Unser Buchtipp Weihnachtsgeschichten

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Eingereicht am
18. März 2007

Der kleine Weihnachtsstern

© Agnes Christofferson

Das ganze Haus roch nach Weihnachten. Wie riecht Weihnachten eigentlich? Na ja, es duftet ganz einfach nach Plätzchen, nach Braten und leckeren Beilagen.

Und so roch es in dem Haus, in dem Paula und ihr kleiner Bruder Casper wohnten.

Paula schlich gerade an der geschlossenen Wohnzimmertür endlang und bemühte sich dabei, so leise wie möglich zu sein. Wieso sie dies tat, war doch eindeutig; damit sie den Weihnachtsmann nicht störte. Wenn die Wohnzimmertür geschlossen war, konnte er ungestört durch das Fenster oder den Kamin steigen und anschließend in aller Ruhe die hoffentlich zahlreichen Geschenke unter den Tannenbaum legen.

Logisch.

Paula wusste natürlich, dass der Weihnachtsmann es nicht leiden konnte, wenn man ihn störte. Störte man ihn dann doch, wäre er wohlmöglich beleidigt und würde nie wieder kommen. Nun, dass wollte Paula natürlich nicht. Das würde ja auch heißen, dass sie nie wieder Geschenke bekommen würde.

Logisch.

Paula war schon ganz aufgeregt. Nur noch ein paar Minuten, bis der heilige Abend beginnen würde. Ihr Bruder Casper stand am Fenster und hielt Ausschau nach dem ersten Abendstern. Erst nachdem der erste Stern aufgeleuchtet war, öffnete Mutti die Wohnzimmertür. Mutti meinte, dass das der Stern sei, welcher die heiligen drei Könige zu dem kleinen Jesuskind geführt habe.

Das leuchtete Paula auch ein.

Doch dieses Jahr sollte es anders kommen.

So richtig anders.

Als Paula zu ihrem Bruder ans Fenster trat, war dieser ganz außer sich. "Der Weihnachtsstern ist gerade vom Himmel gefallen", sagte er aufgelöst und sah Paula mit großen Augen an.

"Wie ... vom Himmel gefallen?? So wie Regen oder Schnee??? Sterne tun doch so etwas nicht, oder?", fragte Paula verwundert. "Das war doch bestimmt nur eine Sternschnuppe", gab sie weise von sich.

Casper schüttelte ärgerlich den Kopf "Nein, nein, der Stern ist einfach so runter geplumpst. Das war keine Sternschnuppe, denn diese plumpsten doch nicht einfach so herunter."

Paula grübelte nach "Aber wieso sollte der Stern so etwas tun. Ohne ihn kann doch der Weihnachtsabend nicht beginnen."

Casper zuckte die Schultern "Am besten, du fragst ihn selber. Der ist nämlich in unsern Garten gefallen."

"Was machen wir bloß, was machen wir bloß?", japste Paula völlig außer Atem.

"Ich hab`s!!!", schrie Casper aufgeregt.

"Was hast du?!"

"Na, eine Idee habe ich. Wir gehen jetzt raus und fragen ihn."

"Oh, hmmmm, ja, das ist eine gute Idee", erwiderte Paula entschlossen, obwohl ihre Knie vor Angst doch etwas schlotterten. Na ja, sie war doch erst sieben Jahre alt. Da können einem schon mal die Knie vor Angst schlottern.

Und so zogen sie sich schnell die Jacken und Mützen an und eilten hinaus in den Garten. Es war dunkel und kalt. Neuer Schnee war gefallen und bedeckte den Garten wie eine weiße Decke.

Zunächst konnten die beiden nichts entdecken, doch dann sahen sie am Ende des Gartens etwas blinken. Als sie näher kamen, erkannten sie einen kleinen Stern. Tief in den neuen Schnee gefallen, saß er einfach nur da und schaute ziemlich ratlos drein. Außerdem zitterte er wie Espenlaub.

