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Der Heiland der Südaffen© Jörg SpraveEs war die Zeit der Zusammenkunft. Jeder vom Stamme der Irai suchte die Stätte der Vorfahren auf, um die Paarungsrituale zu begehen. Von überall her strömten Männchen wie Weibchen herbei, einem ihnen nicht bewussten Ruf folgend. Auch den großen, fast aufrecht gehenden Jef und seine Gefährtin, die hochschwangere Mia, zog es wie in jedem Jahr in die spärlich mit Bäumen durchsetzte Savannengegend, die vor vielen Generationen einmal die Heimat aller Irai gewesen war. Damals gab es hier viele Stammesmitglieder, das Futter war ausreichend und es gab genug Bäume. Ein jeder konnte einen sicheren Schlafplatz finden. Das bedeutete Schutz vor den Raubkatzen. Doch die Welt der Irai veränderte sich. Die Veränderungen waren langsam, kein lebender Stammesangehöriger konnte im Laufe seines kurzen Lebens einen wirklichen Unterschied ausmachen. Hätten die Irai eine genügend entwickelte Sprache gehabt, um Geschichten weiter zu erzählen, so hätten diese Geschichten davon berichtet, wie die Irai einst aus den schwindenden Waldgebieten flüchten mussten. Vertrieben von den dort immer noch lebenden Baumaffen mussten sie in die offene Baumsavanne gehen. Viele starben, aber die Starken überlebten. Diese Überlebenden wurden zu den Stammvätern aller Irai. Die Irai waren intelligenter als die Baumaffen, und sie gingen oft lange Strecken auf nur zwei Beinen. So konnten sie die Raubtiere im hohen Gras besser erkennen, und im Fall eines Angriffs konnten die freien Arme zur Abwehr benutzt werden. Starke Knüppel aus totem Holz waren gute Waffen gegen die großen Katzen. Aber schon seit vielen Generationen schwanden die Bäume, das Wetter wurde kälter und immer trockener. Die Baumsavanne wurde langsam zur Grassavanne. Die Irai waren auf Bäume als Zuflucht für die Nacht angewiesen, und jetzt gab es nur noch wenige davon. Viele Irai wurden zur Beute der vierbeinigen Jäger. Jef und Mia gingen gerader als die anderen, und sie waren beide außergewöhnlich intelligent. Deshalb hatten sie sich bisher stets rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Aber jetzt war Mia durch die Schwangerschaft, die nicht zur richtigen Jahreszeit eingetreten war, sehr langsam. Und so konnten die beiden an diesem Tage keinen freien Baum zur Übernachtung finden. Die Nacht brach schon herein, und es blieb ihnen nur der geringe Schutz einer kleinen, abseits gelegenen Erdhöhle. Warm war es dort, aber nicht sicher. Und Mia würde bald niederkommen. Es war eine Nacht der Not. An diesem Tag waren drei Männchen erschienen, die etwas Besonderes waren und nicht zum Stamm der Irai gehörten. Ihr Gang war noch aufrechter als der Jefs und Mias, und ihre Köpfe waren groß. Ihr Fell wirkte spärlich. Die Irai spürten ihre Überlegenheit, aber dennoch waren die Fremden ohne Zweifel Artgenossen. Das Leitmännchen der Irai, Heo, lief herbei und beschnüffelte die Neuankömmlinge. Stets hatte er Furcht vor Rivalen, und diese drei waren gefährlich. Sie ähnelten den in den letzten Jahren immer häufiger auftretenden nur schütter behaarten Babys, die so anders waren als die normalen Jungtiere mit ihrem seidigen Säuglingsfell. Heo tötete diese hässlichen Wesen instinktiv und grausam, so bald er sie sah. Sie waren nicht normal und ihm auf eine seltsame Weise unheimlich. Die drei Fremden waren kräftig, aber sie