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Weihnachtskrimi Kurzgeschichte Weihnachten Weihnacht Advent
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Der Krippendieb

© Viola Geiger

Argwöhnisch spähte Herr Blaulich durch die Glasscheibe seines Schaufensters. Der Josef war noch da. Maria auch. Was würde es diesmal sein? "Noch ein Schaf vielleicht?", dachte er ironisch, denn eine Herde hatte der Dieb ja noch nicht beisammen. Oder ob er wohl Gefallen an einem weiteren Hirten gefunden hatte? Nun, es schien alles normal zu sein, so normal wie es seit den letzten fünf Jahren nicht mehr gewesen war, als damals die erste seiner Krippenfiguren gestohlen wurde. Ein Ochse war es gewesen, mit rötlich bemalter Tonhaut, ein hübsches Ding. Damals hatte Herr Blaulich noch an eine Unachtsamkeit seinerseits geglaubt, schließlich war er auch nicht mehr der Jüngste. Doch als im Jahr darauf die Maria verschwunden war, an der er wirklich gehangen hatte, konnte er nicht mehr an Zufall glauben. Die Frage, wer der Dieb sein könnte, blieb jedoch ungelöst. Dann, im nächsten Advent, war es das Eselchen. Diesmal war Herr Blaulich vorbereitet gewesen, er hatte ein neues Türschloss angebracht und sich sogar einige Nächte selbst auf die Lauer gelegt, doch der Dieb schien entweder unsichtbar oder schlicht zu gewitzt zu sein; nie hatte er ihn zu Gesicht bekommen, bis nach der Nacht des dichten Schneefalls auch der Esel nicht mehr wie sonst keck aus seinem Stallanbau hervorlugte. Und in diesem Muster war es weitergegangen, jedes Jahr eine andere Figur. Herr Blaulich, dem seine - wenn auch kleine - Krippe sehr am Herzen lag, hatte natürlich dafür gesorgt, dass kein Platz lange leer blieb. Das konnte es doch nicht geben, eine Lücke in der Gemeinschaft der Heiligen Familie! So zierte nun ein Holzeselchen seines Neffen den Stall, daneben schmiegte sich ein tönerner Ochse seiner Enkelin an die Wand aus Moos und Zweigen. Die Schäfchen waren auf jedem Weihnachtsmarkt nachzukaufen gewesen, und den Hirten hatte ihm eine alte Stammkundin mitgebracht. Mit seiner Maria war Herr Blaulich sehr zufrieden; auf einer Wallfahrt hatte sie ihn aus einem Schaufenster der vielen Touristenkiosks angesehen, mit ernsten, aus schlichtem hellem Holz geschnitzten Augen. Nun waren also wieder alle Figuren in ihrer Jahrtausende alten Aufstellung vertreten; undenkbar dass jemand Hand an dieses Bild der Liebe legen sollte. Zufrieden sperrte Herr Blaulich den Laden auf. Der alte Schlüssel knarzte im Schloss, nach einem leichten Tritt gegen die äußere Kante sprang die blaue Holztür jedoch erstaunlich leicht auf. Innen schwirrten Staubflusen im ersten Lichtschein des Tages. Schnell schritt Herr Blaulich zum Fenster, ließ den Rollo hinauf und frische kalte Schneeluft strömte in das kleine Eisenwarengeschäft. Herr Blaulich sah sich versonnen um, blickte auf die vielen mit staubigen Nageldosen und Werkzeugkästen überladenen Holzregale und dachte wieder einmal: "Noch dieses Weihnachten, dann mach ich den Laden dicht." Er lebte in diesem Beruf mehr schlecht als recht und oft auch auf sein Erspartes hin, doch sein Eisenwarenhandel besaß einen langjährigen Ruf im Viertel. Viele der gelegentlichen Kunden kannten ihn noch von deren Eltern, und so hatte sich Herr Blaulichs Geschäft immer weiter durchgesetzt. Der alte Inhaber trat hinter den Verkaufstresen, sperrte gewissenhaft die Kasse auf und machte sich an die Arbeit. Nachdem die alltäglichen Dinge des Morgens erledigt waren, hatte Herr Blaulich nichts weiter zu tun, als auf Kunden zu warten. Er hatte sich auf diese Art angewöhnt, mit sich selbst zu wetten, wer als erstes kommen würde. Falls er gewann, nahm er sich später ein