Nikolaus, du guter Mann
© Sabine Stusak
"Klasse, das war meine beste Runde!" Sven reichte den Controller weiter. "Hier mach mal nach, wenn du kannst, Alter!" Er rülpste und stand auf, um eine neue Flasche Bier zu holen. "Ich muss mal ..." Luca torkelte Richtung Toilette. "Boah, Mann du nimmst sie viel zu schnell! Ach nee, so wird das nix!", hörte er die Jungs hinter sich grölen. Sollten sie doch ihren Spaß haben, er musste jetzt dringend pinkeln.
"Seht mal, was ich hier hinter der Küchentür gefunden habe!" Sven fuchtelte mit einem weißen Bart und roter Robe. "Da will wohl wer einen auf Nikolo machen?", er kicherte wie ein kleines Mädchen. Die anderen sahen erstaunt hoch und stimmten ins Gelächter ein, bis nur noch grunzende Laute zu vernehmen waren. "Luca will wohl ein paar heiße Engel aufreißen mit seinem neuen Outfit!"
"Soll ja total angesagt sein!" Niels lag auf der Couch und krümmte sich vor Lachen. "Luca Nikolo!"
Luca fuhr zusammen. Seine Hose stand noch offen, als er ins Wohnzimmer zurückstürmte. "Was is heute für n' Tag?", lallte er.
"Sag mal haste sie nicht mehr alle? Zieh dich an, Mann, bevor du hier rumlaberst."
"Scheiße, nein, sag mir, was für n' Tag heute ist! Sven, bitte."
"Du bist echt ein Spinner. Der 6. Dezember. Und jetzt verrat uns mal, was das da ist ..." Sven wedelte mit dem Bart. Doch Lucas weit aufgerissene Augen ließen sein Lachen verstummen. "Was haste denn? War doch nur n' kleiner Scherz."
"Wo ist das verdammte Handy?" Verflucht noch eins!" Ungestüm griff Luca nach seiner Jacke.
"Lass mal, ich mach das." Sven griff in die Innentasche und zog das Telefon heraus. "Mist, drei Anrufe in Abwesenheit."
Fluchend riss Luca Sven das Kostüm aus der Hand und fing an sich auszuziehen.
Die anderen sahen dem Schauspiel kopfschüttelnd zu. "Was wird das denn für ne Nummer?" Niels streckte neugierig den Kopf vor. Luca verhedderte sich im Hosenbein und landete unsanft am Boden.
"Voll auf die Schnauze!", kicherte Lars. "Lass ihn, der muss erstmal ausspinnen. Wer ist dran?" Sven sah auf den Bildschirm. "Niels, zeig mal was du kannst!"
Da knackte das Türschloss. Sven sah einen Sack in die Dunkelheit verschwinden. "Luca! Wo willste denn hin, jetzt um die Zeit! Es ist drei Uhr früh!" schrie er. Doch sein Freund hatte die Tür schon hinter sich ins Schloss geworfen und eilte durch den Flur.
Luca lief die vereiste Straße hinab bis zum Park, bog links ab und schlitterte über den Gehweg. Seine Hand, die ihm als Bremse gedient hatte, brannte wie Feuer und winzige Bluttröpfchen traten hervor. Keine Zeit zu flennen, dachte er, rappelte sich hoch setzte seinen Weg fort. Noch drei Straßen, dann stand er vor dem alten Gebäude. Dichte Wölkchen umtanzten sein Gesicht, die Kälte brannte in seiner Kehle. Er hoffte, die frische Luft, würde seinen Kopf ein wenig klarer werden lassen. Aber als Luca eintrat, wurde
ihm kläglich bewusst, dass sieben Stockwerke Fußweg auf ihn warteten.
Seine Kumpels und den Alkohol verfluchend stapfte er los. Gut, dass diese alten Häuser Handläufe aus Eisen hatten. Endlich. Tür Nummer 78. Luca hielt inne. Was wollte er hier? Es war mitten in der Nacht. Er sah auf seine Uhr: zwanzig nach drei. Er war mehr als 9 Stunden zu spät! Der keuchende Weihnachtsmann stellte seinen Sack ab und ließ sich auf den Treppen nieder. Luca schwitze unter seinem weißen Bart. Er stützte die Arme auf die Knie und vergrub seinen Kopf. Erst nach ein paar Minuten merkte er, dass er
es war, der so jämmerlich schluchzte.
Wie konnte er es nur vergessen haben! Kirsten würde ihm nie verzeihen, das wusste er. Sie war immer schon eine sehr strenge große Schwester gewesen. Aber Pia, großer Gott! Wie enttäuscht musste sie gewesen sein! So oft hatten sie über den Nikolaus gesprochen. Und jedes Mal hatte Luca hoch und heilig versprochen, dem Nikolo einen Brief zu schreiben, dass er dieses Jahr höchstpersönlich vorbei kommen solle ... Er hatte es verbockt. Keine Chance, das jemals wieder gut zu machen. Pia würde ihm nie wieder etwas glauben.
Vor seinen Augen tauchte ein Mädchen auf, sie lag seitwärts auf ihrem Bett und hielt ihren Lieblingsteddy im Arm. Luca hatte in ihr geschenkt, als sie vom Krankenhaus heimgekommen war. Dicke Tränen liefen Pia über die Wangen und er konnte sie hören: "Onkel Luca hat versprochen, dass der Nikolo kommen wird!" Sie schluchzte. "Er hat gesagt, dass ich schnell wieder gesund werden soll, dann schreibt er ihm einen Brief! Er hat gelogen! Der Nikolo wird nicht kommen, weil er es vergessen hat!" Luca
lehnte den Kopf an die Wand, um seiner zugeschnürten Kehle ein wenig Luft zu verschaffen. Es drehte sich alles um ihn, der Alkohol lähmte weitere Gedanken und er schloss die Augen.
Er wurde wach, als die Tür mit einem lauten Krach ins Schloss fiel. "Sieh mal, Mama! Der Nikolaus!" Pia hielt ihre Kindergartentasche, aus der ein Teddyfuß ragte, fest. Sie blickte den verschlafenen rot gekleideten Mann an. Kirsten funkelte Luca an. Er konnte fast spüren, wie er um einige Zentimeter kleiner wurde. "Nein, mein Schatz. Ich glaube, er hat sich in der Tür geirrt. Zu UNS, kommt er erst am Abend", sie zog das A von Abend in die Länge, und das war mehr als Zeichen genug für Luca.
Er blickte stumm zu seiner Nichte. "Ach, Mama! Du hast keine Ahnung. Der Nikolaus hat am 6. Dezember jede Menge zu tun, da muss er schon in der Früh anfangen, sonst kann er nicht alle Kinder besuchen!" sie strahlte ihre Mutter an. "Onkel Luca wird staunen! Sein Brief war bestimmt der Allererste! Das muss ich ihm gleich heute Abend erzählen!" "Aber, ..." Kirsten verstummte. Pia saß schon neben dem Weihnachtsmann und plauderte darauf los. "Du siehst müde aus, aber das ist schon
in Ordnung. Ich steh auch nicht gerne früh auf. Hast du auch was für mich da drin? Sie zeigte auf den Sack und lächelte.
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