Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.
Alle Jahre wieder ...© Daniel SchmidtIch brauche noch ein Geschenk. Nicht irgendein Geschenk, sondern das für meine Mutter. Sie hat sich einen Kerzenständer gewünscht, einen ganz speziellen. Ein recht großes Teil aus mattiertem Edelstahl. Gerade, klare Form und viel Gewicht. Glücklicherweise hat sie mir gesagt, wo ich ihn zu kaufen bekomme und ich bin der Held des Tages, ich habe den letzten bekommen. So weit, so gut. Mein Problem ist jetzt, ich brauche noch die passenden Kerzen. Nun muss man wissen, Mutter ist recht wählerisch, in ihrer Wohnung passt eins zum anderen in perfekter Harmonie. So perfekt, dass sich nicht mal Staub in die Wohnung wagt, aus Ehrfurcht und vielleicht auch ein bisschen aus Angst. Ich versuche, mich an die Farbe der Vorhänge zu erinnern. War es ein leichter Fliederton? Oder doch eher gelblich. Ich gebe zu, das sind zwei sehr unähnliche Farben, doch perfekt zu sein heißt auch nie zufrieden zu sein und so ist sie ständig am Umgestalten. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Irgendwann war es auch mal ein zarter Mintton. Egal, ich gehe Richtung Kerzenladen, die werden mir schon helfen können. Der Weg dort hin ist ein Spießrutenlauf. Jeder freie Platz ist mit einer Holzbude zugestellt und davor und dazwischen drängen sich Menschen ohne Ende. Haben die alle kein Zuhause? Ist doch kalt hier. Ich muss da durch. Mein Päckchen vor mir her schiebend zwänge ich mich an Pelzimitaten und super lustigen blinkenden Weihnachtsmannmützen oder Elchgeweihen (die können doch nicht alle eine Wette verloren haben?) hindurch, immer in der Hoffnung, nicht Opfer eines Taschendiebes zu werden. Die treiben sich doch immer rum, wenn so ein Andrang herrscht. Das hätte mir jetzt gerade noch gefehlt. Ich checke kurz die Umgebung, drehe mich einmal nach rechts, einmal nach links und mein Päckchen fröhlich mit mir, genau in den Glühweinbecher einer Mittvierzigerin. Oh oh. Sie hat noch gute Reflexe, springt einen Meter zurück, den Becher weit von sich haltend. Sie schafft es, dass kein Spritzer ihre Jacke trifft. Einzig ihre Hand hat sie sich offensichtlich verbrannt, wagt es jedoch nicht, den Becher fallen zu lassen (klar, ist ja Pfand drauf). Doch das geht im Tumult unter, denn auf dem Tisch hinter ihr standen eben noch jede Menge anderer voller Glühweinbecher, vielleicht auch Kinderpunsch oder Eierpunsch oder was auch immer einen dazu bewegen mag, sich hier mitten in den Weg zu stellen. Nun müssen sie mit den Konsequenzen leben. Ich nutze eine Lücke vor mir und verschwinde, bevor sich der Pöbel auf mich stürzt. Das ging ja gerade noch mal gut. Den Kerzenladen erkenne ich fast nicht wieder. Die Fenster sehen aus wie nicht geputzt. Soll wohl Schnee darstellen. Auch hier sind jede Menge Menschen, erstaunlich, verfolgen die mich etwa? Ich schaffe es wie durch ein Wunder ins Ladeninnere, nach einer weiteren Viertelstunde (inzwischen wird mir warm unter meinem Mantel, unter meiner Mütze juckts, aber wenn ich die jetzt absetze, kleben die ganzen Haare am Kopf, das geht gar nicht und meine Lippe fühlt sich merkwürdig an) bin ich endlich an der Reihe. 'Ich brauche ein paar Kerzen für diesen Kerzenständer.' Ich packe das gute Teil so weit aus, dass man eine Aussparung für die Kerzen sehen kann. 'Ich weiß allerdings nicht die Farbe, etwas Neutrales ...' weiter komme ich nicht. Beschwichtigend legt sie mir ihre Hand auf die Brust. 