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Das war wohl nix mit "Stille Nacht"© Eva PetrascheckMeine Urgroßeltern waren ein so ungleiches Gespann, dass keine moderne Partnerschaftsvermittlung ihrer Verbindung eine Chance gegeben hätte. Schon rein äußerlich passten sie nicht zusammen: Karl Michael war einsneunzig groß, wortkarg und immer ein bisschen brummig, Anna, seine Angetraute, zierlich, fröhlich, und mit einem wieselflinken wienerisches Mundwerk ausgestattet. Ebenso gegensätzlich wie die äußere Erscheinung aber war die Weltanschauung des Paares. Karl Michael, ein aktiver Sozialdemokrat, sympathisierte mit der Arbeiterbewegung im Vorkriegs-Wien, während seine bessere Hälfte als ehemalige Klosterschülerin und überzeugte Katholikin die Christdemokraten unterstützte und eine Reihe kirchlicher Ehrenämter inne hatte. Die beiden pflegten Jahr und Tag abends am Tisch zu sitzen und im jeweiligen Leib- und Parteiblatt zu lesen. Ärgerliches Rascheln unterbrach dann früher oder später die Stille: "Da steht's wieder, schwarz auf weiß, was diese Brüder sich leisten!" So oder ähnlich wurde der Dialog dann regelmäßig eröffnet. Mit den "Brüdern" - die "Schwestern" wurden damals noch nicht gesondert erwähnt - waren die politischen Gesinnungsgenossen des Gegenübers gemeint und daraufhin entspannen sich unterm trauten Schein der Jugendstillampe gepfefferte Rededuelle zur Tages- und Weltpolitik. Sobald die Diskussion zu erlahmen drohte, tauschten sie die Zeitungen und dann brach das Donnerwetter erst recht los! Vom Wortwechsel erfrischt und in der eigenen Meinung neu bestärkt, ging man dann gemeinsam zu Bett Wenn man davon absieht, dass sich die beiden vice versa für das Parteicolorit des Ehepartners ein Leben lang nicht erwärmen konnten, verlief das Zusammenleben relativ harmonisch. Diese Harmonie erlebte alljährlich ihren Höhepunkt, sobald das Weihnachtsfest sich ankündigte. Dann nämlich widmete sich das Paar vermehrt einem gemeinsamen Hobby, das die beiden einst auch zusammengeführt hatte: der Hausmusik. Ungeachtet seines Argwohns gegenüber den weltlichen Vertretern der Kirche im damaligen Wien, hielt Karl Michael große Stücke auf Advents- und Weihnachtsmusik unterm Familienchristbaum und während er bei politischen Streitgesprächen gegenüber dem schlagfertigen Wortwitz seiner Angetrauten oft den Kürzeren zog, überließ Anna ihm, dem talentierteren Amateurgeiger, hier widerspruchslos das Kommando. Einig waren sich die beiden auch über den erzieherischen Wert gemeinsamen Musizierens und so hatten sich, im Interesse einer ordentlichen Darbietung am Weihnachtsabend, die vier Enkelkinder in der Adventzeit regelmäßig mit ihren Instrumenten zur Probe einzufinden und die Großeltern baten sich unisono Aufmerksamkeit, manierliches Gehabe und saubere Fingernägel aus. Ja - dergleichen nahmen sich Erziehungsberechtigte von anno dazumal tatsächlich heraus! Trotzdem verhielten sich die Enkel, namentlich die beiden Buben, nicht immer sittsam wie Weihnachtsengel und so kam es vor, dass der eine oder andere vom Großvater in der Hitze des Probengefechts mit dem Fiedelbogen eins erwischte. Nichtsdestoweniger blieben die gemeinsamen Weihnachtsfeste allen lieb und unvergessen - eines ganz besonders: Soeben war das musikalische Pensum brav heruntergefiedelt worden und die Familie saß gemütlich um den Tisch, als ein Teil der Christbaumkrone Feuer fing. Die Großeltern handelten sofort - leider genau im selben Moment. Während Karl Michael am Baum hochsprang, um das Feuer mit der Hand zu ersticken, schwang Anna den für solche Fälle vorsorglich bereitgestellten Wassereimer und - nun, das Ergebnis lässt sich leicht ausmalen! Dem Großvater troff das Wasser aus den Hosenbeinen des Feiertagsanzugs in die Schuhe und als sich dann noch herausstellte, dass sich die Katze in dem ganzen Tumult über den Rehbraten hergemacht hatte, war's endgültig aus mit der Stille in der heiligen Nacht! Einige Jahre später konnte Anna infolge eines rasch fortschreitenden Augenleidens die Zeitung nicht mehr selbst lesen und so las Karl Michael ihr vor, pünktlich und regelmäßig, aber nie ohne grimmige Kommentare und verbale Seitenhiebe, die, wie immer, flink und unerschüttert pariert wurden. An einem feuchtkalten Herbstabend verließ Anna ihre Lieben für immer.. "Nach kurzem, schwerem Leiden und versehen mit den heiligen Sterbesakramenten" wie auf der Todesanzeige zu lesen war. Mit dem Witwer ging im darauffolgenden Jahr eine auffallende Veränderung vor. Er, der sonst so Beschäftigte, saß in der Dämmerung stundenlang auf seinem alten Ledersofa, die Zeitung neben sich, schweigend und in Erinnerung versunken. Man sah ihn sogar ab und zu in der Kirche. Bei Chorproben oder -aufführungen saß er ganz hinten, in der Nähe der Tür und lauschte andächtig, so als hoffte er, hier Annas schöne Altstimme noch einmal hören zu können. Die Geige aber ließ er unberührt in ihrem schwarzen Kasten und obwohl Allerheiligen längst vorbei war, wollte er vom gemeinsamen Musizieren nichts wissen. Kurz nach dem ersten Adventsonntag erwachte er nicht mehr aus dem Mittagsschlaf. Ein plötzlicher Herzstillstand hatte hinter die turbulente Lebens- und Liebesgeschichte von Anna und Karl Michael den Schlusspunkt gesetzt. Ob sie einander wieder gefunden haben, dort in der Ewigkeit? Wir können es nur hoffen, denn es könnte ja tatsächlich sein, dass die Grenzen von Abstammung und Gesinnung dort nicht so scharf gezogen werden, wie man es uns hier auf Erden glauben machen will. Unser Buchtipp: Weihnachtsgeschichten unserer Autoren
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