Unser Buchtipp Weihnachtsgeschichten

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Eingereicht am
19. März 2007

Aus dem Leben eines Wassermoleküls

© Björn Breitkreuz

Es schickt sich nicht, eine Erzählung zu beginnen, ohne den Protagonisten vorzustellen. Sie mögen mir das bitte verzeihen, jedoch wäre dies in meinem Fall ein wenig kompliziert. Ich bin ... wie soll ich sagen ... keine Person, wie Sie es sicher erwartet hätten. Dann wäre das alles auch überhaupt kein Problem. Ich würde mich vorstellen, mich beschreiben und dann etwas Interessantes erzählen. Aber so einfach ist das in meinem Fall eben nicht. Meinen Namen kann ich Ihnen nicht nennen, weil ich keinen habe. Merkwürdig - denken Sie jetzt bestimmt. Oder gar unhöflich. Doch weder noch. Sie werden es gleich verstehen. Zu meiner 'Person' komme ich noch. Auch das wird sie überraschen, da bin ich sicher. Über mein Leben möchte ich auch erzählen, denn meine momentane Situation lässt es zu, Ihnen ein wenig von mir und meinem Treiben zu berichten. Oh je, - da beginne ich auch schon gleich mit einem Wortspiel:
Treiben.

//Also schön. Dann fange ich mal an.//

Ich bin eine Schneeflocke.

Ja ja, Sie lachen, aber es stimmt. Also jedenfalls zurzeit bin ich eine Schneeflocke. Die Temperaturen sind schuld daran. Denn es ist recht kalt. Und wie Sie sicher wissen, entsteht aus Niederschlag bei kalten Temperaturen eben Schnee. Ist halt so. Also, eigentlich bin ich ja auch nur ein winziger Teil dieser Flocke, denn eine Schneeflocke besteht ja aus mehreren Wassermolekülen. Das haben Sie doch bestimmt in der Schule gelernt. Und so ist es auch. Na ja, und da wir hier alle Saisonarbeiter sind, und jetzt Winter ist, sind wir eben als Schneeflocke unterwegs.

So eine Schneeflocke wird von den Menschen zwar immer romantisiert.

Gerade neulich habe ich, während wir so umhergewirbelt sind, von irgendwoher ein Lied gehört, dessen Refrain so in etwa 'Schneeflöckchen- Weißröckchen, wann kommst du geschneit...'- etwas in der Art. Ziemlich subtil. Da merkt man, dass die Menschen eigentlich nichts über uns wissen. Ich sage Ihnen, da ist nichts Angenehmes dran, so dicht an dicht mit all den anderen oft über einen langen Zeitraum zusammengepresst in einem Eiskristall zu sein. Ich meine, die kommen ja von überall her. Sie wissen doch wie das läuft, oder? Die Feuchtigkeit aus den Meeren verdunstet, steigt empor, sammelt sich in Wolken, und dann... ja dann wartet man ab, wohin einen der Wind so treibt. Mal wird man als Regen auf die Erde geschickt, oder auch eben als Schnee. Und es sind immer natürlich andere Wassermoleküle, mit denen man zusammenarbeiten muss.

Sie werden es nicht glauben, aber auch unter denen gibt es solche und solche. Das sind nicht alles angenehme Zeitgenossen. Manche sind unfreundlich, schmutzig, maulfaul, fremdländisch, so dass man sich nicht mal unterhalten kann. Ja, da staunen Sie, was? So haben Sie das bestimmt noch nicht gesehen, nicht wahr? Aber es ist so. Und es ist alles so schrecklich anonym. Niemand hat einen Namen. Warum eigentlich nicht? Ich meine, es gibt ja schon tatsächlich eine ganze Menge Wassermoleküle, das stimmt wohl. Aber ist das ein Grund, dass wir keine Identität besitzen?

Ich meine, von Ihnen, den Menschen, gibt es ja auch reichlich. Aber nur weil man noch nicht entdeckt hat, dass auch wir über ein gewisses Wesen verfügen, werden wir nicht weiter beachtet. Ich kenn das doch. Da heißt es immer nur 'Och, der Regen', oder 'Nebel', 'Schnee'. Ich weiß das wohl. Und dann kann man es den Menschen auch nie recht machen. Mal ist der Niederschlag zu nass, zu lange, zu stark, zu wenig... Ich will Ihnen mal eines sagen: Wir können uns das auch nicht aussuchen! Wir müssen das machen, was uns aufgetragen wird. Das ist nicht immer lustig. Bezahlt wird es auch nicht. Urlaub? Soziale Bindungen? Nun werden Sie mal nicht komisch. Sie finden das Ganze bestimmt sehr amüsant, das kann ich mir vorstellen.

