Unser Buchtipp Weihnachtsgeschichten

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Eingereicht am
27. Februar 2007

Als der Weihnachtsmann Schnupfen bekam

© Petra R. Müller

Ein ungewöhnlich lautes Geräusch erfüllte die Weihnachtswerkstatt: "Hatschi!"

Kurz darauf wieder: "Hatschi!"

Ihm folgte ein langes, erleichtert klingendes "Aaahhh".

Was war das?

Es hörte sich nach einem schlimmen Schnupfen an.

Doch nur Menschen mussten darunter leiden.

In der Weihnachtswerkstatt lebten aber keine Menschen. Hier war das Zuhause von Wichten, Elfen, Rentieren und dem Weihnachtsmann. Alles himmlische Wesen, die niemals krank wurden.

"Hatschi!"

Beunruhigt sahen sich die Wichte gegenseitig an. Wo kam dieser Krach her? Hatte sich etwa ein Erdenbürger in die Weihnachtswerkstatt hineingeschmuggelt und wenn ja, wie konnte das geschehen?

Gab es eine unentdeckte Möglichkeit, die Sperre zwischen Erde und Traumwelt zu überwinden?

In den Tagen kurz vor Weihnachten hatten die Wichte eigentlich keine Zeit, um sich mit irgendetwas anderem zu beschäftigen als mit der Herstellung von Spielsachen. Aber dieses ständige "Hatschi" beunruhigte sie so sehr, dass die ganze Produktion stockte.

So etwas durfte nicht geschehen, denn jede Sekunde war kostbar.

Entschlossen erklärten sich zwei Wichte bereit, nach dem Störenfried zu suchen. Sehr schnell fanden sie heraus, dass dieses Hatschi am lautesten klang, wenn sie ganz dicht vor der Tür standen, hinter der sich das Büro des Weihnachtsmannes befand. Zaghaft klopften sie an.

Sie hatten ihren obersten Chef schon oft beim Begutachten der hergestellten Geschenke gesehen, aber immer nur von weitem. Ihm persönlich, waren sie noch nie gegenüber getreten. Ein ungutes Gefühl beschlich sie. Wie würde er reagieren, wenn sie ihren Verdacht äußerten, dass sich ein Sterblicher in seine Räume versteckt haben müsse. Hörte er ihnen zu, oder warf er sie gleich hinaus?

Ein krächzendes, doch gut vernehmbares "Herein" zerstreute alle Bedenken. Ehrfürchtig traten die verschüchterten Wesen ein. Schon beim Öffnen der Tür empfing sie jenes trompetende Hatschi, dem sie auf der Spur waren.

Neugierig sahen sie sich um. Vor ihnen stand ein überdimensionaler Schreibtisch, der mit Briefen überhäuft war. Dahinter saß er, der Weihnachtsmann.

Er war Ansprechpartner aller Kinder, die auf der ganzen Welt verstreut lebten und mehr als tausend verschiedene Wünsche an ihn hatten. Außerdem war er die Hauptfigur vieler weihnachtlicher Geschichten, mit denen sich Menschen gerne in eine besinnliche Stimmung brachten.

Den Kopf hatte er auf beide Hände gestützt. Die rot entzündete Nase war völlig verkrustet und ein nicht unterdrückbarer Drang zwang den Weihnachtsmann immer wieder, zu jenem kräftigen Hatschi. Seine Augen tränten. Sie hatten ihren freudigen Glanz verloren und sahen eher gequält als gütig aus. Zudem glühten beide Wangen, als hätte er zu lange vor einem heißen Ofen gesessen. Alles in allem bot er ein Bild des Jammers.

Entsetzt sahen sich die Wichte an. Viele Fragen schossen ihnen durch den Kopf. Doch im Angesicht ihres leidenden Arbeitgebers stammelten sie nur leise: "Wie können wir Ihnen helfen?"

Der Weihnachtsmann hob erstaunt den Kopf. "Ihr - mir helfen?" Er wollte schon entmutigt abwinken, aber dann besann er sich noch rechtzeitig. "Ja, vielleicht gibt es doch etwas, womit ihr mir helfen könnt. Findet das Kind, welches mir diesen Schnupfen gewünscht hat, und bringt es zu mir".

"Sich wünschen, dass der Weihnachtsmann eine Erkältung bekommt? Aber himmlische Wesen können doch gar nicht krank werden. So etwas ist doch ganz unmöglich!"

"Leider doch", erhielten sie als Antwort. "Wenn ein kleines Kind sich wünscht, dass ich nicht auf die Erde kommen kann, weil meine die Nase ganz verstopft ist und ich schleunigst ins Bett muss, um wieder gesund zu werden, dann wird dies auch so geschehen."

