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Familienfest

© Cathrin Block


Der Wecker klingelt. Ich mache ihn rasch aus, damit nichts bis in Carstens Träume vordringt. Acht Uhr dreißig. Kein Problem. Ich habe Zeit in Hülle und Fülle. Welch ein Luxus.
Ich schlüpfe in Hauschuhe und Morgenmantel. Es ist kalt heute, vielleicht bekommen wir noch Schnee. Carsten dreht sich auf die andere Seite, als ich die Schlafzimmertür öffne.
Die Sonne scheint ins Küchenfenster, das Thermometer zeigt minus fünf Grad. Genau das Richtige zu Heiligabend. Ich schalte das Radio ein. Oh Tannenbaum.
Als ich die Kaffeemaschine in Gang setze, summe ich mit. Welch ein Genuss, am hellen Vormittag in aller Ruhe zu frühstücken. Keine Hektik, weil sich die Schwiegereltern angesagt haben und noch aufgeräumt werden muss. Kein Stress, weil für den Besuch von Carstens Schwester mit Anhang alle Vasen, Meißner Porzellanfigurinen und Keramikkatzen hochgestellt werden müssen. Carstens Familie ist kinderreich, in allen mir bekannten Generationen. Er hat sieben Geschwister, neun Onkel und Tanten mit entsprechenden Heerscharen von Cousinen und Cousins und mindestens sechs Großtanten und Großonkel, die ich zum Glück nur vom Hörensagen kenne. Und alle, alle sind langlebig, gesund und fruchtbar.
Nur ich nicht. Ich bin die geheime Enttäuschung dieser rentenpolitisch wertvollen Sippschaft. Ich kann keine Kinder bekommen - und bin angesichts dieser Geburtenschwemme sogar dankbar dafür. Noch mehr Stress in der Adventszeit könnte ich nicht aushalten.
Mitte November geht es los. Da ruft zum Beispiel Carstens Schwester Gudrun an. "Hallo Beate", sagt sie dann, "wie geht es dir?"
Als ob sie das nicht genau wüsste. Wir haben uns erst eine Woche zuvor bei Schwiegerpapas Geburtstag getroffen. Die Schwiegereltern mieten regelmäßig zu diesem Anlass den großen Saal der örtlichen Dorfschänke. Anders wäre der Menschenauflauf nicht zu bewältigen und ich glaube, der Wirt hat nur wegen der Familie vor ein paar Jahren angebaut.
"Wie geht es dir", fragt also Gudrun und ich schlage innerlich die Augen gen Himmel. Jetzt geht es los. "Weil, ich habe mir gedacht", fährt sie fort, "weil du doch ...", an dieser Stelle wird sie jedes Jahr verlegen, "... na ja, es ist Weihnachtszeit und dazu gehören Kinder ..." Jetzt sehe ich förmlich, wie sie am Hals rote Flecken bekommt. "Na ja", sagt sie, "wir haben schon gebastelt und die Kinder möchten unbedingt ihre Geschenke selbst überbringen. Also, was hältst du davon, wenn wir nächsten Sonntag kommen."
Was sie meint ist: Eine Weihnachtszeit ohne Kinder ist wie Caipirinha ohne Limetten oder, wie Schwiegermama sagen würde, wie Suppe ohne Salz. Gudruns siebenköpfiger Besuch ist eine rein karitative Angelegenheit.
Es ist, als würden sie alle sich irgendwann im Oktober zusammensetzen und einen Terminplan ausarbeiten: Christoph am Mittwoch nach dem zweiten Advent um sechs Uhr abends, damit seine Ablegerschar etwas davon hat, Regina den Freitag danach so um vier, man macht ja zum Wochenende früher Feierabend, nicht wahr? Für mich bedeutet das, dass ich ab August jede Menge Überstunden machen muss, um so gut wie möglich vorzuarbeiten. Im Dezember ist jede freie Minute mit Einkaufen, Kochen, Backen, Aufräumen, Putzen, Spülen ausgefüllt. Jedes Jahr wünschte ich, ich könnte ab Oktober in die Sonne entfliehen wie meine Eltern oder würde in Australien leben wie meine Schwester. Aber natürlich bekomme ich in dieser Zeit keinen Urlaub - diese Wochen sind für Familien mit Kindern reserviert. Und Saal mieten und alle auf einmal abfrühstücken ist Geburtstagen vorbehalten. Weihnachtsstimmung bekommt man nur im eigenen Heim, das ist so klar wie Kloßbrühe, sagt Schwiegermama.
