Unser Buchtipp Weihnachtsgeschichten

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Eingereicht am
29. März 2007

Eiskristall

© Heidemarie Rottermanner

Dort im Land umgeben von Eis und Schnee hausten die Eiskristallwesen:

Geschickt formten ihre Hände das Eis: Eisblumen. Der Fabrikhalle war eisig kalt, auch die arbeitenden Wesen. Tatja fror, für ein Eiskristallmädchen ein unmöglicher Zustand und sie wusste nicht warum dies so war. Ihr Blick schweifte zum Fenster: Eis und Schnee, tagelang, Monate, Jahre immer.

Die Gedanken des zierlichen, blassen Eiskristallwesens schweiften zum vergangenen Abend, ans Eislaufen: Schön sich zu drehen, laufen und wenden auf spiegelglatten Flächen. Sich wiegend nach der Musik. Der Wind spielte mit ihrem blauweißen Haar. Rückwärts, in voller Fahrt und ach…, da war noch jemand, Anprall, Sturz und unsanfte Landung.

Das Eis war kalt, der Körper schmerzte und dann diese Stimme: "Es tut mir leid. Hast du dir wehgetan. Bitte verzeih!"

"Es war meine Schuld", stammelte Tatja. "Ich war so vertieft und nein, es geht schon wieder."

Diese junge Eiskristalljunge lächelte sie freundlich an, sein Blick aus dunklen, schönen Augen: "Komm!" Er zog sie hoch und gemeinsam wirbelten sie über die Eisfläche.

Tatja hing verloren ihren Gedanken nach und hörte seine Stimme: Die Sterne der Nacht und ich ..."

"Träumt schon wieder, am helllichten Tag, unmöglich. Ein Eiskristall der träumt, na ja Kind armer Leute. Weiß halt nicht was sich gehört. Gestern Abend war sie mit Moran unterwegs. Sieht zu gut aus dieser Bursch", die böse, schneidende Stimme von Ilo, dem eiskalten und scharfzüngigen Eiskristallmädchen, riss Tatja aus den Träumen.

"Dieser Moran ist doch mit Mondina, der Tochter vom Boss verbandet", wisperten die anderen und grinsten boshaft.

"Nicht hinhören", kommandierte Tatjas Verstand, "die sind bloß neidisch." Mechanisch formten ihre Finger Eiskristall für Eiskristall: mein Bild wird schön.

Langsam öffnete sich die Eingangstür: helles Licht blendete sie, die Lampen der Eisstadt und ... sein Blick.

Moran lächelte und kam ihr entgegen. Tatja fühlte sich plötzlich glücklich und frei. "Darf ich dich nach Hause begleiten", war seine Frage.

"Ja, freut mich."

"Wo wohnst du?"

"Oh, es ist nicht weit zu meinem Elternhaus."

"Und dein Zuhause?"

Moran blieb stehen und in seinen Augen stand die Traurigkeit: "Meine Eltern sind schon lange tot, Autoscheinwerfer, du verstehst. Aber jetzt sind sie im Sommerblumental, dort geht es ihnen gut."

"Dort möchte ich auch wohnen", seufzte Tatja, "aber ohne Autoscheinwerfer und zusammen mit meiner Familie und all meinen Freunden. Hier ist unser kleines, schmuckes Häuschen. Kommst du mit rein?"

Und Moran wollte. Doch als das Eiskristallmädchen die Haustüre öffnete, roch es wunderbar nach Essen und Wärme. Der Eiskristalljunge blieb abrupt stehen. "Das gibt es ja nicht", Wärme war für alle Eiskristallwesen gefährlich und tödlich. Doch unbeirrt ging er weiter. Er fühlte sofort, hier ist man zuhause und geborgen. Im Kamin knisterte das Feuer, Decken und Polster luden zum Kuscheln ein. Eigentlich müsste er jetzt schmelzen, doch sonderbar er hatte keine Angst. Moran fühlte sich leicht und geborgen. Tatjas Mutter riss ihn aus den Gedanken: "Hallo, komm nur weiter. Fühl dich wie zuhause."

