Weihnachtsgeschichten - Adventsgeschichten
Kurzgeschichte Weihnachten Weihnacht Advent
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Die Christbaumkugel

© Enrico Andreas Brodbeck

"Friede solls noch einmal werden und die Liebe König sein."

Nach diesem Satz legte ich das Weihnachtsbuch beiseite und ließ die besinnlichen Worte des Gedichtes "Christnacht" von Robert Prutz auf mich wirken. Ich setzte mich auf die Fensterbank des gediegenen Doppelfensters meines Pensionszimmers. Noch in Gedanken versunken schaute ich durch die kleinen Scheiben zur Straße hinunter. Ausgelassenes Kinderlachen drang an mein Ohr und ich stellte fest, dass es angefangen hatte zu schneien. Es musste merklich kühler geworden sein, denn mein Atem schlug sich auf die Scheibe vor mir nieder. Mit meiner Fingerkuppe malte ich einen Tannenzweig mit einer Christbaumkugel auf den sich abzeichnenden Schwaden. Es gefiel mir, da mich das Weihnachtsgedicht zu dieser Kreativität inspiriert hatte und mich von meiner Niedergeschlagenheit ablenkte.

Ich war in dem kleinen Dörfchen Zwieselberg im Bayerischen Wald und hatte mich bei der Familie Hirtreiter einquartiert. Seit ein paar Jahren war ich mit meiner Familie willkommene Gäste und genossen den Urlaub auf dem urigen Bauernhof. Von hier aus wollte ich als Jahresabschluss den hiesigen Bergkristallmanufakturen einen Besuch abstatten. Schon mein Vater pflegte diese Tradierung wegen der guten Geschäftsbeziehung, und so setzte ich den Brauch auf wechselseitiger Basis fort.

Langsam verschwand der Schwaden mit seiner vorweihnachtlichen Inspiration von der Scheibe. Das einfallende Licht von draußen wurde immer diffuser und das Wintergeschehen war grau in grau. An den Schneekristallen, die sich wie Puderzucker auf die Ebene niederließen, reflektierte sich der Schein der Straßenbeleuchtung. Weiße Weihnachten! Ich musste unweigerlich an meine Kindheit denken, als durch die Jahreszeit bedingt eine weiße Schneepracht zu Weihnachten gewiss war. Heute war das ein sehnlicher Wunsch von mir, der sich seit langem nicht mehr erfüllte. Zu mindest nicht in der Region, in der ich lebte. Hier im Bayrischen Wald, nahe der tschechischen Grenze, waren die Winter noch im klassischen Sinne.

Es war am späten Samstagnachmittag. Ich beschloss dem kleinen Weihnachtsmarkt des Städtchens, der liebevoll um die Kirche errichtet worden war, einen Besuch abzustatten. Die Kirche befand sich auf einem Hügel und außen herum führte eine schmale Gasse, auf der die kleinen Holzbuden mit weihnachtlichem Flair liebevoll aufgestellt waren.

Als ich mich von meiner Pension auf dem Weg machte, musste ich zu meiner Freude feststellen, dass die Schneeflocken ihre Wirkung nicht verfehlten. Eine feine Schneedecke hatte sich allerorts gebildet und die Kinder aus dem nahen Umfeld ließen ihrer Freude darüber freien Lauf. Als ich etwas unschlüssig die Straße hinaufschaute, die sich zur Kirche empor schlängelte, zupfte ein kleiner Junge von gerade mal vier Jahren an meiner Jacke. Ich schaute zu ihm hinunter und musste innerlich ein wenig schmunzeln. Schmuddelig sah er aus und wirkte recht lausbubenhaft. Die Pudelmütze war ihm tief ins Gesicht gerutscht, so dass er kaum etwas sehen konnte und auf seiner Oberlippe glänzte fast frohlockend angetrocknete Schnodder. Wie selbstverständlich nahm ich ein Taschentuch hervor, beugte mich zu ihm hinunter und putzte ihm erst einmal die Nase, so wie ich es bei meinen Kindern auch getan hätte.

"Na du, was möchtest du denn?", fragte ich den Kleinen, der mich ein wenig an meinen Sohn erinnerte und nahm ihn auf meinen Arm.

"Mengst du mei Schlidden mit mir den Berg auffi ziehn?"

Ein wenig erstaunt war ich über diese Vertrauensseeligkeit, die der kleine Fratz mir entgegen brachte.

"Bist du alleine oder hast du auch eine Mama?", fragte ich und setzte ihn auf seinen Schlitten.

"A ge, i bi net oloi", antwortete er mit einem selbstbewussten Unterton, "mei Maam is do bei de Kir inna Hoizbuden ufam Christkindlmakt un dät Guadl, Blazal, Geamgnedl un Kaffe verkaufa! Mengst du was bei mei Muadda kaufa?"

Irgendwie verstand ich, was dieser einheimische Knabe mir antwortete, und bei dem Wort Kaffee konnte ich mir in etwa ausmalen, was die gute Frau anzubieten hatte.

