Unser Buchtipp Weihnachtsgeschichten

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Eingereicht am
25. März 2007

Der ganz normale "Weihnachtswahnsinn!"

© Renate Homola

Eigentlich nervte sie alles. Wohlgemerkt ALLES!

Angefangen von ihrem Job. Genau genommen hatte sie zwei davon. Teilzeitarbeit versteht sich.

In ihrem Hauptjob war es leider so gut wie unmöglich an eine Vollbeschäftigung zu gelangen, obwohl man ihr dies seit über einem Jahr immer wieder in Aussicht stellte, um es dann doch mittels fadenscheiniger Ausreden immer wieder aufzuschieben.

Da sie vor kurzem ein Haus gebaut hatten, war sie gezwungen, des lieben Geldes wegen an den Wochenenden dazu zu verdienen. Sehr familienfreundlich, montags bis freitags in Abendteilzeit und an den Wochenenden dafür den ganzen Tag außer Haus.

Ihr Ehemann musste jeden Tag sehr früh raus und so passierte es nicht einmal, dass er schon schlief, wenn sie gegen 21. 30 Uhr nach Hause kam. Im besten Fall war er gerade im Begriff, sich ins Schlafzimmer zu verziehen und blieb dann halt noch netterweise auf eine Zigarettenlänge und fünf Wörter Smalltalk. Auch er arbeitete hart in seinem Beruf und in der wenigen Freizeit die ihm blieb, musste er im Hause diverse Fertigstellungsarbeiten erledigen. Kein Wunder, dass er abends todmüde ins Bett fiel.

Mit ihrem 15-jährigen, pubertierenden Sohn Michael lief es nicht viel anders. Schule, lernen, tägliches Fußballtraining und seit neuestem auch noch eine Freundin, das alles unter einen Hut zu bringen erwies sich als auch nicht so einfach. Wen wunderts da, dass er die halbe Stunde, die ihm noch bis zum Schlafen gehen blieb, lieber mit seiner Freundin vertelefonierte, als sich mit seiner alten Mutter über diverse wichtige oder auch unwichtigere Tagesgeschehnisse zu unterhalten. Irgendwie ja auch verständlich.

Jetzt kam zu ihrem Elend auch noch dazu, dass sie gerüchteweise vernommen hatte, dass ihre Arbeitszeiten abends um zwei Stunden hinaufgesetzt werden sollten. Na super, da kamen ja. familientechnisch gesehen, noch rosigere Zeiten auf sie zu. Von Montag bis Freitag würde sie dann nichts mehr von einem Single unterscheiden, außer die Tatsache, dass sich für einen Ein-Personen-Haushalt zu viel Schmutzwäsche und benutztes Geschirr ansammeln wird, dass sie dann ja locker mitten in der Nacht und an den Wochenenden abends, wenn sie völlig geschlaucht von ihrem Kellnerjob nach Hause kommt, aufarbeiten kann. Irgendwie befürchtete sie, dass dann alles noch mehr auf der Strecke bleiben würde.

Durch Ihre seltenen zwischenmenschlichen Kontakte innerhalb der Familie war es mittlerweile jetzt schon so weit, dass man fast nichts mehr miteinander anzufangen wusste, wenn einmal der seltene Fall eintrat, dass alle zur gleichen Zeit ein paar Stunden gemeinsam verbrachten.

Das alles machte ihr sehr zu schaffen.

Und jetzt stand auch noch Weihnachten vor der Tür. Ihr graute! Nicht nur, dass sie heuer überhaupt keine Lust hatte, sich dem Vorweihnachtsstress zu stellen, war es in den letzten Jahren auch zum festen Brauch geworden, dass sämtliche Verwandte, von Uroma Adele bis zum Baby von Nichte Jennifer zu Besuch kamen, um das Fest der Liebe in ihrem neu erbauten Einfamilienhaus zu feiern.

Sie bangte Jahr für Jahr, dass dieser Tag ohne gröberen Streitereien der einzelnen Akteure über die Bühne ging. Es gab dermaßen viele Streitkonstellationen in ihrer Familie, dass es schon als kleines Weihnachtswunder anzusehen war, wenn alles glimpflich ablief.

Da waren die gefährdeten Paare Oma und Opa, Ehemann uns Sohn, Tante Trudi und Onkel Max, Cousin Walter nebst Gattin, Nichte Jennifer und ihr, an einen verhinderten Grünaktivisten erinnernde, Verlobter Armin. Ach ja, und nicht zu vergessen, ihre Schwiegermutter und Schwägerin Ingrid.

Nur von Schwager Alfred ging keine Gefahr aus, da dieser weder bei seiner Frau noch bei sonst jemanden in der Familie etwas zu reden, geschweige denn zu streiten hatte.

Es bestand vorrangig die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit diverser kleiner bis mittlerer Streitpunkte zwischen den einzelnen Paaren, jedoch könnten diese auch im Laufe des Abends und unter Einfluss von zu großen Verzehr ihres selbstgemachten Weihnachtspunsches, flächendeckend auf die ganze Sippschaft übergreifen.

