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Der Weihnachtsmann
© Regina Schleheck
"Was wünscht sich Jonathan?"
"Eine Lover-Lampe", beharrte Tim, "das hat er selbst gesagt."
"Was soll das sein?"
Tim grinste. "Sie leuchtet. Und zwar rot, hat er gesagt."
"Weißt du überhaupt, was das heißt, "Lover"?"
Aber die Frage kann man heutzutage keinem Neunjährigen mehr stellen.
"Geht doch bebi, ist doch Englisch."
"Und?"
"Lover halt, 'ne Lampe für Liebhaber."
"Und was stellt sich Jonathan darunter vor?"
"Weiß ich!? Was Rotes halt. Es bewegt sich."
"Du spinnst. - Sag mir lieber, was du dir wünschst."
"Steht alles auf der Liste. An der Pinnwand. Gutscheine. Geld. Und du?"
"Liebe Kinder."
"Was Mögliches."
"Sechs Richtige im Lotto."
Tim verdrehte die Augen.
"Sag doch einfach: Badeschaum."
"Badeschaum."
Er strahlte.
"Und was für Gutscheine wünschst du dir?"
"Fürs Disneyland. Und dass ich nicht mehr Rasen mähen muss."
"Was Mögliches."
"Was denn?"
"Zum Beispiel Socken."
"Brauch ich nicht."
"Deine Socken sind alle kaputt."
"Na und? Ich zieh doch Schuhe drüber an."
So kam ich nicht weiter.
"Sag mal, was machst du da eigentlich?"
"Was für Tabea." Er sah sehr zufrieden mit sich aus. "Ich mach ihr Fahrrad schöner."
Fahrrad konnte man diese Ruine beim besten Willen nicht mehr nennen.
"Weiß Tabea, was du da tust?"
"Hat sie sich ja gewünscht."
"Dass du ihr Fahrrad auseinander nimmst?"
"Sie will ein pinkes. Ich streich es an."
Ich ließ einen zweifelnden Blick über den Berg an Schrauben, Muttern und Fahrradzubehör schweifen.
"Und dann willst du das alles wieder zusammen bauen?"
"Jonathan hilft mir bestimmt. Der hat auch noch nix für Tabea."
Es war wie jedes Jahr. Hätte das Christkind gewusst, was es uns mit seiner Geburt angetan hatte, hätte es das sicher sein gelassen. Schon aus lauter Christlichkeit. Aber so weit konnte es das damals wohl auch noch nicht überblicken. Seit mein Mann sich vor zwei Jahren aus dem Staub gemacht hatte, war die Weihnachtszeit für mich die härteste Jahreszeit. Ich konnte froh sein, dass ich diesen Job bei der Zeitung erwischt hatte, aber er fraß mich auf. Gerade in der Vorweihnachtszeit wurde ich von einem Event zum
anderen geschickt, ob es die Proklamation des neuen Christkindls war, die Spendensammlung des Poppelsdorfer Kleingärtnervereins oder die Adventslotterie des Friseursalons Ferdinand, ich war immer live dabei, und für meine häuslichen Weihnachtsvorbereitungen blieb jedenfalls keine Zeit.
Dennoch war unser Haus von einer allgemeinen Geschäftigkeit erfasst. Sie spielte sich in erster Linie hinter verschlossenen Kinderzimmertüren ab, die sich mir auch nach mehrmaligem Klopfen nicht öffneten und hinter denen alles verschwand, was nicht niet- und nagelfest war: Scheren, Tesa, Krepp-Papier und vor allem meine Kinder. Ich versuchte mein Glück auf meinen Wegen zwischen Weihnachtsmarkt und Wohltätigkeitsbasar, fand aber in der ganzen Stadt keine rote Lampe, die sich bewegte, und auf meinen Rasenmäher
konnte ich auch nicht verzichten. Tabea war kein Problem. Ihr gewünschtes Eau de Toilette war gerade im Sonderangebot. Für eine Sechzehnjährige muss man auch schon mehr anlegen. Für Tim fand ich Socken. Nur Jonathan lag mir noch schwer im Magen, bis ich bei Aldi im Durchhetzen eine Lederkulturtasche griff, die ihm die peinliche lila Schmuddelausführung mit der Sparkassen-Werbung vom vorletzten Weltspartag ersetzen sollte.
Der Schraubenberg im Keller hatte eine pinke Färbung angenommen, aber wies erst recht keine Ähnlichkeit mit einem Fahrrad mehr auf. Außerdem war der Kellerboden jetzt pink, und die Waschmaschine hatte auch etwas abbekommen.
