Weihnachtsgeschichten - Adventsgeschichten
Kurzgeschichte Weihnachten Weihnacht Advent
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Merry Christmas Das Ultimatum - eine langweilige Weihnachtsgeschichte

© Bernd Christiansen

Oh, Weihnachten!

Die Menschen feiern wieder. Familien finden zusammen, nach langer Zeit, aber in diesen Tagen wird gefeiert. Besonders morgen, da ist Heiligabend. Aber hier ist ganz gut was los in Mannheim. Bin vorhin erst durch die Ladenstraße marschiert, über die Planken. Jetzt bewege ich mich weiter.

Ich habe einige Leute gesehen, keine Bekannten von mir, muss auch net sei', heute beobachte ich nur, bummele durch die belebten Straßen und freue mich mit ihnen allen, denen ich begegne. Mächtig was los, jawoll, immer noch, am letzten Werktag vor Heiligabend, spätestens morgen abend muss die Geschenkpalette stehen, dann geht nichts mehr. Rien ne va plus - wir Franzosen unter uns.

Die Straßen hierher, in die City, sind überfüllt wie lange net mehr. Schon mittags halb elf. Was für prächtige Staus. Gott sei Dank blieb ich davon verschont: Bin von Ludwigshafen her über die Adenauerbrücke per pedes gekommen. Tut, glaub' ich, der Umwelt ganz gut. Den Wagen brauche ich nicht.

In den großen Geschäften sieht es nicht anders aus. Was red' ich, groß oder klein, die treten sich überall gegenseitig auf die Füße, dass es sie verärgert und mich amüsiert. Ich bewege mich entspannt und aufmerksam in ihrer Mitte und dem fließenden Verkehr entsprechend. Heute bin ich mal Mitläufer. Ich habe kein bestimmtes Ziel, lasse mich einfach treiben, in die gewaltige Masse Mensch hineinziehen. Wer weiß, wo ich lande!

Überhaupt begann der Tag schon so, mit diesem gewissen Etwas, das einem sagt, es sei einer dieser Tage des Handelns und Tuns. Frisch ging es los, wohlgemut und gutgelaunt sprang ich aus dem Bett, das mir so verdammt groß erschien. Ja, richtig, meine Frau hat mich ja gestern erst verlassen, deshalb. Das kam mir übrigens gar nicht so ungelegen, habe ich doch jetzt Zeit für all jene Dinge, die ich schon immer tun wollte und nur vor mir hergeschoben hatte. Und zudem habe ich keine Probleme mehr, endlich stressfrei konnte ich diesen recht kalten, aber doch schönen Tag begehen.

Und das tue ich. Die Jahrtausendwende rückt näher, ich fühle es regelrecht in allen Gliedern, nicht nur mein Verstand weiß es. Diesmal keine weiße Weihnacht, wieder mal nicht, aber ich habe mich fast daran gewöhnt. Lasse mich immer überraschen, jedes Jahr von neuem.

Diesmal mache ich alles anders. Ich habe mich abgesondert, ausgegrenzt, mögen manche es nennen. Treffe niemanden, Freunde sollen es sich selbst gemütlich machen und auf mich verzichten, heut` mal. Und die nächsten Tage. Ich will niemanden sehen, nur etwas umherschweifen. Mich freuen halt, merry christmas. Genießen, aber für mich allein. Mich nicht von anderen... Einflüssen stören lassen. Nicht zulassen, dass mir jemand einen Strich durch diese ungetrübte Rechnung macht. Mich vielleicht verlieben, wenn ich heute schon der Richtigen begegne.

Alles möcht ich auf mich zukommen lassen, was passiert und auch das, was nicht geschieht, begehren, Dinge und Personen, und sie doch nicht bekommen. Träumen möcht ich, erleben will ich, wie sich die Erde um mich dreht, obwohl ich nur Fremden davon erzählen kann. Die Menschen sind dieser Tage freundlich, geradezu unheimlich überfreundlich, glauben bisweilen an Gott und Jesus und die Jünger und Moses, wollen Gutes bewirken und tun, lächeln und haben es schon damit getan.

