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Sogar mein Name hat nur drei Buchstaben - wie aus wenig viel werden kann
Eine Weihnachtsgeschichte abseits vom Konsumwahn
© Paulina Schipper
Gerade zu Weihnachten scheint sich bei uns die Welt in zwei große Teile zu spalten. Einerseits diejenigen, bei denen zu Weihnachten so richtig geprasst wird und auf der anderen Seite diejenigen, die nichts haben und sich auf andere Werte als den Konsum beschränken.
Ich gehöre gemeinsam mit meinen Eltern und meinem kleinen Bruder zu der armen Schicht, wir haben fast nichts, wohnen seit Omas Tod in einem Schrebergartenhäuschen mit kleinem Anbau, haben kein Auto und können uns keine Urlaubsreise leisten. Und soll ich euch was sagen, sogar mein Name hat nur wenig Buchstaben, nämlich genau drei. Ich heiße Pia.
Es ist Weihnachtsmorgen, als ich aus meinem unruhigen Schlaf erwache und es ist so kalt in dem kleinen Zimmer, das ich mir mit meinem Bruder teile, seit die Heizung kaputt ist. Geld zum Reparieren haben wir nicht und so können wir mit dem Bollerofen nur die kleine Küche heizen.
Mein Vater arbeitet für einige Stunden in der Woche im Baumarkt und meine Mutter verkauft selbstgemachte Puppen, mit Dingen, die die Reichen weggeworfen haben.
Ich habe auch so eine Puppe. Sie ist mein einziges Spielzeug von früher, aus Sack und mit einem Kleid aus dem Stoff eines alten T-Shirts, die Augen aufgemalt und mit einem dicken Grinsen auf dem Gesicht - sie ist meine Olga und hört sich meinen Kummer immer sehr geduldig an.
Mit steifen Gliedern steige ich aus meinem Bett und wecke meinen kleinen Bruder Johann, der sich murrend noch einmal zur dreckigen Holzwand hin umdreht. "Aufwachen, Schlafmütze!", rufe ich vergnügt und reiße ihm die Steppdecke weg. Wütend funkelt er mich an.
Ich gehe ins Bad, das Papa im Anbau für uns eingerichtet hat und wasche mich schnell mit kaltem Wasser und etwas Seife, bevor ich mir meinen besten Pullover, den mit Norwegermuster, und meine braune Cordhose überstreife. Die Sachen habe ich von Oma Suse geschenkt bekommen- das war letztes Weihnachten, als sie noch lebte. Ich habe mich wahnsinnig über die Sachen gefreut und bewahre sie für besondere Anlässe auf- ich finde sie riechen sogar noch nach Oma Suse. Und heute ist ein besonderer Tag, es ist der 24. Dezember.
Mit einem ziemlich verbogenen Kamm beginne ich meine straßenköterblonden Haare zu kämmen, bis sie glatt an meinem Kopf liegen. Mit schnellen Schritten und den Wollsocken der Nacht noch an den Füßen gehe ich in die Küche, wo bereits der Rest der Familie sitzt und Brot mit Rübenkraut und Haferschleim isst und Milch trinkt. Eigentlich liebe ich die gemeinsamen Frühstücke mit meiner Familie, jeder erzählt, was er am Tag vorhat.
Aber heute ist die Stimmung irgendwie anders. Johann denkt darüber nach, ob er heute Abend wohl die Autorennbahn aus der Fernsehwerbung geschenkt bekommen wird und meine Eltern schämen sich etwas, weil sie ihren Kindern nur ein einfaches Weihnachten und nicht so ein prunkvolles glamouröses mit riesigem Tannenbaum, glänzenden Goldkugeln, Weihnachtsbraten und Geschenken bieten können.
Einen Tannenbaum haben wir schon, mein Vater hat ihn im Wald gefällt und ich darf ihn später dekorieren. Den Schmuck bewahrt Mutter seit ihrer Kindheit in einem alten Schuhkarton auf. Eigentlich dürften wir keine Wünsche haben, aber ich habe trotzdem einen: ich wünsche einen Schal, schön bunt, aus warmer Wolle und mit groben Maschen, so wie ihn die Models aus den Zeitschriften tragen. Ich verdränge meinen Wunsch und so schnell es geht esse ich mein Brot auf, kippe den letzten Schluck Milch hinunter, umarme meine
Eltern und drücke meinem Bruder einen Kuss auf die Wange. Schnell hole ich meinen alten Mantel und stürme zur Tür hinaus auf den Markt um noch Zutaten für eine Überraschung zum Heiligabend zu besorgen.
Zweieinhalb Stunden später ist der Weihnachtsbaum geschmückt und am Tannenbaum hängen ein paar leicht verschrumpelte, aber knallrote Äpfel, mehrere Strohsterne, bei denen schon einige Zacken fehlen, eine kleine Glasglocke, einige kleine rote Schleifen und auf der Spitze ein goldener Engel. Das ist meine Überraschung, denn den habe ich selbst gebastelt und für die Materialien musste ich mein Geld der letzten vier Monate opfern, aber egal. Ich gehe zurück und betrachte mein Werk. Fast könnte man sagen, dass der
Baum mit dem goldenen Engel auf der Spitze ein beeindruckendes Bild abgibt.
Ein Lächeln huscht mir über das Gesicht. Doch dann wird es Zeit für die Kirche. Kurz husche ich ins Bad.
