Weihnachtsgeschichten - Adventsgeschichten
Kurzgeschichte Weihnachten Weihnacht Advent Geschichten für Weihnachtsmuffel
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Revolution

© Margrita Plychta

Trashboy plante eine Revolution.

Nach Jahren des sinnlosen Rumhängens in alternativen Clubs hatte er begriffen, dass die Welt so nicht weiter existieren konnte. Sie brauchte jemanden, der sie rettete, und das würde er selbst sein.

"Ich will die Gesellschaft von unten aushöhlen", erklärt er Keks und Riot, die an ihrem Joint zogen und ihn verständnislos ansahen. "Es bringt uns nichts, einmal im Jahr zur 1.-Mai-Demo zu gehen und ansonsten nichts zu tun!"

Riot drehte an seinem neuesten Piercing, das sich aus Platzmangel am äußersten Eck seiner linken Augenbraue befand. Es war neu, deshalb war es leicht entzündet.

"Wie jetzt, Alter?", fragte er und hoffte, dass Trashboy vielleicht schon vergessen hatte, worauf sich die Frage bezog.

Unglücklicherweise war sein Freund heute völlig klar im Kopf, zumindest, was sein Erinnerungsvermögen betraf. Über seine Urteilsfähigkeit konnte Riot noch keine Entscheidung treffen.

"Ich habe erkannt, dass der Kommunismus die einzige Alternative zum westlichen System darstellt", erklärte Trashboy begeistert und holte einen Stapel Flugblätter aus seinem Rucksack. "Diese Broschüren haben mir echt die Augen geöffnet!"

"Hm", sagte Keks und bestellte noch ein Bier, er nahm an, dass sein Beitrag zum Thema damit erledigt war.

"Habt ihr das gelesen?", bohrte Trashboy weiter und legte ein Buch mit Luxemburgs Konterfei auf den schmutzigen Tisch.

"Meinst du des mit dem Aushöhlen als Terrorist und so?", fragte Riot, plötzlich interessiert, "dafür kann man in den Knast kommen."

"Tatsächlich?"

Trashboy zog eine Augenbraue hoch und musterte seinen Kumpel scharf, "Tatsächlich? Meinst du …", seine Stimme wurde lauter, "… meinst du, ich weiß das nicht??", schrie er schließlich durch die düstere Kneipe. "Seid ihr nicht bereit, auch nur das kleinste Risiko auf euch zu nehmen? Meint ihr, die Gudrun hat sich damals gesagt, oh, was ich mache, ist illegal, oh, ich könnte eingebuchtet werden?"

"Hat sie nicht!", setzte er etwas leiser hinzu, "Hat sie nicht!"

Riot war mittlerweile zu einem Ergebnis gekommen, und es hieß "geisteskrank".

"Jetzt ist erst mal Weihnachten", meinte Keks verlegen, "können wir das nicht auf danach verschieben?"

"Um Gottes willen", sagte Trashboy und sah auf einmal sehr blass aus, "Weihnachten! Ich hab meiner Freundin versprochen, heute zum Familienessen zu kommen."

"Siehst du", sagte Keks höchst befriedigt von seiner eigenen Logik, "du kannst nicht gleichzeitig eine Revolution machen und beim Weihnachtsessen sein."

Trashboy hörte ihm nicht zu, sondern griff hektisch nach seinem schwarzen Mantel.

"Ich werde zu spät kommen, und ihre Eltern werden mich noch mehr hassen als bisher." Er warf einen bösen Blick in die Runde, bevor er aus der Kneipe stürmte.

"Was'n mit dem kaputt?", fragte Riot verwirrt, als Trashboy die Tür zugeschlagen hatte.

"Keine Ahnung", sagte Keks, und dann tranken sie noch ein Bier.

"Ist es nicht so, dass der Kommunismus in jedem einzelnen real existierenden Versuch gescheitert ist?", fragte Miriam scharf und zog ihren Freund aus dem zugigen Korridor.

"Was ist das überhaupt für eine beschissene Ausrede für eine zweistündige Verspätung?"

"Es wird viel Schweiß, Blut und Tränen kosten, aber das verstehst du nicht", murmelte Trashboy vor sich hin, als sie ihn ins Wohnzimmer schubste.

"Frau Eckert, darf ich vorstellen? Das ist Sven", sagte Miriam leicht verlegen, als sie aufs Sofa zusteuerten.

