Unser Buchtipp Weihnachtsgeschichten

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Eingereicht am
18. März 2007

Wochenendeinkauf

© Walter Landin

Eigentlich hätte er es sich denken können. Es konnte einfach nicht reibungslos ablaufen. Wie naiv war er doch gewesen, war früh aufgestanden, mit Absicht, wollte bei den Ersten sein, spätestens um elf wieder zu Hause. Der dichte Verkehr durch die Innenstadt, erst auf der Ausfallstraße etwas Beruhigung. Schon von weitem sah er die Autoschlange auf dem Zubringer zum Einkaufszentrum. Ein Samstagmorgen Ende November. Schritttempo, längere Standpausen. Die guten Parkplätze waren alle besetzt, nur ganz weit hinten waren noch einige wenige frei. Er schaute auf die Uhr, viertel vor zehn schon. Und der lange Einkaufszettel. Endlich, eine Lücke. Draußen war es verteufelt kalt, und er hatte nur seine dünne Jacke angezogen. Für die paar Meter, raus aus dem Auto, rein ins Geschäft, hätte sie allemal gereicht. Er machte sich auf den langen Weg, schlug den Jackenkragen hoch, steckte seine eisigen Finger in die Hosentaschen. Keine Einkaufswagen am Abstellplatz, natürlich. Anstellen an den Kassen, warten, bis ein Wagen frei wurde. Ihm blieb nichts anderes übrig. Vor ihm stritten sich eine Frau und ein Mann um einen freigewordenen Einkaufswagen. Die Frau hielt den Wagen am Griff fest, der Mann zerrte an der anderen Seite, war rot angelaufen, blies seine Backen auf. Er schaute fasziniert zu, konnte sich kaum losreißen. Aber der Wochenendeinkauf. Langsam rückte er vor, ergatterte nach endloser Warterei endlich einen Einkaufswagen. Der Wagen quietschte, das linke Vorderrad blockierte. Er musste kräftig schieben, der Wagen rollte nicht, es war mehr ein Rutschen. Zwanzig nach zehn. Eine endlose Schlange schob sich durch den Hauptgang. Er reihte sich in den Strom ein, ließ sich treiben, mitreißen, griff geistesgegenwärtig nach den Nudeln und den Spaghetti, vergaß die Tortellini. Es gab kein Zurück. Hinten bei den Putzmitteln ließ der Verkehr nach. Hier war es möglich, auch einmal stehen zu bleiben, die Waren zu prüfen, Preise zu vergleichen.

"Haben Sie schon probiert? Die neuen Pizza-Kräcker, ein Gedicht, sage ich Ihnen!"

Ehe er sich wehren konnte, schmeckte er etwas Scharfes, Salziges im Mund. Er musste kauen. Die Frau mit roten hochtoupierten Haaren schaute ihn erwartungsvoll an.

"Nicht schlecht", brachte er heraus.

"Und, wie viele möchten Sie?"

Die Frau legte ihm zwei Pakete in den Wagen, wollte, da er bisher nicht widersprochen hatte, ein drittes dazupacken, aber er schob den Wagen schnell weiter. Am nächsten Regal der nächste Sonderverkaufsstand.

"Das haben Sie noch nie probiert, Weltneuheit, Maracuja-Likör!"

Er wollte erst abwinken, aber der salzige Geschmack im Mund.

"Also gut, aber nur einen Kleinen."

Der Verkäufer, ein Mann in seinem Alter, gepflegter Anzug, Krawatte, goss ein Plastikgläschen randvoll mit einer grünlichen Flüssigkeit. Er kippte es mit einem Zug hinunter. Erst ein Brennen, dann ein süßlich-seifiger Nachgeschmack.

"Wunderbar, aber ein andermal."

Wenigstens war er den salzigen Kräcker-Geschmack los. Er machte, dass er weiterkam und bog in eine Seitenstraße ein. Dieser durch und durch gehende Ton, markerschütternd. Er zuckte zusammen. Aus dem Nachbargang bog ein großer Mann um die Ecke. Der Mann war mit einem karierten Röckchen bekleidet und spielte auf einem Dudelsack. Auf seinem Rücken hing ein Plakat: "Probieren Sie an unserem Stand in der Lampenabteilung!" Also, auf keinen Fall in die Lampenabteilung, obwohl er zwei Glühbirnen brauchte, 40 und 60 Watt. Die konnte er auch noch nächste Woche besorgen. Den Kaffee nicht vergessen, dick unterstrichen auf seinem Einkaufszettel. Wo war der nur?

