Unser Buchtipp Weihnachtsgeschichten

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Eingereicht am
25. März 2007

Eine Tüte Weihnachtsengel

© Vera Leski-Mettbach

"Mama! Wann gehen wir denn endlich zu Poldy?", fragt die kleine Eva ungeduldig und zupft am Mantel ihrer Mutter.

Schon eine Ewigkeit muss die kleine Eva bei ihrer Mutter stehen bleiben, obwohl sie es doch so eilig hat. Nur weil die Nachbarin in ihrem komischen, roten Trainingsanzug und mit dem großen, braunen Hund an ihrer Seite anscheinend etwas Wichtiges zu erzählen hat. Aber das hat sie ja immer, denn sie steht fast den ganzen Tag vor dem blau-weiß gestreiften Garagentor, hinter dem ihr Mann arbeitet. Sie hält alle Leute an, die vorbeigehen, um ihnen von ihren Neuigkeiten zu erzählen, oder eine der Holzfiguren zu verkaufen. Herr Maulwurfsauge bastelt diese lustigen Figuren. Eva allein hat ihm den Namen Maulwurfsauge gegeben, weil er diese kleine, runde Brille mit den dicken Gläsern trägt, die Eva irgendwie an den Maulwurf aus dem Fernsehen erinnert.

"... und da ja bald Weihnachten ist, wäre doch so ein Holzstern im Fenster, oder besser noch, ein paar unserer wunderhübschen Holzengel als Baumschmuck etwas ganz Besonderes, was meinen ..."

Eva bemerkt, dass das Gerede der Nachbarin kein Ende nehmen will. Warum müssen Erwachsene aber auch immer über so uninteressante Sachen reden, fragt sie sich. "Und dabei vergisst Mama Poldy ganz", denkt Eva nun ziemlich wütend und zupft weiter am Mantel der Mutter.

"Irgendwann verhungert er bestimmt; und das nur, weil du unterwegs immer mit so vielen Leuten sprechen musst!", murmelt Eva zwar an ihre Mutter gerichtet, doch viel zu leise und unverständlich. "Warum müssen wir das Gartenhaus in dem Poldy wohnt auch am anderen Ende des Dorfes haben?", murmelt sie weiter. "Warum haben wir nicht, wie Cathleen, einen Garten am Haus? ", fragt Eva sich und kratzt mit einem Stein ein paar Striche in den Bürgersteig. Cathleen, ihre Klassenkameradin, hat einen Hasen Namens Bingo und sie kann jeden Tag zu ihm, sogar mehrmals am Tag, wenn sie will. Sie kann bei ihm sein, wenn es kalt ist und schneit und auch wenn es den ganzen Tag über nur regnet. Immer dann, wenn Evas Mama nicht mit ihr zu Poldy geht. Denn ihre Mama geht nur mit Eva raus zum Garten, wenn der Weg richtig frei ist und dafür muss gutes Wetter sein. Bei Schnee ist der Weg zum Garten sehr schlecht zu begehen und wenn es viel geregnet hat, ist der Weg viel zu matschig. An solchen Tagen übernimmt dann Evas Papa die Pflege von Poldy. Er hat ganz lange Beine und schafft mit seinen Gummistiefeln auch den Weg durch ganz tiefen Schnee oder Matsch. Er mistet den Stall und füttert den kleinen, bunt gefleckten Zwerghasen und manchmal, wenn er etwas mehr Zeit hat, lässt er den kleinen Poldy auch mal im Gartenhäuschen laufen.

Eva weiß, dass Poldy bei ihrem Papa gut aufgehoben ist, denn er vertraute ihr einmal ein Geheimnis an: Als Evas Papa ungefähr in ihrem Alter war, habe er sich auch immer so sehr einen kleinen Hasen gewünscht. Er hat mit seinen Eltern in der Stadt gewohnt und dort war, genau wie bei Eva daheim, kein Platz für einen Garten und somit schon gar nicht für einen Hasen. Immer wieder stand ein Hase auf dem Weihnachts-Wunschzettel oder auf der Liste mit den Geburtstagswünschen, doch nie war der ersehnte Hase unter den Geschenken. Und noch immer würde er ab und zu an den kleinen Hasen denken, der in seinen Träumen so nah war, doch den er nie besessen hat.

Nun war für ihn der Gedanke daran, seiner Tochter diesen Herzenswunsch zu erfüllen, umso stärker. Allerdings wussten Eva und ihr Papa beide, dass die Mama Tiere nicht besonders mag und unter keinen Umständen im Haus dulden würde. Wie gerufen kam deshalb im letzten Jahr dieses Stückchen Garten, das Evas Vater zum Kauf angeboten bekam. Der Garten lag zwar etwas außerhalb des Dorfes, aber es war ein schönes Plätzchen und so nahm er das Angebot direkt an.

