Unser Buchtipp Weihnachtsgeschichten

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Eingereicht am
11. März 2007

Prost Weihnachten

© Ursula Stuttgart-Mengele

Mit einem leichten Plopp glitt der Korken aus der Champagnerflasche. Mmh, ein gutes Tröpfchen. Auch die kalte Platte, die mir der Feinkostladen an der Ecke zusammengestellt hatte, war wirklich vom Feinsten. Das war auch wirklich das einzige Zugeständnis meinerseits an Weihnachten.

Weihnachten - für mich einfach ein Tag zum Relaxen. Nach der Anspannung in den letzten Wochen hatte ich mir ein bisschen Gemütlichkeit auch redlich verdient. Obwohl, ein wenig komisch war mir doch zumute. Die letzten Jahre hatte ich Weihnachten im Ausland verbracht. Ich dachte immer noch mit Vergnügen an die Poolparty im letzten Jahr auf den Malediven. Schade, heuer ist es fast ein wenig zu ruhig. Aber na ja, ich konnte ja immer noch einen Last-Minute-Flug buchen.

Heute mache ich es mir eben mal richtig gemütlich. Schöne klassische Musik zur Feier des Tages konnte auch nicht schaden. Während ich auf der Suche nach einer geeigneten CD war, musste ich unwillkürlich lächeln, denn ich stellte mir vor, wie es in den meisten Wohnzimmern Deutschlands jetzt aussah: gestresste Hausfrauen, mäkelnde Ehemänner und lärmende Kinder. Da habe ich es aber gut erwischt! Na, na, was heißt gut erwischt, sagen wir mal, ich habe es mir gut eingerichtet.

Erst vor zwei Wochen die Beförderung zur Prokuristin. Glatter K.O.-Sieg für mich. Oder hatte der Maier im Ernst geglaubt, dass er eine Konkurrenz ist mit seinen schlecht sitzenden Anzügen? Pech auch für Schroth, dass ausgerechnet ich seinen Terminfehler beim letzten Auftrag entdeckte. Nun gut, so schlimm war es nicht, aber die kluge Frau kann ja ein wenig nachhelfen. Und Prost, Herr Schroth! Ich musste kichern, die kleine Wagner hatte sich glatt auch Chancen ausgerechnet, dabei sollt die sich lieber mal nach einem anständigen Coiffeur umsehen. Tja, halt jeder wie er kann.

Nur blöde, dass ich bis zur letzten Minute arbeiten musste, sonst könnte ich jetzt mit Rolf in New York sitzen. Und Jürgen hatte natürlich auch keine Zeit. Weil Weihnachten muss er sich um Frauchen kümmern. Soll er doch in seiner dämlichen Villa hocken und sich von seiner Ollen anöden lassen. Mir geht es auch so gut! Mmh, gestern fiel mir dann noch Frankie ein, der kleine, süße Rockmusiker. So eine richtig frivol-erotische Weihnachtsfeier wäre auch nicht schlecht gewesen. Aber der Junge hatte ein unaufschiebbares Date in Paris. Na gut, dann halt weiterhin relaxen.

Als ich mir noch ein Gläschen Schampus einschenkte, fiel mein Blich auf das kleine Päckchen. Mein Gott, Mutters obligatorisches "Tochter, ich denk an dich"- Geschenk. Unwillkürlich dachte ich an ihre traurigen Dackelaugen. Puuh, bin ich froh, dass ich es nun schon seit fünf Jahren schaffte, diesem schrecklichen Weihnachten-heile-Welt-Gedönse zuhause aus dem Weg zu gehen. Zuhause - mich schüttelte es fast. Zuhause hieß Oberbirnbach, ein grauenhaftes oberbayrisches Kaff, in dem jeder jeden kannte und jeder eine Nase in den Dreck des anderen stecken musste. Ich roch förmlich den Mief. Um diese Zeit würden meine Schwestern und Brüder mit ihren verzogenen Bälgern und ihren Hinterwäldlergatten um Mutters Weihnachtsbaum versammelt sein. Und Mutter würde erschöpft von der Backerei, der Putzerei und dem Gebastel mit den Enkeln, die ganze Meute auch noch von vorne und hinten bedienen.

Wenn ich mir nur den Krach vorstellte, der kläffende Köter noch mittendrin. Nein danke … Die Kerzen würden wie jedes Jahr den Teppich ruinieren, und mein Geschenk vom Vorjahr, die kristallenen Kerzenhalter - die bei Gott nicht billig waren bei Art & Fashion - würden mit Sicherheit in der Schublade liegen. So wahrscheinlich auch der Seidenschal von Chanel, den ich ihr geschickt hatte. Zusammen mit unzähligen blöden Zeichnungen und verkorksten Bastelarbeiten ihrer Kinder und Enkel. Na, ihre Sache.

Wenigstens konnte Vater die Davidoffs seinen Gästen anbieten. Ich weiß gar nicht, ob er selber noch rauchte. Aber bestimmt hatte Mutter, die ja immer so besorgt um alle war, ihm das schon längst abgewöhnt. Immer dieses Getüttel. Diese Frau wusste wirklich nicht, auf was es ankam. Die wusste gar nicht was Leben heißt! Aber sie wird schon auch noch ihren Dank für ihre Plackerei bekommen, ha. Gott bewahre mich vor Familie!