'Hier ist nur der Einpackservice, Beratung heute nur bei meiner Kollegin.' Und noch während ihr künstliches Lächeln verblasst, nimmt die dem nächsten Kunden eine riesige Kerze mit gleich drei Dochten aus der Hand, um sie in durchsichtige Folie zu wickeln. Durchsichtige Folie! Dann braucht man auch gar nichts drum herum wickeln. Mein Blut kocht, doch ich beherrsche mich. Immerhin sieht die Kollegin ziemlich gut aus, da kann man auch mal einen Moment warten. Diesmal dauert es nur zehn Minuten. Geht doch. Ich lächle sie an, sie lächelt zurück. Schöne Zähne. Sie ist mit Frau Pimper beschriftet. Ich muss noch mehr lächeln. Was sie wohl nach Feierabend macht. 'Was kann ich für Sie tun?' 'Mit mir pimpern ...', flüstere ich und unterdrücke mein Lachen. Es dauert einen Moment, bis ich mich wieder im Griff habe. 'Ähm, ich brauch Kerzen, hier für dieses Monster.' Sie löst ihren Blick langsam von mir. 'Diese Größe ist sehr gefragt dieses Jahr, die haben wir leider nur noch in pink.' Pink. Nein, pink nun wirklich nicht. Ich breche innerlich zusammen. 'Aber Sie können es mal drüben im Kaufhaus versuchen, die haben sicher noch welche.' Danke Frau Pimper. Der Weg zum Kaufhaus verläuft relativ problemlos. Ich habe jetzt zwar ein wenig Zuckerwatte am Ärmel, dafür hat dieses blöde Kind gar keine Zuckerwatte mehr. Strafe muss sein und das Zeug ist eh nicht gut für die Zähne. Im Kaufhaus finde ich mich nicht auf Anhieb zurecht. Nein, ich finde mich gar nicht zurecht. Dort, wo sonst Platz zum Gehen und Stehen war, sind jetzt Berge von Deo/Aftershave- oder Duschgel/Bodylotion-Geschenkkartons in 2000 verschiedenen Varianten. Das kauft doch keiner. Das sind doch Geschenke für Einfallslose. Das sind Geschenke, die man am 24. kauft, die brauchen sie jetzt gar nicht rausstellen. Blöde Marketingfuzzies. Ich schaffe es, mich hindurchzuschieben ohne einen Stapel umzuwerfen. Ich bin stolz auf mich. Kerzen sind natürlich am anderen Ende. Nein, dort sind sie auch nicht. Es gibt eine Sonderverkaufsfläche im vierten Stock. Ganz toll. Ich bin begeistert. Langsam wird die Kiste schwer. Ich fahre mit der Rolltreppe nach oben. In jedem Stockwerk muss ich mich einmal durch die Ständer schieben, um wieder höher fahren zu können. Im dritten Stock sehe ich bei einer dieser Umrundungen ein schönes Hemd. Es hat einen gelben Grundton und schwarze Streifen. Ja, tief in meinem Herzen bin ich BVB-Fan. Und so ein Hemd ist doch besser als ein Schal, das kann man auch mal im Sommer tragen. Ich schnappe mir das Teil und verschwinde in den Umkleidekabinen. Es dauert, bis ich mich entscheide, es sind bestimmt zehn Stück und die Hälfte ist erstaunlicherweise leer. Ganz hinten ist perfekt. 'Oh, Entschuldigung.' Schöner Hintern. Ich linse noch mal durch den Spalt, spüre aber dann den Blick der Verkäuferin auf mir. Ich verschwinde zwei Kabinen weiter vorn, kann endlich das Paket abstellen, den Mantel ausziehen und mich kurz setzen. Meine Frisur ist total hinüber. Ich setze die Mütze wieder auf. Das Hemd passt einigermaßen, so richtig kann ich es bei dem kleinen Spiegel nicht beurteilen. Ich gehe nach draußen und mache mich vor allen Leuten zum Heinz. Neben mir dreht die Frau von eben ihre Pirouetten, schaut, wie ihr blaues Top zur weißen Hose passt. Wie kann man sich nur so anstellen. Reicht doch ein Blick. Ich zum Beispiel sehe umwerfend aus. Bis auf die Mütze vielleicht. Und warm ist mir immer noch. Und meine Lippe juckt. Ich glaub ich krieg Herpes, das hätte gerade noch gefehlt. Ich hör schon den Sohn meiner Schwägerin, also meinen Neffen, beim Weihnachtsessen: 'Was hat der Onkel Max da an der Lippe?' Aber mit meiner Wii spielen wollen. Nix da! Ich verschwinde wieder in der Kabine, streife mir das Hemd über den Kopf. Ich betrachte meine Lippe aus der Nähe. Scheint blinder Alarm gewesen zu sein. Abwarten. Ich lese mir die Waschanleitung durch. 