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Besuch am heiligen Abend
© Regina Schleheck
Die Straße glänzte tiefschwarz, nur an den Stellen, an denen sich der Regen zu großen Pfützen zusammengefunden hatte, um anderntags die Messegänger über spiegelglatte Eisflächen schlingern zu lassen, da schillerte es in allen Farben. Während der Drogerist das Schild an der Ladentür wendete, fiel der Widerschein der gespiegelten Weihnachtsbeleuchtung auf sein Gesicht und ließ es grün und rot aufleuchten. Er hielt einen Moment inne und starrte nachdenklich nach draußen, wo die Menschen mit ihren letzten Weihnachtseinkäufen
hastig unter großen Schirmen zu ihren Heimstätten flohen.
Es war ein windiger Abend, geradezu stürmisch, ja, man hörte von Ferne von Zeit zu Zeit etwas heulen, dass es den Drogeristen fröstelte, während er dastand und hinausstarrte.
Die Lichterkränze an den Fenstern gegenüber wechselten die Farbe im immergleichen Rhythmus: Grün - Rot - Gelb - Blau und die Nase des Drogeristen leuchtete im gleichen Rhythmus grün - rot - gelb - blau, dann legte sich die Farbe als Rahmen um sein Gesicht und breitete sich weiter über das Glas der Tür aus, während die nächste Farbe auf der Nasenspitze des Drogeristen aufglühte.
Erst als der Körper des Drogeristen sich schon zum Gehen gewendet hatte, löste sich sein Blick von der dunklen Straße. Er ging zur Kasse, um den abendlichen Kassensturz zu machen, und der träumerische Ausdruck in seinen Augen verschwand, als hätte es ihn nie gegeben.
Er hatte vergessen, die Tür abzuschließen, und so öffnete sie sich noch einmal mit schrillem Klingeln, als der Drogerist gerade mitten im Zählen war. Er machte eine abwehrende Bewegung mit der einen Hand zur Tür hin, während sein Blick gebannt an den Scheinen hing, die er mit der anderen Hand abzählte.
"Tut mir leid, der Laden ist schon geschlossen."
Aber der Eindringling blieb einfach stehen. Es war ein großer untersetzter Weinnachtsmann in rotem Kapuzenmantel und schwarzen schweren Stiefeln. Der Mantel hing ihm dunkel und nass am Leib und tropfte kleine Rinnsale auf das Linoleum vor der Tür. Der ganze Weinnachtsmann bot ein Bild des Jammers. Der Drogerist blickte jetzt verärgert auf. Als er jedoch sah, wen er vor sich hatte, zuckte er zusammen und schmolz förmlich vor Bedauern dahin.
"Nein, das ist ja - Himmel, der Weinnachtsmann persönlich! Wie konnte ich nur - Ja, guter Mann, wie sehen Sie denn aus? Sie hat es aber bös erwischt! Sie sind ja ganz blass, mein Gott, die Nase läuft und ganz rote Augen haben Sie!", stammelte er.
Er legte die Scheine in die Kasse zurück und fegte das bereits gezählte Geld achtlos dazu in die Lade, die er mit einem Ruck schloss, um dem Weinnachtsmann mit geöffneten Armen ein paar Schritte entgegen zu eilen.
Der nasse rote Mann hob abwehrend beide Hände. "Nicht doch, ich wollte Sie doch gar nicht aufhalten, - es ist nur -", er drehte mit den Fingern an dem Stoffsaum seiner Ärmel. "Es ist nur - normalerweise erscheine ich den Menschen ja nicht, aber Sie sehen ja selbst - ich bin am Ende meiner Kräfte."
