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Die Losverkäuferin
Der Weihnachtswunsch 1952

© Marianne Schaefer

Pünktlich zur Weihnachtszeit hatte es geschneit. Maria Wernicke blickte versonnen auf die weiße Pracht. Sie liebte den Winter, doch unter den gegebenen Umständen konnte sie sich nicht damit anfreunden. Was hatte ihre Mutter sich nur dabei gedacht, in diese Einöde zu ziehen? Agnes Wernicke, ihre Mutter, stand in der spärlich eingerichteten Küche und machte das Abendbrot. Plötzlich erfasste Maria eine unbändige Wut.

"Mama, kannst du mir sagen, wie ich von hier aus zur Arbeit kommen soll?"

Ihre Mutter schwieg.

"Und wie kommt Gerd in den nächsten Ort zur Schule?"

Wieder keine Antwort.

"Aber du musst dir doch Gedanken gemacht haben? - Es fährt kein Bus, es gibt keine Bahn. Wir besitzen weder ein Auto noch ein Fahrrad. Was nützt uns eine größere Wohnung, wenn wir dafür keine Möbel haben und in leeren Zimmern hausen! Außerdem benötigen wir zum Leben dringend meinen Verdienst!"

Ihre Mutter schwieg noch immer.

Maria konnte sich nicht mehr beherrschen. "Wie konntest du nur mit uns in dieses Nest ziehen? Die Miete ist zu hoch. Wir werden hungern und eines Tages auf der Straße sitzen. Außerdem - immer wenn wir uns irgendwo eingelebt haben und uns wohl fühlen, ziehen wir wieder weg. Weißt du überhaupt, was du uns damit antust? Ich mach das nicht mehr mit. Seit Papa nicht mehr ist, geht es mit uns bergab! Bitte, Mama, sag doch etwas", bettelte sie.

Maria zuckte zusammen, als ihre Mutter plötzlich losschrie: "Wenn es dir hier nicht gefällt, dann verschwinde! Du weißt ja, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat!"

So hatte ihre Mutter noch nie mit ihr gesprochen! Blind vor Tränen stopfte Maria einige Sachen in ihren kleinen Pappkoffer und lief hinaus in die eiskalte Nacht.

Nach vielen Stunden bedankte sich Maria Wernicke bei dem netten Lastwagenfahrer für die freundliche Mitnahme.

"Halt die Ohren steif, Mädchen", sagte er und reichte ihr den kleinen Koffer. "Fröhliche Weihnachten", rief er ihr hinterher, bevor er davonfuhr.

Weihnachten! Ach ja - heute war Heiligabend! Maria hatte es total vergessen. Als Erstes musste sie ihren Koffer loswerden, er war zwar leicht, aber lästig. Als sie am Hauptbahnhof vorbei kam, schloss sie ihn kurzerhand in einem Schließfach ein. Es fing an zu schneien, Maria achtete nicht darauf. Sie hatte ihre Hände tief in den Manteltaschen vergraben, ihre blonden Haare unter ein Kopftuch versteckt. Verdammt war das kalt! Sie fror erbärmlich in ihrem dünnen Mantel. Die laute Stadt, die hastenden Menschen, die riesigen Häuser, alles machte ihr auf einmal Angst. Wie anders war es dort, wo sie jetzt wohnten. Alles war klein und bescheiden. Was sollte sie jetzt bloß machen? Wo sollte sie hin? Vor jedem Schaufenster blieb sie stehen, drückte ihre winzige Stupsnase gegen die Scheibe, betrachtete die bunten Pappteller, voll gestopft mit Süßigkeiten. Ein Weihnachtsmann aus Pappe nickte ihr zu. Seine Hand mit der Rute drohte ihr, immer im gleichen Rhythmus. Sie blickte in den Himmel. In dicken Flocken fiel der Schnee zur Erde. Menschen gingen vorüber, sie freuten sich auf den Heiligen Abend, die letzten Besorgungen unter dem Arm. Von irgendwoher erklang Weihnachtsmusik, Maria ging ihr nach.

Es war Weihnachtsmarkt!

Auf einem Platz stand eine riesige Tanne, der gefallene Schnee glitzerte in den Zweigen. Vor den Buden roch es nach Lebkuchen, Glühwein und gebrannten Mandeln. Kinder lachten, Losverkäufer riefen, bunte Karussells drehten sich im Kreise. Ein Leierkastenmann spielte "Fröhliche Weihnacht überall!"

Maria stand und staunte.

Eine dunkle Stimme riss sie jäh aus ihrer Versunkenheit. "Du siehst aus, als hättest du Zeit! Hast du Lust, Lose zu verkaufen? Du bekommst dafür ein warmes Essen und Lohn natürlich auch. Mir scheint, du könntest beides gebrauchen!"