Tabea hatte sich dieses Jahr bereit erklärt, das Weihnachtsessen zuzubereiten, weil ich bis zum Nachmittag eingespannt war. Drei Tage vor Heiligabend hatte sie mir die Zutatenliste ausgehändigt, und ich hatte alles besorgt, was sie aufgeschrieben hatte. Nur eingelegte Lychees zum Dessert hatte ich nicht gekriegt und gehofft, es werde nichts ausmachen.
Es machte etwas aus. Die Ente war angebrannt, der Reis verpappt, meine Tochter den Tränen nahe, als ich nach Hause kam, und Schuld waren die Lychees, die fehlenden, wie Tabea mir unter Ausstoßung sehr undamenhafter Flüche vorwarf.
Das begab sich am 24. 12. 2001 um 15.00 Uhr. Warum ich das so genau weiß? Weil um fünf nach drei der Weihnachtsmann klingelte und mir eine Spendenbüchse des Tierschutzvereins entgegenstreckte. Er war blond und groß und ehrenamtlich unterwegs und trug eine Brille, hinter der er seine Augen blinzelnd zusammenkniff, weil ihm der Qualm der verbrannten Ente aus dem Flur entgegen quoll. Viel mehr sah man von ihm nicht, weil er die rote Kapuze bis über die Augenbrauen heruntergezogen hatte und die schnüffelnde Nasenspitze
gerade noch aus dem Wattebart herauslugte. Der Rest des Himmelsboten war unter einem riesigen roten Bademantel verborgen.
"Sollte das eine Ente sein?"
Ich wusste nicht recht, ob das Bedauern in seiner Stimme sich auf das Tier bezog, auf seine verbrannten Überreste oder auf die Tatsache, dass er an deren Vernichtung keinen Anteil haben sollte.
Einer plötzlichen Eingebung folgend lud ich ihn zu einem Cognac ein.
Er setzte sich zu der aufgelösten Tabea an den Küchentisch, ich schenkte meiner Tochter eine kleine und uns beiden gerade die richtige Portion ein, wir prosteten uns zu und der Weihnachtsmann betrachtete fachmännisch unseren Weihnachtsbraten.
"Na, die ist doch genau richtig", lautete sein Befund.
Tabea stellte augenblicklich ihr Schniefen ein und blickte ihn hoffnungsfroh an. Ich überließ den beiden erleichtert das Feld, um Tim im Keller beizustehen, der Weihnachtsmann hängte seinen Bademantel über den Küchenstuhl, stellte die Spendendose für den Tierschutzverein auf den Kühlschrank und widmete sich der Rettung unserer Ente.
Während ich also mit Tim im Keller rosa Schrauben puzzelte, schabte der Weihnachtsmann in der Küche die angebrannte Entenkruste ab, briet mit Tabea Bananen zum Nachtisch und fachsimpelte mit Jonathan, wie man rote Lava-Lampen billig selbst herstellen konnte.
Es stellte sich heraus, dass er an dem Tag sowieso nichts mehr vorhatte, weil keiner zu Hause auf ihn wartete, dass die arg gerupfte Ente gut für fünf Personen reichte und dass der Weihnachtsmann Rüdiger hieß.
Nach dem Essen bastelte er noch das rosa Fahrrad zusammen, spülte und blieb zur Bescherung.
Ich kriegte zweimal Badeschaum Fichtennadel und einmal Lavendel.
Aber Tim war sehr pragmatisch: "Einmal Fichtennadel ist für den Weihnachtsmann."
Der Weihnachtsmann Rüdiger war sehr gerührt.
"Ich denke, das ist für deine Mutter", nuschelte er in seinen Bart.
"In Wirklichkeit wollte Mutter ja nur liebe Kinder und einen Sechser im Lotto", klärte Tim ihn auf. "Der Badeschaum war ja nur falls es dazu nicht reicht."
Da saßen nun die drei liebsten Kinder der Welt mit mir unterm Weihnachtsbaum und daneben saß mein Sechser im Lotto. Zu dem Zeitpunkt sagte mir nur ein Kribbeln tief unten im Bauch, dass er es sein könnte, aber es kribbelte immerhin heftig genug, dass ich ihm gerne einen Badezusatz abtrat. Er steckte seine Nasenspitze in den Lavendel-Badeschaum. Die Flasche verschwand fast in seinem Rauschebart, den er erst zum Küssen ablegte, als die Kinder im Bett und die Cognacflasche halb leer war.
Der Wattebart lag noch lange im Bücherregal, bis ich ihn kurz nach dem Weihnachtsbaum entsorgte, in der Hoffnung, dass der Weihnachtsmann nie wieder in den Himmel könnte ohne Bart.
Und so war es auch.
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