In der Nacht vor Hlg. Abend in einem Supermarkt
© Petra Gieseke-Rahlmann
Es ist dunkel, nur die Notbeleuchtung und die Weihnachtsdekoration spenden ein wenig Licht, in dem die vorweihnachtlich geplünderten Regale und Aufsteller leicht gespenstig scheinen. Über dem Supermarkt liegt Ruhe, allerdings keine weihnachtlich besinnlich anheimelnde Ruhe, sondern eher die Ruhe vor dem Sturm.
Der alte Pappweihnachtsmann, der schon seit Jahren immer wieder vom Marktleiter auf der Aktionsfläche aufgestellt wird, murmelt in seinen Bart:"Morgen ist wieder Großkampftag, da kann man dann wieder gestresstes Personal und noch gestresstere Kunden beobachten."
Die Tanne, die neben ihm steht erwidert:"Ja ja, da kommen dann wieder Männer, die sonst nie hier sind und sollen noch kurz das vergessene Gewürz oder die zu wenig berechnete Sahne holen, während die Frau zu Hause wirbelt und alle verrückt macht."
"So lange diese geschickten Männer dann nicht noch ihr nervigen Blagen mitbringen, die ihre Chance wittern, bei Papa noch was abzustauben, was bei Mama seit Wochen nicht geklappt hat..." dieser wenig begeisterte Beitrag kommt irgendwo aus Richtung Spielzeugregale.
"Wenn man Euch so hört, könnte man denken ihr habt gar keine Lust auf Weihnachten - ist doch auch voll lustig dies alljährliche Weihnachtschaos, wenn alles so quirlig durcheinander geht." Amüsiert mischt sich der Leuchtstern ein, der von der Decke strahlt.
Aus der Ecke der Spielsachen tönt ein Wimmern "Hoffentlich finde ich auch noch ein Zuhause - heul schnief", der kleine Teddy sitzt zusammengekauert auf einer kalten Metallregalfläche, wo vor 3 Wochen noch viele andere Teddys der gleichen Produktionsreihe saßen. Nun war er mit ein paar wenigen übrig geblieben.
Die flotte Weihnachtsglitterbarbiepuppe von gegenüber piepst: "Ach kleiner Brumm, wir sagen Dir doch schon seit Wochen, dass Du einfach nur lieb und freundlich gucken musst, wenn jemand an Deinem Regal vorbeigeht. - Aber kaum streckt ein Kind eine Hand nach Dir aus, rutscht Du auf Deinem Plüschhpopo nach hinten und guckst, als ob man Dir die Knopfaugen ausdrehen oder einen Arm ausreißen wolle."
"Weiß man's, was diese Kids im Schilde führen? Ich wünsche mir doch nur ein schönes, friedliches Zuhause, wo ich geliebt und geknuddelt werde und da habe ich halt Angst davor, wenn diese Dreckspatzen nach mir greifen oder mir die Kleinen mit ihre Keks- oder Bananenverschmierten Gesichtern zu nahe kommen. Wenn Du einmal so'n Schmutz im Pelz hast, kannst Du alle Träume vergessen - das kriegst Du nicht wieder 'raus - Aber das könnt Ihr Hübschen natürlich nicht verstehen in Eurer Plastikverpackung."
"Doch," eine der Schminkpuppen meldet sich zu Wort, ich stell's mir auch gruselig vor, wenn die einem erst Kaugummi in die Haare schmieren, um es anschließend mit der Schere 'rausschneiden, danach hast Du jeden Spielwert verloren und landest auf dem Dachboden oder gleich im Sperrmüll."
"Ey, im Müll war ich auch mal, aber das war nicht schlimm. Damals war ich ein leerer Joghurtbecher und nun bin ich ein wunderschöner runder Ball und habe ein zweites Dasein." "Echt, Du warst auch mal einer von uns" der große Bauer hat das aufgeschnappt und fragt interessiert nach.
