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Weihnachtsgeschichten Band 3 Dr. Ronald Henss Verlag ISBN 978-3-939937-07-4 beim Verlag bestellen bei amazon bestellen
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Weihnachten in der Kantine© Tanja DanielGertrud Nierer ließ ihren Blick über die noch leeren Tische schweifen, bevor sie sich auf ihren angestammten Platz schräg gegenüber der Eingangstür setzte. Die Inhaberin grüßte sie freundlich. Gertrud nickte zurück und studierte den Speiseplan der Kantine, als hätte sie das diese Woche nicht schon dreimal getan. Kurz bevor die Mitarbeiter des Rathauses zur Mittagspause in die Kantine kamen, stand sie auf, nahm sich ein Tablett und suchte sich ihr Essen aus den verschiedenen Tellern aus. Gertrud nahm sich Besteck und ging zur Kasse. "Das Schnitzel war beim letzten Mal sehr zart." Die Bedienung nickte zerstreut und tippte den Betrag in die Kasse. "Das macht 4 Euro 45." Gertrud kramte ihr Portemonnaie heraus und zählte umständlich das Geld ab. "Ich bin ja froh, dass ich mir das Essen hier noch leisten kann. Die Rente wird ja auch immer schmaler." Die Bedienung lächelte schwach, drückte Gertrud das Wechselgeld in die Hand und wandte sich dem nächsten Kunden zu. Gertrud erkannte den jungen Mann vom Bürgerservice. Er hieß Andre und hatte eine Freundin in der Personalabteilung. Gertrud setzte sich an ihren Platz zurück und beobachtete wie die anderen Mitarbeiter des Bürgerservice sich an den großen Tisch neben ihr setzten. Gertrud hörte, wie sie sich über die neuesten Themen aus der Abteilungsleiterbesprechung austauschten. "Herr Marten hat gesagt, sie kürzen im nächsten Jahr die Haushaltsmittel." "Hat Maria jetzt eigentlich eine Vertragverlängerung bekommen?" "So wie sie heute Morgen aussah, als sie vom Damenklo kam, glaube ich das nicht." "Was macht eigentlich ihr Mann? Hat er wieder Arbeit gefunden?" Gertrud verfolgte das Gespräch, während sie langsam weiter aß. Maria arbeitete auch beim Bürgerservice. Sie war eine schüchterne dunkelhaarige Polin, die seit mehr als drei Jahren auf immer wieder neuen Zeitverträgen in anderen Dezernaten arbeitete. Gertrud empfand Mitleid mit der Frau, sollte sie tatsächlich ihre Arbeit verlieren. Als nächstes kamen die Mitarbeiter aus dem Bereich der Ver- und Entsorgung. Sie nahmen wie jeden Mittag an dem großen Tisch in der Ecke unmittelbar neben der Eingangstür zum Rathaus Platz. Sie unterhielten sich lautstark über die geplanten Kürzungen im Bereich der Müllentsorgung. Gertrud lauschte ihnen eine Weile, dann begann sie sich zu fragen, ob es denn an diesem dreiundzwanzigsten Dezember denn niemanden gab, der in Weihnachtsstimmung war. Die Menschen um sie herum hatten Angst um ihre Arbeitsplätze, Stress beim Feiertagseinkauf und Sorgen um ihre Kinder. Zur Tür herein kamen nach und nach vier weitere Rentner, die wie Gertrud regelmäßig in der Kantine des Rathauses zu Mittag aßen. Sie suchten sich einzelne Plätze und lauschten den Gesprächen. Gertrud atmete tief durch und sah sich um. Für sie waren die Mitarbeiter des Rathauses mehr als nur Menschen, die in derselben Kantine aßen. Sie kannte jeden von ihnen mit Namen, wusste Bescheid über ihre Familien und kannte die Meinung ihrer Kollegen. Die Menschen in der Rathauskantine waren ihre Familie. Heute war der letzte Tag in diesem Jahr, wo sie hier essen konnte. Die Kantine schloss bis nach Neujahr. Gertrud spürte jetzt schon, wie sehr sie ihre Familie bis dahin vermissen würde. Nach und nach beendeten die Mitarbeiter de Rathauses ihre Mahlzeit und verließen die Kantine um wieder an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. Gertrud blieb noch einige Minuten sitzen, bis sich die Kantine fast vollständig geleert hatte, dann erhob sie sich und brachte ihr Tablett zurück. Sie warf noch einen letzten Blick über die Tische, die die Bedienung gerade abwischte und verabschiedete sich im Stillen für dieses Jahr von der Kantine. "Frau Nierer?" Gertrud drehte sich um. Vor ihr stand Maria vom Bürgerservice. "Ja?" Maria schlug die Augen nieder und streckte ihr einen Umschlag entgegen. "Das ist für Sie. Sie sind so oft hier und Sie waren immer sehr nett wenn ich hier gegessen habe." Gertrud nahm den Umschlag gerührt an sich und sah hinein. Sie zog eine selbst gebastelte Weihnachtskarte heraus auf die etwas geschrieben war. "Ist das polnisch?" Maria nickte. "Dort steht: Frohe Weihnachtstage und ein glückliches neues Jahr." Gertrud blinzelte eine Träne weg. "Ich danke Ihnen von Herzen." Maria strahlte. Sie zögerte bevor sie die nächste Frage stellte. "Was werden Sie an Weihnachten tun? Ich meine, ich möchte nicht neugierig sein -" Gertrud lächelte. "Nein, das ist in Ordnung. Ich bin alleine. Meine Tochter ist mit ihrer Familie über die Feiertage verreist." "Wenn es nicht aufdringlich ist, ich meine, wenn Sie möchten" Maria hob den Kopf und lächelte Gertrud an. "Würden Sie vielleicht mit mir und meinem Mann morgen Essen wollen?" Gertrud zog überrascht die Augenbrauen hoch. "Das ist sehr nett. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber warum möchten Sie mich einladen?" "Sie haben sich bei meinem Abteilungsleiter für mich eingesetzt. Sie waren es doch, richtig?" Gertrud errötete und nickte. "Ich hatte Ihren Abteilungsleiter gebeten, Ihnen meinen Namen nicht zu verraten." "Ich habe ihn bedrängt, weil ich mich unbedingt bei Ihnen bedanken wollte. Durch Sie ist mein Vertrag verlängert worden. Weil sie meinem Abteilungsleiter gesagt haben, dass ich gute Arbeit mache." Gertrud spürte warme Dankbarkeit in sich aufsteigen. Da bin ich als alte Frau doch noch zu etwas Nutze gewesen. "Ich komme gerne Maria. Vielen Dank für Ihre Einladung." Gertrud verabschiedete sich und zum ersten Mal seit Jahren ohne ein Gefühl des Bedauerns von der Rathauskantine. SPIEGEL ONLINE Bestsellerautorin Patricia Koelle
Weihnachtsgeschichten von Patricia Koelle
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