Maria blickte auf einen Mann vor einem Wohnwagen. Er stand auf einem Bein, das andere ersetzte ein Krückstock. Sein Gesicht bestand nur aus Bart .Er sah zum Fürchten aus. Schnell eilte sie weiter.

"Na, hast du es dir überlegt?", brummte der Bärtige wenig später, als Maria zurückfand.

Sie nickte ergeben.

In seinem Wohnwagen war es warm und gemütlich.

"Du musst laut rufen", sagte er freundlich und schob ihr einen Teller Suppe über den Tisch. "Mach es wie die anderen!"

Maria nickte.

"Nenn mich Alfred", sagte er und drückte ihr einen kleinen Plastikeimer mit bunten Losen in die Hand, dann schob er sie hinaus ins Freie.

Ratlos blickte sich Maria um. "Ich muss laut rufen", dachte sie. "Alfred wird mich bestimmt beobachten!" Der Schnee fiel ihr ins Gesicht, schmolz, vermischte sich mit den dummen Tränen, die jetzt ungewollt liefen. Alfred stand vor seinem Wohnwagen und nickte ihr aufmunternd zu.

"Wer probiert's?", rief Maria zaghaft und viel zu leise.

Alfred nickte wieder. "Na, wer macht hier noch mal mit? Wer riskiert's? Wer möchte noch einmal?"

Sie rief und rief und bemerkte nicht, wie die Zeit verging. Im Nu war es dunkel geworden, die Lichter erloschen, der Weihnachtsmarkt war zu Ende. Die Menschen zerstreuten sich, sie gingen heim, wo es warm war, wo Kerzen brannten und Geschenke auf sie warteten.

Alfred machte ein zufriedenes Gesicht. "Du kannst jetzt auch gehen", sagte er. "Deine Eltern werden sicher schon auf dich warten!" Er entlohnte Maria und begann seelenruhig, den Inhalt seiner Bude einzupacken.

Was nun? Sollte sie sich Alfred anvertrauen? Doch sie getraute sich nicht. Langsam schlenderte Maria über den jetzt fast dunklen Platz. Gedankenverloren setzte sie einen Fuß vor den anderen. Die Straßen wurden leerer, die Gegend immer einsamer. Ein Schneemann im Vorgarten einer Villa reckte keck seine Mohrrübennase in den Schneebeladenen Himmel. In einem verfallenen Fabrikgebäude suchte sie Schutz. Zögernd tastete sie sich hinein. "Wie dumm von mir, dachte sie, im tiefsten Winter davonzulaufen!" Draußen tobte jetzt ein richtiger Schneesturm. Hier konnte sie unmöglich bleiben, wenn sie nicht erfrieren wollte.

Kurz darauf klopfte sie an den kleinen Fensterladen von Alfreds Wohnwagen.

"Alfred!", rief sie leise. Sie zitterte vor Kälte, schnell klopfte sie noch einmal.

"Wer ist da? Was gibt es?" Ein Spalt des Fensters wurde geöffnet.

"Ich bin es, Maria!"

"Welche Maria? Ich kenne keine!"

"Die Maria von heute Nachmittag. Die Losverkäuferin!"

"Geh zur Tür. Ich öffne!"

Wortlos zog er die bibbernde Maria in den Wohnwagen, half ihr aus dem nassen Mantel und stellte ihr heißen Tee hin. Dann erst fing er an zu fragen. "Warum kommst du zu mir?"

"Ich wusste nicht wohin. Ein Polizist hat mich aufgegriffen", schwindelte sie, "ich habe ihm erzählt, ich sei Ihre Tochter!"

"Ist dir nichts Besseres eingefallen? Ich habe keine Tochter. Ich habe niemanden!", sagte er und hantierte mit Geschirr. "Hier, iss! Es ist Suppe von heute Mittag. Ich wusste doch sofort, als ich dich sah, dass mit dir etwas nicht stimmt", brummte er. Nach einer Weile jedoch, war er wie umgewandelt. "So, du bist also heute meine Tochter! Wie alt bist du - Tochter?"

"Sechzehn, warum fragen Sie?"

"Nur so. Wenn meine Tochter noch leben würde, wäre sie heute …!" Er schwieg eine Weile.

"Erst starb meine Frau", begann er plötzlich zu erzählen, "später lief meine Tochter davon. Sie konnte das Vagabundenleben, das ständige Herumziehen, nicht mehr ertragen. Leider habe ich das zu spät erkannt. Sie geriet in schlechte Gesellschaft, Alkohol, Drogen … na ja. Irgendwann kam dann die Todesnachricht." Alfred hatte feuchte Augen, er schwieg. Nachdenklich blickte er auf Maria. "Warum bist du weggelaufen? Du bist doch, oder? Hast du keine Angst vor mir?"

"Ein bisschen schon", gestand Maria ehrlich.

