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Kai und Flöckchen© Curd BergerKai kniete in seinem Bett, das direkt am Fenster steht und macht mit seinem Atem ein Guckloch in die zugefrorene Scheibe. Draußen scheint hell der Vollmond und taucht die wunderschöne Schneelandschaft in ein warmes Licht. Im Garten, etwas versteckt zwischen schneebedeckten Tannen steht der Stall von Flöckchen, dem weißen Kaninchen das Oma ihm letztes Jahr mitgebracht hatte. Sie lebt in Frankfurt und das ist sehr weit weg, darum haben Kai und seine Eltern sie auch erst ein Mal besuchen können. Dafür kommt Oma aber öfters mit dem Zug, zu Geburtstagen, zu Ostern und natürlich zu Weihnachten. Morgen ist Heiligabend und da ist es wieder so weit. Um 16:00 Uhr soll Kai sie vom Bahnhof abholen. "Aber vergesse den Schlitten nicht, für den Koffer", hatte Oma ihn am Telefon noch gebeten. Natürlich würde Vater mitgehen, denn Oma hat immer einen sehr schweren Koffer und den könnte Kai alleine sicher nicht auf den Schlitten heben und nach Hause ziehen. Die Zimmertür war nur angelehnt und Kai hörte wie seine Eltern darüber sprachen was sie wohl in diesem Jahr als Weihnachtsbraten auf den Tisch zaubern wollen. "Bei deinem Appetit brauchen wir einen Elefantenspieß." Scherzte Mutter. "Richtig," antwortete Vater "und für Dich langt ein gegrilltes Mäusebein, meine kleine Diätissima." Sie lachten. Mutter und Vater verstanden sich sehr gut und es war immer lustig mit ihnen. "Warum lange überlegen?", fragte Vater, "braten wir doch Flöckchen, Kaninchen soll auch sehr gut schmecken." - Kai erschrak, Flöckchen, sein Flöckchen. Mit einem Mal hatte er ein Gefühl, als läge in seinem Magen ein großer Stein, der herumrollte. Er hörte nicht mehr wie Mutter sagte: "Jetzt mal im Ernst, ich glaube am besten ist ein saftiger Schweinebraten, den ich morgen früh vom Metzger holen werde. Mit Rotkohl, Kartoffelknödel und leckerer Soße langt der sicher für zwei Tage." Doch das alles bekam Kai nicht mehr mit. Er hatte sich unter seine Decke verkrochen und weinte bitterlich. "Flöckchen, mein Flöckchen, das darf nicht sein. Vater darf Dir nichts tun!" Er grübelte hin und her, wie er es nur verhindern könne und betrachtete traurig den Stall im Garten durch das eisige Guckloch am Fenster. "Ich muss zu Oma!", schoss es ihm durch den Kopf, "Ich muss zu Oma, sie kann mir sicher helfen, aber morgen ist es zu spät." So beschloss er, sich noch heute Nacht auf den Weg zu machen und Flöckchen mitzunehmen. Als es im Hause ruhig geworden war, schlich er sich an seinen Schrank, zog sich den Trainingsanzug, zwei Paar dicke Socken, den Schneeanzug, der etwas zu groß war, und die bunten Schneestiefel an. Schlang sich den roten Wollschal um den Hals, setzte die grün-weiß-rot-gestreifte Pudelmütze auf und kletterte aus seinem Fenster direkt in den Garten. Flöckchen sprang im Stall hin und her, als Kai sich näherte um ihn zu holen. Leise öffnete der Knabe die Stalltür, griff vorsichtig hinein, nahm Flöckchen geschickt hinter den Ohren im Genick und steckte ihn mit in den Schneeanzug, wo er ihn fest an seine Brust presste. "Pssst, Flöckchen, keine Angst, ich rette Dich." Er wusste zwar nicht, in welche Richtung Frankfurt liegt, doch er beschloss, dass es dort sein muss woher das meiste Licht kam. Und so stapfte er fort, fort durch den tiefen Schnee immer in Richtung des Vollmondes. Traurig blickte er hin und wieder zurück und sah die Lichter seines Dorfes langsam im leise einsetzenden Schneefall verblassen. Immer weiter stapft er durch den tiefen Schnee, der auf den Feldern lag. Nun machte sich ein wenig Wind auf und die Flocken wurden kleiner und wehten ihm ins Gesicht, sodass er die Augen zukneifen musste. Der eisige Wind wurde stärker und die Flocken kleiner und unangenehmer, ja fast beißend. Kai drehte sich um, stemmte sich mit dem Rücken gegen den Wind und seine Schritte wurden immer langsamer. "Ich muss in den Wald um ein wenig Schutz zu finden und weitergehen wenn der Wind nachlässt", dachte er bei sich und hörte, wie seine kleinen Zähne anfingen aufeinander zu klappern. Der eisige Wind drang durch seine Kleidung und er fror furchtbar. Völlig entkräftet erreichte er den Waldrand und kroch unter eine der dichten Tannen, deren Zweige sich unter der Last des Schnees weit nach unten geneigt hatten. Die unteren Zweige bildeten ein regelrechtes Schneezelt, in dem er endlich Schutz vor dem Wind fand. Frierend kauerte er sich an den Stamm des Baumes, drückte Flöckchen fest an sich und weinte. Seine Tränen gefroren auf den Wangen zu