Heidelbeerbonbon aus dem Glas für Kinder. Die meisten von ihnen waren schon klebrig und hatten über die Zeit hin einen hellen Schimmer angenommen, doch Herr Blaulich liebte den säuerlichen Geschmack seit seiner eigenen Kindheit. Plötzlich, mitten in einem längeren Gedankenfluss über die unnütze Anschaffung an Bohrmaschinen, zu der er sich letzten Monat hatte überreden lassen, runzelte er erschrocken die Stirn. Was, wenn sein Dieb ernsthaft erkrankt war? Denn es war seit fünf Jahren das erste, in welchem kein Verlust an Krippenfiguren zu beklagen war. In drei Tagen war Weihnachten, und viel Zeit konnte der Unbekannte sich nicht mehr lassen. Herr Blaulich schlug mit der flachen Hand auf die Thekenplatte. "Verrückt", dachte er. "Verrückt, dass der Kerl mir seit über vier Jahren Krippenfiguren stiehlt und ich mir Gedanken darüber mache, ob er sich gesundheitlich wohlauf ist! Das muss ein Ende haben." Es klingelte durchdringend. Von dem plötzlichen Geräusch erschreckt zuckte Herr Blaulich zusammen, doch es war nur Pedro, der kleine Schwarzhaarige aus der Nachbarsiedlung, der - wie an jedem 21. - ein wenig Lametta einkaufte. Dieses hatte Herr Blaulich gemeinsam mit ein paar Schokoladennikoläusen, bunten Lichterketten und einigen Holzanhängern in sein Repertoire aufgenommen, um ein bisschen zusätzlichen Weihnachtsumsatz zu machen. Da allerdings außer der festen Kundschaft ohnehin keine Kunden auftauchten, war auch diese Investition nicht gerade eine Meisterleistung gewesen. Der weitere Tag verlief ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Bis Mittag betrat keine weitere Kundschaft mehr den Laden, und als Herr Blaulich um 11:30 Uhr sein Geschäft abschloss, um sich im "Weißen Lamm" eine Suppe servieren zu lassen, hatte er wieder einmal das dumpfe Gefühl, er sollte den Laden nach Weihnachten endgültig schließen.

Am nächsten Morgen traute Herr Blaulich seinen Augen nicht: Wo war sein Engel? Die Figur mit weißem Kleidchen und Kraushaar, mit den Plüschflügeln und dem goldenen Heiligenschein? Der Ladenbesitzer presste das Gesicht wieder an die Scheibe. Vor einer Woche, pünktlich wie immer, hatte Herr Blaulich ihn sorgsam an die Spitze der Krippe gesteckt und mit Draht fixiert. Und nun - weg! "Wie jedes Jahr", dachte sich der alte Mann, "weshalb rege ich mich eigentlich noch auf?"

Das nächste Weihnachtsfest kam schnell und stürmisch, wie eine Windböe, die alles mit sich fortträgt und die Stadt über Nacht weiß bepudert. Noch eine Woche vor Heiligabend hatte Herr Blaulich keine Zeit gehabt, überhaupt an den Krippendieb, wie er ihn nun in Gedanken nannte, zu denken; so turbulent waren die Tage auch für sein kleines Geschäft gewesen. Und dann, als er drei Tage vor Weihnachten morgens an sein Schaufenster trat, spürte er eine ganz unerklärliche und lächerliche Vorfreude in sich aufsteigen. Ja, fast könnte man sagen, er war gespannt auf das was kommen würde. Hatte der Dieb sich an den Josef gewagt? Bewusst ließ er seine Blicke zuerst über Jesus und Maria gleiten. Ja, sie waren beide da, und auch der neue Engel fügte sich ganz vorzüglich zwischen die anderen Figuren ein. Das Schäfchen graste friedlich neben dem Hirten; und dessen Blick wiederum ruhte auf Josef. Es war nichts passiert. Herr Blaulich war beruhigt. Doch als er an diesem Abend sein Schläfchen auf dem Sofa hielt, bevor er zu Bett gehen würde, geschah etwas Merkwürdiges. Er träumte ganz real, als ob es wieder Morgen wäre, dass er zu seinem Laden ginge. Im Traum war alles wie immer, bis er durch das eisige Schaufenster seines Geschäftes blickte. ... es war weg! Herr Blaulich war wider Erwarten ehrlich bestürzt. Das Jesuskind war verschwunden, und in der Krippe brannte stattdessen