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Ein Männer-Weihnachtsmärchen
© Ursula Schmid, Willi Müller
Es war bald Weihnachten. Schnee hatte die Bäume gepudert und die Kinder klaubten die weiße Pracht von den Autos zusammen, um sich heiße Schneeballschlachten zu liefern. Die Menschen hatten allesamt fröhliche Gesichter. Nur einer war traurig, sehr traurig sogar - Gerhardchen. so sehr er sich auch bemühte, er fand keine "Prinzessin", die seine Liebste werden wollte.
Dies hatte natürlich einen guten Grund. Der junge Mann war nicht nur äußerst schüchtern gegenüber Frauen, er war auch noch klein, arm und arbeitslos.
In seiner Verzweiflung beschloss Gerhardchen sich vom Turm der Lorenzenkirche zu stürzen. Er kaufte sich eine Turmbesteigungskarte und schlurfte langsam die Treppen nach oben. Als er in der Glockenetage ankam, trat ihm eine Fee mit Kopftuch, Sonnenbrille und einem weißen Kleid entgegen.
"Gerhardchen", sagte sie, "ich weiß, du willst dich vom Turm herabstürzen, weil du keine Prinzessin findest, die dich liebt. Ich bin hier zu dir gekommen, immerhin ist bald Weihnachten, um dir deinen Wunsch zu erfüllen. Allerdings unter einer Bedingung: du musst mir einen Mann und eine Frau benennen, die sich wahrhaftig lieben. Drei Versuche hast du."
"Nichts leichter als das, liebe gute Fee," antwortete Gerhardchen freudig. Da kenne ich viele. Zum Beispiel den Merkelmann, der Textilhändler in unserer Stadt und seine liebreizende Anschela, einst Schönheitskönigin. Die lieben sich wahrhaftig."
"Nun mein Gerhardchen, ich werde dies prüfen. Bald werde ich wieder bei dir sein, ich erscheine dir dann und wenn ich dir berichten kann, dass sich Merkelmänner wirklich lieben, dann liegt bald eine Prinzessin neben dir im Bett. Gehe jetzt nach Hause und warte ab."
Geschwind eilte die Fee ins Haus des Fabrikanten und zauberte der einst so schönen Anschela viele Falten ins Gesicht, 21,5 kg Übergewicht und einen Hängebauch. Als der Merkelmann seine Frau so sah, erschrak er fürchterlich und suchte sich eilends eine Geliebte. Kurz darauf erschien die Fee im Schlafzimmer von Gerhardchen.
"Du hast dich geirrt, mein Lieber. Ich habe Anschela die Schönheit genommen und schon wurde er ihr untreu. Das kann doch wohl nicht die wahre Liebe gewesen sein!"
"Da habe ich mich wohl geirrt," sprach Gerhardchen kleinlaut. "In Kölle-Alaaf, da leben Romeo und Julia Schreder schon seit vielen Jahren glücklich und zufrieden. Komme was wolle, die lieben sich wahrhaftig."
"Das werde ich sofort überprüfen," antwortete die Fee mit dem Kopftuch und der Sonnenbrille. "Bald bin ich wieder bei dir!" Und wenn die Schreders sich wirklich lieben, dann liegt bald ein Fräulein neben dir im Bett!"
Schon am nächsten Tag sorgte die Fee bei den Schreders für eine Überraschung. Julia wurde praktisch über Nacht von der Putzfrau zur stellvertretenden Generaldirektorin der Firma Merkelmann befördert. In ihrer neuen Stellung entpuppte sie sich als wahres Unternehmertalent. Eine Woche nach ihrer Beförderung sprach Julia zu ihrem Mann.
"Romeo, ich bin jetzt schon eine Woche stellvertretende Generaldirektorin und du bist immer noch Hausmeister. Wenn die Untergebenen in meiner Firma erfahren, dass ich mit dir zusammen bin, muss ich mich fürchterlich schämen. Nimms nicht so tragisch - ich trenne mich von dir. Jeden Augenblick müssen die Möbelpacker kommen, ich nehme nur das Notwendigste mit. Denn in meinem neu angemieteten Luxus-Bungalow passen die alten Möbel natürlich nicht rein. Sei nicht böse, aber wir passen wirklich nicht mehr zusammen!"
Kurz darauf erschien die Fee bei Gerhardchen. "Du hast dich geirrt mein Lieber. Ich habe Julia zur Generaldirektorin gemacht und schwupp-di-wupp, hat sie ihren Mann verlassen. Übrigens heißt sie jetzt bald Strucks. Dr. Strucks, sie promoviert am Standesamt.
"Da habe ich mich ja wirklich total geirrt," sagte Gerhardchen unglücklich und sehr kleinlaut. "Doch ein früherer Arbeitskollege, Mussafa Mekmek und sein Frau Ümülü aus Turkmenistan, die lieben sich wirklich. Die beiden, die halten zusammen, stehen füreinander ein, egal was kommt."