"Ein Schlückchen Kaffee gefällig? Sie werden staunen, gefriergetrocknet, schmeckt wie aufgebrüht. Die ganz Schlauen bereiten ihn in der Kaffeemaschine."

Er schüttelte den Kopf. Erst als er in der Autozubehörabteilung angelangt war, fiel ihm auf, dass er den Kaffee vergessen hatte. Schon wieder dieser Mann mit dem Dudelsack. Die scheinbar immer gleichen, schrillen Tonfolgen. "Probieren Sie an unserem Stand in der Lampenabteilung!" Probieren, aber was? Wie kam er am schnellsten zur Kasse?

Der Kaffee! Nochmals den ganzen Weg zurück? Nicht um alles in der Welt.

"Die allerfeinsten Pralinen, bitte sehr, mein Herr!"

Er erschrak. Sein Nein-Danke ging unter in dem kreischenden Dudelsackspiel. Der Spieler mit dem Schottenrock war aus dem Gang mit den Konserven aufgetaucht. Konserven, klar, Erbsen, Bohnen, Tomaten. Hektisch stopfte er die erstbesten Dosen in seinen Einkaufswagen. Eine Frau mit einem Tablett kam zielstrebig auf ihn zu. Schnell raus aus dem. Gang. Eine gelbliche Flüssigkeit in Plastikbechern. Wo geht es nur zur Kasse?

"Sie wissen ja gar nicht, was Ihnen da entgeht!" Wieder die Pralinenfrau. Er schaute an sich herunter, sein leichter Bauchansatz, die Sticheleien seiner Frau. Er war stolz, dass er widerstand. Da vorne, die Kassen! Er konnte es kaum glauben. Es herrschte nicht einmal ein großes Gedränge. Den Stand mit den Kartoffel-Chips, direkt neben der Kasse, ließ er links liegen. Er schaute sich schnell nach allen Seiten um, nahm die Pizza-Kräcker, beide Packungen, nochmals ein schneller Blick, und ließ sie unauffällig in der Tiefkühltruhe verschwinden. Da, schon wieder der Typ mit dem Dudelsack, der sich durch die Reihen der Einkaufswagen quetschte. Es ging zügig voran. Seine Rechnung war erstaunlich niedrig. Kein Wunder, vier Päckchen Nudeln, einige Konservendosen.

"Die Geschäftsleitung bedankt sich für Ihr Vertrauen!"

Ein Mann in schwarzem Frack, weißem Hemd, dunkler Fliege, hielt ihm ein Sektglas hin.

"Danke, nicht am frühen Morgen!"

Geschafft, draußen, endlich! Er schaute auf die Uhr. Kurz nach halb eins. Deshalb hatte ihn also der Mann mit den Sektgläsern so überrascht angestarrt.

"Hier noch ein kleines Präsent für Ihre Gattin zu Hause."

Und schon hielt er eine in Cellophanpapier eingewickelte Rose, noch dazu rot, in der Hand. Er drehte sich um. Von wem hatte er die bekommen?

Ein ohrenbetäubender Lärm ließ ihn zusammenfahren. Im ersten Moment dachte er an den Dudelsackspieler. Aber dann tauchte ein Weihnachtsmann mit langem weißem Rauschebart neben ihm auf. Mit einer Kettensäge fuchtelte er ihm vor dem Gesicht herum. Der Weihnachtsmann gab Gas, die Kettensäge heulte auf. Als die Säge etwas langsamer und leiser drehte, verstand er den Weihnachtsmann.

"Benzin-Kettensäge, überall sofort startbereit, 2,3 PS-Motor, 45 cm Schwertlänge, 299 Euro, Weihnachtssonderverkauf!"

Wieder ließ der Weihnachtsmann die Kettensäge aufkreischen.

"Sie wissen doch, es gibt immer was zu tun."

Er schüttelte den Kopf und versuchte einen Gang zuzulegen, was mit dem blockierenden Einkaufswagen gar nicht so einfach war. Endlich schaffte er es und schüttelte den kettensägenden Weihnachtmann ab.

Auf dem restlichen Weg zum Auto schob und drückte er den quietschenden Einkaufswagen mit einer Hand, die andere vergrub er tief in seiner Hosentasche. Ganz unten, klein zusammengeknüllt, ertastete er den Einkaufszettel.

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