Weihnachtsgeschichten - Adventsgeschichten
Kurzgeschichte Weihnachten Weihnacht Advent
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Alzo

© Jana Lippmann

Der kleine Hund lag allein in dem winzigen, trostlosen Raum. Sein kurzes, weißes Fell mit den vielen schwarzen Punkten schützte ihn kaum vor der Kälte. Trotzdem stand er nicht auf, lag nur matt auf dem harten Betonboden. Traurig lauschte er den Klängen der Weihnachtslieder, die nur ein paar Schritte entfernt von ihm gespielt wurden.

Dort, im Aufenthaltsraum, saßen die Mitarbeiter des Tierheimes beisammen und begingen gerade - es war eine Woche vor dem Heiligen Abend - ihre alljährliche Weihnachtsfeier. Der einsame Dalmatiner wäre gern bei ihnen gewesen. Nicht, weil er diese Menschen besonders mochte, sondern vielmehr, weil es in ihrem Zimmer gemütlicher und wärmer war als in seinem kleinen Käfig.

Alzo - wie der Dalmatiner von allen genannt wurde - wirkte jünger, als er eigentlich war. Schon längst hatte er mehr als zwei Lebensjahre hinter sich, und doch tapste er manchmal umher, als wäre er erst vor ein paar Monaten auf die Welt gekommen. Alle fanden ihn niedlich, und dieser Umstand war Alzo schon mehr als einmal zum Verhängnis geworden.

Als das erste Weihnachten seines Lebens nahte, musste er sich von seiner Mutter und seinen Geschwistern trennen. Er verließ sie schweren Herzens und zog zu einer Familie mit zwei kleinen Kindern. Mit einer riesigen roten Schleife um den Hals musste er unter dem Tannenbaum auf die beiden heranstürmenden Knirpse warten.

"Oh, wie niedlich!", riefen sie im Chor und stritten darum, wer den armen Alzo zuerst streicheln durfte.

Alzo, der von Natur aus sehr gutmütig war, ertrug es eine Weile, zog es aber schließlich doch vor, unter den Tannenbaum zu flüchten, wo er sich etwas Ruhe vor den Quälgeistern erhoffte. In seiner Eile blieb er mit seiner großen Schleife an einem Ast hängen und riss den prachtvoll geschmückten Baum zu Boden. Ein großes Geschrei setzte ein, und schon am nächsten Tag fand sich Alzo im Tierheim wieder.

Es folgte ein sehr langweiliges und furchtbar trauriges Jahr und danach - wieder in der Adventszeit - kam eine Familie in das Tierheim, die sich offensichtlich für Alzo interessierte. Das etwa zehnjährige Mädchen fand den Dalmatiner wahnsinnig niedlich, und ein paar Minuten später gehörte Alzo zur Familie. Doch auch dieses Glück währte nicht ewig, wenn auch sehr viel länger als der Aufenthalt bei den zwei schreienden Kindern. Als der Sommer nahte, merkte man plötzlich, dass dieser kleine Hund bei den Urlaubsplänen störte und band ihn kurzerhand an einem Laternenmast an. Dort wartete er zwei Tage lang und wurde dann von einem Passanten wieder ins Tierheim gebracht.

Und dieses Weihnachten? Es war noch niemand gekommen, der Alzo für ein perfektes Weihnachtsgeschenk hielt. Und das war wohl auch besser so!

Doch was hörte der kleine Dalmatiner da? Langsame Schritte näherten sich. Alzo hob den Kopf und erkannte eine junge Frau, die sich alle Tiere genau ansah. In ihrem Blick war eine Spur von Mitleid und Traurigkeit. Hier und da blieb sie stehen und schob die Hand in den einen oder anderen Käfig. Sie ging an Alzo vorbei bis ans Ende des langen Ganges, kehrte dann zurück und hockte sich vor Alzos kleinen Zwinger nieder.

"Na, mein Kleiner?", Sie schob die Hand in Alzos ungemütliches Zuhause und kraulte den Dalmatiner am Kopf.

"Warum ist er hier?", fragte sie laut.

"Er wurde vor einem halben Jahr gebracht. Man fand ihn angebunden an einer Straßenlaterne", kam die Antwort vom Eingang herüber.

Sie nickte stumm und wissend. "Kann ich mal rein zu ihm?"

"Klar!"

Die junge Frau schob behutsam den Riegel zur Seite und öffnete die quietschende Tür.

Neugierig stand Alzo auf. Dieser Mensch war ganz anders als die, die er bisher kennen gelernt hatte. Nicht so stürmisch, nicht so laut. Und diese Bemerkung "Der ist aber niedlich!" war auch noch nicht gefallen.

Die junge Frau - sie hieß übrigens Claudia - verbrachte zehn Minuten bei Alzo und wusste dann, dass die Beiden zusammenpassen würden. Und damit sollte sie Recht behalten. Alzo verbrachte sein ganzes Leben bei ihr, und ihr erstes gemeinsames Weihnachten war das schönste, das er je erlebte.

SPIEGEL ONLINE Bestsellerautorin Patricia Koelle

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