Da kann es dann schon einmal vorkommen, dass sich Oma und Opa nicht mit dem "besten Ehemann von Allen" über Michaels Erziehung einig waren, oder Onkel Max seine Tochter Jennifer darüber aufklären musste, dass sie eigentlich etwas Besseres als den in seinen Augen arbeitsscheuen Armin verdient hätte.

Tante Trudi konnte aus politischer Gesinnung heraus nicht wirklich mit Cousin Walter, dessen Gattin wiederum nicht verstehen kann, wieso Schwägerin Ingrid mit Schwiegermutter Hanna andauernd über die diversen neuesten Gerüchte aus ihrem Heimatdorf diskutieren muss.

Uroma Adele wird wie jedes Jahr ihr Hörgerät vergessen und ziemlich unrund werden, weil sie so gut wie nichts von den verschiedenen Debatten mitkriegen wird.

Der Lärmpegel, der durch das allgemeine Durcheinander entsteht, bringt dann Klein-Nikolas soweit, seinen Senf mittels lautstarken Gebrüll dazu zu steuern. Was wiederum Tante Trudi dazu veranlasst, ihre Tochter Jennifer über Kindererziehung aufzuklären.

Es war also kurz vor Weihnachten und sie musste sich allmählich Gedanken über die Menüzusammenstellung machen. Was auch nicht so ganz einfach war, weil ein jeder der einzelnen Gäste andere Vorlieben und Abneigungen hatte, so z. B. Tante Trudi cholesterinarmer Halbfettmargarine aus gesundheitlichen Gründen den eindeutigen Vorzug gab, hingegen Opa sich niemals die echte Butter vom Brot nehmen ließe. Sie sollte die Sitzordnung planen und die Verteilung der Gästezimmer. Weiters hatte sie noch den Weihnachtsgroßputz vor sich und noch keinen einzigen Weihnachtskeks gebacken. Ein Termin musste zustande gebracht werden, an dem ihr Mann, ihr Sohn und sie gemeinsam einen Christbaum erstehen können und das ganze Haus gehörte noch weihnachtlich dekoriert.

Irgendwie sollte sie sich auch über ein paar Freizeitaktivitäten informieren, mit denen sie sich und ihrer Familie die Weihnachtsferien verkürzen konnte, denn schließlich hatte man ja gemeinsam eine Woche Urlaub zu überstehen.

Als sie angesichts dieses schier unmöglich zu bewältigenden Arbeitspensum fast so weit war ihr schwer verdientes Geld statt in Lebensmittel und Christbaumkugeln lieber in ein Flugticket, One Way, in die Karibik zu investieren, kam der erste Lichtblick in Form eines Telefonanrufes. Nichte Jennifer, Verlobter Armin und Baby Nikolas sagten ihren Besuch ab, da sie der Meinung waren, es sei an der Zeit, ihre eigene Weihnachtstradition zu kreieren. Somit fielen naturgemäß auch Tante Trudi und Onkel Max aus, die das Fest der Feste natürlich mit ihren Kindern verbringen wollten.

Gerade als sie es sich mit einer heißen Tasse Kaffee gemütlich machen wollte um über diese frohe Botschaft nachzudenken, geschah auch schon das nächste Wunder. Uroma Adele hatte die Grippe, und der Arzt meinte, es sei zwar nicht besorgniserregend, aber in ihrem Alter sollte sie gröbere Anstrengungen, zu denen auch längere Autofahrten zählten, in den nächsten Wochen lieber meiden. Was zwangsweise auch Cousin Walter nebst Gattin fernhalten würde, da diese Adele ja schwerlich alleine lassen konnten.

Ihr Glück noch kaum fassend, meldete sich zu allem Überfluss auch noch ihr Ehemann, um ihr mitzuteilen, dass seine Schwester Ingrid ihm gerade gesagt hätte, dass das gemeinsame Weihnachtsfest heuer leider ins Wasser fallen würde, da Schwager Alfred zu einer Sonderschicht verdonnert worden war, und somit auch die Schwiegermutter zu Hause bleiben würde.

Bei einer zweiten Tasse Kaffee(so wie es aussah, hatte sie jetzt ja mehr als genügend Zeit dafür)nahm sie kurz Bestand auf. Tante Trudi, Onkel Max, Nichte Jennifer, Verlobter Armin und Baby Nikolas, Cousin Walter nebst Gattin und Uroma Adele, Schwiegermutter Hanna, Schwägerin Ingrid und Schwager Alfred, sie alle fielen aus.

Blieben nur noch ihr Ehemann, ihr Sohn und ihre Eltern übrig. Klasse!Das schaffte sie locker, denn Opa hatte noch dazu beschlossen, sämtliche Zutaten fürs leibliche Wohl, in flüssiger sowie in fester Substanz, selber einzukaufen und mitzubringenAlso machte sie sich daran, das Haus zu putzen und weihnachtlich zu schmücken und auch der gemeinsame Termin für den Christbaumkauf stand fest. Da ihr im heurigen Jahr noch ein paar Urlaubstage überblieben, nahm sie sich zusätzlich drei Tage vor Weihnachten frei und somit konnte sie wirklich alles in Ruhe erledigen.