Doch auch die andere Seite will ich.

"Komm, Kind, wir haben keine Zeit mehr und noch so vieles zu erledigen!"

"Mami, Mami, kriege ich jetzt den Bär oder nicht?"

"Heute nicht, mein Schatz, das Geld reicht kaum für Opas Geschenk ..."

"Aber ich will den Bär!"

"Warte doch einfach ab, was dir der Weihnachtsmann unter den Christbaum legt!"

"Weißt du's, Mami, weißt du's?"

"Herrgott, nein, und jetzt komm' weiter!"

Des Kindes Gesicht füllt sich mit Tränen.

"Ich will den Bär!"

Die Mutter kniet nieder, schließt ihre Hände um die der Kleinen.

"Hör' mir jetzt mal gut zu! Deinen Wunschzettel an den Weihnachtsmann habe ich weitergegeben, wie du es mir gesagt hast. Er hat ihn ganz sicher gekriegt. Aber was er macht, wenn er erfährt, dass du heute so unartig bist, weiß ich nicht. - Soll ich es ihm erzählen?"

Erschreckt fährt das Kind auf und vergisst sogar zu weinen. "Nein, Mami!" Sie steht auf. "Dann benimm' dich endlich!" Im Ungewissen belassen, widerstrebend folgt sie ihrer Erzieherin und ist ruhig.

Ein Southern Comfort irgendwo bringt mich auf den Boden zurück.

Christstollen werden verkauft, ein Renner, auch heute noch, nicht nur zu den heiligen Adventtagen. Sogar draußen, auf der Straße. Ich wandere weiter. Und stolpere beinahe über eine Bettlerin, so eine Zigeunerin mit mitleidheischender Miene und einem Kleinkind im Arm, von denen es heißt, diese Bettler-Tour sei nur eine Masche, ein billiger Trick, von der Familie abgesandt versuchten sie, nicht nur dem Sozialstaat, sondern auch dem kleinen Mann von der Straße das Geld aus dem Hosenrock zu ziehen. Ich lächle sie kurz an, bemühe mich ansonsten um Ausdruckslosigkeit, Ignoranz und rasches Fortkommen. Ich glaube nämlich diese Stories, die man sich erzählt. Aber das spielt wohl keine große Rolle mehr. Bin längst drüber weg.

Ich befinde mich auf dem Bürgersteig. Ein kleiner Junge nicht, hat sich von seiner Mutti losgerissen, läuft auf die Fahrbahn und wird von einem überraschten Taxifahrer (ein Mercedes) niedergeplättet. Die Mutti kreischt, erbricht und bricht, ebenfalls auf der Straße, in ihrer eigenen Lache zusammen. Ich habe alles beobachten dürfen, denke darüber nach, wie gefährlich der Verkehr heutzutage geworden ist, nehme mir vor, selbst besser aufzupassen, und gehe weiter.

Ein schöner Tag. Irgendwie schon. Ich bin gut drauf. Mir geht es gut, nichts, hämmere ich mir ein in meinen nekrobiosen Schädel, darf diese Laune trüben. Mir fällt ein - wirklich urplötzlich -, dass ich auf dem Küchentisch daheim keine Nachricht hinterlassen habe, dann wird mir genauso schlagartig bewusst, dass ja niemand da ist, sie zu empfangen und zu lesen. Auch gut so! Lächerlich, dies meine Gedanken. Ist noch zu frisch das Ganze.

Grandios fühle ich mich und verstehe es nicht. Müsste mir doch eigentlich sehr viel stärker zusetzen. Diesen Möglichkeiten zum Trotz könnte ich heut` Freudensprünge vollbringen, Bäume ausreißen, glauben Sie mir bitte. Verdammt, ich weiß es nicht besser zu beschreiben, also glauben Sie's einfach.

Mmh, ich bin die City leid, renne hier schon Stunden herum, brauche einen Wechsel. Vollziehe ihn, indem ich als Erstgeborener auf den Weihnachtsmarkt zusteuere. Schließlich ist es auch sein letzter Tag. Morgen früh schon steht er nicht mehr, die Dielen der Bretterbuden feiern ebenfalls. Und sicher net zu knapp.

