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Das geheimnisvolle Paket

© Corinna Hein


Es war einmal in einem Land, in dem es so kalt war, dass selbst die Schneeflocken vor Kälte zitterten, da stand nah bei einem Häuschen, das sich tief in den Schnee duckte, ein fest verschnürtes Paket. Niemand hatte es bisher bemerkt oder gar gesehen, woher es gekommen war. Nur der kleine Klaus hatte gerade am Fenster gesessen, weil er nach seinem Vater ausschauen wollte, und dabei beobachtet, wie das Paket geradewegs vom Himmel herunter gefallen war.
Die Mutter lachte nur, als ihr Klaus davon erzählte. "Als nächstes wirst Du mir weismachen wollen, dass der Weihnachtsmann selbst ein Paket vor unsere Tür gestellt hätte!", setze sie hinzu. Sie glaubte ihm nicht.
Dabei hätte sie doch wissen müssen, dass alle Menschen in ihrem Land besonders gute Augen hatten und alles ganz genau sahen. Warum? Weil die Sonne in der einen Hälfte des Jahres einen großen Bogen um diesen Erdenfleck machte und dann fast völlige Dunkelheit herrschte. Nur die flackernden Polarlichter irrten über den Himmel, als suchten sie zwischen den kalt funkelnden Sternen nach den wärmenden Strahlen der Sonne.
Kläuschens geübte Augen hatten folglich genau gesehen, wie das Paket vom Himmel gefallen war. Sicherlich war die Mutter nur zu beschäftigt, um sich um ihn zu kümmern, denn sie musste noch backen und braten. Es war der Heilige Abend, und die Familie würde sich bald zum Essen versammeln.
Daher stahl der Junge sich heimlich aus dem Haus und wuchtete das Paket, das ihm bis zur Hüfte reichte, ganz allein in den Flur hinein. Wie groß war sein Erstaunen, als er es endlich geöffnet hatte und darin nur dicht bekritzelte Blätter fand. Dabei hatte er so gehofft, es handele sich um etwas Abenteuerliches oder mindestens um ein paar Süßigkeiten. Nur beschriebene Blätter -- die hatte er nicht erwartet. Noch dazu stand auf dem ersten Blatt, das er näher betrachtete, ein Text in einer fremden Sprache. Auf dem zweiten Blatt ebenso und auch auf dem dritten. Erst als Klaus sich fast bis zur Mitte des Paketes durchgewühlt hatte, fiel ihm ein Blatt in die Hände, das er entziffern konnte: "Lieber Weihnachtsmann", stand dort in einer Sprache geschrieben, die Du und ich nicht verstanden hätten, weil wir kein Norwegisch sprechen. Doch Klaus hatte damit kein Problem, denn Norwegisch war ja seine Muttersprache.
"Lieber Weihnachtsmann", stand also auf dem Zettel geschrieben, "ich wünsche mir eine Play Station und Spiele, ein TV-Handy, die Lego-Ritterburg, den neuen Harry Potter-Film auf DVD, einen Weihnachtsmann mit Smarties drin, Gelstifte mit Glitzer, coole Fußballschuhe, Kinder-Überraschung ..." und dann riss die Wunschaufzählung ab, weil der Schreiber am unteren Rand angekommen war.
Klaus fragte sich, wie man so viele Wünsche auf einmal haben konnte. Er dachte an den alten Großvater, der oben in seiner Stube lag und auf den Winter fluchte, der ihm in jedem Jahr sein Zipperlein bescherte, wie er es nannte, wenn er sich vor Schmerzen in den Knochen kaum bewegen konnte. "So jung wie du möchte ich noch einmal sein", hatte der Opa erst heute Morgen geseufzt und sich die dicke Federdecke bis zur Nase hochgezogen, "und dann so schlau wie heute ..."
"Und ich wünschte mir, dass der Großvater wieder aufstehen und einen Schneemann mit mir bauen würde, wie er es früher immer getan hat, als es ihm noch besser ging.", dachte Klaus. Da bemerkte er plötzlich, wie ein Schatten in der Glasscheibe der Tür erschien. Das musste der Vater sein, der von der Arbeit nach Hause kam.
"Papa!", rief Klaus, ließ den Zettel fallen und riss freudig die Tür auf. Doch wie erstaunt war er, als niemand außer ihm selbst darin stand.
