Weihnachtsgeschichten - Adventsgeschichten
Kurzgeschichte Weihnachten Weihnacht Advent
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Ach Du fröhliche ...

© Rima da Silva

Stellen Sie sich vor: Weihnachten 2002. Ganz Deutschland ist voller Erwartung und hofft trotz aller Wetterprognosen doch noch auf weiße Weihnachten. Auch wir haben am 23. Dezember noch schnell die restlichen Einkäufe getätigt und müssen am Heiligen Abend nur noch den Weihnachtsbaum schmücken und ein paar Kleinigkeiten beim Bäcker abholen. So wie im letzten Jahr. Da fing es am Morgen des Heiligen Abend an zu schneien. Als wir erwachten begrüßte uns am Fenster die weiße Pracht. Die Schneeflocken wirbelten nur so umher und ich hatte das große Vergnügen meinen Sohn auf dem Schlitten zum Laden ziehen zu können. Für Marco und mich gibt es fast nichts Schöneres als den ersten Schnee. Wir stürzten uns dann auch voller Elan mit Besen und Schneeschieber bewaffnet vor die Haustür und fingen an den Gehweg zu räumen. Bei den Nachbarn auch gleich mit.

Aber in diesem Jahr war alles anders. Es hatte wochenlang gefroren und die Hoffnung zu Weihnachten doch noch Schnee zu bekommen war nicht gänzlich unbegründet. Doch als wir am Heiligen Abend erwachten war da nur Regen. Viel Regen. Immer nur Regen. Wenn dieser ganze Regen als Schnee zur Erde gefallen wäre, hätten wir reichlich weiße Weihnachten gehabt. Das war ja wohl nix. Und es nützte auch nichts. Ich musste noch zum Bäcker, denn wir hatten ja eine Bestellung aufgegeben, die abgeholt werden wollte. Also zog ich mir die Jacke über und überlegte, ob ich schnell mit dem Auto fahren sollte oder doch lieber, der Figur wegen, zu Fuß ging. Vor der Haustür wurde mir die Entscheidung abgenommen. Ich konnte nicht einmal die Treppe zum Gehweg hinunter gelangen, denn alles war vereist. Vollständig mit einer glasklaren und etwa einen halben Zentimeter dicken Eisschicht überzogen waren nicht nur das Geländer und die Stufen unserer Treppe, sondern natürlich auch mein Auto. Ich wollte mir lieber nicht vorstellen, wie ich auf dieser spiegelglatten Straße den Deich hochkommen sollte.

Zunächst ging ich zurück ins Haus und holte Streusalz, um die Treppe und den Gehweg zunächst einmal zu verarzten. Eigentlich bin ich kein Freund von Streusalz. Wegen der Umwelt. Aber hier half nichts Anderes. Das Auto ließ ich also stehen und machte mich zu Fuß auf den Weg zum Bäcker. Der Weg war noch nie so lang. Eigentlich ist es nur knapp ein Kilometer, aber ich brauchte über eine Stunde für diese Aktion. Ich watschelte mehr als das ich ging und hangelte mich von einem Zaun zum nächsten. Es regnete unermüdlich und meine Frisur war schon völlig zerstört. Meine Jacke weichte langsam durch und meine Füße waren nass. Ich richtete den Blick stumpf auf den Fußweg vor mir und suchte nach Stellen, die nicht völlig vereist waren. Keine Chance.

Beim Überqueren der Straße legte ich mich fast lang. Nur mein überdurchschnittlich geschulter Gleichgewichtssinn bewahrte mich davor, eine Bauchlandung direkt vor dem Tabakwarenladen zu machen. Ich ruderte sekundenlang mit den Armen, den Schirm als Gegengewicht in der einen Hand, die noch leere Tüte in der anderen Hand. Der Anblick war sicherlich zum Schreien komisch.

Beim Bäcker angekommen erwartete mich ein völlig leerer Laden, obwohl es schon halb neun war und sonst am Heiligen Abend um diese Zeit meistens keine Nadel zu Boden fallen konnte. Nicht so heute. Die Verkäuferinnen sahen sehr entspannt aus. Ich bekam meine Baguettes und mein Zwiebelbrot, holte noch zwei Packungen Kakao für meine Männer dazu und machte mich wieder auf den Weg.