"Das ist ja eine Katastrophe!", riefen sie aufgeregt. "Wie kann ein kleiner Erdenbürger so viel Macht besitzt und uns das antun? Wozu haben wir die Sperre zur Traumwelt, wenn diese von jedem überwunden werden kann?"

"Es muss schon ein ganz besonderes Kind sein, wenn es unsere Sperre durchbricht", hörten sie den Weihnachtsmann sagen. "Vor allem darf es nur in bester Absicht handeln und nicht etwa aus Rache oder Profitgier. In all den Jahren, die ich diese ehrenvolle Aufgabe verrichtet habe, ist mir so etwas noch nicht passiert und ich hoffe, dass ich es auch nie wieder erleben muss. Für gewöhnliche Menschen ist die Sperre ein unüberwindbares Hindernis, aber es gibt auch Ausnahmen. Sobald ihr das Kleine gefunden habt, müsst ihr mit ihm zu mir kommen".

Die erschütternde Nachricht über den Gesundheitszustand ihres Arbeitgebers verbreitete sich in Windeseile. Wichte und Elfen dachten angestrengt darüber nach, wie sie ein Kind finden konnten, das freiwillig auf alle Geschenke verzichtete. So ein Wesen würde es auf der ganzen Welt nicht geben, darin waren sich alle einig.

Weihnachten ohne festliche Gaben, war für alle Mitarbeiter einfach undenkbar.

Doch was blieb ihnen übrig? Wenn der Schnupfen des Weihnachtsmannes andauerte, dann würde er seine Aufgabe nicht erfüllen können. Ein Unglück, das sie unter allen Umständen verhindern mussten, komme was wolle.

Die beiden Wichte, welche mit dem armen Weihnachtsmann gesprochen hatten, erhielten den offiziellen Auftrag, auf die Erde zu gehen und dieses wunderliche Kind zu suchen. Weil sie sich dort nicht auskannten, erhielt jeder von ihnen eine Elfe als Beraterin zur Seite gestellt, da diese sich öfter dort aufhielten.

Bei den Menschen angekommen, bemerkten die Wichte sogleich, dass sie für alle Sterblichen unsichtbar waren. Die Elfen erklärten ihren Gefährten, wie sie von einem Ort zum anderen fliegen konnten. Mit diesem Wissen ausgestattet schwirrten die Himmelsbewohner in verschiedene Richtungen aus. Sie waren sehr neugierig auf jenes Kind, das den Weihnachtsmann boykottierte.

In die Herzen der Menschen zu blicken, war für Arbeiter der Weihnachtswerkstatt nichts Ungewöhnliches. Das machten sie täglich, wenn auch unbemerkt. Deshalb genügte es, wenn Elfen und Wichte ganz dicht an den Häusern der Erdbewohner vorbeiflogen, um zu wissen, ob sich das gesuchte Kind dort aufhielt.

Wie erwartet strömte den zarten Wesen eine Flut von Hoffnungen und Weihnachtswünschen entgegen.

Mehrere Stunden lang suchten sie Städte, Dörfer und Länder der verschiedenen Erdteile ab, doch sie fanden keinen Menschen, der nicht den einen oder anderen Wunsch an den Weihnachtsmann hatte. Erschöpft und entmutigt dachten sie schon daran aufzugeben. Einen allerletzten Rundflug wollten sie noch unternehmen, dann hatten sie wirklich in jedem Winkel der Erde nachgesehen. Sie vereinbarten, sich nach ihrer letzten Reise, vor dem Portal eines schlossähnlichen Gebäudes zu treffen, um gemeinsam in die Traumwelt zurückzukehren.

Sollten sie das Kind bis dahin immer noch nicht gefunden haben, dann würde es dieses Jahr keine Geschenke geben. - Für niemanden!

Müde, ratlos und enttäuscht kamen sie fast gleichzeitig an ihrem Treffpunkt an.

Kaum hatten sie sich niedergelassen, da spürten sie die Anwesenheit mehrerer Kinder. Die Himmelsbewohner waren überglücklich, denn eines von ihnen strahlte keine Wünsche an den Weihnachtsmann aus.

Freudig flogen sie in das Gebäude hinein. In einem hübsch eingerichteten Zimmer entdeckten sie einen zehn Jahre alten Jungen, der friedlich in seinem Bettchen schlief und am liebsten ganz auf das kommende Fest verzichten würde. Wichte und Elfen umringten sein Lager, fassten sich an den Händen und dachten an ihre Rückkehr.