"Oh ja, oh ja, das sehe ich", sagte der Drogerist mitfühlend. Er machte eine Geste, als wollte er dem Weinnachtsmann seinen nassen Mantel abnehmen, zögerte dann aber, rieb die Hände verlegen ineinander und redete weiter drauflos: "Mein Gott, Sie Ärmster, Sie! Das ist aber doch auch kein Wunder bei dem Sauwetter da draußen! Da möchte man ja keinen Hund vor die Tür jagen! - Und Sie müssen immer - das ist weiß Gott kein leichter Job! - Ich bewundere Sie ja! - Schon als kleiner Junge hab ich mich immer
schon gefragt: Wie macht der das bloß? In einer einzigen Nacht, das ist ja eine Ochsentour, und das ob's stürmt oder schneit!"
Der Weinnachtsmann schien selbst sehr ergriffen. Eine einzelne Träne lief ihm aus dem roten Auge über die Wange und tropfte auf seine nasse breite Brust.
"Ja, ja, so ist das, Jahr für Jahr - aber manchmal kann selbst ich dann einfach nicht mehr, und da kam ich gerade hier vorbei, und da wollte ich Sie um Hilfe bitten -"
Der Drogerist ermannte sich. "Das war recht so", sagte er mit fester Stimme. "Hier wird Ihnen Hilfe zuteil! Nehmen Sie das hier erst mal!"
Er griff ein Päckchen Papiertaschentücher aus dem Regal, riss es auf und bot dem Weinnachtsmann davon an.
Der Weinnachtsmann zog ein Tuch aus der angebotenen Packung heraus, entfaltete es mit blinzelnden Augen und schnäuzte sich trompetend hinein.
"Danke, vielen Dank!", nuschelte er in das Tuch.
Der Drogerist stopfte ihm das angebrochene Päckchen fürsorglich in die Manteltasche und ging dann sinnend an ihm vorbei die Regale entlang, während er vor sich hin sprach: "Mein Gott, was hab ich denn da? Was könnte ich Ihnen anbieten? - Pastillen, Lutschbonbons, Inhalationstropfen, Erkältungstee - ", er griff dabei in die Regale und fischte einige Päckchen heraus.
Der Weinnachtsmann sah zweifelnd auf die Produkte, die der Drogerist in der linken Hand anhäufte. "Sie meinen wirklich, das hilft? - Wissen Sie, ich fühle mich einfach so leer, völlig ausgepumpt -"
Der Drogerist war voller Verständnis. "Uns Menschen geht es doch nicht anders. Gerade zu dieser Zeit und im Einzelhandel - "
Aber der Weinnachtsmann unterbrach ihn unwirsch. "Ja, ja, natürlich, wir tragen alle unser Päckchen. Und es wird jedes Jahr schlimmer! Diese Massenschlachtungen der Tannenwälder! Trotz des Baumsterbens! Der Konsumterror der Überflussgesellschaft, die total verwöhnten und dabei doch sozial verwahrlosten Kinder! - Da könnten einem weiß Gott die Tränen kommen."
Der Drogerist ereiferte sich: "Sie sprechen mir ja so was von der Seele! Das Fest der Freude ist nicht mehr das, was es mal war!"
Das kurze Auflachen des Weinnachtsmannes hatte einen schrillen Unterton. "Fest der Freude, sagen Sie? - Das reinste Trauerspiel ist es! Aber je schlimmer die Menschen es treiben, umso weniger kann ich dabei empfinden. Manchmal kommt mich einfach nur noch das Lachen an, ein Lachen der Verzweiflung, wo ich doch eigentlich in Tränen ausbrechen müsste!"
Der Drogerist bot ihm spontan das Päckchen Tempotücher wieder an, als hätte er nicht recht verstanden, was der Mann im roten Mantel gesagt hatte.
"Es ist einfach unprofessionell", ereiferte sich dieser, die Geste seines Gegenübers ignorierend. "Aber ich kann einfach nicht mehr! Ich hab schon so oft überlegt, meinen Beruf an den Nagel zu hängen, aber - wozu sollte ich dann noch gut sein?"
Der Drogerist war ein Bild der Bestürzung. "Nein, nein, so dürfen Sie doch nicht reden!"