ein einsames weißes Teelicht im Stroh. Auch der Josef war weg, in Herrn Blaulichs Traum war dieser im letzten Jahr bereits dem Krippendieb zum Opfer gefallen, und zwar zwei Tage vor Weihnachten ... der alte Ladenbesitzer schüttelte den Kopf. Nun würde die Sache jedenfalls ein Ende haben, denn mehr als diese acht Krippenfiguren hatte er nie besessen. Ganz kurz nur blieb sein Blick an dem Miniatur-Heustadel hängen, der im Schaufenster thronte und mit Stroh ausgestreut war. Nein, dachte er bei sich, das dann doch nicht. Wieder fiel sein Blick auf das weiße Teelicht, das einsam brannte, und langsam, ganz langsam verblassten die Bilder, wurde alles hell bis Herr Blaulich plötzlich wieder den weichen Stoff der Couch unter seinem Körper spürte. Überrascht setzte er sich auf. Sein Hemd war schweißnass. Was war denn das gewesen? Der Jesus war doch noch da, oder etwa nicht? Hatte er ihn nicht selbst noch heute Morgen zufrieden betrachtet? Und sein Josef, der war doch auch noch nicht gestohlen worden. Oder hatte er etwa ... war das die Möglichkeit? Hatte ihm ein Wink des Schicksals eingeflüstert, wie die Chose weitergehen würde, wenn er nichts unternähme? Nun war Herr Blaulich aufgerüttelt. Er beschloss, es diesmal nicht darauf ankommen zu lassen, dass erneut eine seiner Figuren verschwände. Entschlossen nahm er seinen abgetragenen Mantel, seine Brieftasche und den Ladenschlüssel. Mit einem belegten Brot und einer warmen Decke verließ er wenige Zeit später das Haus. Die Luft war mild, fast zu warm für einen Dezemberabend in Deutschland. Der Himmel glänzte überraschend klar wie tiefblauer Samt, auf dem ein unaufmerksames Nähfräulein Perlen verstreut hatte. Wie schön die Nacht war. Schon hatte Herr Blaulich die kleine Gasse erreicht, in die sich sein Geschäft schmiegte. Er würde - unsichtbar für mögliche Passanten - die Hintertüre benutzen, um kein Aufsehen zu erregen. Seit Jahren hatte er sich nicht mehr so gefühlt, erwartungsvoll, tatkräftig, angespannt. Mit wem würde er es zu tun bekommen? Ob heute denn überhaupt etwas geschehen würde? Schon begann er wieder, sich ärgerlich zu fragen, weshalb in aller Welt er nun mitten in der Nacht vor seinem Laden stand. Hatte er nicht schlicht und einfach einen Alptraum durchlebt? In diesem Moment hörte er das Rascheln. Und sah gleich darauf den Lichtschein einer Taschenlampe. Da war etwas. Und es war in seinem Geschäft. Herr Blaulich presste sich an die verputzte Wand und wagte kaum zu atmen, ganz so als könnte der Einbrecher ihn durch das dicke Schaufensterglas hören. Wieder ein Rascheln - und da war er, in der Auslage. Herr Blaulich wusste ohne hinzusehen, dass der Dieb sich nun des Josefs bemächtigt hatte. In wenigen Minuten würde er wieder an der Hintertür sein, durch die er hereingekommen sein musste. Der alte Ladenbesitzer schlich an der Mauer entlang bis zur Ecke, die den Blick auf den Hintereingang freigab. Hier wartete er. Nach einer halben Ewigkeit wie es ihm schien, bewegte sich die Eisentüre. Ganz sachte, als ob sie mit großer Anstrengung aufgeschoben würde, öffnete sie sich weiter und weiter. Endlich kam eine behandschuhte Faust zum Vorschein, und gleich darauf ein dunkler Lockenkopf unter einer Wollmütze. Pedro! Herr Blaulichs Atem stockte. Einen Moment rang er mit sich, doch seine Enttäuschung war zu groß. Er trat vor. Der Blick des Jungen traf seinen, erstarrte und wurde dunkel wie Holzkohle. Er blickte zu Boden, die Faust mit dem Josef sank achtlos nach unten. Herr Blaulich räusperte sich." Bist du das, der mir seit Jahren meine Krippenfiguren stiehlt?", fragte er unnötigerweise. Pedro nickte zaghaft. "Kannst du mir auch sagen warum?" Herr Blaulich schaffte es einfach nicht, dem