Diese Lösung schien perfekt und sie hatten nicht nur Platz für einen kleinen Hasen, sondern auch einen schönen Ort, an dem sie die Sommertage verbringen konnten. Da Evas Papa handwerklich sehr begabt war, baute er schnell auf das neu erworbene Grundstück ein kleines Gartenhäuschen und einen gemütlichen Hasenstall. Um wirklich sicher zu gehen, erzählte der Vater seiner Frau, der kleine Hase, den er eines Tages aus einer Zoohandlung mitbrachte, sei ihnen zugelaufen. Er könne ihn nun doch unmöglich wieder aussetzen und sich selbst überlassen. So hatte auch sie etwas Mitleid und war damit einverstanden, dass sie den kleinen Hasen behielten. Und Evas Papa hatte nun nicht nur seiner geliebten Tochter endlich ihren ersehnten Wunsch erfüllt, sondern auch sich selbst, nach so vielen Jahren. Trotzdem behielt Eva das Geheimnis, das ja nun nicht mehr nur das ihres Vaters war, sondern ihr gemeinsames, für sich, denn sie wollte nicht, dass ihre Eltern sich streiten.

Endlich hört die Frau im roten Anzug auf zu reden und Eva kann mit ihrer Mutter weiter gehen. Nach einer Weile dreht sich Eva noch einmal um und schaut zurück. Sie sieht die Nachbarin wieder mit ihrem Hund vor dem Garagentor stehen. Eva lacht, denn vom Weiten könnte man denken, die Frau in Rot sei der Weihnachtsmann. Daneben das große, braune Tier ist eins der Rentiere des Weihnachtsmannes, welches den Schlitten mit den Geschenken zieht. Gerade sieht sie, wie der Mann aus der Garage kommt und seiner Frau wieder eine seiner neu gebastelten Holzarbeiten zeigt. Es ist etwas Kleines. Vielleicht sind es diese komischen Weihnachtsengel, von denen die Frau vorhin redete. Eva stolpert fast, denn ihre Mutter, die es jetzt auf einmal eilig hat zieht Eva hinter sich her.

Es ist schon Abend und Eva denkt nach. Sie liegt in ihrem Bett und wird gleich schlafen. Doch vorerst beschäftigen sie noch ein paar wichtige Dinge. Zum ersten Mal in ihrem Leben fällt es ihr ein wenig schwer, sich etwas Geeignetes für ihren Wunschzettel einfallen zu lassen. Seitdem es Poldy gibt, zählt nur noch er und es gibt nichts, was für Eva interessanter sein könnte. "Wenn Poldy in meiner Nähe wäre, das wäre schön", denkt sie. Aber dann ist Eva einfach froh, dass sie ihn überhaupt hat. "Was machen da schon die paar Schritte zum Gartenhaus", sagt sie sich und rollt sich in ihrem Bett zur Seite.

Komisch, dass ihr nichts einfällt, da sie doch sonst immer so viele Wünsche hatte. Nach einer Weile schreibt Eva schließlich nur einen einzigen Wunsch auf den Wunschzettel: Ich wünsche mir, dass alle Kinder, die sich einen Hasen wünschen, auch einen bekommen.

Gleich darauf schläft Eva ein. Sie träumt etwas Sonderbares in dieser Nacht: Sie sieht die Nachbarin in der Dunkelheit, wie sie vor dem blau-weißen Tor steht und etwas auf einen großen Schlitten lädt. Es sind Päckchen, lauter kleine Geschenke. Sie hat einen riesigen Berg bunter Pakete auf den Schlitten geladen, dann holt sie den braunen, großen Hund herbei und spannt ihn vor den Schlitten. Eva sieht, wie die Frau mit dem roten Anzug auf den Schlitten steigt und der Hund sich langsam in Bewegung setzt. Erst langsam, dann wird er immer, immer schneller und schließlich, kaum zu glauben, hebt er wirklich ab. Er steigt samt beladenen Schlitten hinauf in den Himmel. Eva sieht noch einen kurzen Moment den roten Anzug der Frau im Himmel leuchten, dann ist auch sie so klein, dass man sie nicht mehr erkennen kann.

Danach sieht Eva, wie am nächsten Morgen ganz viele Kinder eines dieser Pakete unter dem Weihnachtsbaum hervorholen. Sie packen die Geschenke aus, ziehen einen Holzhasen aus der Verpackung heraus und plötzlich, als sie diese Holzfigur in den Händen halten, verwandelt sich der Holzhase in einen echten kleinen Hasen. Die Kinder sind überglücklich und tanzen um den Weihnachtsbaum. Die Jungen und Mädchen tanzen so sehr und schunkeln dabei, dass Eva meint, sie sei selbst dabei. Auf einmal merkt sie, dass es nicht die Kinder sind, die schunkeln, sondern sie selbst, denn ihre Mutter schüttelt leicht an ihr, damit sie aufwacht. Eva schlägt die Augen auf und schaut in das strahlende Gesicht ihrer Mama. "Guten Morgen, mein Schatz! Steh schnell auf Eva, dann können wir zusammen den Weihnachtsbaum schmücken. Schau mal, was ich eben von der Nachbarin mitgebracht hab!", sagt die Mutter und hält ihr eine ganze Tüte voll hölzerne Weihnachtsengel entgegen.

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