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Mit spitzbübischem Grinsen stellte Maren Lauterbach die Kaffeetasse zur Seite. Sicher benahm sie sich jetzt kindisch, aber immer erwachsen zu sein versprach schließlich auch oft nur Langeweile. Eilig schlich sie in Klaus Eberhards Arbeitszimmer und schloss die alte Herrenkommode auf, die ihr Gatte von seinem Großvater geerbt hatte. Normalerweise bewahrte ihre bessere Hälfte hier alte Familienfotos auf. Die interessierten Maren nicht, weil sie außer der eingebildeten Schwiegermutter niemanden der abgelichteten Personen persönlich kannte. Die Fotos befanden sich in drei Pappkartons. Der vierte Karton in der Reihe war gewöhnlich leer. Gewöhnlich. Wie Maren wusste, versteckte Klaus Eberhard dort immer die Weihnachtsgeschenke. Zwar hatte sie die Kartons erst vorgestern kontrolliert, aber Heilig Abend war schließlich in wenigen Tagen. Neugierig hob sie den Deckel ab. Im Inneren lagen mehrere Päckchen. Zwei davon waren aufwendig verpackt und zusätzlich mit einer winzigen aufklappbaren Grußkarte versehen. Neugierig nahm Maren die beiden Päckchen heraus. "Für meinen wilden Schmusetiger", stand auf den Karten. Die Schrift gehörte eindeutig Klaus Eberhard, aber wer war der wilde Schmusetiger? Jedenfalls hatte ihr Gatte sie noch nie so genannt. Überhaupt konnte sie sich in der letzten Zeit kaum an einen Kosenamen erinnern. Sie hoffte, der Inhalt der Päckchen würde alles aufklären, womöglich die Sache zum Guten wenden. Vorsichtig löste sie die Klebebänder und wickelte die Päckchen aus dem Geschenkpapier. Als sie schließlich eine goldene Kette mit einem kleinen Herz als Anhänger in den Händen hielt, zitterten ihre Knie. Das andere Päckchen enthielt hauchdünne Spitzendessous. Reizwäsche in einer viel zu kleinen Größe. Klaus Eberhard hatte also eine Geliebte. Während Maren die Geschenke mühsam wieder verpackte, stiegen Tränen der Trauer, vielleicht auch der Wut, in ihr hoch. Gleich heute Abend wollte sie Klaus Eberhard mit ihrem Verdacht konfrontieren. Bis er verspätet nach Hause kam, wie so häufig in letzter Zeit, hatte sie jedoch einen ganz anderen Plan.
"Muss gleich los", erklärte ihr Ehemann am Frühstückstisch, ohne die Zeitung zu senken.
"Zu einer unserer Apotheken?"
"Später vielleicht", erklärte er. "Erst einmal kaufe ich Weihnachtsgeschenke."
Vor Wut versagte Maren die Stimme. Allerdings schien ihr Gatte auch keine Antwort zu erwarten. Wenig später knallte er die Zeitung auf den Tisch, nuschelte ein "Bis dann" und verließ das Haus. Nur mit Mühe konnte Maren ihre Gedanken ordnen. Während sie den Motor von Klaus Eberhards Wagen hörte, angelte sie ihren Mantel von der Garderobe, steckte den eigenen Autoschlüssel ein und spähte durch das kleine Dielenfenster. Nachdem ihr Gatte von der Auffahrt auf die Straße gebogen war, schlüpfte sie aus dem Haus. Hastig bestieg sie ihren kleinen Toyota, der direkt vor der Garage stand. Zum Glück war sie gestern zu faul gewesen, in extra hinein zu setzen. Das Glück war ihr auch weiterhin hold. Zumindest erkannte sie Klaus Eberhards schwarzen Mercedes an der nächsten Ampel. Er blinkte nach rechts. Um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, fuhr Maren sogar bei Rot. Schließlich handelte es sich hier um eine Notfallsituation. Obwohl sich mehrere Wagen zwischen sie und ihren Gatten drängten, gelang es ihr, ihm zu folgen. Als er einen Stadtteil mit wenig Verkehr und schönen Einfamilienhäusern ansteuerte, blieb sie absichtlich zurück. Das Risiko, entdeckt zu werden lohnte sich nicht. Wahrscheinlich kannte sie sein Ziel ohnehin, zumindest seit der letzten Kreuzung. Mit zitternden Händen parkte Maren am nächsten Straßenrand. Sie brauchte einige Minuten um sich zu sammeln, dann stieg sie aus. Erregt lief sie auf dem Bürgersteig entlang, bog zweimal ab und lugte dann mit klopfendem Herzen um das nächste Eckhaus. Obwohl sie nichts anderes erwartet hatte, trieb der Anblick ihren Blutdruck noch weiter in die Höhe. Der schwarze Mercedes stand vor einem modernen Bungalow mit gelbem Anstrich. Sie kannte das Haus. Wie oft hatte sie dort bei Ann Kathrin ihr Herz ausgeschüttet, auch über Klaus Eberhards Herzlosigkeit. Angewidert vom Verrat der besten Freundin wandte sie sich ab. Während sie zu ihrem Wagen lief, reifte in ihr ein teuflischer Plan. Auf der Rückfahrt gönnte sie sich einen kleinen Umweg in die Innenstadt. Der entsetzliche Verkehr ließ sie ebenso kalt wie die stimmungsvolle Weihnachtsbeleuchtung. Zielstrebig steuerte sie das einzige große Kaufhaus an. Direkt am Eingang verteilte ein Weihnachtsmann Spritzgebäck an Kinder kaufwilliger Kunden. Maren beobachtete ihn eine ganze Weile. Der Mann wirkte gestresst und schien seinen Job nur mit Widerwillen auszuüben. Umso besser, dachte sie. Der würde ihr sicher keine Probleme bereiten.
