wenn sich durchsetzen hieß immerzu zu schreien, dann wollte er lieber überhört werden. Seine Mutter hatte sich zwar entschuldigt, als sie zum Essen runter gekommen war und ihm ein Würstchen extra auf den Teller getan, aber das war kein wirklicher Trost für ihn gewesen. Aber dieses Jahr würde alles anders werden, dessen war sich Jannis sicher. Erstens wohnte Danny nicht mehr zu Hause und zweitens hatte seine Mutter seit ein paar Monaten wieder einen neuen Job in einem Spielzeuggeschäft. Sie lachte viel und wirkte sehr zufrieden. Da konnte auch der stets weinende Micki nichts dran ändern. Nein, dieses Mal würde sie ihn nicht vergessen! Am Weihnachtsmorgen saßen alle zusammen in der Küche und aßen frischgebackene Waffeln. Das ganze Haus roch nach Zimt und Vanille und als er nach draußen sah, stellte er erfreut fest, dass es sogar ein wenig schneite. Sogar seine beiden Schwestern hatten aufgehört zu streiten und teilten sich schwesterlich die letzte Zimtwaffel. Micki nuckelte zufrieden an seinem Daumen; trotz seiner fünf Jahre hatte ihm das noch keiner abgewöhnen können und Arnie, sein zweitältester Bruder las aus der Zeitung eine Weihnachtsgeschichte laut vor. Seine Tante und sein Onkel machten sich nach dem Frühstück auf, einen Weihnachtsbaum zu kaufen und Jannis beschloss die Zeit bis zur Bescherung in seinem Zimmer zu bleiben und zu lesen. Gegen Mittag kam seine Mutter herein und brachte ihm ein Sandwich. Es war üblich, dass die Kinder ab der Mittagszeit nicht mehr runter durften, um sich nicht die Überraschung zu verderben. Umso überraschte war Jannis, als ihm seine Mutter einen kleines in Silberpapier eingewickeltes Päckchen überreichte. "Aber wieso gibst du mir das ..." "Damit du heute Abend wieder pünktlich zur Bescherung daheim bist", sagte sie. "Denn du willst du doch deine Geschenke zusammen mit den anderen auspacken, oder?" Seine Mutter flüsterte fast, obwohl die Zimmertür geschlossen war. Irritiert öffnete Jannis das Päckchen. Eine nahm einen kleinen silbernen Schlüssel heraus, der an einer Kette hing. "Das habe als Kind selbst geschenkt bekommen. Nur Kinder können es benutzen und so ist es für mich nutzlos. Ich denke du hast diesen Schlüssel am meisten verdient, obwohl ich alle meine Kinder gleich liebe. Deswegen habe ich ihn bis jetzt auch behalten. Aber du hast es in dieser Familie wirklich nicht leicht und so denke ich, ist der Schlüssel am besten bei dir aufgehoben." "Aber wofür ist der?", fragte Jannis. "Für den Nordpol", sagte seine Mutter mit leuchtenden Augen. "Steck ihn in irgendein Türschloss und dreh ihn ganz herum. Du kannst ihn immer nur am 24. Dezember benutzen." Seine Mutter gab ihm einen Kuss auf die Stirn und ging aus dem Zimmer. Als Jannis wieder alleine war, starrte er auf den Schlüssel und betrachtete ihn von allen Seiten. Der Schlüssel zum Nordpol? So was Verrücktes! Den Nordpol gab es doch gar nicht. Aber warum sollte seine Mutter ihm denn so etwas erzählen? Entschlossen trat Jannis vor seine Zimmertür und steckte den Schlüssel einfach hinein. Er passte. Und er ließ sich ganz einfach herumdrehen. Und nun? Jannis öffnete seine Kinderzimmertür und starrte mit offenem Mund auf eine wunderschöne Schneelandschaft. Zwei Rentiere zogen Schlitten, auf denen Geschenke lagen, an ihm vorbei. Mehrere Kinder, alle in Jannis Alter, spielten vor einem großen roten Haus und bauten Schneemänner oder machten eine Schneeballschlacht. Der Duft von Zimt und Koriander drang in seine Nase und als Jannis nach links blickte, sah er mehrere Buden um einen zugefrorenen See, auf dem Kinder Schlittschuh liefen. Jannis lief in sein Zimmer zurück, tauschte seine Hausschuhe gegen Winterstiefel und zog seinen Anorak an. Dann lief durch die Tür und spürte den weichen Schnee unter seinen Füßen. "Hallo! Wer bist du denn?" Ein kleines Mädchen mit roten Haaren und spitzen Ohren kam auf ihn zu. Sie trug einen grünen Schneeanzug und ihre Wangen waren von der Kälte gerötet. "Ich bin Jannis!", sagte dieser verdutzt. "Bist du eine Elfe?" "Eine Weihnachtselfe um genau zu sein. Komm, ich zeig dir alles!" Jannis folge der rothaarigen Elfe zu den Weihnachtsbuden, an denen andere Elfen Kinderpunsch, Waffeln und Zimtsterne ausgaben. Jannis probierte von dem leckeren Punsch, der ihn von innen wärmte, so dass er am liebsten seinen Anorak ausgezogen hätte. Dann probierte ein paar Zimtsterne und folgte der Elfe um den See zu dem großen roten Haus. "Das ist das Haus des Weihnachtsmannes", sagte sie. "Dort drinnen kannst du dich aufwärmen und dir Schlittschuhe holen. Die Spielzeugwerkstatt zeige ich dir nachher, mit den anderen Kindern zusammen." "Was sind das für Häuser?", fragte Jannis und zeigte auf eine bunte Häuserreihe auf der linken Seite. "Dort wohnen die Elfen." Jannis wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Das wirkte alles so unwirklich und doch war er dort. Mitten am Nordpol und holte sich ein Paar Schlittschuhe aus dem Haus des Weihnachtsmannes! Er konnte es kaum abwarten die Spielzeugwerkstatt zu besichtigen und fragte sich, ob sie so aussah, wie er es sich vorstellte oder doch ganz anders. Aber bis dahin hatte er seinen Spaß beim Schlittschuhlaufen und als ihn auch noch ein paar Kinder zu einer Schneeballschlacht einluden, verging die Zeit wie im Flug. Aber das meiste worauf er sich freute war abends im Wohnzimmer mit den anderen zu sitzen, Kakao zu trinken und seine Mutter jede Einzelheit seines Tages am Nordpol zu erzählen. *** SPIEGEL ONLINE Bestsellerautorin Patricia Koelle
Weihnachtsgeschichten von Patricia Koelle
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