forderten Heo nicht zum Kampfe heraus. Und so lies er sie ziehen, während er sie misstrauisch beäugte. Sie folgten einem hellen Stern, der seit einiger Zeit über den klaren Savannenhimmel hinweg zog. Zuerst stand dieser Stern hoch am Himmel. Jetzt berührte er fast den Horizont. Die Nacht brach herein, und die Irai schmiegten sich in ihren Baumnestern aneinander. Dunkle Wolken zogen herauf und ballten sich zu einem Gewitter zusammen. Aber wie so oft regnete es kaum, nur einige Blitze zuckten und erhellten die Nacht. In der Enge der Erdhöhle gebar Mia ihren Sohn unter großen Schmerzen. Fast zu lange hatte die Niederkunft gedauert, der Kopf des Kindes war beinahe zu groß für Mias Becken. Jef legte das Junge in ihre matten Arme, und sie leckte es zärtlich sauber. Da fuhr ein Blitz in einen trockenen Baumstumpf, der nahe des Höhleneingangs stand. Die mannshohe, tote Pflanze entzündete sich berstend und stand sofort in hellen Flammen. Die Irai schauten erst erschreckt und dann staunend auf das Wunder, das sich ihnen bot. Instinktiv verließen sie die Baumkronen und näherten sich dem Wärme spendenden Feuer. Bisher hatten sie Flammen nur als gefährliche Flächenbrände kennen gelernt, aber jetzt erschien der gelbe Schein nicht mehr gar so bedrohlich. Vielleicht ahnten sie, dass das soeben geborene Junge heranwachsen würde, um das Feuer zu zähmen und so die Raubtiere fernzuhalten. Als die Flammen ausbrannten, sahen die Irai die Höhlenöffnung und vernahmen die schwachen Schreie des Neugeborenen. Sie spürten die Bedeutung des Augenblicks und begaben sich in die Höhle, um das Junge zu bestaunen. Auch die drei großen Neuankömmlinge hatten die Flammen gesehen und eilten auf ihren langen Beinen im aufrechten Schritt herbei. In diesem Augenblick leuchtete der Stern hell über dem Höhleneingang auf. Jetzt waren die Fremden sicher: Diese Höhle war das Ziel ihrer Reise. Sie krochen durch die enge Öffnung und sahen Mutter und Kind. Jeder der drei legte ein Geschenk auf den nackten Erdboden: Früchte, Wurzeln und Nüsse. Einer der Fremden nahm das Junge vorsichtig aus den Armen der Mutter und sah, wie fremd es erschien. Nur wenige Haare bedeckten den seltsam groß wirkenden Kopf. Ein dünner, heller Flaum auf dem Körper ließ es beinahe nackt wirken, und es war schwach. Die Arme und Hände waren nicht stark genug, um sich am Brustfell seiner Eltern festzuhalten. Dieses Kind würde getragen werden müssen. Endlich brach der Morgen herein, und die drei Fremden brachen in ihre Heimat auf. Sie bedeuteten mit Gebärden und den einfachen, wenigen Worten der Sprache der Irai, dass Jef, Mia und das Junge mitkommen mussten. Die beiden waren einverstanden, denn sie waren in großer Furcht vor Heo. Ohne den Schutz der Besucher würde er das Kleine sofort umbringen. Und so brachen die sechs Reisenden im Schein der Morgensonne auf. Die übrigen Irai schauten ihnen ehrfürchtig nach. Möglicherweise ahnten sie die Wunder, die der kleine Jus - so hatten ihn seine Eltern genannt - noch bewirken würde. Er würde sie mit seinem Feuer schützen. Mit seinen Werkzeugen aus behauenem Feuerstein würde er die großen Knochen verendeter Tiere knacken und die Irai mit dem Mark speisen. Er würde sie lehren, einander zu achten und gegenseitig zu helfen. Selbst sein Tod würde ein Akt der Aufopferung sein. Sie würden ihn niemals vergessen. 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