"Einen Kaffee könnte ich schon vertragen", entgegnete ich und setzte mich mit dem Schlitten in Bewegung. Strammen Schrittes lief ich zielgerichtet der Kirche entgegen. Gelegentlich drangen übermütige Sätze an mein Ohr, die ähnlich klangen wie von meinem Sohn, wenn ich ihn mit seinem Schlitten übers Land zog. "Hüha, hüha hopp mei Pferdchen hüha, schneller", entfleuchte es dem Munde des Knaben. Meinem kleinen Jockey schien diese Art der Fortbewegung zu gefallen und ich schwelgte zunehmend in Gedanken bei meiner Familie. Eine besorgte Frauenstimme holte mich wieder zurück in die Realität.

"A geh Muadda, des is a guada Lätschnbebbi", beschwichtigte der Junge die Situation, konnte aber eine derbe Standpauke in gepflegtem bayrischem Slang nicht abwenden. Mit ein paar aufklärenden Worten konnte ich die Frau beruhigen und als ich sie aufforderte, mir einen Kaffee und eine Portion Geamgnedl zu geben, kamen wir ins Gespräch und unterhielten uns über Gott und die Welt. Nach dem Essen verabschiedete ich mich, setzte mein Vorhaben fort und flanierte ausgiebig über den Weihnachtsmarkt.

Der Schneefall hatte indes zugenommen und im Schein des diffusen Lichtes, das von den Holzbuden ausstrahlte, sah man große Schneeflocken seicht zu Boden fallen. Als ich den hinteren Teil der Kirche erreicht hatte, konnte ich noch halbwegs frei auf das Städtchen schauen. Es konnte nicht mehr lange dauern und die Umrisse würden durch die Masse der Schneeflocken gänzlich verschwinden. Wenn man gespannt in das Geschehen lauschte, konnte man hören, dass der Schneefall ein eigenwilliges Rauschen hervorbrachte. Es vermischte sich mit weihnachtlichen Klängen aus der Kirche, die vom einheimischen Organisten herrührten, der zu dieser Zeit für die Christmette probte. Eine anheimelnde Szene, die mich zunehmend in ihren Bann zog und verweilen lies. Nach und nach schlich die Kälte in meine Kleidung und forderte mich auf, meinen Gang fortzusetzen. Glühwein und weihnachtliches Gebäck versüßten mir die Exkursion. Zu guter Letzt hatte ich noch einen wunderschönen handgefertigten Rollkragenpullover aus Schafswolle ausfindig gemacht. Nachdem ich ihn lange genug begutachtet hatte, habe ich ihn für mich gekauft. Am letzten Stand des Weihnachtsmarktes hielt ich inne. Christbaumkugeln, nach alter Handwerkskunst aus Bergkristall gefertigt, weckten mein Interesse. Eine besonders bauchige Kugel lenkte meinen Blick auf sich. Das Besondere an ihr war, dass im Innern zwei weitere Kugeln hingen wobei die kleinere aussah, als hätte man einen Teil ihres Bauches abgetrennt. Auf der flachen Seite befand sich ein Spiegel, der die gebrochenen und einfallenden Lichtstrahlen reflektierte. Dadurch bot sich dem Betrachter ein farbenfrohes Farbspektrum. Ich ließ das Farbspiel ein wenig auf mich wirken. Als der Spiegel sich für einen Moment zu mir drehte, erschrak ich. Mir war, als hätte ich für einen Bruchteil einer Sekunde das Antlitz meiner Frau gesehen. Die Situation irritierte und machte mich traurig, da ich wusste das meine Frau an diesem Weihnachtsmarkt ihre Freude gehabt hätte. Ich überlegte nicht lange und erwarb die Christbaumkugel für ein paar Euro. Als ich zu meiner Pension zurück lief, hatte meine vorweihnachtliche Stimmung einen erheblichen Schub bekommen. Leicht beschwingt von dieser Euphorie und ein wenig Alkohol im Blut, ging ich recht früh zu Bett, um in dem Taschenbuch "Weihnachtsgeschichten" noch ein wenig zu schmökern. Die Christbaumkugel hatte ich als Dekoration an einen Tannenzweig gehängt, den meine Pensionswirtin als vorweihnachtlichen Boten in meinem Zimmer aufgestellt hatte. Als ich das Licht löschte, um den Tag zu beschließen, musste ich feststellen, dass von der Christbaumkugel ein Leuchten ausging, obwohl sie von keiner Lichtquelle angestrahlt wurde. Mich beschlich das merkwürdige Gefühl, nicht alleine im Raum zu sein, denn als ich aufstand, um die Christbaumkugel näher zu betrachten, sah ich erneut das Antlitz meiner Frau als Spiegelung. Unheimlich war es mir in diesem Moment und ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Trotz des Vorfalls konnte ich gut einschlafen und hatte einen erholsamen Schlaf.