winzigen Eisperlen und fielen in den Schnee. Lange würde es nicht mehr dauern, bis die bittere Kälte und die Nacht Kai mit sich nehmen würde und als seine Augen sich müde schließen wollten, erhellte ein mildes, weiß-blaues Licht das dunkle Schneezelt. Kai hörte die Stimme seiner Oma, die zu ihm sprach: "Kai, lieber Bub, denke immer daran was ich Dir gesagt habe. Wenn Du einmal nicht mehr weiter weißt in tiefster Not, dann vertraue auf Gott, er wird Dir einen Weg aus Dunkelheit und Verzweiflung weisen." Das Licht wurde schwächer und verschwand. "Oma? Oma, wo bist Du?" Kai schaute sich verwundert um. War da nicht gerade Omas Stimme zu hören? Was hat sie gesagt, vertraue auf Gott? Kai nahm zitternd Flöckchens Pfötchen in die gefalteten Hände und begann zu beten. "Lieber Gott, bitte, bitte lass Flöckchen und mich nicht erfrieren. Wir wollen zurück nach Hause, zurück zu Mutter und Vater. Bestimmt kann ich ein anderes Essen vorschlagen und Flöckchen darf weiterleben. Bitte, bitte lieber Gott hilf uns, wir frieren so sehr. Amen." Er hörte den Wind brausen und rollte sich noch mehr zusammen. Wieder fielen ihm langsam die Augen zu und es schien zu Ende zu gehen. Da hörte er plötzlich leise den Klang von Kirchturmglocken durch den Wind. Kai öffnete die Augen und hörte angestrengt in die Dunkelheit. "Das müssen die Glocken von unserem Kirchturm sein. Flöckchen, wir werden genau in die Richtung gehen, aus denen der Glockenklang zu hören ist, dann finden wir bestimmt nach Hause. Spitz auch Du Deine Ohren Flöckchen." Unter der Tanne hervor gekrochen empfing ihn wieder der eisige Wind, doch tapfer stapfte Kai dem leisen Klang der Glocken entgegen, der trotz Sturm, Eis und Schnee deutlich in sein Ohr drang. "Die Glocken werden lauter, wir sind bestimmt bald da." Flüsterte Kai Flöckchen mit eiskalten blauen Lippen zu. Weiter und weiter immer dem Klang entgegen zog es ihn über die Felder. Je näher er dem Klang kam, desto schwächer wurde der Wind, bis er ganz verstummte und nur noch leise, dichte, dicke Flocken vom Himmel fielen. Jetzt erschienen auch wieder die erleuchteten Fenster seines Dorfes vor ihm in der Ferne. Davor tanzten einige Lichter auf den Feldern wie eine Perlenkette aufgereiht. Als Kai näher kam hörte er seinen Namen rufen. "Kai, Kaaaii, antworte, wo bist Du?" Es war die Stimme seiner Mutter. Sie hatten sein Verschwinden inzwischen bemerkt, als Vater noch einmal nach ihm sehen wollte. Als sie das offene Fenster, die Spuren im Schnee und den leeren Stall sahen, konnten sie sich denken, was passiert war, und haben sich sofort mit vielen Nachbarn auf die Suche nach Kai gemacht. "Mutter, Vater, hier bin ich." Rief Kai leise, dann immer lauter. Schwer war es vorwärts zu kommen, denn es lag sicher einen halben Meter Schnee, Schnee der ihm bis zu den Knien reichte bei jedem Schritt. Als Erstes hörte Lisa, die Nachbarstochter sein Rufen. "Hierher", rief sie so laut sie konnte, "hierher, seine Stimme hier ist er." Alle rannten so gut es eben ging in Lisas Richtung. Dann sah Mutter ihn endlich im schwachen Schein der Laternen die sie mitführten und dem, vom Schnee zurückgeworfenem Schein. "Kai, mein lieber Kai, liebster Junge, endlich haben wir Dich gefunden." Sie schloss ihn fest in die Arme und Vater umarmte sie beide so stark, dass sie fast keine Luft mehr bekamen. "Kai, hast Du wirklich geglaubt wir würden Flöckchen schlachten wollen? Entschuldige bitte, es war nur ein unbedachter törichter Scherz, den ich nie wieder machen will." Vater war überglücklich, genau wie alle anderen Kai wieder gefunden zu haben. Daheim berichtete Kai am nächsten Morgen, nachdem er sich wieder aufgewärmt und ausgeschlafen hatte, wie es ihm ergangen ist und das die Kirchturmglocken ihn wieder nach Hause geführt haben. Die Eltern schauten sich verwundert an. Die Kirchturmglocken? Sie hatten nichts dergleichen gehört und außerdem wurde vor acht Tagen ein großer Riss im Trägerbalken der Glocke festgestellt und sie durfte seither nicht geläutet werden. Erst nach dem Jahreswechsel steht ein Termin zur Reparatur an, weshalb man sich entschlossen hat, das neue Jahr in diesmal mit lautem Topfschlagen statt Glocken einzuläuten. Welcher Glockenklang hat Kai aber denn geführt, hat Gott ihm den Weg aus Dunkelheit und Kälte gewiesen? Ich glaube ja. Nein - ich bin mir sicher! Unser Buchtipp: Weihnachtsgeschichten unserer Autoren
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Eingereicht am SPIEGEL ONLINE Bestsellerautorin Patricia Koelle
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