30°, Nicht mit anderen Farben waschen. Super. Wer entwickelt so am Markt vorbei. Na Sara wird's schon hinbekommen. Oder Mutter. Ich hänge das Hemd wieder auf den Bügel. Plötzlich ein Adrenalinstoß. Das Paket ist weg. Das gibt's doch gar nicht. Scheiße. Was mach ich denn jetzt. Das war der letzte Kerzenständer. Jetzt wird man sogar schon im Kaufhaus beklaut. Ich wusste es. Na wenigstens brauche ich auch keine Kerzen mehr. Nächster Schock: Pullover ist auch weg. Und Mantel auch. Dafür steht eine Handtasche da. Im Schleichgang dämmert es mir. Richtig, die hinterste Kabine war belegt. Genau in dem Augenblick geht der Vorhang auf, steht die Pirouettenfrau vor mir. Ich ziehe den Bauch ein und lächle. 'Falsche Kabine.' Sie lächelt nicht. 'Allerdings falsche Kabine.' Und schaut sofort nach, ob noch alles in ihrer Handtasche ist. Sind Frauen misstrauisch. Wer soll denn hier was klauen? In einem Kaufhaus! Blöde Schalke-Tussi. Meine Kabine ist noch vollständig. Muss ich also doch noch in den vierten Stock. Das Kerzenständerpaket in der einen, das Hemd in der anderen Hand begebe ich mich wieder zur Rolltreppe. Als ich meinen Fuß darauf setzen will, blinken neben mir die Warnleuchten auf und ein grässlicher Piepton ertönt. Noch während ich mich umschaue, wer hier wohl ein Etikett entfernen wollte, packt mich ein düster blickender breitschultriger uniformierter Mann an der Schulter. Aber er ist gar nicht sauer, weist mich nur höflich darauf hin, dass ich erst das Hemd bezahlen muss, bevor ich nach oben fahren kann. Weil oben alles Sonderfläche ist und ich dort das Hemd eben nicht bezahlen kann. Wir diskutieren kurz, bis die Schalke-Frau an uns vorbeigeht und mich mit einem hämischen Blick ansieht. Ich gehe das Hemd bezahlen. Und dann direkt zum Ausgang. Hier kaufe ich ganz bestimmt keine Kerzen. Eigentlich will ich nur noch nach Hause. Auf dem Weg durch die Menschenmassen dringen Geigenklänge an mein Ohr. Zwei elfenhafte Wesen ziehen mich förmlich zu sich hin wie damals die Sirenen in der Geschichte mit den Seeleuten. Ich lasse mich treiben, bis ich direkt vor ihnen stehe. Sie spielen Weihnachtslieder und schauen dabei ganz verträumt aus. Ihre blonden langen Haare (das sind bestimmt Perücken, ich kenn die Tricks) umspielen ihre zarten blassen Gesichter mit den rosigen Wangen und lassen sie wie kleine Engelchen aussehen. Beide haben erstaunlich lange Finger, wären perfekt für ein Klavier. Ich stelle mir dieses Klavier vor, nein einen weißen Flügel natürlich, hier in der Fußgängerzone, und die beiden davor, sie spielen ein Duett und ihre Hände gleiten geschmeidig über die Tasten und die Haare streichen über ihre nackte Haut, ja natürlich sind sie nackt, ich bin auch nur ein Mann. Ich trete hinter sie und streichle über ihre Rücken bis beide ihren Kopf an meinen Arm schmiegen wie zwei Katzen, die noch mehr Streicheleinheiten fordern. Ich lächle und lasse meine Hände über ihre Schultern gleiten, vorbei an den zwei Schwanenhälsen auf dem Weg zu den Hügeln der Weiblichkeit ... Au! Eine Fritteuse in meinem Rücken beendet meine Tagträume. Ich hasse Fritteusen. Der Mann der Fritteuse ringt sich ein halbherziges 'Entschuldigung' ab und verschwindet wieder in der Menge. So ein Arschloch. Das wird sicher ein schöner blauer Fleck. Werden die Jungs in der Sauna wieder ihre blöden Witze reißen. Is ja toll, wenn man sich über andere lustig machen kann. 'Du blödes Arschloch pass doch auf mit deiner scheiß Fritteuse!' brülle ich dem Typ hinterher. Die Sirenen verstummen. Und eine Million Augenpaare sind auf mich gerichtet. So beobachtet, werfe ich schnell meinen Einkaufswagen-Euro, der immer lose in meiner Hosentasche liegt, in den Geigenkasten. 'Das macht ihr wirklich ganz toll. Wir sollten mal was zusammen machen.' Sie schauen mich etwas verwirrt an. 'Also, wenn ihr Lust habt.' Was rede ich da? Ich muss weg. 