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Weihnachten 1982© Timo AngerIrgendwie hatte ich das Gefühl, ihn schon immer gekannt zu haben. Ich erinnere mich aber noch genau, wie er das erste Mal in unsere Klasse kam. "Das ist Friedolin", hatte unsere Lehrerin, Fräulein Seibert, ihn uns vorgestellt. Ich kann mich noch an seine riesige Zahnlücke erinnern, die damals eigentlich jeder von uns Schulanfängern hatte. Aber bei ihm wirkte sie einfach doppelt so groß wie bei allen anderen. Ich kann mich an das schallende Gelächter erinnern, nachdem Fräulein Seibert seinen Namen gesagt hatte. An diesem Tag sagte er nichts, kein Wort. Auch später war er nicht viel gesprächiger. Ich glaube, er hatte einfach ein bisschen Angst. Und ich kann mich auch an die Träne erinnern, die über seine linke Wange kullerte, als er merkte, dass die ganze Klasse nur über ihn lachte. Und ich glaube, diese Träne war es, die mich dazu bewegte, meinen Mund zu halten. Nicht zu lachen wie die anderen, sondern mir mein schadenfrohes Glucksen zu verkneifen. Er sah aber auch zu drollig aus wie er da stand. Mit seinen knallroten struppigen Haaren und seiner winzigen Stupsnase. Und seinem rechten Auge, das so merkwürdig starr ins Leere blickte. Erst später erfuhren wir, dass er ein Glasauge hatte. Sein richtiges Auge hatte man ihm herausnehmen müssen, weil er ein Geschwür im Kopf hatte. An diesem Tag gingen wir schweigend den Weg zusammen nach Hause. Wir sprachen die ganze Zeit über kein einziges Wort. Am nächsten Morgen trafen wir uns auf dem Weg zur Schule und gingen das letzte Stück gemeinsam. Aber gesprochen haben wir auch da nicht miteinander. Wenn ich es mir heute überlege, kommt es mir seltsam vor, aber wir haben während der ganzen Zeit, die wir zusammen zur Schule gingen (es waren fast sechs Monate), kein Wort miteinander gewechselt. Doch damals fand ich das mit der Zeit irgendwie ganz normal. Jeden Morgen trafen wir uns, gingen zusammen zur Schule, schweigend, anschließend wieder nebeneinander her den ganzen Weg bis nach Hause. Schweigend. In der Schule ertrug er tapfer die Grausamkeiten, die wir ihm antaten. Wortlos. Er wurde in die Mülltonne gestopft, die Fahnenstange hochgehisst, mit Farbe angemalt und seine Hefte mit Klebstoff verschmiert. Wenn jemand "der Friedolin ist hässlich" auf die Tafel geschrieben hatte und Fräulein Seibert fragte, wer das gewesen sei, deuteten alle auf Friedolin. "Stimmt das, Friedolin?", hatte sie ihn dann mit vorwurfsvoller Stimme gefragt. Er sagte nichts. Nickte nur. Sein Auge starrte Fräulein Seibert an. Das Glasauge starrte mich an. Offen und vorwurfsvoll. Und ich konnte wieder die Träne sehen, die über seine linke Wange kullerte. Und ich? Ich sagte nichts. Starrte nur aus dem Fenster, weil ich den Blick seines Glasauges nicht ertrug und kaute auf meinem Bleistift herum. Und dann kam der Tag, an dem er nicht mehr morgens an seinem Gartenzaun auf mich wartete, damit wir gemeinsam zur Schule gingen. Er blieb einfach weg. Fräulein Seibert erklärte uns, dass sich sein Gesundheitszustand sehr verschlechtert hätte. Er müsse nun erstmal zu Hause bleiben und wieder gesund werden. Sie möchten wissen, wie die Geschichte weitergeht?
Die vollständige Geschichte finden Sie in dem Buch
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