Ich muss mich sputen, um Neune machen sie alle dicht, dann hab' ich nix mehr davon. Ich will ja eigentlich nichts kaufen oder so, bloß gucken, aber wenn sie alle schließen und in der Folge Menschenmassen nach Hause trudeln, was hab' ich dann noch vom Weihnachtsmarkt? Zum Teufel, auf geht's!

Warum - und das habe ich schon des Öfteren festgestellt! - gibt es das derart selten, dass man als Single solche Märkte aufsucht, dass es wirklich auffällt, kommt man/frau alleine. - Ist dies so ungewöhnlich? Die letzte Bastion der Glücklichen, Verliebten? Achten Sie gelegentlich darauf, denken Sie an meine Worte zurück, es stimmt, Sie werden Tausend Paare und Cliquen entdecken, doch nur ein oder zwei Singles. - Aber mir macht das nichts, dieses Angestarrtwerden kratzt mich nicht. Die Zeit läuft zu schnell davon, die Uhr ab, als dass ich mich über diese Fakten mokieren könnte. Und selbst wenn...

Jetzt bin ich dort. Das Holz türmt sich vor mir auf, geformt zu Hütten, fast bedrohlich, ist ja auch dunkel. Die Nacht bricht herein und ich frage mich, was wohl in dieser noch alles geschehen mag. Die Baracken starren mich finster an, warten einerseits auf mich, bemühen sich aber um einladende Mimik. Ich soll angelockt werden - wenn ich mich ihnen nähere, schnappt die Falle zu. Und sie lässt nicht eher los, bis ich stark verwundet bin. Finanziell, also pleite, oder seelisch, mental, angeschlagen durch zuviel auf mich Hereinbrechendes. Ich hole tief Luft. Okay, ich komme.

Stürze mich in diesen Joghurt aus Männlein und Weiblein des Homo sapiens. Dieser Trog lässt mich Zigarettenqualm schmecken, inhaltslosen Gesprächsfetzen lauschen, unzählige Gerüche wahrnehmen, die man auf jedem Markt, gleich welcher Art, erfährt. Hineingesogen und mitgezerrt in diesem Strom von Zehntausenden steigt mir einer auf meinen großen Zeh. Unangenehm, aber - weiß der Deubel bei so vielen - ich weiß sofort, wer es war und zur Rechenschaft zu ziehen ist: Der Herr mit Krawatte in graumeliert. Ich trete prompt feste zurück, mit der Stahlkappe, dessen Vorteile ich erst heute kennen- und schätzenlerne, voll ans Schienbein. Das tut weh, und er verzieht dementsprechend das Gesicht, schaut sich um. Ich gebe mich sehr ausdruckslos, marschiere im Gleichtakt der Masse weiter, weiß in der Tat von nichts und halte mein Tranchiermesser bereit. Er hat auch mich gesichtet, doch sein Blick gleitet hinfort auf andere, die sich verdächtiger geben. Mir bereitet er damit eine ungeheure Freude, und da er gerade noch in meiner Reichweite ist, lasse ich es mir nicht entgehen, wiederhole ich die Gaudi. Weiter. Glück gehabt! Er knickt ernsthaft ein, droht zu fallen - das wäre sein Tod bei den vielen Füßen ringsum - und sucht, nun ehrlich wütend und böse, immer noch den Schuldigen. Ich bin weg, das Messer ist wieder eingesteckt.

Woher stammt es überhaupt? Ah ja, da war doch vor kurzem dieser Ball, die Weihnachtsfeier meines Betriebes, also wo ich schaffe, mit jener Tombola, und seitdem habe ich den Mantel nicht mehr getragen. Das erklärt natürlich alles. Ich nehme mir vor, sobald ich daheim bin, einen geeigneten Platz dafür zu suchen, denn es macht sich optisch gut, ist sehr scharf und hat Qualität. Ich muss es wissen, wir stellen die Dinger selbst her.