Irgendwann habe ich es aufgegeben, mich dagegen zu wehren. Carstens Blick, wenn ich versuchte, andere Termine vorzuschieben, konnte ich nicht ertragen. Also habe ich mich dreingeschickt. Ich liefere gehorsam Torten und kalte Platten, nehme liebevoll schief zusammengeklebte Schukarton-Panoramen und Weihnachtstransparente in Empfang und beseitige die anschließenden Schlachtfelder.
Und vielleicht, ja wirklich, vielleicht hat hat der Himmel in diesem Jahr endlich ein Einsehen. In diesem Jahr muss ich zum ersten Mal an Heiligabend keine Gans braten. Die Schwiegereltern überwintern auf Mallorca.
Gott sei Dank.
Weihnachten ohne Gans ist wie Ostern ohne Osterei, sagt Schwiegermama. Gans braten bedeutet eine Küche voller Fettschwaden, ein Backofen, der dringend gereinigt werden muss, Kartoffeln schälen, den ganzen Tag im Dunst stehen und die Gans begießen, die Soße rühren, bis mir der Arm weh tut, Kartoffeln für die Klöße reiben - da ich das nur einmal im Jahr mache, habe ich keine Maschine, die es für mich tut -, Rotkohl hobeln. Und Abwasch, Abwasch, Abwasch.
Doch heute brauche ich das alles nicht. Carsten und ich haben uns auf Spaghetti geeinigt, leicht, schnell, ohne großen Aufwand, in zehn Minuten fertig. Die Schwiegereltern essen Gans auf Mallorca.
Nicht, dass ich die beiden nicht mag. Ganz im Gegenteil. Schwiegermama ist eine herzensgute Frau, immer zur Stelle, wenn man sie braucht, sei es, um dringend den Garten zu jäten, weil Carsten und ich es mit unseren stressigen Jobs nicht schaffen, sei es, um die Blumen zu gießen und unsere Katze zu hüten, wenn wir in Sri Lanka oder auf den Seychellen oder in der Karibik sind. Und ohne Schwiegerpapa würden wir ein Heidengeld den Installateuren und Malern und Tischlern in den Rachen werfen.
Doch es ist unbezahlbar, dass wir heute endlich mal allein sind.
Nachher wollen wir einen langen Spaziergang machen. Nie haben wir Gelegenheit, uns die Lichter in der Innenstadt anzusehen. Immer schenkt uns einer aus der Familie für ein paar Stunden Kinder mit leuchtenden Augen. Aber heute nicht. Heute können wir nach Ladenschluss ausgiebig bummeln. Ungeahnte Freuden. Dann, nach dem Essen, werden wir das Weihnachtsoratorium hören. Und werden Bescherung machen, nur wir zwei. Ich habe für Carsten einen Pullover gestrickt, schon im Sommer, der liegt verpackt unter dem Christbaum. Für mich gibt es dort auch ein Päckchen. Ich bin gespannt, was Carsten sich ausgedacht hat. Dann wollen wir einen Film sehen, den wir uns extra ausgeliehen haben, E-Mail für dich. Ich mag Tom Hanks und Carsten ist ein Fan von Meg Ryan. Und wir werden uns haben, einen ganzen Tag lang, nur wir beide. Das ist das größte Geschenk von allen.
Der Kaffee ist fertig. Ich fülle ihn in die gute Kanne mit dem Goldrand und stecke den Toast in den Röster. Und, genau, ich werde Rührei machen, jawohl, Cholesterinspiegel hin, Cholesterinspiegel her, heute ist Heiligabend. Ich stelle die Pfanne auf das Ceranfeld.
Es klingelt.
Wahrscheinlich der Postbote. Paket von den Eltern. Die Schwiegereltern haben ihres im November da gelassen. Aber erst an Weihnachten aufmachen, habt ihr gehört? Es liegt bei den anderen Päckchen im Wohnzimmer.
Ich schlappe zur Haustür. Zwei Schatten vor dem Riffelglas. Wer ist denn da beim Postboten?
Ich öffne. Als erstes schiebt sich ein Riesenpaket in Zeitungspapier in Richtung meines Bauches. Dahinter strahlen die Gesichter von Schwiegermama und Schwiegerpapa.
"Überraschung! Ihr seid doch ganz allein heute. Da haben wir gedacht, wie fliegen schnell hierher. Ist ja so billig im Moment. Und wir sind extra früh gekommen, da können wir die Gans noch braten. Ihr allein hättet euch die Mühe doch bestimmt nicht gemacht."



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