Alfred verschluckte sich am Zigarettenqualm. Er hustete lange.

Maria sah sich um.

"Suchst du etwas? "

"Heute ist doch Weihnachten. Haben Sie keinen Baum?"

"Weihnachten ist etwas für Kinder", brummte er vor sich hin. "Konnte ich denn wissen, dass ich heute noch eine Tochter bekomme? Außerdem siezt eine Tochter ihren Vater nicht."

Maria bohrte weiter.

"Hast du wirklich keinen Baum?"

Kopfschüttelnd ging er in die dunkelste Ecke seines Wohnwagens. Sie hörte ihn in Kartons kramen und mit Papier rascheln. Als er zurückkam, trug er in der Hand ein kleines grünes Kunstbäumchen, mit Kugeln dran, nicht größer als Murmeln. "Frohe Weihnachten", sagte er schmunzelnd und stellte das Bäumchen auf den Tisch. "Bist du nun zufrieden, Tochter? Erzähle! Warum bist du ausgerissen?"

Doch bevor Maria beginnen konnte, fiel ihr Blick auf einige Bilder, die an der Wand seines Wohnwagens hingen. Sie stand auf und ging näher, um sie zu betrachten. Auch Alfred war aufgestanden und hinter sie getreten. Auf einem Bild war wohl seine Frau mit Tochter zu sehen.

Er wollte ihr erklären, wer auf dem anderen Bild zu sehen war, als Maria ihn unterbrach. "Dieses Bild kenne ich, ob du es glaubst, oder nicht! Einer davon bist du und der andere ist mein Vater, Herbert Wernicke, nicht wahr?"

Alfred wühlte verdutzt in seinem Bart und musste sich vor Schreck setzen. Das Bild zeigte zwei junge Männer in Uniform.

"Was passiert hier eigentlich heute?", dachte er. "Erst bekomme ich eine 'Tochter' ins Haus geschneit und nun ist sie auch noch das Kind meines besten Kameraden, der von meiner Seite gerissen wurde und als vermisst galt."

War es Bestimmung, war es Schicksal, dass sie sich trafen? Keiner wusste es. Sie schwiegen lange, endlich lösten sich ihr Zungen. Maria erzählte von ihrem Vater, der doch noch heimgekommen war, sehr krank und vor zwei Jahren starb. Sie redete sich ihren ganzen Kummer von der Seele und Alfred hörte ihr ruhig zu.

Gegen Morgen, als ihr die Augen fast zufielen, sagte er: "Weihnachten darf man sich etwas wünschen!"

"Wünschen?", fragte Maria schläfrig. Sie dachte an die große Not zu Hause und die Löcher, die gestopft werden wollten.

"Ach, Alfred! Den Wunsch, den ich habe, den kannst du mir nicht erfüllen, auch nicht der Weihnachtsmann!"

"Dann schlaf jetzt, Tochter! Morgen fährst du zurück, aber diesmal mit dem Zug."

In dem kleinen Nest war es zum dritten Mal Winter geworden. Maria haderte nicht mehr mit ihrem Schicksal, sie hatte sich gefügt. Sie arbeitete bei einem Bauern im Ort und hatte sich gerade einen Schemel zurechtgerückt, um zu melken, als die Stalltüre aufgerissen wurde und eine Fuhre Schnee samt Bruder hereinwirbelte.

"Maria, du sollst mal schnell heimkommen", rief er außer Atem, "Der Postbote ist da, er hat einen wichtigen Brief für dich. Du musst persönlich unterschreiben!"

Der Postbote war extra mit seinem Fahrrad aus dem Nachbarort herübergekommen. Er fror entsetzlich. Wenn er wenigstens einen Schnaps bekommen würde! Aber bei Wernickes war nichts zu holen.

"Sind Sie Maria Wernicke?" Ganz feierlich klang seine Stimme, als Maria die Wohnung betrat.

Sie nickte.

"Dann unterschreiben Sie hier!"

Der Brief kam von einem Rechtsanwalt. Ihre Augen wurden immer größer, während sie las.

"Mama!" Ihre Stimme zitterte. "Alfred ist gestorben. Er hat mir den Erlös aus dem Verkauf seines gesamten Vermögens vermacht! Hier, lies selbst!"

Sie drückte den Brief ihrer Mutter in die Hand und rannte zur Tür.

"Herrje! Mama! Ich muss ja noch melken."

Auf dem Weg zum Stall war ihr Kopf voller guter Pläne, ihr Herz voller Dankbarkeit.

"Danke, Alfred! Du warst ein anständiger Mann. Was hätte mir alles passieren können, hätte ich nicht dich getroffen!" Und ihr war, als höre sie Alfred mit brummiger Stimme sagen: "Weihnachten darf man sich etwas wünschen, Tochter!"

(Und manchmal gehen auch heimliche Wünsche in Erfüllung!)

***

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