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Ein großer Tag© Lisa Klein"Pedro, wir müssen das Weihnachtslied noch einmal üben, das sitzt noch nicht richtig. Kommst du bitte?" Pedro saß in seinem Zimmer und verdrehte die Augen. Wie ihm dieses Lied schon zum Hals heraushing! An Weihnachten sollte er in der Kirche als jüngster Solist überhaupt das traditionelle Weihnachtslied singen - vor über 250 fremden Leuten! "Aufrecht stehen und Hände vor die Brust." Immer hatte seine Mutter etwas auszusetzen. Nach einer Stunde schickte sie ihn auf sein Zimmer mit den Worten: "Bald ist dein großer Tag und du kannst den Text immer noch nicht. Du wirst dich blamieren. Geh rauf auf dein Zimmer und lerne den Text." Pedro war froh, als er endlich aufhören durfte. Er hasste das Singen mit seiner Mutter. Beide Eltern von Pedro waren sehr musikalisch. Sie hatten sich bei der Oper kennen gelernt und lange Jahre dort ein Liebespaar inszeniert - bis sie selbst eins wurden. Ihrem Sohn gaben sie schon mit sieben Jahren Gesangs- und Klavierunterricht. Sie hatten ihn nie gefragt, ob er das wollte. Der nächste Tag war ein Samstag und genau in einer Woche war Weihnachten. Pedro durfte, dick in Schal, Mütze und Mantel eingemummelt, mit seinen Freunden zum Schlittschuhlaufen auf den See gehen. Es war ein herrlicher Tag, sehr kalt, aber die Sonne schien und kein Wölkchen trübte den Himmel. Auf dem See waren viele Menschen. Eltern, die ihren Kindern das Schlittschuhlaufen beibrachten, Liebespaare, die händchenhaltend ihre Runden drehten, Jugendliche, die mit richtigen Schlägern und einem richtigen Puck Eishockey spielten, oder ältere Leute, die einfach die Sonne genossen und mit Freunden plauderten. Pedro und seine Freunde spielten etwas abseits von den anderen Jugendlichen Eishockey. Ihre Schläger waren allerdings Holzstecken, ihr Puck bestand aus einer zerquetschten Coladose. Als Torpfosten hatten sie ihre Winterstiefel aufgestellt. Pedros Mannschaft lag gerade mit 0:2 hinten, als sie ein hässliches, krachendes Geräusch aus der Nähe des Ufers hörten und danach ein kurzer Schrei. Pedro drehte sich um und sah in die Richtung, aus der er das Geräusch gehört hatte. In einem Loch in der Eisdecke ruderte ein kleines, blondes Mädchen wild mit den Armen und drohte zu ertrinken! Pedro schleuderte seinen Schläger weg und fuhr auf die Unglücksstelle zu. Ohne lange zu überlegen kniete er sich an den Rand des Loches und versuchte, das Mädchen herauszufischen. Sie hatte inzwischen das Bewusstsein verloren und trieb regungslos knapp unter der Oberfläche. Plötzlich knackte und krachte es und Pedro brach selbst ein. Das eiskalte Wasser, das über ihm zusammenschlug, raubte ihm den Atem, aber da er sehr warm eingepackt war, blieb er bei Bewusstsein. Er tastete nach dem Mädchen und als er sie zu fassen bekam, zerrte er sie an die Oberfläche. Seine Freunde halfen ihm aus dem Wasser und die herbeigeeilten Eltern des Mädchens beugten sich sofort über ihre Tochter. Ein Krankenwagen kam. Das Mädchen lebte, wurde aber wegen einer Unterkühlung ins Krankenhaus gebracht. Der Vater des Mädchens, Sarah hieß sie, bedankte sich überschwänglich bei Pedro und brachte ihn nach Hause. Am Abend, als Pedro gebadet hatte und warm eingepackt im Bett lag, sagte sein Vater: "Wir sind sehr stolz auf dich. Du hast heute sehr viel Mut bewiesen. Du hast das große Herz eines Musikers." Und seine Mutter fügte hinzu: "Aber nun sieh zu, dass du nicht krank wirst, so kurz vor deinem großen Tag." Sie konnte nicht aufhören, ihn an "seinen großen Tag" zu erinnern. Doch am nächsten Tag ging es Pedro sehr schlecht. Er hatte Hals- und Kopfschmerzen, etwas Fieber und musste die ganze Zeit niesen. Kein Zweifel, er hatte sich sehr erkältet. Ein Gutes hatte die Sache jedoch. Seine Mutter musste dem Pfarrer sagen, dass Pedro wahrscheinlich nicht auftreten konnte. Die ganze Woche blieb Pedro zu Hause. Doch als er am Samstag, am Heiligabend, erwachte, hatte er keine Halsschmerzen mehr und seine Kopfschmerzen waren auch verschwunden. Es ging ihm wieder gut! Panisch zog er die Bettdecke wieder über den Kopf und hoffte, dass seine Mutter nicht bemerkte, dass er wieder gesund war. Doch seine Mutter merkte es und sofort war wieder die Rede von dem Auftritt am Abend. Sie meldete dem Pfarrer, dass Pedro nun doch auftreten könne. Pedro lernte nun verzweifelt den Text und hatte Angst davor, vor so vielen Leuten aufzutreten. Er wollte die Uhr anhalten, doch es ging nicht. Eine halbe Stunde vor Beginn der Christmette musste Pedro in der Kirche sein und sich einsingen. "Selbstvertrauen ist das Wichtigste. Vertrau dir, dann klappt das schon. Das ist nur das Lampenfieber, glaub mir. Ich hab das auch jahrelang durchgemacht." meinte seine Mutter immer nur, wenn Pedro sagte, er könne da nicht auftreten. In der Kirche sang er das Lied zweimal halbherzig durch und las dabei den Text von einem Zettel ab. Die Zeit bis zu seinem Auftritt verging sehr langsam und doch viel zu schnell. Dann gab der Pfarrer schon das Stichwort, auf das er die Kirche betreten sollte. Langsam ging er zu dem Mikrofon auf den Stufen vor dem Altar. Er sah seine Eltern, ein paar seiner Klassenkameraden und viele, viele Fremde. Der Pfarrer kündigte an, dass der junge und talentierte Pedro, der letzte Woche ein kleines Mädchen vor dem Ertrinken gerettet hatte, nun das traditionelle Weihnachtslied singen sollte. Er nickte Pedro zu. Die Orgel setzte ein. Vor Angst starrte Pedro nur stur geradeaus und verpasste beinahe seinen Einsatz. Als er den Mund öffnete und die ersten Worte sang, verschlug es den Menschen in der Kirche die Sprache. Pedros Stimme war atemberaubend schön, so hell und klar wie noch nie zuvor. Auch Pedro war überrascht von seiner Stimme. Er konnte nicht glauben, dass das seine Stimme war, dass er da stand und so schön sang. Und beim Refrain sah er sie - Sarah - das Mädchen, das er vor einer Woche aus dem See gerettet hatte. Sie winkte ihm zu. Und da verstand er. Er hatte ein Menschenleben gerettet - und damit die ganze Welt. Das war sein Lohn.
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