Schön langsam trudelten alle ein: Der Vater, die Brüder Iran und Mika. Es herrschte eine herzliche und fröhliche Stimmung.

Nach dem Essen stellte Moran die Frage: "Wie ist es möglich, wie könnt ihr so leben. Bekommt ihr keine Schwierigkeiten mit den anderen Bewohnern der Stadt?"

Da begann der Vater endlich zu erzählen: " Das ist eine spannende Geschichte. Ich war geschäftlich für Herrn Frost unterwegs. Es war ein klirrend, kalter Abend und als ich begann die Fensterscheiben von Frau Lier kunstvoll mit Eisblumen zu bemalen. Da packte mich die Neugier und ich blickte in das Innere des Hauses, das Fenster war nämlich einen winzigen Spalt breit offen. Da saß die alte Frau, rings um den Kachelofen saßen die Kinder, kleine und große und hörten aufmerksam zu. Diese Frau erzählte Geschichten, aber was für Geschichten eine spannender als die andere. Als die Kinder aus dem Haus tobten um heimwärts zu laufen, da schlich ich zur Tür um diese seltsame Frau näher zu betrachten, neugierig wie ich bin. Plötzlich stand die alte Dame neben mir und lachte, die konnte mich doch gar nicht sehen, für Menschen sind wir doch alle unsichtbar. Aber sie sah mich und fragte: "Wer ist da?" "Ich", flüsterte ich erschrocken. "Na, das sagt ja unheimlich viel aus", lachte Frau Lier: "Doch ich weiß wer du bist und deine Frau friert oft. "Ja, " seufzte ich laut, "sie haben ja so recht."

"Und ich werde dir helfen, du bemalst meine Fensterscheiben so wunderbar und wundervoll, zum Dank schicke ich dir und deine Familie alles was du benötigst. Du erzählst mir was im Eiskristallland so alles geschieht. Einverstanden!"

So war uns beiden geholfen, Frau Lier hatte wieder Stoff für viele spannende Geschichten und ich bekam, Brennholz, köstliche Speisen, Stoff, Polster und Teppiche.

Manche Leute in der Stadt meiden uns, doch den meisten ist es egal wie wir leben und mit Herrn Frost komme ich gut zu recht. Somit sind wir alle zufrieden. Die Wärme schadet uns nicht, wir ertragen die Kälte der Stadt um einiges leichter, wenn es auch oft doch schwer ist, hier zu leben. Immerzu Eis und Schnee."

Moran hatte aufmerksam zugehört, er verstand warum sich diese Familie geborgen und glücklich fühlte und er musste an sein winziges Zimmer denken. Kalt und ungemütlich war es dort. Doch wie lange würde er dort noch wohnen? Er erschauerte. Sollte er Tatja davon erzählen und was dieser Frost plante. Nein lieber nicht, das zierliche, hübsche Mädchen konnte er damit nicht belasten.

Tatja suchte in seinem Gesicht nach Antworten. "Dich bedrückt etwas", denkt sie erschrocken und du willst es mir nicht erzählten. Bereust du es schon, dass du mit mir gegangen bist, vielleicht sollte ich dich fragen, " ihr Herz schlug unruhig und ängstlich.

"Du hast Sorgen", sagte Tatja, als sich Moran spät abends endlich verabschiedete und die beiden allein im Flur standen, " ich würde dir gerne helfen, wenn du es willst. Vielleicht kann ich dir helfen!"

Moran nahm leicht ihre Hände und drückte sie und blickte sie gequält an: "Ich wünschte ich könnte es dir erzählen, doch nein es geht nicht, Stillschweigen ist mir geboten worden und ich will dir nicht weh tun, doch ich möchte... Ach ich weiß nicht, was ich tun soll." Er umarmte sie schweigend und sie spürte entsetzt wie er zitterte.