Im Schein der Hoflampe glitzerte wie eh und je der feste Schnee. Der Vater jedoch war nicht zu sehen. Schon wollte der Junge enttäuscht die Tür schließen, da drang plötzlich ein piepsiger Jubelschrei an sein Ohr.
Klaus blickte zur Erde. Nur wenige Zentimeter von seinen Füßen entfernt hüpfte ein kleines bärtiges Männlein in einem tannengrünen Mantel nebst einer Mütze in ebensolcher Farbe vor Freude auf und ab, während es mit ausgestrecktem Arm auf Kläuschens Knie zeigte. "Ich hab's gefunden!", rief es nun, "Kommt alle her ihr Wichtel! Hier ist es!"
"Was hast du gefunden?", fragte Klaus und blickte verwundert auf seine Knie. Da kamen mit einem Male von überall her kleine Männchen angelaufen, die genauso drollig aussahen, wie der Geselle zu Kläuschens Füßen. "Er hat es! Er hat das Paket mit den Wunschzetteln!", riefen sie.
Einige schlugen vor Begeisterung Purzelbäume. Ohne sich um Klaus zu kümmern, stürmten die grün gekleideten Zwerge in den Flur. Wohl zehn von ihnen hoben das Paket auf ihre Schultern, während zwei weitere Männlein Klaus aus der Tür zu schieben versuchten. "He, was soll das denn?!", ärgerte der sich nun.
Da erklärte ihm der bärtige Zwerg hastig: "Das ist das Paket mit den Briefen und Wunschzetteln vom Weihnachtsmann. Er hat es vorhin verloren und kann nun die Geschenke nicht zuordnen. Wir müssen es so schnell wie möglich zu ihm bringen. Tut mir sehr leid, aber wir sind in Eile."
Wenn das so war, dann wollte Klaus natürlich nicht hinderlich sein und trat zur Seite, um die Wichtel mit dem Paket auf den Hof zu lassen.
Nachdem sie dieses draußen abgestellt hatten, holte einer von ihnen einen kleinen grünen Beutel unter seinem Mantel hervor. Geheimnisvoll rührte er mit seiner rechten Hand darin herum, als versuche er etwas zu fassen, das ihm immer wieder entwischte. Doch schließlich zog er seine Hand heraus und blies einmal kräftig darüber hinweg. Da stoben plötzlich Schneeflocken auf -- zuerst nur wenige; dann mehr und mehr, bis sie so zahlreich durcheinander wirbelten, dass Klaus für einen Moment seine Augen schließen musste. Als er sie wieder öffnete, waren sowohl das Schneegestöber als auch die Wichtel mit dem Paket verschwunden.
Frierend lief Klaus zurück ins Haus. Die Mutter würde ihm das niemals glauben. Aber er musste es unbedingt dem Großvater erzählen. Dieser lugte unter seiner Decke hervor und hörte sich die Geschichte zunächst ganz ruhig an. Als jedoch die Sprache auf die Wichtel kam und er von dem Schneegestöber erfuhr, da warf er plötzlich die Bettdecke zurück und rief: "Nein, Junge, Schnee um diese Jahreszeit! Das muss ich mir unbedingt ansehen." Und dann zog er sich mit einem leisen Stöhnen seine warmen Hosen sowie einen dicken Pullover über, stieg die Treppe hinab in den Flur und griff ächzend nach seinem Mantel. Schließlich traten die beiden in den Hof hinaus. "Brrr", machte der Großvater und schob seinen Schal bis fast zu den glänzenden Augen hoch. Nach einer Weile bückte er sich gemächlich, griff nach dem frischen Schnee, formte eine Kugel daraus und gab sie an seinen Enkel weiter. "Hier", sagte er, "das wird der Bauch."
Klaus wusste nicht, ob er schon einmal ein so schönes Weihnachtsfest erlebt hatte. Noch im späten Frühling, als die Sonne längst zurückgekehrt war, stand ein stattlicher Schneemann auf dem Hof und erinnerte an den Heiligen Abend, an dem der Großvater trotz seines -- wie er es nannte - Zipperleins aufgestanden war, um mit seinem Enkel im Schnee herumzutollen. Wohl auch um dieselbe Zeit fand Kläuschens Mutter beim Großreinemachen einen dicht beschriebenen Zettel unter der Kommode im Flur. "Lieber Weihnachtsmann", stand darauf geschrieben, "ich wünsche mir eine Play Station und Spiele, ein TV-Handy, die Lego-Ritterburg ...".
"Komisch", dachte sie, "der Junge interessiert sich doch gar nicht für solche Sachen."


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