Ein Rauschebart und Filzstiefel sind nicht immer eine gute Verkleidung
© Thomas Siggy
Emmys Anweisungen per SMS waren eindeutig: "Morgen nicht vor 08:00; nicht nach 11:00; sturmfrei bis 15:30; Erscheinen als Weihnachtsmann; Hausnummer 16; Parken vorm Eingang"
"Unauffällig ist diese Tarnung nicht", dachte Thomas. Im Nachbargrundstück liefen drei Kinder lärmend zurück ins Haus, als er in seinem Kostüm den blauen Kombi verließ.
Nachdem Thomas sich und seinen großen Jutesack durch Emmys halbgeöffnete Tür schob, geriet er arg ins Straucheln. Ihn streifte der sprichwörtliche Bus, als er Emmy lediglich mit einem lottrigweiten, verwaschengelben T-Shirt bekleidet hinter der Tür stehen sah. Das war allein schon gleichgewichtsgefährdend. Er wäre ihr zudem fast vor ihre langen Beine gerollt, weil sie an der schwer tragenden Hand zog. Darüber hinaus waren die Stiefel nicht nur warm, sondern auch noch drei Nummern zu groß und verdammt bleiig.
Die Begrüßung: "... empfängt man so frühmorgens halb zehn in Deutschland den Weihnachtmann ...", blieb ihm förmlich im Hals stecken. Sie zog ihn immer noch am Handgelenk hinter sich her und ließ erst in der Küche ab. Mit einem Kopfnicken wies sie einen Stuhl an. Der Küchentisch war spartanisch an den Stirnseiten ausschließlich mit zwei großen Kaffeetassen gedeckt. Nein, neben seiner stand noch eine überdimensional große, nicht zum Service passende, Zuckerdose. Obwohl er doch Zucker eigentlich verabscheute.
Sie stellte sich, die Kaffeekanne in der Hand, neben ihn und fragte noch beim Eingießen mit einem hintergründigem Lächeln: "Kaffee ... oder?"
Ohne eine Antwort abzuwarten wanderte Kanne und halbeingegossene Tasse auf die Spüle. Emmy setzte sich vor ihn auf den Tisch: "Natürlich nimmst du den Begrüßungstrunk erst nach dem Begrüßungskuss - aber dafür müssen wir dich erst mal rasieren!" In einem Zug riss sie ihm Mütze samt Bart vom Kopf.
Ihre noch halbfeuchten Haare dufteten exotisch und drängelten sich immer wieder zwischen die Lippen. Thomas war froh, dass er nicht auch noch das Kunsthaar zwischen den Zähnen hatte.
Er ahnte jetzt, dass er wohl sehr kalten Kaffee genießen wird, und ergab sich ganz ihrer Inszenierung. Nur bei den Verschlüssen am roten Mantel musste er helfen, wie seinerzeit sie ihm bei ihrem Designer-BH. Als sie ihn zu sich nach oben zog, fiel nicht nur der Mantel, es ging auch durch den Ruck der Stuhl zu Boden. Mit dem Gürtel und dem Slip hatte Emmy keine Mühe, die kannte sie genau.
Ohne hinzuschauen entnahm sie der hässlichen Zuckerdose ein irgendwann vordem ausgepelltes Kondom. Wie ein Zauberkünstler dem Publikum das Kaninchen oder ähnlich pretty J.R. ihrem R.G. präsentierte Emmy den Gummi aus der Dose. "Komm und beweg dich erst wenn ich dich kneife", waren ihre Worte als sie sich an seinen Armen nach hinten auf den Tisch abseilte. Dem Nachkommen seines Oberkörpers wirkte sie mit einem sanften, aber bestimmtem Druck der rechten Hand entgegen. Einzig ein leises Streicheln am
Hals duldete sie als Zweitgefühl.
Sie benutzten diese Dinger eigentlich von Anfang an. Eine konkrete Aufforderung einer Seite war dem nicht vorausgegangen. Obwohl ihnen mittlerweile auch ohne gegenseitige Versicherungen klar war, dass es derzeit keine Drittkontakte gab. Nur ein einziges Mal, vor ca. vier Wochen, war es im Gewühl untergegangen. Sie kam aus dem Bad und sah beim Zurückschlagen der Bettdecke das die zweite Runde vorzeitig begonnen hatte und setzte sich einfach rücklings auf ihn.