"Was tun ohne dich", ihre Hände arbeiteten mechanisch, "ich darf mich nicht an dich festklammern, du willst frei sein. Bist du abends wieder da, oder nicht?" Tatja versuchte die dunklen, drückenden Gedanken zu verjagen, Stimmengemurmel der anderen, ihre hämischen Blicke. "Was wussten sie?"

Das Tor öffnete sich und kein Moran stand in der Eiskälte. Tatja erschrak zu Tode, ihre düsteren Ahnungen hatten sie nicht betrogen. "Nimm dich zusammen", hämmerte der Verstand.

Endlich war sie zu Hause. Mutter hatte schon auf sie gewartet, der Duft der Speisen stieg in ihr Näschen, doch sie wollte nichts essen. Sie wünschte sich nur noch hinlegen und weinen.

Die Mutter verstand sie auch ohne Worte, nahm sie sanft in den Arm und wiegte sie hin und her.

Die Tage vergingen, Tatja versuchte den Schmerz zu ertragen. Doch die Arbeitskollegen machten ihr das Leben schwer, der beißende Spott und Hohn: Moran war fest vergeben, was hatte sie erwartet, die Tochter des Chefs war seine Liebe und sie hatte gedacht, nein Falschanzeige, was war sie schon, ein Nichts und Niemand.

Blass und schwach wurde das Eiskristallmädchen, und wie aus dem Nichts stand plötzlich der Chef neben ihr: "Komm in mein Büro!"

Eiskalt sind die glatten, schmucklosen Räume, der Blick von Herrn Frost ist kühl und undurchdringlich: " Du gefällst mir nicht. Etwas bedrückt dich. Doch du arbeitest gut. Willst du vielleicht im Außendienst arbeiten, diese Arbeit wird dir gut tun."

Und so geschah es. Spät abends waren die Eiskristallwesen unterwegs: Eisgemälde aufkleben.

Die Gruppe bestand aus Mädchen und Jungen.

Heute Nacht arbeiteten sie an einem winzigen Häuschen. Bei einer Fensterscheibe war das Glas gesprungen. Tatja konnte mühelos ins Innere schlüpfen. Da erblickte sie die junge Frau, sie hielt

ihr Kind im Arm, das leise jammerte: "Bitte Mama, erzähle mir doch eine Gute-Nacht-Geschichte!"

"Ach Liebes, ich bin müde und traurig und Papa ist so krank und ich sorge mich. Heute fällt mir keine Geschichte ein!" Sie schüttelte traurig den Kopf.

Doch das Kind gab nicht eher Ruhe und so begann sie zu erzählen: " Es war einmal ein kleines Mädchen, das hatte bunte Farben geschenkt bekommen und nun wollte es ein wundervolles Bild malen. Voll Eifer begann es. Die feuerrote Lilie im Garten, genau diese musste auf das weiße Blatt Papier, sie war die prächtigste Blume. Vorsichtig wurde der grüne Stamm gemalt und dann die herrliche Blüte, doch die Hand des Mädchen zitterte und mutlos gab sie auf. Wütend warf sie das Blatt ins Gras und begann hilflos zu schluchzen: "So ein Mist, ich kann es einfach nicht!"

Die Mutter schlug die Hände vor das Gesicht und weinte haltlos: "Nein mein Liebling, ich kann dir heute keine Geschichte erzählen, ich schaffe es einfach nicht!"

Vorsichtig kroch Tatja zu den beiden Menschen und dann begann sie mit sanfter Stimme zu sprechen: "Doch du kannst es. So flüsterten die Blumen und wiegten ihre

Köpfe, du schaffst es zwitscherten die Vögel, natürlich geht es, summten die Bienen,

nur versuchen und nicht aufgeben, wisperte der Wind. Das Mädchen wischte die Tränen fort und begann zu malen."

Die Mutter hielt ihr Kind fest und gemeinsam lauschten sie der zärtlichen Stimme.