"Warte, ich komm mal zu Euch rüber" der Ball springt aus der Gitterbox und trullert ins Kühlregal, um seine Geschichte den Joghurtbechern zu erzählen.
Die Barbiepuppe wendet sich wieder dem Teddy zu, der immer noch ganz niedergeschlagen im Regal hockt "Siehst Du, anderen geht es ähnlich, aber heulen tut von denen auch keiner, also hör auf und übe freundlich zu gucken, oder möchtest Du Weihnachten hier alleine sitzen und anschließend auf den Resteramschtisch oder in der Presse landen?"
"Nein, nein! Das will ich nicht! Das will ich nicht!" schreit der kleine Teddy ganz entsetzt.
"Das will doch keiner von uns" tönt es nun auch aus den anderen Regalen.
Der ganze Markt scheint aufgewacht zu sein, vorbei ist es mit der nächtlichen Ruhe.
"Ihr alle habt morgen früh die letzte Chance hier weg zu kommen und Weihnachten bei einer Familie zu sein" Der Weihnachtsmann mit lauter tiefer Stimme versucht die teilweise deprimierte Stimmung, die sich irgendwie jedes Jahr erneut breit macht, in positives Denken umzuwandeln.
Seine Kollegen aus Schokolade, die heute Abend auf ihrer Palette neu herein geschoben wurden, greifen das auch gleich auf "Hej, das ist doch toll, lasst uns eine Weihnachtsfeier machen, dann sind wir morgen früh alle fröhlich und es fällt dann ganz leicht gekauft zu werden."
Kaum war das ausgesprochen, war Bewegung in den Regalen der Markhalle. Die Artikel, die beweglich waren, wie z.B. die Tütensuppen hüpften aus den Regalen, andere, wie die Essigflaschen summten Weihnachtslieder im Chor.
Die gemahlenen Mandeln und gehackten Nüsse in der Backabteilung geraten so heftig in Wallung, dass manch Tütchen aufreißt und den Inhalt in die Freiheit vor dem Regal entlässt.
Ein beliebtes Partyspiel unter den alkoholisierten Flaschen ist der Kantenkreisel. Dabei wird sich durch entsprechende Gewichtsverlagerung rhythmisch auf dem Rand des Flaschenbodens gedreht, man könnte es auch als kreiseln bezeichnen. Besondere Herausforderung dabei ist es, sich soweit wie möglich an bzw. über die Regalkante zu bewegen ohne jedoch abzustürzen, weil dann ist auf dem gefliesten Boden alles verloren, das Spiel, der Inhalt und die Daseinsberechtigung.
So bleibt Neid auf die Tetrapacks und PE-Wasserflaschen nicht aus "Ihr könnt vom 3er oder 4er Regalbrett springen, hüpft auf dem Boden noch einmal auf und ab und könnt Euch dann weiterrollen - ganz ohne Schaden zu nehmen - das ist ungerecht."
"Sabbel und Zappel nicht dumm Rum da oben. Ihr seid wenigsten regensicher eingepackt - wir weichen bei Regen oder Schnee auf", mischen sich die Waschmittel und Geschirrtabs ein, "das ist zum Schäumen".
"Schäumen? - hat uns einer gerufen?" die Haarschaumdosen kommen angeklappert.
Aus der anderen Ecke der Kaufhalle ertönt plötzlich echte Weihnachtsmusik, die Flaschen im Regal und die Dosen auf dem Boden rocken jetzt weihnachtlich "Wie hat es eins von diesen bunten Fisher-Musik-Playern geschafft mit dem Stecker in die Dose zu gelangen?" wundert sich Meister Propper. "Wunder Dich nicht, dich fragt ja such keiner, wie Du es beim härtesten Schmutz schaffst, alles zum Blitzen zu bringen" unterbricht ihn der General. "Ja, nicht nur duften - auch reinigen" das ist
der letzte dienstliche Kommentar, den der Meister abgibt, dann schunkelt er mit den anderen Essigreinigern zum Klang der Musik.
