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Nobelweihnacht

© Claudia Mühlhans


Frau Oda Wätzl-Scholz stand mit ihrer Freundin vor dem geschmückten Weihnachtsbaum.
Es standen noch andere Menschen da, ihre zwei Söhne mit jeweiligem Anhang, ihr Mann, der immer mehr zum Abbild des ersten Teils seines Nachnamens wurde und fünfzehn weitere Gäste.
Doch für Oda Wätzl-Scholz bestand die Welt im Moment ausschließlich aus ihrer Freundin Iris Gernhardt.
In ihrem Umfeld, und über dessen Grenzen hinaus existierten für Frau Wätzl-Scholz nur nebelhafte Vorstellungen, war Iris Gernhardt die Stil-Ikone.
Sie war Besitzerin eines Einrichtungshauses, dessen Preise durchaus ein ausgefallenes Ambiente betonten, aber noch mehr das stolze Gefühl bei den Kunden erzeugte, sich solche Ausgaben leisten zu können.
Im Moment schwieg Frau Gernhardt.
Oda Wätzl-Scholz fühlte, wie der genossene Champagner mit Glück und Luft gefüllte Blasen in ihr hochblubbern ließ. Vorsichtshalber hielt sie ihren Mund geschlossen.
Lauschte lächelnd mit seitlich geneigtem Kopf auf die Komplimente, die sie von ihren Gästen hörte.
Endlich sprach auch Iris Gernhardt.
"Wo hast Du das her?"
Die Worte sprangen aus Frau Wätzl-Scholz' Mund wie Knöpfe von einem zu engen Jackett.
"Ich habe extra den Sauli aus Köln einfliegen lassen, Du weißt schon, den Christbaumdesigner, der schon für die Lichtenfels-Hohensteins gearbeitet hat, und", sie schöpfte Luft, "wir haben schon Monate vorher diese Idee ausgetüftelt. Also, ganz genau gesagt, es war meine Idee und die Clips zum Aufhängen habe ich auch entworfen." Ein streng parfümierter Haarschopf schob sich in Richtung Tannenbaum an ihnen vorbei.
Der weibliche Gast ergriff eines der Weihnachtsbaumschmuckelemente.
"Das ist wirklich echter Zobel?"
"Selbstverständlich. Echte Zobelschwänze an vergoldete Clips gearbeitet. Ich habe sie selber entworfen." Frau Odas Stimme vibrierte vor Glück.
Geld erwähnte man natürlich nicht, aber innerlich fügte sie hinzu, "fünfzehntausend Euro hat uns der Weihnachtsschmuck gekostet, ohne die Kosten für den Designer!" Als hätte sie laut gesprochen, erntete sie von allen Seiten beifällige Blicke und Worte.
Ihr Mann küsste ihr die Hand.
"Meine Oda", verkündete er, "hatte schon immer eine künstlerische Ader." Frau Iris Gernhardt sprach zum zweiten Mal.
"Vielleicht könnte ich Deine Idee nächstes Jahr in mein Weihnachtsprogramm einbauen. Wir sprechen noch darüber, Odalein." Beide Frauen hauchten sich Küsschen über die Wangen.
Frau Wätzl-Scholz' Wangen glühten.
Sie hatte den Ritterschlag erhalten.
Glücküberströmt bat sie zu Tisch.
Während die Hummerpastetchen serviert wurden, zündete eine der Aushilfskräfte die riesigen Wachskerzen am Weihnachtsbaum an.
Der Diamantstaub, von dem Designer kunstvoll verblasen, funkelte auf den Ästen.
Bei der 'soupe a la reine' fiel eine der Kerzen aus der Halterung und sengte beim Hinuntergleiten durch die Äste einen Zobelschwanz an, der sofort zischend aufflackerte.
Die Gäste schrieen auf.
Das Dienstmädchen löschte umgehend mit einem bereitstehenden gefüllten Wassereimer.
Herr Wätzl-Scholz hielt eine kurze beruhigende Ansprache.
Die Gäste wandten sich dem 'loup de mèr' an Estragonschaum zu.
Frau Oda klopfte ihren Silikonbusen, um den Herzschlag zu normalisieren.
Bevor sie sich wieder auf den Inhalt ihres Tellers konzentrieren konnte, fiel ihr der starrblaue Blick von Frau Gernhardt auf, die ihr direkt gegenüber saß.
"Was ist denn, Iris?" fragte sie.
Unbehaglich prüfte sie mit einem Finger ihr angeblich faltenverdeckendes Make-up.
"Pelz verbrennt nicht so schnell!" sagte Frau Gernhardt knapp.
"Wie meinst Du?" Frau Wätzl-Scholz witterte Unheil.
"Ich sagte, Pelz brennt nicht sofort lichterloh. Das muss Kunstpelz sein!" Frau Oda blickte um sich.
Alle sprachen munter dem Champagner zu.
Ihre Söhne mit den zwei Begleiterinnen hatten schon fast eine Flasche Wodka geleert.
Keiner achtete auf das Gespräch mit ihrer Freundin.
"Ich habe Zobel bestellt und bezahlt", sagte sie fest.
Die von den Kerzen in den hohen Leuchtern aufsteigende Luft flimmerte vor ihren Augen.
"Dann hat Dich jemand reingelegt. Echter Pelz fängt nicht so schnell Feuer und verbrennt so schnell. Zisssch!" Frau Gernhardt wies mit einer dramatischen Geste in Richtung Baum.
Frau Oda Wätzl-Scholz blickte auf den vor ihr hingestellten Teller mit den garnierten Rehkeulenscheibchen.
"Bist Du Dir sicher, Iris?"
"Ich kenne doch Pelz!"
"Dann hat mir der Schwanz falsche Schweine verkauft!" Frau Oda Wätzl-Scholz' Aufregung ließ ihre Zunge stottern, sie die Worte verwechseln.
In Iris Gernhardts Mundwinkeln nistete ein winziges Lächeln.
"Nicht so laut, Oda. Das Geheimnis bleibt unter uns. Übrigens, von wem hast Du das Menü liefern lassen?" "Von Käfer!" Schon als sie die Worte aussprach, wusste Frau Wätzl-Scholz, dass das ein Fehler gewesen war.
"Dallmayr ist angesagter. Vor allem nach dem letzten Artikel im Magazin der 'Süddeutschen'." Herr Wätzl-Scholz duldete die 'Süddeutsche' nicht in seinem Haus.
In Frau Odas Herzen war jegliche Weihnachtsfreude erloschen.
Im Hintergrund jubelten die drei Tenöre. Herr Wätzl-Scholz pries seine herrliche Anlage.
Während Frau Oda ihre Eisbombe aß, sinnierte sie über das Jesuskind.
Warum dieses ausgerechnet am vierundzwanzigsten Dezember geboren sein musste, war ihr ein Rätsel.
Sie hatte nur Stress davon.
Und Lug und Trug.
"Ach, Iris", seufzte Frau Oda Wätzl-Scholz in tiefer emotionaler Aufgewühltheit und griff über den Tisch nach der Hand ihrer Freundin, "gut, dass ich Dich habe!"



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