Als der große Tag näher rückte, empfand sie sogar so etwas wie ein bisschen Vorfreude. Am Weihnachtsmorgen konnte sie noch ausschlafen um anschließend bei guter Laune gemeinsam mit ihrer Familie den Baum zu schmücken.

Am frühen Nachmittag trafen ihre Eltern ein. Opa hatte Wort gehalten und von Sekt über Wein bis hin zu Fisch, Salat und Käseplatte, alles mitgebracht. Sogar auf seine über alles geliebte Butter hatte er nicht vergessen.

Zum Auftakt stieß man mit einem Glas Sekt an und nahm eine kleine Vorspeise ein. Dann der große Augenblick der Bescherung. Sie hatten das Ritual beibehalten, seit Michael noch ganz klein war. Er musste das Wohnzimmer verlassen, Opa zündete die Kerzen am Weihnachtsbaum an, Oma läutete das Glöckchen. Ihr Ehemann hatte sich in der Zwischenzeit mit Videokamera und Fotoapparat ausgerüstet. Michael betrat das Zimmer, Opa brachte die Sternschnupper zum Leuchten, aus der Hifi-Anlage erklang "Stille Nacht" und man hielt sich umarmt und sang andächtig volle drei Strophen mit. Die Kerzen wurden ausgeblasen, das Licht aufgedreht und es ging ans Geschenke verteilen. Es war immer noch schön, in die strahlenden Augen eines mittlerweilen 15jährigen zu schauen, als er stolz die kleinen Geschenke, die er für jeden einzelnen mit viel Liebe besorgt oder gebastelt hatte, verteilte. Oma und Opa hatten vor Rührung Tränen in den Augen, Auch sie musste sich zusammen nehmen um nicht laut loszuheulen vor lauter Glück und Besinnlichkeit. Was sie aber unbedingt vermeiden wollte, da ihr Mann alles gnadenlos auf Video festhielt.

Michaels Augen wurden noch größer und strahlender, als es daran ging, seine eigenen Geschenke auszupacken. Die Krönung des Ganzen war die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches, ein eigener Laptop von Oma und Opa. Er bedankte sich so oft und so überschwänglich bei den beiden, dass diese endgültig die Fassung verloren und vor lauter Freude über ihr gelungenes Geschenk erst so richtig losheulten.

Nach der Bescherung gab es dann das Festmahl, man saß gemütlich zusammen, trank ein, zwei Gläschen hervorragenden Rotwein und führte eine angeregte Unterhaltung. Nach einer geraumen Weile bat ihr Ehemann alle in den Keller und kam mit der größten Überraschung für die Großeltern. Er hatte in den letzten Wochen jede freie Minute damit verbracht, dass Kellerstüberl fertigzustellen, was er auch geschafft hatte. Für Oma und Opa war dies das größte Geschenk, das er ihnen machen konnte, da sie aus sentimentalen Gründen an der Einrichtung, die einmal ihnen gehört hatte, hangen. Man verlagerte das Geschehen ins Stüberl, sie spielte noch einmal "Stille Nacht" auf dem Keyboard, und man machte sich im Laufe der Nacht noch über die sensationelle Käseplatte her.

Bis sich nach und nach Einer nach dem Anderen nach einem wohlgelungenen Weihnachtsabend verabschiedete um ins Bett zu gehen. um für den Brunch, den sie für den nächsten Vormittag angesetzt hatten, wieder fit wie ein paar Turnschuhe zu sein.

Sie räumte noch die letzten Gläser in den Geschirrspüler, drehte eine letzte Runde durch die Zimmer um sich zu vergewissern, dass alle gut ins Bett gekommen waren und es ihnen an Nichts fehlte. In jedem der Zimmer überkam sie eine wohlige Wärme, als sie die Menschen betrachtete, die dort friedlich in ihren Betten schlummerten. Sie alle waren für sie das Wichtigste und Liebste auf der Welt und ihr wurde bewusst, dass sie keinen davon missen wollte. Weder zu Weihnachten noch sonst irgendwann in ihrem Leben. Im Geiste tat sie Abbitte an der Familie, die ihr ganzes Leben bedeutete, für die in letzter Zeit oft grolligen Gedanken ihnen gegenüber. Ihr wurde auf einmal schlagartig klar, dass sie zusammen alles schaffen würden, weil sie sich liebten und zusammen gehörten.

Zufrieden legte sie sich neben ihren "besten Ehemann von Allen", kuschelte sich an ihn und ließ den Abend noch einmal in Gedanken Revue passieren. Es war wirklich ein schönes, friedvolles, gelungenes Weihnachtsfest gewesen, wo sich alle gut verstanden hatten und niemand auch nur ansatzweise ein böses oder lautes Wort verlor.

Am allerschönsten und treffendsten hatte es jedoch ihre Mutter formuliert, als sie kurz nach der Bescherung eine kleine Ansprache hielt:

"Mögen wir noch viele Weihnachten so zusammen sitzen und es soll uns nie schlechter gehen wie heute!"

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