Lange habe ich überlegt, bis ich im Sommer den Entschluss fasste, mein Geld für Schönheitsmittelchen zu investieren - ein kleines Döschen Lidschatten, ein glänzender Fettstift und die Verkäuferin hat mir noch eine Parfümprobe geschenkt. Alles kommt jetzt das erste Mal zum Einsatz.
Normalerweise bin ich nicht so verschwenderisch mit dem wenigen Geld, aber jetzt finde ich mich wirklich ein bisschen hübsch und ein schlechtes Gewissen muss ich auch nicht haben, denn beim Zeitungsaustragen habe ich soviel verdient, dass es sogar für Weihnachtsgeschenke gereicht hat: für meinen Vater eine warme Wollmütze, damit er auf dem Weg zur Arbeit nicht friert, für meine Mutter einen rosafarbenen Lippenstift und für meinen Bruder sogar einen flauschig weichen Pullover mit einem großen "A" auf
der Brust, den ich im Secondhandladen erstanden habe.
Als ich in die Küche trete, sind meine Eltern bereits fertig angezogen und so gut wie möglich zurechtgemacht und Mutter bemüht sich gerade noch die Haare meines Bruders zu einem ordentlichen Seitenscheitel zu kämmen. Sie sieht von ihrer Arbeit auf, sieht mich an und lächelt. Ich glaube, sie ist irgendwie stolz auf ihr "kleines Mädel".
Dann ziehen wir uns Mäntel und dicke Stiefel an und gehen in die Kirche zum Krippenspiel.
Johann singt im Kinderchor mit. Der Gottesdienst in der kalten Steinkirche verläuft wie immer, man nimmt neben den vielen bekannten Gesichtern Platz, das Krippenspiel beginnt und der mit Kerzen geschmückte Weihnachtsbaum leuchtet auf uns alle. Als die Maria das Jesuskind in die Krippe legt, beginnt der Kinderchor zu singen und die hellen klaren Stimmen erfüllen mich mit innerer Wärme und Freude - Ja, jetzt ist es so weit - es ist Weihnachten!
Auf dem Weg nach Hause beginnt es zu schneien - hellweiße, klare, kalte Flocken fallen vom Himmel. Im Hintergrund höre ich noch das Kirchengeläute und den Chor, als ich schon das Haus betrete. Jetzt wird gegessen und danach ist Bescherung.
Am Esstisch lade ich mir meinen Teller richtig voll mit Mutters guter Karottensuppe, Vollkornbrot und Butter und leckeren kleinen Wurststückchen in der Suppe.
Vor dem Essen spricht Vater das Gebet. Wir essen langsam, reden miteinander und machen Späße. Nach dem unsere Bäuche sich ganz warm anfühlen, gehen wir gemeinsam zum Tannenbaum und Mutter zündet die Kerzen an. Zuerst dürfen wir Kinder die in braunes einfaches Papier gewickelten Geschenke auspacken. Johann bekommt ein rotes Spielzeugauto (das sogar ferngesteuert und damit besser als eine Autorennbahn ist) und eine Tüte Süßigkeiten. Ich bekomme ein neues Mäppchen mit Stiften und ein englisches Wörterbuch, das ich
so dringend benötige. Aber ein wenig enttäuscht bin ich schon, dass ich den Schal nicht bekommen habe, lasse mir aber nichts anmerken, sondern übergebe meinen Eltern und Bruder ihre Geschenke, die ich in buntes Zeitungspapier gepackt und mit roten Schleifen versehen habe. Sie lachen, umarmen und freuen sich.
Wir singen Weihnachtslieder und erfreuen uns des Baumes. Während ich in meinen Gedanken hänge, hält mir Vater auf einmal von hinten die Augen zu und Mutter legt mir etwas Warmes und Weiches um den Hals. Als Vater seine großen Hände von meinen Augen nimmt, vergesse ich einen Moment zu atmen. Um meinen Hals hängt ein hellrose - olivgrüner Schal, lang und mit groben Maschen - genauso, wie ich ihn mir gewünscht habe. Ich falle meinen Eltern um den Hals und eine kleine Träne kullert auf den flauschig dicken Schal.
Wisst ihr was, ich bin glücklich und in diesem Moment scheint es mir an nichts zu fehlen. Ist es vielleicht doch richtig, dass an Weihnachten die Welt förmlich stillsteht, Hass, Gemeinheiten, Ungerechtigkeiten und Kriege für kurze Zeit vergessen werden?
Das Beste an Weihnachten ist doch, dass die Familien, und egal wie ärmlich ihr Essen ausfällt, zusammen sein zu dürfen und die Wärme der anderen zu spüren. Man spendet sich gegenseitig Hoffnung und merkt, dass es gar nicht so viel braucht um glücklich zu sein.
Im Glanz der Kerzen scheint alles wie verzaubert, man lacht und vergisst die Strapazen des Alltags.
Vielleicht kann man es schaffen, dass wir alle etwas von diesem Weihnachtszauber mit in unseren Alltag nehmen - von dem Zauber, der vor 2006 Jahren geboren , in eine Krippe gelegt und in Windeln gewickelt wurde - Jesus Christus.
Das wäre sehr schön und soll ich euch was sagen: Eigentlich stört es mich gar nicht mehr, dass mein Name nur drei Buchstaben hat.
Ich denke es gibt für viele Menschen wichtigere Dinge als den Konsumkrieg in der Weihnachtszeit. Denkt einmal darüber nach.
Frohe Weihnachten!
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