"Oh ich kann es, schrie das Mädchen, der grüne Stamm, die stolzen Blätter und die prachtvollen Blüten. Es gelang und war so leicht. Das Mädchen jubelte, tanzte voll

Freude und zeigte ihr Kunstwerk den Eltern. Und die Blumen streckten die Köpfe der Sonne entgegen und nickten!"

"Wer bist du", fragten Mutter und Kind, "und wo, wir können dich nicht sehen!" Wenn ihr morgens die eisbemalten Fenster seht, dann wisst ihr, wer ich bin, " antwortete Tatja, "ich komme aus der Eiskristallstadt und bin für Menschen unsichtbar, doch mein Herz fühlt und denkt wie ihr Menschen. Glaubt an euch und vertraut euch, an die Kraft im Innersten und es wird euch geholfen werden, dein Mann wird wieder gesund, " flüsterte das Eiskristallmädchen und verschwand in der Dunkelheit.

"Deine Geschichte war wunderbar", redete Mira einer der Jungen und lächelte Tatja liebevoll an. " Wir werden zur Weihnachtsfee fliegen und um Hilfe bitten", die anderen Eiskristallwesen nickten zustimmend und Tatja verspürte zum ersten Mal: Hier wurde sie verstanden, und sie fühlte sich glücklich und geborgen.

So geschah es auch, die Weihnachtsfee half und erweichte die Herzen der Nachbarn der verzweifelten jungen Familie. Der Familienvater wurde wieder gesund, erhielt eine gut bezahlte Arbeitsstelle. Die junge Frau fasste neuen Mut und begann ihren Mann tatkräftig zu unterstützen. Bald strahlte das kleine Haus im neuen Glanz und es kehrte Glück und Frohsinn ein.

Für Tatja, begann eine neue Zeit, Nacht für Nacht war sie mit der Eismaltruppe unterwegs und ihre Kunstwerke bewunderten Alt und Jung. Tatja hatte kaum Zeit ihn traurigen Gedanken zu versinken. Wieder war es sehr spät geworden. Die Eiskristallwesen wollten bereits nach Hause fliegen, doch lautes Stimmengewirr und leises Weinen ließen sie erstarren. Tatja flog zu dem schluchzenden kleinen Jungen, der im Schnee saß und verzweifelt seine Brille suchte. Sanft landete sie auf seinem Fäustling und schrie: "Schau dort liegt sie deine Sehhilfe und höre bitte auf zu weinen. Ich möchte dir helfen, komm erzähle, was dir Kummer bereitet." "Wer bist du," schniefte der Kleine und begann endlich zu reden: "Sie lassen mich nicht mitspielen, schau, dort hocken sie im Schnee, sie werfen mit Eisbällen auf mich und haben ihren Spaß, Tag für Tag lachen sie über mich, Rainer, der große, lange, er ist am gemeinsten zu mir. "Na warte, " rief Tatja, "das wäre doch gelacht, wenn wir dir nicht helfen können. Husch, lauf hinter den Baum und dann forme deine Bälle und schieß, genau achtest auf mein Kommando. "Achtung Feuer und los!" Und schon begann es, Ball für Ball donnerte zum Gegner, Rainer kam gar nicht zum Eisballformen. Seine Freunde ergriffen die Flucht und liefen zum Gegner. Schon war der kleine Junge nicht mehr alleine. "Aufhören", schrie Rainer aus Leibeskräften, "dieses Spiel ist ja doof und macht so gar keinen Spaß. Michael lachte, er jubelte, streckte die Arme in die Höhe und schrie und tanzte: "Sieg, Sieg!" Plötzlich lief der kleine Junge über die schneebedeckte Wiese und fiel geradewegs in die Arme einer jungen Frau. "Na wie war es", sprach sie leise, "jetzt war es schön lustig", sagte Michael ruhig und blickte Rainer an, dieser war herangeschlichen und hielt ihm die Hand hin: "Es tut mir leid, weißt schon, wegen vorher und kommst morgen wieder spielen?" Plötzlich hob Michael seine Handschuh nahe an sein Gesicht und flüsterte leise: "Danke, werde dich nie vergessen, meine wunderschöne Eiskristallprinzessin. Danke!" "Nur Mut, vertraue auf dich und deine Kraft", flüsterte Tatja und purzelte in den Schnee.