"So ist es aber, und gerade als ich eben wieder so weit war, sah ich Ihren Laden und dachte, hier könnte mir vielleicht geholfen werden!" Der Weinnachtsmann sah den Mann im weißen Kittel forschend an und dieser verbeugte sich tief.
"Es ist mir eine große Ehre!"
Der Blick des Weinnachtsmannes fiel auf das Regal hinter dem Rücken des vorgebeugten Drogeristen. "Da! - Das ist es doch! Das ist es, was ich suche!" Er griff mit einer raschen Handbewegung in das Regal und hätte dem Drogeristen dabei fast einen Kinnhaken verpasst, als dieser sich aufrichtete.
"Weingummi!", strahlte der Weinnachtsmann, "das ist es doch, was ich brauche!"
Der Drogerist blickte ihn entgeistert an. "Weingummi?", fragte er verwirrt.
Der Weinnachtsmann strahlte. "Das hilft doch bestimmt!" Er fing den Blick seines Gegenübers auf und stutzte. "Sie meinen, es hilft nicht? Aber es heißt doch Weingummi! - Was soll ich denn bloß machen? Ich dachte doch, hier finde ich ganz bestimmt was, das mich zum Weinen bringt!"
"Wieso denn zum Weinen?", fragte der Drogerist verblüfft.
Das Entsetzen des Weinnachtsmannes war nicht minder. "Aber ist das denn hier keine Drogerie? Ich dachte, Sie verkaufen hier Drogen! Irgendwas, das einen so richtig runterzieht!"
"Ich dachte, Sie brauchten etwas gegen Ihre Erkältung!", entgegnete der Drogerist verblüfft.
"Aber ich bin doch der Weinnachtsmann!", gab der rot gewandete Himmelsbote verzweifelt zurück. "Weinnachtsmänner müssen weinen, die ganze Weinnacht lang, sonst sind sie keine Weinnachtsmänner mehr, sondern genauso überflüssig wie der ganze Tanderadei, den die Menschen um die Weinnacht veranstalten! - Gott, es ist zum Heulen!"
Er schluchzte jetzt in höchster Verzweiflung auf, und siehe da, die Tränen begannen wieder aus seinen Augen zu fließen, sie fielen in wahren Sturzbächen rechts und links über seine Wangen, suchten sich ihren Weg durch die salzigen Furchen, die ihre Vorgänger im Antlitz des Weinnachtsmannes hinterlassen hatten, versickerten in dem dichten Bart, der sich immer voller sog, bis sich an der Spitze ein kleines Tröpfchen formte, das fiel, dicht gefolgt von weiteren Tränen, die unaufhörlich nachdrängelten. Der Mann weinte
herzzerreißend. Er jaulte und schluchzte in höchsten Tönen. Seine Augen glitzerten und er packte mit beiden Händen die Hände des Drogeristen und schüttelte sie kräftig.
"Danke", schluchzte er begeistert. "Vielen, vielen Dank!"
Dann wandte er sich entschlossen zur Tür, öffnete sie energisch und mit schrillem Klingeln, schritt er hinaus in das bunte Lichtergefunkel, das das Abenddunkel durchschnitt und entschwand rasch aus dem Blickfeld des erstarrten Drogeristen. Nur sein Schluchzen war noch eine Weile zu hören, das immer leiser wurde, bis es nicht mehr zu vernehmen war.
Der Drogerist stand noch lange nachdenklich in seinem Laden vor seiner Kasse, das angebrochene Päckchen Tempotücher in der Hand und sann nach. Dann rieb er sich die Augen wie nach einem schweren Traum.
"Nein, das kann ich keinem weiter erzählen. Das kann nicht sein. Sollten wir uns alle so getäuscht haben? - Nein, ich muss das geträumt haben. Ich bin einfach ein bisschen müde, das ist es."
Er ließ seine Kasse wieder aufschnappen und begann bedächtig von neuem seine Einnahmen zu zählen.
Irgendwo in der Ferne heulte ein Dezembersturm.
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