Den Sonntag nutzte ich, um mich auf die kommende Woche vorzubereiten. Erstaunlicherweise erwies sich die erste Stippvisite als äußerst lukrativ. Alles verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle und auch die Geschäftspartner erwiesen sich als sehr zuvorkommend, so dass ich noch einige Aufträge einstreichen konnte. Dienstag war Heiligabend und ich zog die Möglichkeit in Erwägung, nach diesem erfolgreichem Tag, eventuell doch noch nach Hause zu fahren. Vorausgesetzt ich würde meine letzte Aufwartung bis Mittag abschießen können und das Wetter würde meinen Zeitplan nicht durchkreuzen.

Der folgende Tag verlief jedoch ausgesprochen schlecht. Schneefall hatte am frühen Morgen eingesetzt, dessen Flocken teilweise die Größe von Marmeladenglasdeckel hatten. Der Verkehr nach Bayerisch-Eisenstein kam nach und nach zum Erliegen. Deshalb verspätete ich mich zunehmend und kam nicht rechtzeitig zu meinem vereinbarten Terminen. Meine Geschäftspartner waren darüber nicht sehr glücklich, da die verbleibende Zeit enger bemessen war. Erfahrungsbedingt und weil Weihnachten war, brachten sie sehr viel Verständnis für meine Situation auf.

Als ich am späten Nachmittag ziemlich konfus auf den Hof zu meiner Pension fuhr, war meine Stimmung auf den Nullpunkt. Beim Aussteigen kam meine Pensionswirtin aus dem Haus und lud mich ein, mit ihrer Familie zusammen das Weihnachtsfest zu feiern. Eigentlich war mir nicht zum Feiern zumut. Da ich aber mit meiner Familie schon des Öfteren hier als Urlaubsgäste logierte, hatte ich ein sehr gutes Verhältnis zur Familie Hirtreiter und willigte ein. Für meinen Wagen stellte sie mir einen Stellplatz in der Scheune zur Verfügung. Beim Eintreten ins Haus erklärte sie mir den Ablauf des Abends.

Gegen 19:00 Uhr würden wir den weihnachtlichen Schmaus gemeinsam einnehmen und danach könnte ich an der Bescherung teilhaben. Um 23:30 Uhr würden wir gemeinsam zur Kirche pilgern, um während der feierlichen Christmette die Geburt Christi zu feiern.

So ihre Weisung, die ich erstaunt aber dankend entgegennahm. Auf meinem Zimmer stellte ich mich ans Fenster und telefonierte nach Hause. Nach draußen blickend sah ich, dass der Schnee dem Dorf arg zusetzte. Die Schneelast auf den Dächern betrug mittlerweile 50 cm und machten mir klar, dass es unvernünftig gewesen wäre, bei dieser Witterung die Heimreise anzutreten. Am anderen Ende meldete sich niemand, was ich damit in Zusammenhang brachte, dass meine Frau und die Kinder vielleicht schon in der Kirche waren. Ich würde es später noch einmal versuchen. Danach machte ich mich frisch. Für mich stand fest, dass ich am ersten Weihnachtstag recht früh am Morgen die Heimreise antreten würde.

Gegen 18:30 Uhr wechselte ich meine Kleidung für den bevorstehenden Festakt. Während des Packens meiner Reisetasche, glaubte ich den lieblichen Klang eines Glöckchens zu vernehmen. Es war beinahe wie zu meiner Kinderzeit. B e s c h e r u n g! Etwas anderes wollte mir gar nicht in den Sinn kommen. Als ich die Treppe hinunterging und die gute Stube der Familie Hirtreiter betrat, war das Stimmungsbild, das ich zu sehen bekam mehr als nur eine große Bescherung. Andächtig standen die Familienmitglieder der Familie Hirtreiter vor dem festlich geschmückten Weihnachtsbaum und vor ihnen stand meine Frau mit den Kindern. Als meine Kinder mich sahen, kamen sie freudestrahlend auf mich zugerannt. Ich bückte mich und umarmte beide herzlich. Dann ging ich zu meiner Frau, die mich innig in ihre Arme nahm. Damit hatte ich nicht gerechnet, und meinen herzlichen Dank richtete ich sogleich an Frau Hirtreiter.

Besorgt um mein Familienleben, hatte sie mit meiner Frau telefoniert. Sie lud meine Frau und die Kinder zu sich ein, um im Kreise ihrer Familie gemeinsam Weihnachten zu feiern. Früh am Morgen des 24. Dezember waren sie mit dem Zug angereist und hatten rechtzeitig am Nachmittag die Pension erreicht.

Als ich mit meiner Frau den Weihnachtsbaum begutachtete, schauten wir in eine bauchige Christbaumkugel, die ich als die meinige erkannte. Anders als an den Tagen zuvor, war das Spiegelbild meiner Frau real. An diesem Abend durfte ich mit meiner Familie einer besonderen Weihnachtstradition beiwohnen die ich nicht vergessen werde. Daran wird mich meine Christbaumkugel jederzeit erinnern.

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Eingereicht am
15. April 2007

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