In der Obst- & Gemüseabteilung gibt's Aufruhr bei den losen Clementinen. Einige sind schon angefault und befürchten, dass sie morgen früh aussortiert werden, bevor sie in einem Einkaufswagen durch die Kasse geschoben werden. Ein vorbeitanzendes Nutellaglas weiß Rat: "Ey, ihr da in den Netzen, rückt mal eine bisschen zusammen, so dass die faule Tine noch mit 'rein kann. Morgen haltet Ihr alle zusammen, so dass Tine in der Mitte sitzt und keiner ihre Flecken sehen kann. - Ist wie ein trojanisches Pferd
- Frohe Weihnachten"
In der Eistruhe schickt sich ein Paket "Brauner Bär" an, über den Rand der Truhe hinweg zu klettern. Der Flutschfinger spricht noch warnend "Lass es, bleib hier, Du schmilzt da draußen und dann bist Du morgen gar nicht mehr da!"
Wer nicht hören will, muss fühlen und so musste die dicke Zewa-Rolle geholt werden und mit einem Wisch war das Geschmadder weg. Nun konnten die Pinguine gefahrlos ihr Eis-Eis-Pinguin-Ballett vorführen. Die Bananen und Weintrauben applaudieren dazu von ihren erhöhten Tribünenplätzen aus. Es hält sie kaum auf den Rängen, so begeistert sind sie. Das bleibt nicht unbemerkt und so rufen die kleinen roten Mini-Babybels aus dem Käseregal herüber: "Ey, gärt ihr Trauben schon, oder geht's noch?"
"Ihr kleinen Runden sollt nicht immer so vorlaut sein, das gehört sich nicht" ermahnt der große Babybel seine kleinen Geschwister.
Auch der Edamer im Regal tiefer mischt sich ein: "Werdet ihr die Trauben wohl nicht ärgern! Eventuell wird einer von uns, wenn auch stückchenweise, mit denen zusammen aufgespießt und soll eine Bereicherung für's Büffet sein. Wenn die dann schon schrumpelig geärgert sind, ist das wie Käse mit Rosinen - geht gar nicht und ist schlimmer als Schimmel."
"Ne, was 'ne Party, toll, so jung kommen wir nicht wieder zusammen" jubelt der Junge Gouda.
"Wir kommen überhaupt nicht wieder zusammen" widerspricht der Alte Gouda "aber schön ist die Party trotzdem, nun fällt es viel leichter, sich morgen von Euch zu trennen und sich in sein Schicksal zu fügen."
Mit einem letzten Paukenschlag auf der Persiltrommel ist die Party beendet, jeder Artikel zieht sich zufrieden und in seinem Weihnachtsglauben bestärkt an seinen an gestammten Platz zurück und wartet auf den letzen Jalousieaufgang.
Als am Morgen die ersten Mitarbeiter in den Markt kommen, um noch Regale aufzufüllen und Reste von der gestrigen Einkaufsschlacht zu beseitigen, trauen sie ihren Augen nicht: "Was ist denn hier passiert" "Das sah doch gestern Abend noch anders aus" "Ein Einbruch kann's nicht gewesen sein, fehlen tut nichts" "Aber guck mal, alle Flaschen sind abgestaubt, stehen ordentlich mit Etikett nach vorne, die Klamotten hängen am Ständer, bzw. liegen feinsäuberlich gestapelt, die Spielzeuge
sind alle einsortiert und hübsch arrangiert - und der ganze Markt strahlt so einen weihnachtlichen Glanz aus" "Das war wohl der Weihnachtsmann"
"Ho ho ho, Fröhliche Weihnachten und Frieden überall!" ertönt es aus dem Lautsprecher, nur es sitzt keiner am Mikrophon.
Home Page
|
Weihnachtsgeschichten
|
Kurzgeschichten Überblick
|
Seitenanfang