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Glorias Schutzengel

© Evelyn Schütz


Ausgestreckt in bequemster Lage genoss Gloria die sonntägliche Mittagsruhe.
Ein interessantes Buch, die letzten köstlichen Plätzchen der Weihnachtsfeiertage und ein duftender Vanilleteeaufguss rundeten das Ganze ab.
Der Nachmittag gehörte ihr allein. Ein Umstand, der sich angesichts der Tatsache, dass sie eine kleine Familie haushaltstechnisch zu versorgen hatte, halbtags arbeitete und freizeitmäßig stark im heimischen Turnverein tätig war, nur allzu selten verwirklichen ließ. Also, der heutige Tag war Lebensgenuss pur.
Frank hatte diesen Sonntag zum Papatag ausgerufen und war mit zwei überglücklichen Kindern im Auto bereits nach dem Frühstück verschwunden.
Ausgerüstet mit einem üppigen Lunchpaket und einer ganzen Tüte getrockneter Brötchen sollte die Fahrt in den einige Kilometer entfernten Tierpark gehen. Zunächst jedoch wollten sie einen Abstecher zu Opa und Oma machen. Kurz "Hallo" sagen und die geliehene Christbaumspitze wieder abliefern. Genau wie in den letzten fünf oder sechs Jahren. Der jeweilige feste Vorsatz, sich endlich eine eigene Baumspitze anzuschaffen, war spätestens einen Tag nach Rückgabe der Geborgten vergessen und tauchte regelmäßig erst wieder an Heiligabend auf, dann, wenn sie beim Baumschmücken feststellten, dass abermals keine eigene Baumspitze vorhanden war.
Der Weg in die Stadt war zu weit. Das Haus ihrer Eltern lag weitaus näher und so schmückte von Jahr zu Jahr aufs Neue die uralte Glasspitze aus dem Familienbesitz von Glorias Mutter den Weihnachtsbaum im Hause Seifert. Bei Glorias Eltern lag das gute Stück meist schon bereit, wenn Frank in letzter Minute angehetzt kam, um es sich wieder einmal zu borgen. Eigentlich gehörte die Baumspitze Gloria schon längst. Es war Tradition, dass die Christbaumspitze von Generation zu Generation immer an das jüngste Kind weitergegeben wurde. In ihrer Familie war dies Gloria. Doch ebenso verlangte es die Tradition, dass sie nur vererbt wurde und niemals verschenkt oder zu Lebzeiten weitergegeben werden konnte. So war es stets eine Leihgabe und Gloria gab sie jedes Jahr wieder in die Obhut ihrer Eltern zurück.
Diese Christbaumspitze war etwas ganz Besonderes. Ein sorgfältig gehütetes Erbstück. Anhand von Bildern wusste Gloria, dass bereits ihre Großeltern damit den Weihnachtsbaum schmückten. Von diesen stammte auch die Aussage, der Ur-Urgroßvater habe sie einmal selbst gefertigt, als ein großes Unglück die Familie in der Vorweihnachtszeit getroffen hatte. In tiefer Trauer um seine geliebte Frau, die eine schwere Lungenentzündung drei Tage vor Weihnachten dahingerafft hatte, sei er in seiner Werkstatt verschwunden und erst am Heiligabend morgens wieder erschienen. In der Hand die mundgeblasene Christbaumspitze, wie es sie in Form und Aussehen noch nie gegeben hatte. Seinen Kindern hätte er damals geschworen, dass er sie nie wieder alleine lassen würde und dass der Engel in seiner Baumspitze jeder Familie, bei der sie an Weihnachten den Baum schmückt, ein ganzes Jahr lang Schutz gewährt. Besonders in der kalten und dunklen Jahreszeit. Daher sei sie so ungewöhnlich und einzigartig.
Ja, das stimmte. Die Christbaumspitze war wirklich einmalig und wunderschön.
Sie bestand aus drei übereinander gereihten Kugeln, die sich nach oben hin verjüngten. Die große und kleine Kugel erstrahlten in hellem Silberglanz. Genauso funkelte auch die dünne Spitze mit dem darauf gesetzten winzigen Schweifstern, die zusätzlich an der obersten kleinen Kugel angebracht war und den Abschluss bildete.
Die mittlere Kugel hingegen war völlig anders gearbeitet. Der Ur-Urgroßvater musste ein großartiger Glasbläser gewesen sein. Denn alleine einem Meister seiner Zunft konnte es möglich sein, ein solch edles Stück herzustellen.