Jetzt konnte ich nicht an der Hauptstraße entlang gehen, sondern musste den Weg durch die Siedlung nehmen, da ich das Brot gleich bei meinen Eltern abgeben wollte. Dort sollte heute Nachmittag das Essen und die Bescherung stattfinden. Außerdem wollte ich ihnen noch ins Gewissen reden, bloß nicht vor die Tür zu gehen. Ich eierte also weiter. Links den Schirm, rechts die Tasche mit den Einkäufen. Von Frisur war keine Rede mehr und langsam fing ich an zu frieren. Die Straße durch die Siedlung war auch noch nicht gestreut und ich versuchte, mich daran zu erinnern wie es ist, normal zu gehen. Zum Glück hatte ich flache Schuhe an. Mit Gummisohle und Profil, aber das Profil hatte keine Haftung auf der Straße.

In einer großen Kurve, die nach links geht und wo man rechts durch einen kleinen Stichweg zur Parallelstraße kommt, kam mir ein Auto entgegen. Ich traute diesem Autofahrer nicht. Würde er die Kurve bewältigen? Hatte er sein Gefährt im Griff? Hatte sein Wagen vielleicht sogar ABS? Es gab für mich keine Chance auszuweichen. Also ruderte ich mit beiden Armen auf den Stichweg zu und sah die Straße wie in Zeitlupe auf mich zukommen. Das war noch mal gut gegangen. Der Autofahrer hatte die Kurve gekriegt und ich watschelte durch den Stichweg. Der war voller vereister Baumwurzeln und im Herbst heruntergefallener Bucheckern, die natürlich auch alle fein säuberlich mit einer Eisschicht überzogen waren, was die Sache nicht wirklich einfacher machte. Bei meinen Eltern glücklich angekommen, lud ich die Backwaren ab und machte mich schnell wieder auf den Weg nach Hause. Bis zur Hauptstraße torkelte ich wieder, mit meinem Schirm das Gleichgewicht suchend und dann entschied ich mich, einfach mitten auf der Straße zu laufen, weil der Streudienst inzwischen seine Arbeit getan hatte und man so sicheren Fußes nach Hause kommen konnte.

Das Streusalz hatte vor unserer Haustür nicht viel ausrichten können und so schnappte ich mir den Schneeschieber und entfernte von der Treppe und dem Gehweg das Eis. Auch gleich bei der Nachbarin, denn die war schon sehr alt und würde sich garantiert die Knochen brechen, wenn sie es selber machte. Ihre Dankbarkeit zeigte sie mir mit einer Schachtel Pralinen. Danach warteten wir aufs Christkind und machten uns um halb vier auf den Weg zu meinen Eltern. In den Nachrichten hörte man einige Schreckensmeldungen. Durch den Eisregen waren die Oberleitungen der Bundesbahn und auch der Straßenbahnen eingefroren, Busse fuhren nur noch sporadisch und einige Stadtteile von Bremen waren stundenlang ohne Strom. Auch diverse Fernsehsender und Mobilfunknetze hatten sich für einige Zeit verabschiedet. Wir saßen dann gemütlich am Kaffeetisch und ließen uns Himbeer-Mascarpone- und Latte-Machiatto-Torte schmecken und warteten darauf, dass mein Bruder auch noch erscheinen sollte. Er war morgens in Nienburg gewesen und hatte große Probleme gehabt wieder nach Bremen zu kommen, denn Busse und Bahnen verkehrten nur noch im äußersten Glücksfall. Er war inzwischen wieder in Bremen und wollte aber für den Abend noch Russische Eier vorbereiten und würde etwa in einer Stunde da sein.