Mira, Sonar und Winold, die Eiskristallwesen kicherten und warfen sich in den Schnee. Sonar lachte und sank in die Knie und verbeugte sich von Tatja: "Sag meine bezaubernde Eiskristallprinzessin, was kannst du noch alles. Na rück schon raus mit der Sprache. Wieder ein Mensch der glücklich ist und du was ist mit dir?" Seine Augen hingen an ihr. Tatja blickte ihn unschuldig an und flüsterte: "Ich, ach, ich, es ist gar nicht schwer andere glücklich zu stimmen." Dann blickte sie zu den tanzenden Flocken und schlug die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich. Mira legte schützend die Arme um das weinende Mädchen und schimpfte mit Sonar lautstark: "Du bist ein Esel, ein eisbizarrstrotzender. Komm mein Mädchen, weine dich nur aus, viel zu lange quälst du dich schon damit." "Moran, " flüsterte Tatja wieder, "ach ich vermisse ihn so sehr, er ging ohne Abschied und ohne ein Wort. Es tut so weh!"

Die beiden Eiskristallmädchen hielten sich lange umfangen und trösteten einander. Sonar und Winold, die beiden Jungs, standen mit hängenden Schultern abseits. "Es ist nicht seine Art", durchbrach Sonar die Stille, "irgendetwas ist hier nicht in Ordnung. Moran ist ein toller Kumpel, er setzt sich ein für seine Freunde, er lässt niemanden in Stich. Warum habe ich nicht schon früher daran gedacht, ach du meine Güte, es wird ihm doch nichts geschehen sein!" Tatja erschrak zutiefst, doch Sonar schüttelte den Kopf und rief: "Es wird alles gut. Wir werden Moran finden ganz bestimmt!"

Geschwind flogen sie zurück in die Eiskristallstadt. Heute Nacht wurde ja gefeiert, bei den Menschen war es das Weihnachtsfest und in der Stadt rüsteten sie zum Eisblumentanzfest im Eiskristallpalast. Alle waren geladen. Der riesige Saal war hell erleuchtet, lange, spitze Eiszapfen hingen von der Decke, beleuchtet mit den bunten Farben der Scheinwerfer, die Tische verziert mit tausenden von Schneekristallen, Schalen in verschiedenen Größen waren gefüllt mit buntem Eis, dekoriert mit tiefgekühlten Erdbeeren, Orangen, Kiwi, Bananen und Ananas. Die quietsch- fidelen Eis-Crasher sorgten mit ihrer Musik für ausgelassene Stimmung. Tatja und ihre Freude ergatterten die letzten Plätze an der festlichen Tafel. Plötzlich tauchte Ilo auf, sie hatte mit ihren spitzen und bösartigen Bemerkungen die Fließbandarbeiter gegen Tatja aufgebracht. Ilo fragte laut: "Habt ihr noch Platz für mich", da bemerkte sie entsetzt ihre vermeintliche Rivalin. Ihre blauen Augen bekamen einen bitterbösen und eiskalten Ausdruck: "Oh nein, neben diese verrunzelten Giftgurke setze ich mich nicht!" "Nun es reicht, am Montag kommst du sogleich in mein Büro und dann werden wir weitersehen!" Die Stimme vom Chef Herrn Frost eisig und schneidend, ließ alle Anwesenden erschauern. Ilo wurde ganz durchsichtig vor Angst, doch Tatja stand auf und sah den Boss ruhig an und antwortete: "Es tut mir leid, doch ich bitte sie Ilo diese Worte nicht anzurechnen, wegen mir muss sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden." Herr Frost legte die Stirn in Falten und sah das Eiskristallmädchen lange an, dann murmelte er: "Seltsam Tatja, ihr soll nichts geschehen. Eiswesen mit Herz und Gefühl, höchst seltsam und ich habe, nein ich werde, doch so könnte es gehen. Meine Schuld!" Raschen Schrittes verließ er den Saal. Ilo blickte Tatja vollkommen verwirrt an und setzte sich, sprach während des ganzen Festes kaum ein Wort.