Fast widerwillig öffnete ich das Päckchen. Typisch, selbst gestrickte Socken und selbstgebackene Weihnachtsplätzchen. Die Schafwollsocken machten sich in meinem hochmodernen Wohnzimmer - auf das ich wirklich sehr stolz bin, es stimmt alles bis auf die letzte Vase - fast exotisch aus. Dazu der ellenlange Brief. Wo nimmt sie bloß die Zeit noch her? Übliches Blabla. Wir warten so sehnlichst, warum kommst du nicht - Vater hat Rheuma - Udo hat Schnupfen - die kleine Sonja Masern und die alte Krämerin ist letzte Woche gestorben. Überall liegt der Schnee und mein Bett hat sie für alle Fälle für mich hergerichtet. Sogar der Teddy sitzt darauf und wartet.

Liebe Mutter, warum kannst du es nicht endlich verstehen, es ist nicht mehr früher, ich bin nicht mehr dein kleines Mädchen. Ich bin die Prokuristin eines ernstzunehmenden Konzerns. Und was soll das heißen: die Socken sind für dich, damit du keinen kalten Füße bekommst? Sollte ich da eine gewisse Zweideutigkeit hören, Mutter? Fast musste ich über mich selber lachen. Mutter und Zweideutigkeiten! Das wäre das gleiche, als würde Mutter Theresa die Hauptrolle in Pretty Woman übernehmen.

Doch Schluss jetzt mit diesen Gedanken, vielleicht sollte ich noch ins Humphries gehen auf einen Drink oder zwei. Die Decke fiel mir mittlerweile fast auf den Kopf. Scheiß Päckchen, scheiß Brief und scheiß Weihnachten!

Auf dem Weg ins Humphries kam ich am Hauptbahnhof vorbei. Ich liebe Bahnhöfe und Flugplätze, sie geben einem die Sicherheit fliehen zu können, wenn man will. Unwillkürlich betrat ich die Bahnhofshalle. Sie war zugig, aber immer noch besser als der Großstadtmatsch, der dreckig überall lag und hässliche Ränder auf den besten Schuhen hinterließ.

Ich sah nach draußen auf die Gleise. Es war nicht allzu viel Betrieb, und den wenigen Reisenden pressierte es wahrscheinlich furchtbar, noch ein paar Heile-Welt-Feststunden bei ihren Lieben zu erhaschen. Mein Gott, da führten ja die Penner noch ein freieres Leben.

Am Bahnsteig Nummer 3 blieb mein blich an einer alten Frau hängen, die einsam auf einer Bank saß. Sie erinnerte mich irgendwie an meine Mutter. Lächerlich. Ich weiß nicht, wie lange ich sie beobachtete. Ich weiß nur, dass sich meine Beine selbstständig zu machen schienen und geradewegs auf diese Bank zuliefen. Ich ließ mich neben der Frau nieder. Ich denke, wir gaben ein seltsames Paar ab. Ich in meinem neuen Pelzmantel und das Mütterchen in ihrem abgewetzten, fadenscheinigen Mantel. Gerade als mir die Situation peinlich wurde und ich mir ziemlich bescheuert vorkam, sprach mich die alte Frau an. Sie wollte wissen, ob ich auch auf jemanden warte. Sie warte auf ihre Tochter. Diese hatte zwar leider gestern schon abgesagt, aber es konnte ja sein, dass sie doch noch kommen kann. Darum warte sie auf alle Fälle mal. Auch zuhause hatte sie alles hergerichtet. Nein, ihre Tochter war nicht verheiratet. Nein, sie sah ihre Tochter auch nicht oft … Das arme Kind muss viel arbeiten, sie war eine hervorragende Architektin in Düsseldorf. Nach Düsseldorf reisen? Ich? Wo denken Sie hin! Aber nein, sie nahm es ihrer Tochter nicht übel, wenn sie nicht kommen konnte. Sie hatte Zeit zu warten, wenn das Kind sie brauchte war sie da. Nein, sie hatte keine anderen Kinder, einen Sohn gab es, aber der ist in jungen Jahren tödlich verunglückt. Und der Mann ist ihr vor zwei Jahren gestorben. Er war die letzten Jahre ein Pflegefall. In einem Heim? Nein, wo denken Sie hin, er hatte doch mich! Einen Beruf? Ach nein, den hatte sie nicht, Ja, putzen ging sie halt, wegen dem Studium der Tochter. Hat sich ja auch gelohnt. Und Sie, haben sie Geschwister? Ach ja, die sind jetzt alle zuhause bei ihren Eltern? UND SIE?

"In Kürze fährt ein der Intercity aus Düsseldorf. Bitte treten Sie von der Bahnsteigkante zurück!"

Die blecherne Stimme aus dem Lautsprecher erlöste mich von dem seltsamen Blick der alten Frau. Ich stand auf und wünschte ihr von ganzem Herzen, dass ihre Tochter es sich doch noch anders überlegt habe. Dann entfernte ich mich schnell.

In meinem Kopf war ein Durcheinander und in meiner Nase alle Gerüche der Heimat. Gänsebraten, Anisplätzchen, der Duft der Honigkerzen und der Waldgeruch des frisch geschlagenen Weihnachtsbaumes.

Und während ich mir eine Karte nach Oberbirnbach löste, überlegte ich mir, ob der Teddy wohl immer noch Mamas selbstgestrickte Hosen anhatte.

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