Wer nicht erschien, war Rüdiger. Aber ein Anruf kam. Rüdiger rief an und meldete, dass er sich nochmals verspäten würde. Gerade hatte er sich auf den Weg gemacht. Die Eier hatte er auf einer Platte angerichtet und mit einer vorzüglichen Soße aus pürierten Heringen - welch eine Vorstellung - dekoriert. Also eierte Rüdiger mit den Russischen Eiern in der Hand los. Die lieben Nachbarn standen tratschend mit Glühwein in der Hand am Gartenzaun und hatten es aber auch den ganzen Tag noch nicht für nötig befunden die Gehwege zu streuen und das Eis zu entfernen. Kurz bevor Rüdiger den Blicken der Nachbarn entschwand, verlor er in der Kurve das Gleichgewicht und die Eier die Contenance. Rüdiger fand sich auf seinem Allerwertesten wieder und die Eier mit samt der Soße fanden sich auf Rüdiger wieder. Auf seiner Glatze, seiner Jacke, seiner Hose, seinen Schuhen und auf der Straße. Frohe Ostern könnte man wünschen.

Die Nachbarn hatten natürlich ihre helle Freude als Rüdiger mit seiner Platte aber ohne Eier zurückkam, um sich umzuziehen und er hatte sich Einiges anzuhören. So zog Rüdiger sich also saubere Kleidung an und machte sich erneut auf den Weg. Als er endlich ankam, zierte seine rechte Pobacke ein großer, nasser Fleck. Er hatte sich abermals lang gemacht und ihm entging völlig die Komik dieser ganzen Geschichte. Er lamentierte und weinte beinahe als er vom Verlust - fast- all seiner Eier erzählte. Nachdem er sich in Papis Jogginghose geworfen hatte und sich an den Kaffeetisch setzte, war mir alles klar. Rüdiger roch nach Glühwein und sah auch so aus. Sein rechtes Auge sah in seine linke Hosentasche und umgekehrt. In solch einem Zustand sollte man sich auch nicht aufs Glatteis wagen.

Nach Essen und Bescherung wollte Rüdiger dann in der Badewanne Erleichterung für seine arg lädierten Knochen finden. Er hatte sich an den Nieren, am Hintern und an der Schulter verletzt bei seinen diversen Stürzen und wollte sich im heißen Badewasser regenerieren. Er verabschiedete sich mit einer Flasche Bier Richtung Badezimmer und ward nicht mehr gesehen. Nach einer Weile machte Marco sich Sorgen um seinen Onkel. Er ging nach oben und klopfte an die Badezimmertür. Völlig entgeistert kehrte er zurück. Rüdiger schlief in der Badewanne. Das Schnarchen konnte man durch die Tür hören. Wir hämmerten an die Tür. Keine Reaktion. Wir knipsten das Licht an und aus. Nichts. Es schnarchte und schnarchte hinter der Tür.

Man konnte doch unmöglich die Tür eintreten. Aber wir konnten ihn auch nicht in der Badewanne schlafen lassen. Wenn er vielleicht auch nicht ertrinken würde, hätte er sicher am nächsten Morgen eine Lungenentzündung, denn das Wasser würde sich abkühlen. Marco lief Amok. Sein Onkel war in akuter Lebensgefahr. Das ging so nicht. Da hatte ich die rettende Idee. Handy-Fanatiker wie mein Bruder würden ihr Handy sicher auch mit an die Badewanne nehmen. Also schnappte ich mir ein Telefon und rief die Nummer seines Handys an. Tatsächlich hörten wir auch wie das Handy im Badezimmer klingelte. Und klingelte und klingelte. Der Mann hatte wirklich einen gesegneten Schlaf. Oder Rausch. Oder beides. Kurz bevor die Mailbox ansprang, hörten wir Kampfgeräusche im Innern des Badezimmers. Es lebt!! Rüdiger war erwacht und Marco war glücklich. Er sah sich schon als Held in der Tageszeitung mit der Schlagzeile: "Neffe rettet Onkel vor dem sicheren Tod !!"

Rüdiger aber eilte direkt vom Badezimmer ins Gästebett und sägte dort weiter an der Weihnachtsbotanik bis in den nächsten Morgen hinein. Und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.

SPIEGEL ONLINE Bestsellerautorin Patricia Koelle

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