Heute hatte Emmy allerdings ein ganz besonderes Ritual vollzogen. Er konnte so ganz locker vor ihr stehen und wie ausdrücklich gewollt seinen sonstigen Körperdruck auf ein Minimum reduzieren. "Für mich bist Du aber nicht besonders klug gewesen", ging es ihm durch den schwindenden Kopf. Er konnte seinen Bauch hinunter über das Fühlen hinaus auch noch sehen, wie sich Emmy um ihn zusammenzog. Die Blickwendung in Richtung ihrer geschlossenen Augen und den zufrieden halbgeöffneten Mund, in dem ihre Zunge
sich leise am oberen Zahnweiß festhielt, half da nicht mehr. Noch bevor Thomas den Eindruck hatte, dass sie ganz auserfüllt war, was bestimmt nicht an ihr lag, bemerkte er sein Pulsen. Sie passten jetzt ihre Körperbewegungen dem an. Er berührte vom Schenkel nach innen gleitend mit dem rechten Daumen das Ende der Falten. Ihre Perle fühlte sich fest an und gab seinem Finger nur wenig nach. Auch wenn ihr Seufzen etwas lauter wurde und die weitere Geräuschkulisse den Eindruck von nackten Füßen in feuchtem Lehm vorgaukelte,
war Thomas klar, dass aus dem von ihr Angestrebten wohl nichts Richtiges geworden war.
Er wird das anderweitig ausgleichen müssen.
Er hob den Stuhl auf, setzte sich und begann erst wieder richtig durchzuatmen als ihre Beine seinen Hals etwas weniger umschlangen und dann lose über seinem Rücken baumelten. Eine Wiederholung mit der künstlichen Gesichtstarnung lehnte Emmy mit einem Lachen aber entschiedenen ab. Vielleicht war ihr das doch an dieser Stelle zu fusselig.
Mit den Worten: "Ich zeig dir das Haus", nahm sie die Zuckerdose vom Tisch und zog ihn vom Stuhl. In der Kellersauna streifte Emmy das leicht angeschwitzte T-Shirt ab und drehte die Dusche auf. Noch bevor sie beide die warmen Strahlen genießen konnten schlug der Türgong erst zweimal, dann mehrfach an.
Nach Emmys blitzartiger Überlegung konnte es sich nur um ein außerfamiliäres Begehren handeln. Mann und Kinder hatten Schlüssel und waren darüber hinaus anderweitig sicher gebunden. Sie ging nach nebenan und warf den Trainingsanzug über und obendrein noch eine Windjacke, die über dem Fahrradergometer hing. Wieder zurück in der Sauna befeuchtete sie unter der noch laufenden Dusche ein Handtuch, schlang es um den Hals und eilte nach oben. Hier und heute war Emmy die platzbauende Mannschaft und musste das Problem
mit ihrer Orts- und Sachkenntnis mehr oder weniger allein lösen. Sie war aber gar nicht hektisch und Thomas fand damit auch seine Ruhe wieder, obwohl doch alle seine Sachen, auch die Stiefel und der große Sack, in der Küche verblieben waren.
Vor der Tür stand der Nachbar. Emmy entschuldigte sich, dass sie nicht gleich geöffnet hatte und erklärte wortreich, dass eine eingepackte Fahrradfahrt mit guter Musik am besten Fett verbrenne und der Monteur sie erst auf das Läuten aufmerksam gemacht habe. Der Nachbar entschuldigte sich seinerseits. Verlegen erklärte er, dass seine Enkel zu Besuch wären - den Weihnachtsmann gesehen hätten - und ob nicht dieser vielleicht morgen oder übermorgen die Bescherung übernehmen könne?
"Herr Mann von VISS...", rief sie mit leicht zur Kellertreppe gedrehtem Kopf und in einem Tonfall als würde der Zeremonienmeister der Queen ein altes deutsches Adelsgeschlecht zum Tee ankündigen: "... wie lange haben wir noch zu tun mit dem Brennerdingsda?" Thomas konnte sich das Lachen kaum verkneifen, hantierte aber laut und flötete, dass es noch ein Dreiviertelstündchen dauern könne. "Würden Sie dann beim Herrn Störmer in der 18 vorbeischauen, er ist sehr an Ihrer Weihnachtsmannnummer
interessiert", übersetzte sie das Anliegen nach unten.
Um nicht zu riskieren, dass der Herr Störer- nein Störmer- sich vielleicht doch an Emmy vorbei in den Keller bewegen könnte, um ihn von der Dringlichkeit sofortiger Zusage zu überzeugen, fiel seine Antwort nach oben schnell und klar aus: "18, o.k., in spätestens einer Stunde bin ich da, wir kommen bestimmt ins Geschäft!"
Herr St. hätte sicherlich nicht verstanden, warum er nackt, jedenfalls ohne die charakteristische blaue Monteurhose, auf der Pritsche saß und mit einem Saunabesteck klapperte. Hätte er noch seinen Bart und würde er Geschenke sortieren, wäre seine Anwesendheit vielleicht ausreichend legitimiert.
Als Emmy zurück in den Keller kam stand Thomas schon unter der Dusche. Fast im Laufen warf sie die dicken Klamotten von sich. In der folgenden halben Stunde öffnete sich die Duschverkleidung nur ein einziges Mal, die Zuckerdose stand ja noch draußen auf der Pritsche.
Das Lachen über diese saukomische Situation verschoben sie auf später. Dafür war jetzt tatsächlich keine Zeit.
Sein Kaffee war auch ohne Kühlschrank Eiskaffee und sicherlich ungenießbar!
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