Doppelwandig geblasen mit einem kleinen Engel darin. Die äußere Glashülle bestand aus reinstem Kristallglas. Auf der inneren dünnen Glaswand befanden sich im oberen Teil etliche kleine Lufteinschlüsse. Dem Betrachter wurde so der Eindruck vermittelt, feinste Schneeflöckchen breiteten sich über dem Engel aus. Die Engelsfigur selbst, war eine kleine Miniatur aus weißem Milchglas. Sie hatte etwas unwirklich Schönes an sich mit ihren ausgebreiteten Flügeln und zarten Gliedern. Die durchsichtige Befestigung erkannte man nur bei genauem Hinsehen und so schien es, als würde sie in der Mitte der Kugel schweben.
Gloria glaubte an die Überlieferung und war fest von der Kraft des Engels überzeugt. Wie sonst sollte es auch zu erklären sein, dass alle winterlichen Stürze, dies sie in den letzten Jahren gedreht hatte, immer recht glimpflich ausgegangen waren.
Wie zum Beispiel während der Adventszeit vor vier Jahren.
Mit ihrer nur wenige Monate alten Tochter hatte sie die Eltern besucht. Innerhalb des Hauses führte eine Marmortreppe hinauf in die Wohnung. Sie kannte jede einzelne Stufe. War diese Treppe in ihrer Kindheit schon tausendmal hoch und runter gesprungen. Immer ohne Folgen.
Doch an diesem Tag, beim Verlassen des Hauses, eine winzige Unachtsamkeit, schon war es passiert. Ein kleiner Schneerest von ihren Schuhen gefallen und zu Wasser geschmolzen, machte eine Treppenstufe spiegelglatt. Blitzartig verlor Gloria den Boden unter den Füßen. Am Geländer konnte sie sich nicht festhalten, da sie instinktiv mit beiden Armen schützend das Kind umklammerte. Ebenso instinktiv straffte sich ihr Körper und sie konnte ein Fallen und Überschlagen verhindern. Kerzengerade, den Säugling sicher haltend, rutschte sie so die letzten sechs Stufen auf ihren Knien hinab. Und es passierte ihnen nichts. Nur die Schienbeine brannten fürchterlich. Der Verlust von ein paar Hautfetzen war zu beklagen und das Kind weinte, weil es sich erschrocken hatte. Nicht auszudenken, was alles hätte geschehen können, wäre sie samt dem Kind kopfüber hinuntergestürzt.
Gloria schauderte und nahm einen großen Schluck heißen Tee zu sich.
Voriges Jahr ein ähnlicher Fall.
Spät dran, weil der Besuch bei einer Freundin entgegen ihrer Planung doch etwas länger gedauert hatte, trat sie eilig den Nachhauseweg an. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und frischer Schnee lag auf den Wegen. Statt auf der geräumten Straße zu gehen, nahm sie die Abkürzung quer über die verschneite Wiese mit dem vereisten Trampelpfad. Der fiel am Ende steil bergab und endete direkt an der stark befahrenen Bundesstraße. Etwa die Hälfte der Zeit des normalen Weges ließ sich so einsparen.
Fast unten angekommen, traf sie auf ein total vereistes Stück des Weges. Vorsichtig und ganz langsam tastete sie sich weiter und verlor sie plötzlich den Halt. Mit Armen und Beinen hilflos rudernd fiel sie hin und landete recht unsanft auf ihrem Hinterteil.
Auf dem Boden angekommen, kippte sie nach hinten weg, genau in dem Moment, als ein kleiner LKW mit einem Abstand von etwa einem halben Meter an ihr vorbeirauschte. Sekundenlang hatte sie danach noch regungslos am Straßenrand gesessen, um zu sortieren: ,Glück gehabt! Nichts passiert!'
Der Steiß pochte vom harten Aufprall und der Kopf brummte ein wenig, weil der Rückstoß bis in die Haarspitzen gedrungen war. Doch sonst, alles in Ordnung.
Bei näherer Betrachtung und gründlicher Überlegung konnte Gloria noch mehr solcher "Fälle" aufzählen. Sei es sie selbst, ihren Mann Frank oder die Kinder betreffend. Nennenswerte Verletzungen hatten sie glücklicherweise bisher nie zu beklagen.
Glücklicherweise?
Vielleicht war alles nur Zufall und Glück?
Hatte nichts mit dem Engel in der Christbaumspitze zu tun!
Ganz sicher war Gloria nicht. Doch was es auch war. Die Macht des Engels oder reine Schicksalsfügung. Für Gloria war das Wichtigste, der Glaube daran zählte. Und sie empfand es als großes Glück, einen solchen Schutzengel für die Familie zu haben.



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