Jungen böse zu sein, zu groß war immer noch sein Bestürzen darüber, dass der gefährliche und mysteriöse Krippendieb ein kleiner Junge sein sollte, der fast wöchentlich bei ihm ein und aus ging. Natürlich - Pedro wusste, dass der Riegel zum Hintereingang einen kleinen Bruch besaß ... doch da erklang die Stimme des Jungen, sie war rau und dünn wie ein schmelzender Eiszapfen. "Es ist meine Großmutter, sie ... sie wollte so gerne eine richtige Krippe haben, wie in Italien damals. Aber die Figuren sind schrecklich teuer, und ich dachte, wenn ich immer nur eine ... ich ... es tut mir leid." Er verstummte und blickte wieder zu Boden. Herr Blaulich schwieg ebenfalls. So standen sie wie Statuen, und ein vorbeigehender Fußgänger hätte wohl kaum erkannt, dass hier ein jahrelang andauerndes Rätsel aufgedeckt worden war. Schließlich räusperte sich der Ladenbesitzer wieder. "Warte hier", sagte er kurz und betrat seinerseits den Laden. Nach kurzer Zeit erschien er wieder auf dem Gehsteig, trat auf den Jungen zu und nahm dessen Fäuste, die immer noch den Josef umklammert hielten, in beide Hände. Pedros Augen weiteten sich. Herr Blaulich hatte ihm das Jesuskind in die Hand gedrückt. "Deine Großmutter ist schon sehr alt, wir wollen sie nicht noch ein Jahr warten lassen", meinte der Ladenbesitzer nur. Pedro blickte ihn ungläubig an, sein Mund stand weit offen. Da musste Herr Blaulich lächeln. Erst war es nur ein Zucken um die Mundwinkel, dann stahl sich das Lachen in seine Kehle, und schließlich lachte er aus vollem Hals. Er lachte aus Erleichterung darüber, dass hier kein Einbrecher vor ihm stand, sondern ein kleiner Junge. Dann jedoch wurde ihm bewusst, wie angespannt der Kleine immer noch sein musste. Er gab dem Kind einen freundlichen Klaps, und als hätte er nur auf ein Zeichen gewartet, drehte sich Pedro um und lief wie der Wind die Straße hinüber in das alte Übersiedlergebiet. Hier lebte er mit seinen vielen Geschwistern, den Großeltern und Eltern. Langsam wandte sich nun auch Herr Blaulich ab. Wie zufällig fiel sein nachdenklicher Blick noch einmal auf die - jetzt sonderbar leere - Krippe im Schaufenster. Wo sollte er nun so schnell einen Jesus hernehmen, wo auch noch dessen Vater verschwunden war? "Nun ja", dachte er bei sich, "was man nicht ändern kann, sollte man auch nicht zergrübeln." Das hatte schon sein Vater stets gesagt, wenn er als kleiner Junge mit seiner Größe gehadert oder sein Mathematiknoten verflucht hatte. Und seit er älter geworden war, musste der Landebesitzer zugeben, dass der Grundsatz ihm mit jedem Jahr ein bisschen weiser vorkam. Er würde die Krippe eventuell einfach ganz abbauen in diesem Jahr. Mit diesem Gedanken wollte er sich bereits abwenden, als ihm in der Bewegung plötzlich etwas auffiel. Ein schwacher Lichtschein strahlte ihm aus dem Schaufenster entgegen. Hatte er etwa die Hintertüre einen Spalt offen gelassen? Aber nein, ganz bewusst hatte er gerade abgesperrt. Was also war das? Er trat näher an die Glasscheibe heran. Das Licht kam aus der hölzernen Krippe, in der bis vor wenigen Momenten noch das Jesuskind gelegen hatte. Wahrhaftig, in der Krippe strahlte ein Licht. Klein und weiß-golden durchbrach es das Dunkel des Ladeninneren. Und wenngleich Herr Blaulich kein sentimentaler Mensch war, wenngleich er sich nie mit Übersinnlichem beschäftigt hatte - in diesem Moment stand er ganz still da, stand ehrfurchtsvoll und betrachtete seine Krippe mit dem Licht, sein eigenes Wunder, das nur für ihn und in dieser Nacht, zwei Tage vor Weihnachten, leuchtete. Er hatte verstanden.

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Eingereicht am 15. April 2007

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