Tatja hielt es nicht lange aus, sie zupfte Sonar am Arm und bat leise: "Bitte bringe mich nach Hause, doch vorher muss ich noch zur Fabrik und nachsehen, ob die Lagerhalle abgeschlossen ist."

Sie sprachen keine Wort während Sonar sein Eisfahrzeug Richtung Firma lenkte. Manchmal blickte er fragend zu Tatja, sah ihren abwesenden Ausdruck im Gesicht schwieg und seufzte laut. Das Eiskristallmädchen sprang aus dem Fahrzeug und lief zur Tür. Doch da stockte ihr Schritt: Dort lehnte jemand. Tatja schauerte, mühsam bewegte sie ihre bleischweren Beine. Endlich war sie bei ihm und sah ihn an: "Moran", kam es gequält über ihre Lippen. Wie blass, mager und krank sah dieser aus, der Blick aus seinen glanzlosen Augen war leer und ohne Lebensfreude. Vorsichtig legte sie die Arme um ihn und zog ihn fort: "Was haben sie dir bloß angetan!" Moran öffnete den Mund, doch kein Laut kam über seine eiskalten Lippen. Sonar fuhr rasch näher, half den Beiden in sein Fahrzeug und rauschte blitzschnell los. Endlich erreichten sie das kleine Häuschen .Ohne viel Worte trug Sonar Moran ins Innere und legte ihn vorsichtig auf die Wohnzimmercoach, endlich öffnete dieser den Mund und flüsterte kaum vernehmbar: "Endlich bin ich zu Hause, ich dachte ich schaffe es nicht mehr!"

Sonar verabschiedete sich und versprach am nächsten Tag wieder zu kommen. Die Mutter eilte sogleich herbei und half ihrem Mädchen den kranken Jungen zu versorgen. Sie tröstete zärtlich Tatja, als diese verzweifelt schluchzte: " Wein nicht mein Mädchen, er wird es schaffen und wieder ganz gesund werden, du darfst bloß nicht die Hoffnung verlieren. Er ist stark und schafft es." Tatja wich nicht mehr von Morans Seite. Liebevoll hegte und pflegte sie ihn, verbrachte Tag und Nacht bei ihm. Wenn die Angst ihn nicht schlafen ließ, hielt sie seine Hände und sang ihm zärtliche

Lieder. Endlich war es wieder so weit: Die Augen des Jungen leuchteten vor Freude und Zuversicht, er konnte aufstehen und verlangte nach Essen. Dann wärmten sie sich beim offenen Kamin und der Eiskristalljunge begann endlich von seinen schlimmen Erlebnissen zu erzählen: Herr Frost hatte ihn in sein Büro beordert und forderte ihn auf als Partner in sein Geschäft einzusteigen. Dabei lobte er die Schönheit und Geschäftstüchtigkeit seiner Tochter Mondina. Diese wäre auch die passende Frau für ihn. Moran lehnte entrüstet ab und der Chef wurde wütend. Mit dem nächsten Eisdüsenjet landete der Eiskristalljunge im Hohen, eiskalten Norden. Ewiges Eis und Schnee, vollkommene Dunkelheit. Alles war eisig die Arbeitsstätte, die Wohnung und das Bett. Die Einsamkeit war kaum zu ertragen.

