Unser Buchtipp Weihnachtsgeschichten

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Eingereicht am
22. März 2007

Das andere Weihnachtsfest

© Ulrike Dansauer

Es gibt nicht viele Tage im Leben, die sich in ein Gedächtnis einbrennen können. Wenn sie es aber tun, dann geschieht das mit aller Macht. Einen solchen Tag erlebte ich an Weihnachten vor 20 Jahren. Ich war damals 10 Jahre alt und konnte, wie alle Kinder, Weihnachten kaum erwarten. Die Stimmung an Weihnachten mit all den feinen Lebkuchen, Zimtplätzchen, Dominosteinen, der Duft von frisch geschälten Mandarinen, der Geschmack von selbst geknackten Nüssen und der ganz spezielle Duft der Kerzen auf dem Weihnachtskranz und die Weihnachtsdekoration mit den prächtig angezogenen Rauschgoldengeln und den hübsch verzierten Nussknackern, mit denen meine Mutter das Haus schmückte, versetzte mich jedes Jahr aufs Neue in freudige Erwartung.

Einziger Wermutstropfen in der Vorweihnachtszeit war meine Großmutter, die schon seit längerem im Krankenhaus lag und sich nicht richtig von einer Lungenentzündung erholte.

"Oma, aber zu Weihnachten bist du wieder ganz gesund, nicht wahr?", fragte ich sie jedes Mal, wenn wir sie besuchten.

Meine Großmutter lächelte, drückte meine kleine Hand und sagte: "Aber ja, ich bin mir sicher, dass es mir bald wieder besser geht."

Aber schon damals merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Als Kind nimmt man vieles vielleicht nicht bewusst wahr, aber ein Kind hat Instinkte, die sich nicht trügen lassen, und diese Instinkte sagten mir, dass jemand, dem es eigentlich besser gehen sollte, nicht noch blasser und schwächer wird als er ohnehin schon ist. Umso mehr Sorgen machte ich mir.

Eines Morgens kurz vor Weihnachten kam meine Mutter zu mir, setzte sich neben mich und rang sichtlich um Worte. Daran und an ihrem ernsten Gesicht konnte ich erkennen, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Eine schlimme Vorahnung überkam mich.

Nein, bitte nicht! Bitte nicht das!

Schließlich sagte meine Mutter: "Stefanie, heute morgen hat das Krankenhaus angerufen. Oma ist heute Nacht gestorben."

Ich hatte es zwar geahnt, aber wer will schon gerne eine schlechte Nachricht bestätigt haben? Ich krampfte meine Finger zu einer Faust zusammen und hörte weiter zu.

"Die Ärzte sagen, dass sie keine großen Schmerzen hatte. Sie ist eingeschlafen und dann nicht mehr aufgewacht."

Das konnte mich nicht trösten. Der Tod hat etwas schrecklich Endgültiges. Das war auch mir schon bewusst. Ich erinnerte mich an meinen Hamster, den ich eines Morgens tot in seinem Käfig aufgefunden hatte und an meinen Hasen, der wegen Krebs hatte eingeschläfert werden müssen. Einen leeren Käfig zu betrachten, in dem nie wieder der geliebte Hamster schon an den Gitterstäben auf und ab kletterte, wenn ich kam, weil er genau wusste, dass er gleich Futter bekommen und gestreichelt werden würde, nie wieder meine Nase in das duftende Hasenfell versenken und das Häschen an mich drücken zu dürfen, nur noch die kleinen selbst gebastelten Kreuze sehen zu können, unter denen meine Tiere lagen, war für mich so unendlich unwiderruflich. Als wäre ein Faden durchtrennt worden.

Und der Tod meiner Großmutter riss ein noch größeres Loch.

Nie mehr in Omas braune, sanfte Augen sehen. Nie mehr von Oma getröstet werden, wenn ich mir mal wieder das Knie aufgeschlagen habe. Nie mehr mit Oma sprechen und lachen können. Nie mehr.

Die nächsten Tage verkroch mich in meinem Zimmer und wollte niemanden sehen. Um alles noch schlimmer zu machen, erfuhr meine Familie, dass der Pfarrer nur an Heiligabend Zeit hatte, meine Großmutter zu beerdigen.

Ausgerechnet Weihnachten! Warum ausgerechnet Weihnachten? Ist das nicht das Fest der Freude, der Liebe und des Lebens? Natürlich dachte ich als Kind noch nicht so abstrakt, aber der Gegensatz zwischen Weihnachten und Beerdigung war auch mir auf schmerzhafte Weise klar und ich war wütend auf Gott und diese blöde, ungerechte Welt.

Ich sollte mit auf die Beerdigung. Ich wehrte mich.

"Nein, ich will nicht! Lasst mich hier! Mama, Papa, bitte, ich kann das nicht! Es tut so weh!"

"Aber Stefanie! Du bist doch schon ein großes Mädchen! Und glaubst du nicht, dass Oma traurig sein wird, wenn sie vom Himmel zu uns herunterschaut und sieht, dass du nicht da bist? Sie wird sicher denken, du hast sie nicht mehr lieb!", beschworen mich meine Eltern.

Wer kann sich so einem Argument schon entziehen? Ich jedenfalls konnte es nicht. Trotzdem beneidete ich meinen jüngeren Bruder, der noch zu klein war, um an der Beerdigung teilzunehmen und deshalb diesen Tag bei meiner anderen Großmutter verbringen durfte.