Ich bleibe an irgendwelchen Ständen stehen und bestelle Crepes mit Nougat. Der Typ kommt sich sehr schlau und witzig vor, dieser Idiot, und als ich gezahlt habe, schnellt meine Hand vor, zieht ihn am Kragen über seinen Tresen auf meine Höhe herunter und stoße leise wüste Beschimpfungen und Drohungen aus. Ich kann mich nicht erinnern, was ich sagte, zumindest war er doch sehr überrascht und ist fortan brav und korrekt. Ich gehe weiter.

Unterwegs esse ich das Zeug und bemerke, dass Teile angebrannt sind; hat er mich also doch gelinkt, der Drecksack! Minutenlang ringe ich mit mir, kehre ich noch mal zurück oder nicht, dann siegt die Gleichgültigkeit und der Kerl wie ich sind gerettet.

Ganz schön lustig dieses Jahr hier, so was habe ich noch nicht erlebt. Das stellt alles in den Schatten. Ich gehe richtig aus mir heraus, und das befreit.

Der Gestank von Glühwein und Punsch ist überall, aber betäubt er auch, Sie kennen das sicher selbst. Zieht mich magisch an, also trinke ich und spüre das lodernde Feuer in mir, erhitzt meinen Körper. Ich fühle mich wohl hier heute und glaube, dass diese bedrohliche Holzwand mich jetzt hat. Ich bin überwältigt, gestehe ich mir ein.

Sehe Plätzchen, Mobiles, Waffelzauber. Klamottenständer, Steinarbeiten, Accessoires und Hutverkäufer, seidene Tücher und bunte Fächer, Modeschmuck hundertfach. Sogar Bücher und riesige Marionetten verscherbeln sie hier und einfach alles, wonach der verwöhnte Straßenbummler-Gaumen noch verlangt.

Der Weg wird breiter, ich nähere mich rapide, fix der Mitte des Platzes. Kann wieder atmen, Luft holen und ausholen, nichts beengt mich mehr. Bis gleich. Ich drehe mich im Kreis. Die Lichter blenden mich, ziehen mich sofort in ihren Bann. Kerzenschein wird vermarktet wie das Material selbst, ein Kinderkarussell klappert, Sie wissen schon, so eines mit verschiedenen Figuren, auf die sich Ihre Kinder setzen und rotieren. Zwanzigmal, dann sind die drei Mark flöten.

Sie sind ja leicht zu befriedigen, ruhigzustellen, nicht wie wir. Das kommt wohl automatisch mit dem Alter, unabhängig von der jeweiligen intellektuellen Stufe. Bedauerlich, in mancherlei Hinsicht, dass wir alle keine Kinder bleiben können, so vieles Schlechtes wäre undenkbar. Wir sterben schon so früh genug.

Die Menschen feiern wieder, das spürt man. Familien finden wieder zusammen, und sei es nur für diese Tage, nach langer Zeit, aber in diesen Tagen wird gefeiert. Besonders morgen, da ist Heiligabend. Hier ist ganz gut was los in Mannheim: Bin vorhin erst über die Planken marschiert, nun im Rosengarten. Jetzt bewege ich mich weiter.

Es soll so schön bleiben, andauern.

Ich distanziere mich, weil langsam Langeweile mich ergreift, lange heimlich, damit mich keiner versehentlich aufhält, nach dem langen Messer, allzeit bereit, und ritze mir schnell, ehe ich's mir noch mal überlege und dann wieder hart an mir arbeiten müsste, und fachmännisch - ich habe mich vor Jahren erkundigt! - die Pulsadern auf und was ich sonst noch alles erwische. Ich bin erschöpft, aber glücklich, sehe nun bestimmt etwas mitgenommen aus, vermute ich, aber wen kümmert das, und nehme Kontakt mit dem Asphalt auf. Ich höre noch irgendjemanden irgendwas rufen, verstehe nur den Wortlaut nicht.

Frohe Weihnachten wünsche ich auch Ihnen. Für mich war's das.

Ehe ich's vergesse: Später, sehr viel später - um genau zu sein, es war am zweiten Feiertag nach dem Heiligen Abend - ward uns doch noch so etwas wie weiße Weihnacht beschert.



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