Moran schlug die Hände vor das Gesicht und weinte bitterlich. Tatja legte schützend die Arme um ihn und wiegte ihn sanft wie ein Kind. Langsam beruhigte er sich wieder und erzählte weiter: "Doch die Schneeflocken umtanzten mich, redeten von dir, erzählten mir deine Geschichten und was du so den lieben Tag lang treibst. Es gab mir die Kraft auszuhalten und an dich zu glauben. Dann aus dem Nichts landete der Eisdüsenjet und brachte mich zurück zu dir." Müde war Moran wieder eingeschlafen. Doch von Tag zu Tag wurde es besser. Mika und Iran, die Brüder von Tatja, waren anfangs sehr wütend auf Moran, sie dachten er hätte ihre Schwester absichtlich in Stich gelassen, doch dann kümmerten sie sich um ihn und luden ihn zum Kartenspielen und Musik hören ein. Moran ging es von Tag zu Tag besser, seine Kräfte kehrten vollkommen zurück und eines abends stellte er Tatja die bedeutungsvolle Frage: "Geliebtes Mädchen bleibst du bei mir, oder liebst du Sonar mehr als ...?"

"Er ist wirklich ein netter Kerl," antwortete Tatja, " durch die ganze Gruppe, gewann ich meine Lebensfreude wieder zurück, ohne sie hätte ich es nicht geschafft, ich fühlte mich so einsam, verlassen und verraten. Doch ich bin froh, dass du wieder da bist und ich möchte, dass wir beide...?" Sie sah Moran fragend an, doch er legte die Arme um sie und hielt sie fest: "Ich habe noch eine Überraschung für dich, lass mir noch ein wenig Zeit, ja!"

Spät abends flogen sie gemeinsam in die Stadt der Menschen. Mira, Winold und noch einige junge Eiskristalljungen begleiteten sie. Beim städtischen Kindergarten begannen sie zu arbeiten. Gemeinsam bauten vor dem Eingangstor eine riesige Kugel aus Eis und Schnee. Darauf postierten sie eine kleine, ovale. Ein großer Zylinder, mit ein paar Löchern drin (gefunden in der Mülltonne) kam auf den Kopf, polierte Kohlenstücke als Augen und Mund und die Nase, eine dicke, fette Karotte. Fertig war der Superriesenschneemann. "Viola, sei gegrüßt", Moran scherzte und machte eine tiefe Verbeugung, "ach ich habe ja vergessen", schnell steckte er einen aufgespannten, alten Regenschirm in seine Seite. Und da oh Schreck, bewegte der riesige, weiße Mann seinen Kohlenstückemund und sagte laut und deutlich: "Danke!"

Am nächsten Morgen warteten schon alle gespannt auf die Ankunft der Kinder. Da kamen schon die Kindergartentanten und die Mütter mit ihren Sprösslingen. Abrupt blieben alle stehen, rissen Mund und Augen auf und ein "Ah" und "Oh" erklang. Ein paar von den ganz Kleinen vergaßen vor Überraschung den Abschiedsschmerz. "Wer hatte wohl den wunderschönen Schneemann gebaut?"

Die Eiskristallwesen die überall auf dem weißen Mann saßen, funkelten und glitzerten, wunderbar strahlte er. Die Kleine tanzten und jubelten um ihn herum, es war ein Lachen, Singen und welch Freude am frühen Morgen.

Später waren alle im Wohnzimmer von Tatjas Eltern versammelt und warteten gespannt, bis Moran endlich sein Geheimnis lüftete. Sonar war noch nicht erschienen und Tatja rutschte ungeduldig hin und her. Endlich klingelte es. Als das Mädchen die Tür öffnete, stand Sonar vor ihr, er ließ die Schultern hängen und wagte sie nicht anzusehen. Leise stammelte er: "Ich habe noch jemand mitgebracht, ich weiß nicht, ob du uns jetzt wieder fortschickst, aber....!" Wie aus dem Nichts stand Ilo da, sie sah Tatja traurig an und begann zu erklären: "Sonar hat mich gefragt, ob ich mitkommen möchte, ich weiß ich habe dir wehgetan und du musst mich auch nicht einlassen, es tut mir so leid, ich....!" "Kommt endlich ins Haus", antwortete Tatja freundlich und zog die beiden ins Innere. Plötzlich wandte sich Tatja entsetzt an Sonar: "Hast du ihr erzählt, ihr erklärt, dass es bei uns nicht ……!", sie beendete den Satz nicht, erstaunt und doch erschrocken bemerkte sie wie Ilo rasch eintrat, zum offenen Kamin eilte, die Hände auf die warmen Kacheln legte und leise flüsterte: "Was hat mich ewig gefroren," und dann begann sie bitterlich zu weinen. Tatja legte sanft die Arme um sie, da hob Ilo den Kopf und sagte ruhig: " Verzeih mir!"