Als Klaus Eberhard an diesem Abend gut gelaunt nach Hause kam, traf er Maren in der Küche an. Wie jedes Jahr backte sie Vanillekipferl und Pfeffernüsse, nur die Zutaten hatte sie etwas variiert.
"Erfolgreich eingekauft?", fragte sie gepresst.
"Kann man wohl sagen", erwiderte Klaus Eberhard mit einem Grinsen, das sie einfach widerlich fand.
Zum Glück schlurfte er kurz darauf aus der Küche. Wenig später hörte sie Stimmen aus dem Fernseher. Klaus Eberhard würde sie jedenfalls nicht vermissen, wenn sie noch einmal das Haus verließ. Tatsächlich hörte sie nur ein kurzes Brummen, als sie einen Abschiedsgruß rief.
In erhöhtem Tempo fuhr sie durch die abendlichen Straßen. Es war kurz vor Ladenschluss und sie hatte versprochen, den Weihnachtsmann pünktlich am Hintereingang des Kaufhauses abzuholen. Als sie um die Ecke bog, winkte er ihr zu. Irgendwie wertete sie das als gutes Zeichen. Wenig später saß er neben ihr auf dem Beifahrersitz. Während sie weiter fuhr, erklärte sie ihm noch einmal den Plan, zumindest den Teil, den er unbedingt wissen musste. Nachdem er alle Instruktionen erhalten hatte, parkte sie den Wagen an derselben Stelle wie morgens. Maren lief voraus, der Weihnachtsmann folgte in einem gewissen Abstand. Als sie den Bungalow mit dem gelben Anstrich erreichten, blieb Maren kurz stehen und nickte, dann eilte sie weiter bis zu einem Gebüsch. Von hier aus konnte sie den beleuchteten Eingangsbereich des Bungalows genau überblicken. Erregt beobachtete sie, wie der Weihnachtsmann die Klingel suchte und ihre Freundin bald darauf im Türrahmen stand. Als sie sich vorstellte, dass Ann Kathrin nun die Plätzchen und einen Weihnachtsgruß an den Schmusetiger in Empfang nahm, schoss ein Adrenalinstoß durch ihren Körper. "Die letzten Plätzchen deines Lebens", höhnte Maren kaum hörbar. So wie sie ihre Freundin kannte, würde sie dem Gebäck kaum widerstehen können. Nachdem Ann Kathrin im Haus verschwunden war, beobachtete Maren den Weihnachtsmann. Wie besprochen lief er nicht zum Auto zurück sondern in die entgegengesetzte Richtung. Sie hatte ihn gut entlohnt und würde ihn hoffentlich nie wieder sehen.
Als am nächsten Morgen das Telefon klingelte, war Maren auf alles gefasst. Mit zitternden Knien nahm sie den Hörer ab und ließ ihn wenig später leichenblass sinken.
"Was passiert?", fragte Klaus Eberhard neugierig.
"Ann Kathrin", antwortete Maren, nachdem sie sich wieder etwas gefangen hatte, "erzählte irgendetwas von einem toten Weihnachtsmann. Nachbarn haben ihn wenige Häuser weiter auf dem Bürgersteig gefunden."
"Du solltest dir nicht immer alles so zu Herzen nehmen", erwiderte Klaus Eberhard und vertiefte sich wieder in seine Zeitung.