"Ich glaube er friert", flüsterte Paula ihren Bruder zu.

"Ja, du hast Recht", erwiderte Casper und legte sein Zeigefinger aufs Kinn. Das hatte er bei seinem Vater beobachtet. Wenn dieser nachdachte, legte er auch seinen Zeigefinger aufs Kinn. Bei Vater sah das tatsächlich immer sehr klug aus, was man vom Casper nicht gerade behaupten konnte ...

"Ich hab`s", sagte Casper aufgeregt.

"Was hast du?"

"Na, eine Idee habe ich. Ich gebe dem Stern einfach meinen Schal und meine Mütze, dann ist ihm gleich wärmer." Somit nahm Casper seine Mütze und seinen Schal und legte beides dem Stern um. Dieser hörte zwar umgehend auf zu zittern, musste aber plötzlich niesen.

"Haaaa….tschi", pröddelte es aus ihm heraus. Das war allerdings noch nicht alles, was er von sich gab. Mit leiser Stimme sprach er vorsichtig. "Übrigens, ich bin eine SIE und kein ER. Eine SIE, ein Mädchen also. Eine weibliche Person, die man nicht mit einem ER tituliert. SIE wäre in diesem Fall viel angebrachter. Ich würde es also sehr begrüßen, wenn ihr die Anrede ändern würdet", sagte der Stern und erhob sich. "Vielen Dank für die Mütze und den Schal. Ich heiße übrigens Blinka."

Man kann sich den Schreck der beiden Kinder nur zu gut vorstellen. Paula stolperte und fiel in den Schnee, während Casper vor Überraschung den Mund nicht mehr zumachen konnte. Es war ja auch nicht alltäglich, mit einem Stern zu sprechen.

Blinka blinzelte die beiden verwundert an. "Entweder habe ich eure Namen nicht richtig verstanden, oder es liegt daran, dass ihr sie mir noch nicht genannt habt."

"P…P….Paula", erwiderte Paula und vergaß dabei in vollen Sätzen zu sprechen.

"Ich.. ich.. Casper", sagte Casper daraufhin. Auch er wusste offensichtlich nicht mehr, wie man in vollständigen Sätzen sprach.

"Gut, das wäre geklärt. Wo gibt es denn hier etwas zu essen?", fragte Blinka und fasste sich an den Bauch, welcher gerade laut zu knurren begann.

"Essen?!", murmelten Paula und Casper aus einem Munde. Sie konnten ja auch nicht wissen, dass Sterne essen. Bis jetzt dachten sie, dass Sterne am Himmel hängen und so vor sich hin blinken.

"Nun ja, ich habe Hunger. Ich schätze mal, das ist immer so, wenn man auf die Erde fällt. Na ja, ich mache so etwas zum ersten Mal ..."

"Soll das heißen, dass du zum ersten Mal auf die Erde gefallen bist?", fragte Casper erstaunt, denn das, was er aus dem Fenster beobachten konnte, sah sehr gekonnt aus. Es war ein geradliniger, geschmeidiger Plumps.

"Um es korrekt auszudrücken - und das möchte ich -, bin ich nicht gefallen, sondern herabgestiegen. Das ist nämlich ein himmelweiter Unterschied!"

Paula rappelte sich wieder auf und sprang aufgeregt hin und her. "Ojemine, ojemine, aber wieso tust du so etwas???"

Blinka zog den Schal enger und lächelte betrübt. "Nun ja, es ist meine Aufgabe, an Weihnachten als erste aufzublinken. Jahr für Jahr immer dasselbe. Es ist eine äußerst langweilige Aufgabe. Dazu möchte ich erwähnt haben, dass ich absolut nicht die geringste Ahnung habe, wozu ich diese äußerst langweilige Aufgabe verrichten muß."

"Wie?!"

"Was?"