Gespannt blickten jetzt alle zu Moran, der eine wichtige Nachricht für alle hatte und endlich begann er zu reden: "Jeder der mit in das Sommerblumental reisen möchte, darf dies tun. Unser Chef der Herr Frost hat mir diese Erlaubnis erteilt. Alle die dies wünschen, müssen es bei der Eiskristallstadtverwaltung bekannt geben. Für zwei oder 3 Monate sollen wir hier die Einwohner bei ihrer Arbeit unterstützen und für die Eisherstellung sorgen. Aber ich bin mir sicher, dass sich für diese Arbeit genug Freiwillige melden werden."

Mucksmäuschenstill war es. Kaum einer wagte zu atmen: "Ins Sommerblumental ohne den Tod durch Autoscheinwerfer, wie war dies möglich und wie konnte es geschehen?"

"Wir dürfen dort hin", Tatjas Mutter war zutiefst verwirrt, sie sah Moran ungläubig an: "Wie soll dies bloß geschehen?"

"Wenn wir hier in der Stadt alles geregelt haben, dann versammeln wir uns alle hier im und vor dem Haus und dann starten wir unsere Reise, wir dürfen in dem schönen Reich als Kobolde, Elfen, Feen und Zwerge leben!"

Und so geschah es auch, der Andrang war riesengroß, viele Familien wollten dem Eis und der Kälte entfliehen. Alle versammelten sich auf der großen Wiese außerhalb der Stadt. Moran flog gemeinsam mit Tatja auf die Eisglitzertanne und begann mit lauter Stimme zu reden: "Nun hört alle gut zu. Ich möchte euch den Weg ins Sommerblumental weisen. Alle schließen jetzt die Augen und folgen meinen Worten." Und dann begann Moran von der Kraft der Sonne, dem Grün der Wiesen, vom Duft der Blumen, dem Tanz der Mücken und vom Summen der Bienen zu erzählen. Verzaubert lauschten die Eiskristallwesen seinen Worten und ihre Herzen wurden leicht und glücklich, immer mehr schwebten sie in ihren Gedanken der Sonne entgegen und ihre Sehnsucht trug sie fort, leicht und getragen.

Als Tatja wieder die Augen öffnete lag sie in der weichen, warmen, duftenden Sommerwiese. Ihre Mutter kniete im Gras und strich zart über die Gänseblümchen und über ihre Wangen kollerten die Tränen. Tatja umarmte ihre Mutter und flüsterte leise: "Nein Mam, hier wird nicht mehr geweint. Nie mehr." Dann zog sie ihre Mutter hoch und beide liefen Vater und Moran entgegen, jubelten, sangen und tanzten. Alle Eiskristallwesen legten die Kälte und die Starre ab und von nun an gab es weder Schmerz noch Traurigkeit im Land der Wärme und dem atemberaubenden Duft der Sommerblumen.

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Weihnachtsgeschichten
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Ich habe schon einige Weihnachtsgeschichtensammlungen gelesen und kann mich nur an ein Buch erinnern, das ähnlich gut war!
Leserin BookCrossing

Was für ein schönes Buch! ... ich habe tatsächlich die eine oder andere Träne verdrückt. Es kommt so richtig schön weihnachtliche Stimmung auf. Und das Buch eignet sich wundervoll zum Verschenken.
Leserin BookCrossing

Ein wunderschönes Buch mit tollen Geschichen. Ich werds mir für nächstes Jahr als Geschenk für meine Kurzgeschichtenfans vormerken.
Leserin BookCrossing

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