Und dann immer dieser ständige Wechsel der Einsatzorte. Ich versichere Ihnen, dass das nicht einfach ist. Oh ja... Sie denken bestimmt, es müsste doch sehr reizvoll sein, immer auf Reisen zu sein. Anfangs war es das ja auch. Das Neue, das Unbekannte. Nur dürfen Sie nicht vergessen, dass ich nicht all zuviel von den Ländern sehe. Zugegebenermaßen... die Sonnenaufgänge sind immer wieder ein toller Anblick. Aber ansonsten... immer das stetige Auf und Ab. Zur Erde fallen, dort eine Zeitlang in irgendeiner Form verweilen, dann zieht einen die Sonne wieder rauf, und man hängt in einer Wolke bis zum nächsten Einsatz fest.

Ich verrate Ihnen mal, was für mich der angenehmste Arbeitseinsatz ist:

Als sanfter Sommerregen auf die Erde zu fallen, und ein paar Tage in einem schönen, ruhigem Bergsee zu treiben. Diese himmlische Ruhe... Oh ja... was ich persönlich noch mag ist es, als Regentropfen auf einem Blatt oder Grashalm zu landen, und still auf ihm zu verweilen.

Das Meer wiederum ist nichts für mich. Diese ganzen Wellen. Ich werde nämlich schnell seekrank. Sie glauben mit nicht? Doch doch, so was gibt es auch bei uns. Etwas, was auch nicht unbedingt angenehm ist, ist als Trinkwasser für Tiere verwendet zu werden. Nein, wirklich nicht. Das ist ziemlich eklig, das können Sie mir glauben. Ich erspare Ihnen da mal die unappetitlichen Einzelheiten. Na schön... früher oder später kommt man da wieder raus, und landet auf einer Wiese, und verdunstet wieder, etc.

Aber schön ist das nicht. Gehört jedoch zum Job dazu.

Sie fragen sich bestimmt, wie lange ich das schon mache. Gute Frage. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich komme ja immer wieder in irgendeiner Form zurück, und ich weiß beim besten Willen nicht, wie lange ich schon dabei bin. Kommt mir wie eine Ewigkeit vor, und vermutlich ist es das auch. Es heißt immer 'der Lauf der Dinge'. Und genau davon bin ich ein Teil. Ein klitzekleiner Bestandteil der Natur, der eigentlich von niemand wahrgenommen wird, aber doch durchaus wichtig ist. Denken Sie mal gut darüber nach. So schnell wird Ihnen ein Wassermolekül mit Sicherheit nicht aus seinem Leben berichten, soviel steht fest.

Momentan befinde ich mich mit vielen anderen meiner Art als Schneeflocke zusammengequetscht in einem Schneemann, den Kinder gebaut haben. Das ist nun schon einige Tage her. Sie machen sich keine Vorstellung, wie langweilig und eng es hier drinnen ist. Vermutlich werden wir hier auch noch einige Zeit ausharren müssen. Die Außentemperaturen lassen noch kein Tauwetter einsetzen. Also heißt es abwarten. Viele Alternativen habe ich nicht. Ich sehne mich wieder nach dem Sommer. Nach einem idyllischen Bergsee. Ja, auch ein Wassermolekül hat so seine Träume.

Nun ja- ich dachte, ich erzähle Ihnen mal ein wenig aus dem Leben eines Wassermoleküls.

Vielleicht lande ich ja auch mal in irgendeiner Form bei Ihnen. Als Regentropfen auf Ihrer Fensterscheibe, als Nebelschwade während eines Herbstspaziergangs, oder auch als Schneeflocke, die vom Himmel zur Erde fällt, und sich auf Ihrem Wintermantel niederlässt. Und vielleicht denken Sie dann an diese kleine Erzählung.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachten.

P.S.: Bei der Gelegenheit möchte ich eine Bitte an Sie äußern: Bitte unterlassen Sie Schneeballschlachten. Für Sie ist das offenbar lustig, aber uns wird dabei immer speiübel.
Vielen Dank im Namen aller Schneeflocken.

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