'Wirklich, das war super!' Ich drehe mich um und will verschwinden, bin aber eingekeilt. Mein Schritt zurück wird ein Schritt in den Geigenkasten, das Kleingeld macht seine eigene Musik. Peinlicher geht's bald gar nicht. Als mich nach unten beuge, stoße ich mit dem Kopf mit einer der Sirenen zusammen. Was hat die für einen harten Schädel! Jetzt krieg ich auch noch ne Beule am Kopf. Na wunderbar. Weil ich mich nicht entscheiden kann, ob ich sie anschreien oder mich entschuldigen soll, suche ich dann doch das Weite. Mann, tut das weh! Aber ihr Parfüm roch gut. Das könnte ich eigentlich meiner Frau schenken. Aber dazu müsste ich zurück und nach dem Namen fragen. Lieber nicht. Also gehe ich zurück zum Bus, noch einmal Ölsardine spielen und dann unter die Dusche. Auf dem Weg zur Haltestelle muss ich ein einem Erotikshop vorbei. Moment. Hier hab ich doch mal so Kerzen gesehen, in einem sehr neutralen Farbton, so was Richtung Hautfarbe, oder mehr so Elfenbein. Also hinein. Direkt hinter dem Eingang werde ich von einem Mann mittleren Alters gemustert. Nein Bruder, heute nicht. Und auch morgen nicht. Nie nicht. Ich kann ihn ja verstehen, aber ich bevorzuge die klassische Mann-Frau-Kombination. Ich versuche, ihn so gut es geht zu ignorieren und gehe hinein. Welch Wohltat! Ein Laden, der nicht überlaufen ist. Die Kerzen sind schnell gefunden. Wusst ich's doch, die perfekte Farbe. Nur die Form. Ich überlege hin und her. Sie ist ne aufgeklärte Frau und wenn ich den unteren Teil abschneide, also das ganz dicke, dann fällt's eigentlich gar nicht so sehr auf. Ich nehme vier Stück und trabe zur Kasse. Auf dem Tresen steht weihnachtliche Deko, Handschellen in rot-weiß, dazu ein roter BH mit weißem Fell und der passende String. Okay, ich bin kein Spielverderber und nehme das Set mit. Sara wird's freuen. Bestimmt. Ich schütte all mein Kleingeld auf die Theke, um mehr Zeit für den Spekulatius auf dem Teller zu haben. Einkaufen macht hungrig. Ich stürme nach draußen und stoße fast mit einer Frau zusammen. Einer Frau mit einem Kind an der Hand. Einem Kind, das dem meiner Schwägerin ähnlich ist. Das ist meine Schwägerin. 'Hallo Max!' 'Hallo Onkel Max' 'Hi!' Sie wirkt überrascht. 'Was machst du denn in einem Sexshop?' Mir fällt kein Grund ein, warum ich mich rechtfertigen sollte, tue es aber trotzdem. 'Ich habe Kerzen gekauft.' Sie lacht. 'Na immerhin bist du schlagfertig.' Nein, ich bin nur genervt. 'Was hast du da in der Tüte.' Mein Lieblingsneffe vermutet sicher ein Weihnachtsgeschenk darin. Ich öffne die diskrete Papiertüte und halte ihm eine der Kerzen vor die Nase. 'Die sieht aus wie der Penis von Papa!' Ja du Schlaumeier. 'Dann hat dein Papa ja 'nen tollen Penis. Vielleicht macht er damit ja zur Abwechslung auch mal ein gescheites Kind.' Die Luft um uns herum kühlt sich schlagartig um mindestens 10 Grad ab. Jetzt weiß ich, wie es zur Eiszeit gekommen ist. Wir verabschieden uns wortlos, ich freue mich schon auf Weihnachten. Ich sehe ihr hinterher. Sie telefoniert. Sicher mit Sara. Vielleicht sollte ich doch nicht nach Hause fahren. Kann ja auch gleich zu Mutter. Fragen, ob ich den richtigen Kerzenständer gekauft habe. Falls nicht, kann ich ihn ja morgen noch umtauschen. Und eine Duschgelirgendwasgeschenkbox für meine Schwägerin kaufen. Meine Lippe juckt. Ich glaube, ich kriege doch Herpes. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.SPIEGEL ONLINE Bestsellerautorin Patricia Koelle
Weihnachtsgeschichten von Patricia Koelle
Weihnachtsgeschichten für Kinder und Erwachsene, Adventsgeschichten, Engel,
Weihnachtsengel, Weihnachts-eBook, Weihnachts-e-Book,
kostenlos online lesen und veröffentlichen, Weihnachten, Advent
|
© Dr. Ronald Henss Verlag Home Page