Balthasar
© Luzia Fischer
Steil bergauf schlängelte sich der Hohlweg durch den dunklen, verschneiten Fichtenwald. Die Äste hingen tief gebeugt herab und tropften unaufhörlich. Wasserrinnsale durchfurchten den harschen Schnee, sammelten sich zu kleinen Bächen und plätscherten quer über Schotter und Geröll.
Bei jedem Schritt gluckerten seine Lederstiefel, im unsteten Takt der tropfenden Äste. Die Gurte des Armeerucksacks schnitten in seine hageren Schultern. Obwohl sich darin seine wenigen Habseligkeiten befanden, drückte ihn das Gewicht halb zu Boden.
Jetzt blieb er kurz stehen, atmete tief die nasskalte Luft ein und blickte zum Himmel auf. Er war grau und trüb wie seine Gedanken.
Sein Onkel war nicht gekommen, um ihn am Bahnhof abzuholen. Dabei hatte er es nach der Beerdigung fest versprochen. Eine Ewigkeit harrte er in dem zugigen Granitgebäude aus, bis ihn der Bahnhofsvorsteher fortjagte, wie einen Hund.
Keuchend stapfte der Junge weiter. Endlich konnte er Häuser mit schwarzen Schieferdächern ausmachen. Sie duckten sich unterhalb eines gewaltigen Granitbrockens zusammen. Nur die Dorfkirche erhob sich etwas außerhalb auf einem felsigen Hügel.
Sein Herz flatterte wie ein verängstigter Vogel, als er sich dem abgelegenen Bergdorf näherte. Er hörte einzelne Stimmen, dann aufgeregtes Kindergeschrei.
"Die Leute sind verschlossen und hart, wie der steinige Boden, den sie bearbeiten", hatte ihn sein Onkel gewarnt. "Erwarte lieber nichts."
Kinder in allen Größen tobten auf dem matschigen Dorfplatz herum, dass es nach allen Seiten hin nur so spritzte. Sie spielten `Blinde Kuh´, kreischten, stoben auseinander, sobald der stämmige Kerl, mit verbundenen Augen, auf sie zukam.
Abrupt brach das Geschrei ab. Alle wichen vor dem fremden Jungen zurück. Furcht und Verwunderung spiegelten sich in ihren, mit Matsch besprenkelten, Gesichtern.
Der Stämmige riss sich das bunte Tuch von den Augen und beäugte ihn kurz. Dann baute er sich breitbeinig vor ihm auf und stemmte die Arme in seine Seiten.
"Wer bist denn du? Was willst?", bellte er.
Außer dem Stämmigen wagte niemand ihn anzusprechen. Ein Mädchen mit rotblonden Haaren stand abseits, als würde sie nicht dazugehören. Sie musterte ihn mit offener Neugier.
"Balthasar!"
Ein hagerer Mann, Mitte dreißig, eilte auf ihn zu. Über seinem derben Alltagsgewand trug er eine blutige Arbeitsschürze. "Gott sei Dank! Da bist du ja!"
Er griff nach seiner schmalen, verkrampften Kinderhand und zog ihn schleunigst fort.
"Grad jetzt musste die Lise kalben. Bestimmt bist du recht durchgefroren und hungrig."
Balthasar stolperte neben seinem Onkel her, er konnte kaum Schritt halten. Der Hof, auf den sie zuliefen, unterschied sich nicht von den anderen. Das niedrige Wohnhaus lehnte sich an die Stallungen, als müsste es sich abstützen. Einige Ster Holz lagen aufgeschichtet neben der Eingangstür. Auf dem Misthaufen gackerten scharrend und pickend die Hühner.
Sein Onkel musste den Kopf einziehen, als er die Haustür aufstieß. Der Hausgang gähnte leer und dunkel vor ihnen auf.
"Gertrud!" rief er, während er seine schmutzige Schürze an einen schlichten Haken hängte. "Er ist da!"
Die rußgeschwärzte Küche war der einzige beheizbare Raum im Haus. Durch die kleinen Fenster fiel trübes Licht.
"Setz dich Balthasar und zieh deine nassen Stiefel aus! Gertrud wird dir eine heiße Milch mit Honig machen."
Die heiße Milch machte der Onkel schließlich selbst, denn die Tante ließ sich nicht blicken. Nach der Abendvesper wurde Balthasar seine Unterbringung gezeigt, ein winziges Zimmer unter dem Dach.
"Das war die Kammer von unserem Maxl", sagte der Onkel feierlich. "Vier Jahre ist das schon her. Gott hab ihn selig." Mit einem "Gute Nacht, schlaf gut!" fiel die Tür hinter ihm zu.
Er war allein.
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