"Ich überprüfe das", sagte die Fee kurz und verschwand.
Sie transformierte Ümülüs traditionelle Denkweisen zu einem modernen westlichen Weltbild. Sogleich begann Ümülü gegen ihre Beschränkungen zu rebellieren. "Mussafa, in welchem Jahrhundert leben wir denn eigentlich? Ich bin eine erwachsene Frau und kann doch selbst entscheiden, genauso wie du, was für mich gut ist. Ich werde ab sofort meine Freiheiten ausleben!"
Doch Mussafa reagierte darauf sehr ablehnend. Undenkbar für ihn seine Wäsche selbst zu bügeln. Er bedrohte seine Ümülü sogar, als diese ohne seine Erlaubnis mit Freundinnen ausgehen wollte. Als Mussafa am nächsten Tag zur Arbeit fuhr, packte Ümülü ihre Koffer und zog in ein Frauenhaus.
Die Fee erschien wieder im Schlafzimmer von Gerhardchen.
"Du hast dich wieder geirrt, mein Lieber. Ich habe Ümülü verwestlicht und schon hat sie ihren traditionellen Mann verlassen. Sie lebt jetzt im Frauenhaus und wird von feministischen Sozialpädagoginnen betreut. Sie hat ihren Mann nicht richtig geliebt, sondern sich nur ihren Traditionen gefügt.
"Ich bin jetzt am Ende," meinte Gerhardchen. "Wenn die sich nicht einmal lieben, dann liebt sich niemand. Ich werde wohl zu Weihnachten doch keine Frau unter dem Christbaum vorfinden. ich glaube, es ist doch besser, wenn ich auf den Turm steige!"
"Ach liebes Gerhardchen, du tust mir ja wirklich so leid. Und weil bald Weihnachten ist, erfülle ich dir trotzdem einen Wunsch. Der schönen Verona habe ich mal das Leben gerettet. Sie schuldet mir noch etwas. Ich werde ihr auftragen, dir für die nächsten drei Tage alle Wünsche zu erfüllen."
Kaum hatte dies die Fee ausgesprochen, stand die bezauberndste Frau vor Gerhardchen, die er je gesehen hatte. Während der nächsten Tage erlebte er die schönste Zeit seines Lebens. Sein Herz füllte sich mit Liebe für die schöne Verona. Die Zeit verging viel zu schnell für ihn und exakt nach drei Tagen verschwand Verona und die Fee mit Kopftuch und Brille stand wieder vor ihm. Gerhardchen weinte bitterlich.
Zu seiner Überraschung sprach die Fee folgendes zu ihm: "Du musst dich innerhalb der nächsten drei Minuten entscheiden. Ich habe viel Macht, weißt du, Verona soll bei dir bleiben."
Da brauchte Gerhardchen nun wirklich nicht lange überlegen und er strahlte. Verona stand wieder vor ihm. Schluchzend und mit Schluckauf weinte sie: "Ich will nicht mit dir zusammen sein, du hässlicher, arbeitsloser und verklemmter Gnom. Ich liebe einen anderen, den schönen, berühmten Thomas Geldschrank, der passt viel besser zu mir, als du. Bitte lass mich gehen!"
"Ich mag dich aber doch so sehr. Aber weil ich dich so sehr liebe, lasse ich dich gehen. Es ist ja Weihnachten, deshalb..." Seine Schultern bebten, als er sich umwandte.
In diesem Moment verwandelte sich Verona in die Kopftuch- und Brillenfee. "Du hast sie wirklich gehen lassen, Gerhardchen? Obwohl du weißt, dass dieser Thomas Geldschrank ein aufgeblasener Lackaffe ist?"
Mit einem Schwung riss sich die Fee ihr Kopftuch und die Brille herunter, öffnete ihre zusammengeknoteten Haare und stülpte das Feenkleid über den Kopf. Gerhardchen bekam ganz große Augen.
"Ich bins wirklich, die Verona!" Ich wollte dich nur testen, ob du wirklich lieben kannst. Du hast den Test bestanden, nun bin ich dein."
"Was für einen Test?, stotterte Gerhardchen.
"Ich erkläre es dir: Uns Feen ist manchmal ganz schön langweilig auf der Wolke. Deshalb haben wir uns im Feengarten neulich ein Wettspiel ausgedacht. Ich habe darauf gewettet, dass ich einen Menschen finde, der zu wahrer Liebe fähig ist und angekündigt, mit diesem die nächsten Jahrzehnte auf der Erde zu verweilen. Als du so schwermütig den Turm hochgestiegen bist, entschied ich mich für dich. Du hast bestanden, nun bin ich dein."
Gerhardchen nahm trunken vor Freude und Liebe seine Verona in die Arme. Er feierte ein wunderschönes Weihnachtsfest.
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