Einen Augenblick später waren sie wieder Zuhause. Den Jungen hatten sie mitgenommen. Er stand in ihrer Mitte und rieb sich ungläubig die Augen.

Ein Wicht nahm seine rechte Hand. "Hab keine Angst, ich erkläre dir alles später, doch jetzt müssen wir erst einmal zum Weihnachtsmann. -- Du glaubst doch an ihn, oder?", flüsterte er dem Knaben ins Ohr, während er mit ihm zum Büro seines Chefs ging.

Vor Erstaunen unfähig, ein einziges Wort hervorzubringen, nickte das Kind kurz und kräftig.

Dann erlebte der Junge etwas, wovon er nie zu träumen gewagt hatte. Er stand tatsächlich vor ihm, dem echten Weihnachtsmann!

Doch so erhebend, wie der Knabe sich diese Begegnung vorgestellt hatte, war sie gar nicht. Ganz im Gegenteil. Ein erbarmungswürdig aussehender alter Mann, mit triefender Nase und gequältem Gesichtsausdruck saß vor dem Knaben. Nur sein prächtig weißer Bart und die rote Uniform mit den glänzenden, schwarzen Stiefeln verrieten, wer er in Wirklichkeit war.

"Du bist also das Kind, welches mir diesen Schnupfen eingebrockt hat. Na, dann komm mal zu mir und verrate mir wie du heißt".

Obwohl die Stimme ihren vertraut tiefen Ton verloren hatte, ging der Junge doch zu ihm und setzte sich auf seinen Schoß. Nachdem er sich vorgestellt hatte, fing er an sein Herz auszuschütten. Der Weihnachtsmann erfuhr, dass die Mutter von Klaus, so hieß das Kind, zwei Monate zuvor gestorben war und dass er jetzt in einem Kinderheim leben müsse. Der Heimleiter erzählte ihm, dass seine Mutter nun im Himmel sei und helfen würde, seine Geschenke für den "Heiligen Abend" herzustellen.

Als die Mutter von Klaus noch lebte, hatte er sehr lieb gehabt. Die Vorstellung, dass sie im Himmel für ihn arbeiten müsse, gefiel ihm überhaupt nicht. Ihr zuliebe wollte er gerne auf alle Geschenke verzichten.

"Deshalb wünschte ich dir einen Schnupfen, damit du nicht auf die Erde kommen kannst."

"Hohoho", protestierte der Weihnachtsmann. "An die anderen Kinder hast du nicht gedacht? Sie erhalten ja auch keine Geschenke, wenn ich nicht da bin. Kannst du das verantworten?"

"Nein", antwortete der Knabe sichtlich beeindruckt. "Daran habe ich nicht gedacht. Es tut mir leid, wenn ihnen wegen mir, die Freude am Weihnachtsfest verdorben wird. Das wollte ich ganz bestimmt nicht."

"Nun lass mal den Kopf nicht hängen, noch ist es nicht zu spät. Wenn du mich von diesem lästigen Schnupfen befreist und mir danach beim Verteilen der Geschenke hilfst, dann können wir noch bis zum Tagesbeginn fertig sein. Morgen ist der erste Weihnachtsfeiertag, das weißt du doch hoffentlich - oder?" Der Weihnachtsmann lächelte dem Knaben aufmunternd zu.

"Und was geschieht mit meiner Mama?", fragte der Junge schüchtern.

"Ach ja. - So einen Blödsinn wie das, was der Heimleiter dir erzählt hat, habe ich noch nie gehört!" Nun klang der Weihnachtsmann richtig ärgerlich. "Für die Herstellung der Geschenke habe ich meine eigenen Leute und die arbeiten sehr gerne bei mir. Du kannst sie ja gleich fragen. Den Leiter dieses Kinderheimes werde ich mir mal gründlich vorknöpfen. Wahrscheinlich ahnt er überhaupt nicht, welchen Schaden er beinahe angerichtet hätte. Sei beruhigt, deiner Mutter geht es sehr gut. Sie ist nicht hier, sondern wartet in einer anderen Abteilung des Himmels ungeduldig darauf, dass sie dich durch ihr Wolkenfenster wieder beobachten kann."

Es gab noch vieles, worüber sich der Weihnachtsmann mit Klaus unterhielt. Nach jedem Wort wurde seine Stimme kräftiger, die Nase tropfte nicht mehr und auch seine Kopfschmerzen verschwanden.

Wenig später machte er sich mit einem zehnjährigen Knaben als Helfer auf den Weg, um die Erdenbürger zu bescheren.

Wer an diesem besonderen Abend aufmerksam in die Stille der Nacht lauschte, der konnte von weitem und ganz, ganz leise das Lachen eines überglücklichen Jungen hören.

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