Am Morgen des Heiligabends herrschte beklommene Stille. Wir machten uns schweigend fertig und fuhren meinen Bruder zu meiner Großmutter. Mein Vater hatte während der Fahrt zum Friedhof die Lippen fest zusammengekniffen und meine Mutter schaute abwesend aus dem Fenster. Ab und zu strich sie mir übers Haar und versuchte aufmunternd zu lächeln, was ihr aber nicht so ganz gelingen wollte. Ich versuchte tapfer zurückzulächeln, aber ich glaube, es gelang mir genauso wenig.

Von der Beerdigung selbst ist mir nicht allzu viel im Gedächtnis geblieben. Wahrscheinlich hängt das damit zusammen, dass das Gehirn unangenehme Erfahrungen automatisch verdrängt oder sie beschönigt. Ich weiß noch, dass die gesamte Familie meines Vaters und einige Bekannte und Freunde meiner Großmutter erschienen waren, in schwarzer Kleidung, die sich kaum von dem nebligen, grauen Morgen abhob. Auch an die Ansprache des Pfarrers erinnere ich mich nur noch dunkel, da ich nicht alles, was er sagte, verstand. Aber ich weiß noch ganz genau, dass er sich redlich bemühte, eine Brücke zwischen Beerdigung und Heiligabend zu schlagen, indem er den Tod als Teil des Lebens darstellte, und die Geburt Jesu Christi den Menschen auch in dunklen Zeiten Hoffnung und neues Leben schenken würde. Mir sagten diese Worte zwar wenig, aber die aufrichtige Anteilnahme des Pfarrers an unserer Trauer und das Bemühen, uns zu trösten, beeindruckten mich. Ich glaube, auch an ihm ging es nicht spurlos vorbei, dass er ausgerechnet an Weihnachten jemanden beerdigen musste. Als meine Großmutter schließlich zum ausgehobenen Grab getragen und in die Erde gesenkt wurde, spürte ich, wie die Hand meines Vaters auf meiner Schulter zitterte. Ich drückte mich enger an ihn. Ich selbst fühlte mich irgendwie leer und kalt. Es war wie ein Überzug aus Eis, der sich auf mein Inneres gelegt hatte und mich davon abhielt, Gefühle zu empfinden. Tränen, die die Eisschicht hätten schmelzen können, hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht, die kamen erst später. Vielleicht war das auch ganz gut so, denn wenn ich erst einmal angefangen hätte zu weinen, dann hätte ich bestimmt nicht mehr aufgehört.

Und meine Eltern waren mit ihrem eigenen Kummer genug beschäftigt, auch wenn sie versuchten, es zu verbergen.

Aus heutiger Sicht war es wohl das Beste, dass ich mitgegangen bin. Denn so schlimm es auch war, den Sarg zu sehen, die Traueransprache zu hören und zuzusehen, wie allmählich die Erde den Sarg bedeckte, in dem meine Großmutter lag, so hilfreich ist es im Nachhinein, die Gelegenheit zu haben, Abschied zu nehmen.

Wieder zuhause angekommen versuchten wir, so etwas wie Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen, obwohl keiner so recht Lust dazu verspürte. Aber schon um meines kleinen Bruders willen, den wir nach der Beerdigung wieder abgeholt hatten, bemühten wir uns doch. Mein Bruder, der schon ganz aufgeregt war und sich sichtlich auf das Christkind freute, und ich gingen in unsere Zimmer, damit das Christkind die Geschenke verpacken und unter dem festlich geschmückten Weihnachtsbaum verteilen konnte. Dann rief uns meine Mutter mit der "Weihnachtsglocke", einer kleinen, messingfarbenen Glocke mit einem wunderschönen Klang, den ich immer noch mit Weihnachten verbinde. Mein Bruder stürmte auch gleich ins Wohnzimmer, in dem der Weihnachtsbaum mit der Krippe und den Geschenken stand. Ich kam etwas langsamer nach, denn ich dachte noch an meine Großmutter und an die Weihnachten, die wir mit ihr verbracht hatten. An den kleinen, lilafarbenen, glitzernden Vogel, den sie immer anstelle eines Sterns auf die Spitze des Weihnachtsbaums gesetzt hatte. An die selbst gestrickten Jacken und Pullover aus Schafswolle unterm Weihnachtsbaum, die mich zwar gekratzt hatten, die ich aber trotzdem aufhob, weil meine Großmutter sie für mich gestrickt hatte. An die Weihnachtskerzen, deren Licht ihre Augen zum Leuchten gebracht hatten.

Und da beschloss ich, dass meine Großmutter auch dieses Weihnachten mitfeiern sollte. Auf einmal war ich fest davon überzeugt, dass sie noch bei uns war, auch wenn ich sie nicht mehr sehen oder hören konnte, denn ich konnte trotz meiner Trauer eine innerliche Wärme fühlen, die vorher nicht da gewesen war und die ich immer in der Nähe meiner Großmutter verspürt hatte. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie sie in ihrem grünen Lieblingskleid und ihrer Schürze am Türrahmen meines Zimmers lehnte und mich anlächelte. Dann streckte sie ihre Hand zu mir aus. Glücklich nahm ich ihre Hand und wir beide gingen zusammen ins Wohnzimmer, wo unsere Familie schon auf uns wartete.

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