Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt.
Eingereicht am
|
Der andere Nikolaus© Ina SchmittIch hatte alles vorbereitet. Herr Schubert von nebenan sollte den mit Nüssen, Mandarinen und einem kleinen Geschenk gefüllten Leinensack vor unserer Haustür abstellen und genau um 18:00 Uhr mit einem hellen Glöckchen, das ich ihm leihweise übergeben hatte, mehrmals schellen und sich dann rasch entfernen. Denn eines wollte ich nicht: Dass sich meine Tochter Sabrina vor dem Nikolaus so fürchtete, dass sie noch Jahre später von der Begegnung Albträume bekäme. Ich hatte mir vorgenommen, allen einen schönen Vorweihnachtsabend zu bereiten. Vor allem wollte ich meinem eigenen Vater zeigen, dass man Kindern auch einen "anderen Nikolaus" nahe bringen konnte. Ich erinnere mich nämlich heute noch mit Grauen an das "Schwarze Buch", in dem all' meine Untaten eines ganzen Jahres fein säuberlich notiert waren und aus dem der große Mann im roten Mantel und dem weißen Bart am Abend des sechsten Dezembers vorlas. Nun saßen wir mit Opa zusammen am Esstisch und warteten. Sabrinas Wangen glühten schon vor Aufregung. "Wann kommt denn endlich der Nikolaus?" "Sei froh, wenn er nicht kommt!", warnte mein Vater. "Wer weiß, ob er dich mitnimmt?" "Och. Dann nehme ich eben die Schere mit und schneide den Sack einfach auf. So hast du es doch auch gemacht, Opa!" Himmel! Was hatte er ihr schon alles für einen Käse erzählt! Ein Blick auf die Uhr sagte mir: Es war gleich sechs. Da hörten wir ein lautes Stapfen vor der Tür. Das war zwar nicht abgesprochen, aber es passte. Ein helles Klingeln des Glöckchens ertönte. "Der Nikolaus!", rief meine Tochter erfreut und wollte gleich zur Haustür rennen. "Moment, Schatz!" Ich stellte mich ihr in den Weg. "Du weißt doch, dass du erst fragst, wer es ist, bevor du aufmachst!" Ich hoffte, dass Herr Schubert die Zeit nutzte, um schnell um die Ecke zu verschwinden. Es läutete wieder. Diesmal war es unsere Türglocke. Was sollte denn das nun? Ich hegte schon einen leichten Groll gegen unseren Nachbarn, weil er sich nicht an die Absprachen gehalten hatte. "Wer ist es?", fragte Sabrina laut und hüpfte vor Aufregung von einem Bein auf das andere. "Der Nikolaus", dröhnte es mit einer dunklen Männerstimme von draußen herein. Ich kochte innerlich. Wie konnte er sich erlauben, sich nicht an die Spielregeln zu halten! Vorsichtig öffnete ich die Tür. Der Sack stand da. Aber da stand auch ein Mann vor der Tür. Allerdings nicht Herr Schubert! Fassungslos starrte ich ihn an. "Wer sind denn Sie?" "Hab' ich doch schon gesagt: Ich bin der Nikolaus! Hab' auch einen Sack mitgebracht." Sabrina hatte sich mittlerweile an mir vorbeigezwängt und musterte "ihren" Nikolaus argwöhnisch von oben bis unten. "Du siehst aber komisch aus! So schwarz!" Der Nikolaus schmunzelte. "Du kannst auch Schornsteinfeger zu mir sagen. Darf ich reinkommen?" Das hatte ich ja komplett vergessen! Mit einem kleinen rosa Zettel im Briefkasten hatte er seinen Besuch vor ein paar Tagen angekündigt. "Natürlich. Treten Sie nur ein!" lachte ich. Sabrina hatte schon den Sack ins Esszimmer gezogen. Sie war sichtlich enttäuscht, dass keine Zuckerrute vom Knecht Ruprecht darin steckte. Unterdessen begleitete Opa unseren überraschenden Besucher zum Speicher. Als wir anschließend noch gemütlich mit unserem "anderen Nikolaus" bei einem Glas Rotwein auf die schöne Vorweihnachtszeit anstießen, fragte Sabrina schon fast ein bisschen vorwurfsvoll in die Runde: "Kommt dann wenigstens nächstes Jahr der echte Nikolaus?" Opa schmunzelte nur. "Aber nur, wenn deine Mutter damit einverstanden ist!"
Weihnachtsgeschichten unserer Autoren
Ich habe schon einige Weihnachtsgeschichtensammlungen gelesen und kann mich nur an ein Buch erinnern, das ähnlich gut war! Wenn Sie einen Kommentar abgeben möchten, benutzen Sie bitte unser Diskussionsforum. Unser Autor ist sicherlich genau so gespannt auf Ihre Meinung wie wir und all die anderen Leser. Copyright-Hinweis: Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. |