"Wo?!", schrien die Kinder aufgeregt durcheinander. "Du weißt nicht, wozu du das machst?? Mit dir beginnt doch das Weihnachtsfest!!!"

Paula japste plötzlich. "Oh je, und ohne dich wird auch kein Weihnachtsfest beginnen. Du bist doch hier unten und wenn du hier unten bist, dann bist du nicht da oben. Wenn du nicht da oben bist, kannst du auch nicht blinken. Oh je, muss das so kompliziert sein?? Ich befürchte ich bekomme gleich Migräne …"

Blinka kratzte sich nachdenklich am Kopf. "Ach so ist das. Mit mir beginnt also das Weihnachtsfest auf der Erde. Ist es denn so schlimm, wenn das Fest einmal ausfällt???"

Paula hielt vor Schreck die Luft an. "Dann gibt es doch keine Geschenke", flüsterte sie erschrocken. "Und die Oma…oh die Oma. Die würde auch nicht so schnell wieder kommen. Die wohnt nämlich ganz weit weg, doch zu Weihnachten kommt sie extra angereist."

"Oh ja," fügte Casper hinzu. "Und wir müssten auf das gute Essen verzichten. Und die Familien würden nicht so nett beieinander sitzen. Papa und Mama müssen immer so viel arbeiten, doch an Weihnachten haben sie ganz viel Zeit für uns."

Blinka nickte langsam. Sie konnte verstehen, was die Kinder ihr sagen wollten. An Weihnachten waren alle glücklich. Alle nahmen sich ganz viel Zeit für einander.

Casper packte Blinka am Arm und führte sie zu der anderen Seite des Gartens.

"Siehst du das Haus dort? Da wohnen Frau und Herrn Finke. Ihr Sohn lebt in einem andern Land, aber an Weihnachten kommt er immer zu Besuch. Darauf freuen sich die beiden immer schon das ganze Jahr. Siehst du das Haus nebenan. Da wohnt der grimmige Herr Schneider. Zu Weihnachten ist der aber gar nicht mehr so grimmig. An Weihnachten lächelt er sogar auch einmal. Und dort in dem anderen Haus wohnt eine alte, einsame Dame. Doch an Weihnachten ist sie gar nicht mehr so einsam. Sie wird immer von den Nachbarn eingeladen. Einmal im Jahr ist sie nicht einsam.

Paula sprang wieder aufgeregt hin und her. "Ja, deswegen brauchen wir dich. Ohne dich werden viele Menschen traurig sein. Außerdem…", fügte sie noch leise hinzu "… gibt es ja keine Geschenke." Natürlich waren die Geschenke nicht das wichtigste an Weihnachten, aber allemal doch wünschenswert.

Blinka nickte wissend. "Dann ist meine Aufgabe gar nicht so langweilig wie ich immer angenommen habe. Er ist sogar eine sehr schöne Aufgabe. Es ist gut zu wissen, dass ich einer solch schönen Aufgabe nachgehen darf. Ha, die anderen Sterne werden staunen. Diese Angeber …" Dann blickte Blinka die beiden Kinder ganz traurig an. Das heißt dann aber, dass ich mich von euch nun verabschieden muss. Es war wirklich nicht meine Absicht, dieses Weihnachtsfest zu stören. Also gehe ich wohl lieber zurück zu meiner schönen Berufung."

So umarmte Blinka die Kinder herzlich. Paula weinte leise, da sie Blinka so lieb gewonnen hatte. Casper gab dem Stern einen Schups und dieser flog wieder an seinen Platz zurück. Kurz danach blinkte der erste Stern wieder am Himmel auf.

Als die Kinder wieder ins Haus gingen, standen ihre Eltern am Fenster und blickten verwundert zum Himmel. "Eigenartig", flüsterte der Papa zu der Mama, "ich könnte schwören, dass ich gerade einen Stern sah, wie er von der Erde zu Himmel hinauf stieg."

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