Nikolaus 2000
© Brigitta Biester
"Ich tu's nicht mehr", Nikolaus stampfte mit dem Fuß auf eine dicke graue Wolke und setzte sich beleidigt hinein.
"Nun sei doch nicht gleich sauer, Niko", tröstete ihn der liebe Gott. "Die Zeiten haben sich geändert. Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert mit Autos und Flugzeugen, Raketen und Hightech. Da lockst du mit deinen Rentieren und dem schäbigen roten Mantel kein Kind mehr vom Computer weg."
Die Teufelchen in der Hölle schickten feurige Liebesbriefe über das World Wide Web zum Himmel und die jungen Engelchen zwitscherten und lachten in ihren raffinierten Miniröcken.
Nikolaus runzelte empört die Stirn: "Wie könnt ihr nur ..."
"Lass sie doch spielen", sagte der liebe Gott, "es sind doch Kinder."
Mit hochrotem Kopf schimpfte Nikolaus weiter: "Ich fahre dieses Jahr nicht auf die Erde hinunter! Äpfel und Nüsse, die ich liebevoll in die Stiefel stecke, werden achtlos beiseite geworfen. Viele Kinder stellen ihre Schuhe am Nikolaustag gar nicht mehr vor die Tür. Die Holzeisenbahnen und Puppenstuben, die ich unter die Weihnachtsbäume lege, werden zur Seite geschoben, weil die Eltern ihren Kindern schon ferngesteuerte Rennwagen oder Nintendo-Spiele geschenkt haben. In Amerika finde ich in den Städten kaum
noch Kamine, durch die ich einsteigen könnte. Nein, ich versteh die Welt nicht mehr."
"Nikolaus, du bist einfach altmodisch", versuchte der liebe Gott ihn zu beschwichtigen. Und dann hatte er eine Idee: "Engelchen, kommt mal alle her. Ihr begleitet den Niko jetzt in die Designerabteilung. Dort bekommt er einen schicken, knallroten Overall und dazu eine Schumi-Mütze." Dann schob er eine tiefviolette Wolke beiseite und rief nach unten: "Luzifer, leih mir für Dezember deinen Ferrari. Den roten."
"Nein, was macht ihr mit mir, ich bin ein alter Mann", wehrte sich Nikolaus.
"Lass dir diesen grässlichen langen Bart stutzen, dann siehst du auch nicht mehr so alt aus. Schau mich an", der liebe Gott stand auf und drehte sich elegant, "wie gefällt dir mein neues weißes Dinner Jackett? Und sehe ich nicht viel vorteilhafter aus, seit ich mich rasiere?"
"Du siehst aus wie ein Dandy", murmelte Sankt Nikolaus in seinen Bart. Aber schon zogen ihn die kichernden Engelchen fort.
"Vergiss den Sankt", rief der liebe Gott ihm lachend nach. Er konnte schließlich Gedanken lesen.
Am 6. Dezember schoss der rote Ferrari mit einem Kickstart zur Erde. Am Steuer saß ein pechschwarzer Fahrer mit feurigen Augen. Sie waren so rot wie sein Overall.
"Er war bildschön", schwärmten die Frauen später. Das Auto musste allerdings auf Automatik umgebaut werden, denn mit seinem linken Fuß, dem Pferdefuß, konnte er keine Kupplung treten. Beifahrer war Sankt Nikolaus. Er hatte sich bei allen Modernisierungen gefügt, nur auf sein 'Sankt' wollte er nicht verzichten.
"OK", hatte der liebe Gott dann nachgegeben, "vielleicht finden die modernen Menschen auf der Erde diese kleine Marotte ja ganz nett."
Der Terminkalender war wie jedes Jahr voll. Schon früh, lange vor Sonnenaufgang, wurden kleine Geschenke in die Stiefel der Kinder gepackt. Keine Äpfel und Nüsse, nein, das war out. Pokemon Karten und Game Boys hatten die Engelchen in die Sporttasche gepackt. Nikolaus musste zugeben, die Tasche war viel leichter zu tragen als der alte Jutesack und der Ferrari war wirklich schnell. Sie waren eine Stunde früher fertig als sonst und konnten noch ein paar Donuts in New York im Coffee Shop essen.
Dann fingen die Weihnachtsfeiern an. In Kindergärten, in Schulen, bei Gesangsvereinen und sogar in Altersheimen musste Nikolaus mit Krampus auftreten. Aus dem pinkfarbenen Laptop - er hätte ja lieber ein goldenes gehabt, aber das gab es noch nicht - konnte er die allerneuesten Daten der besuchten Personen abrufen. Und ach, so leicht ließ sich der weiße Trolly mit den Geschenken ziehen.
"Knecht Ruprecht hat ja gar keine Rute", bemerkte Kai im Kindergarten von Dollerup.
"Ich brauche keine Rute", antwortete der Krampus, "wer nicht brav war, darf nie wieder Teletubbies kucken."
"Für brave Kinder hattest du früher Bonbons auf einer Rute hängen", bemängelte eine Großmutter in Lengerich.
"Das gibt es jetzt nicht mehr", war die teuflische Antwort.
"Wo ist denn Rudolf, das Rednosed Reindeer, Santa Claus?", fragte Tommy in Edinburgh.
"Der ist jetzt im Himmel", antwortete Nikolaus sachlich. "Ich fahre nur noch Ferrari, das ist schneller und moderner."
"Ich will aber die Rentiere sehen", beharrte Tommy. Und auf einmal fingen alle Kinder in den Kindergärten und in den Schulen an zu weinen.
"Schaut euch doch nur meinen schicken Schlitten an!" Stolz posierte Knecht Ruprecht vor dem roten italienischen Sportwagen.
"Ja, einen Schlitten wollen wir sehen!", riefen die Leute in der verschneiten schwedischen Stadt Lulea. Und dann gab es kein Halten mehr. Überall auf der Erde schrien die Kinder, brüllten die Männer, kreischten die Frauen und die Alten jammerten:
"Nikolaus, wie siehst du aus!
Steig aus den Klamotten raus!
Nikolaus, fahr schnell nach Haus,
lass die Rentier' raus."
Der liebe Gott hörte diesen Radau natürlich auch. Verdutzt schüttelte er den Kopf und brummte: "Da wollen die Menschen fortschrittlich sein, und jetzt jammern sie darüber, dass ich die alten Bräuche modernisiert habe.".
Aber dann befahl er: "Also, Engelchen, worauf warten wir noch! Poliert die Kutsche, bürstet die Rentiere und füttert die alte Kutte von Sankt Nikolaus mit einem ganz warmen, weißen Fell. Nächstes Jahr muss er nämlich wieder mit dem offenen Schlitten zur Erde fahren. Ach ja, und bastelt dem Krampus eine kräftige neue Rute."
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