"Ach so, na dann!" Die alte Dame war aufgestanden und sah konsterniert auf Trashboys Unterlippe, durch die sich ein spitzer Keil bohrte. "Dann Guten Tag!" Sie streckte ihm zögernd die Hand hin, und Trashboy musste mit Bestürzung feststellen, dass sie einen Käfig hinter sich verbarg, in dem ein hilfloses Geschöpf der Lüfte gefangen war.

"Sven, das ist unsere Nachbarin", setzte Miriam ihre gute Erziehung fort und schielte nach der Küche, denn sie sehnte ihre Mutter zur Unterstützung herbei. Leider mischte sich nur ihr Vater ein, der Sven beim letzten Besuch eine Exklusivführung durch seinen Waffenkeller angeboten hatte.

"Heute gar nicht bei den Eltern?", erkundigte er sich verkniffen und machte ein Gesicht, als glaube er keine Sekunde, dass Sven einer menschlichen Familie abstammen könnte.

"Heute nicht", sagte Trashboy kurz und nahm sich ein Glas Punsch vom Tisch.

Widerlich, durchzuckte es ihn, viel zu süß und viel zu stark! Das sind alles Alkoholiker, begriff er, auch das kleine Mädchen mit dem glänzenden Gesicht, das in seiner Gegenwart mindestens drei Tassen leer getrunken hatte. Natürlich, das erklärte einiges. Die Mutter war immer so verdammt freundlich, der Bruder apathisch, und der Vater schlicht verrückt. Wie verkrampft Miriam da auf dem Sessel saß, wahrscheinlich hatte sie ihre heutige Dosis noch nicht bekommen, dachte er grimmig.

"Ich gehe ein wenig in den Garten", erklärte der Vater aus heiterem Himmel und stand abrupt auf.

Obwohl Trashboy durchaus mit Drogenkonsumenten sympathisierte, war er maßlos von Miriam enttäuscht. Diese Falschheit, mit der sie ihn beschworen hatte, zur Drogenberatung zu gehen! Krankte die Welt nicht überhaupt an der sich verbreitenden Tendenz zur Unwahrheit? Er würde da nicht mitmachen, er würde die Karten offen auf den Tisch legen!

"Was ist Ihre Meinung zur Legalisierung von Marihuana?", fragte er beim Essen in die Runde und beobachtete seine Gastgeber eindringlich.

Die Mutter war völlig abwesend, sie grinste blöde vor sich hin und schaufelte autistisch Rotkraut in sich hinein. Miriam sah ihn bitterböse an, und Frau Eckert zitierte sich zum wiederholten Male selbst mit einem Satz, von dem er des grauslichen Dialekts wegen nur das Wort "Werteverfall" verstehen konnte. Die neu hinzugekommene Oma sah zu Boden und murmelte: "Ich denk ned, dass man des mit die Drogen so verharmlosen sollte."

Vor der Bescherung zwang man ihn, an bürgerlichen Spielen teilzunehmen. Der einzig positive Nebeneffekt bestand darin, dass er dem Geschöpf der Natur seine Freiheit zurückgeben konnte, indem er dem alkoholisierten und völlig gleichgültigen Tobias flüsternd vorschlug, den Wellensittich freizulassen.

Als die Eltern sich verzogen, verspürte Trashboy den starken Drang, es ihnen gleichzutun. Reiß dich zusammen, Trashboy! befahl er sich selbst und bemerkte, wie wenig sein Name zu seiner neuen Persönlichkeit passte. Ich werde mich in "Equal" umbenennen, beschloss er und begab sich in den Garten um nachzudenken. Alles war zentimeterdick verschneit, und er kratzte seinen neuen Namen tief bewegt in den Schnee.

"Hey!", riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.

Equal, der mit keinem von den Junkies sprechen wollte, war erleichtert, einen unbekannten jungen Mann am Gartentor zu sehen.

"Ich suche Linda", erklärte der Jura-Student.

"Hier wohnt keine Linda", antwortete Equal, bis ihm aufging, dass ein Jurist seinen Plänen möglicherweise nützlich sein könnte.

"Hast du vielleicht Lust, meiner Organisation beizutreten?", fragte er eifrig und beschloss, diese sofort morgen zu gründen.

"Nein danke", sagte der Junge höflich und schielte durch die Glastür ins Haus. "Das Universum hat mir mitgeteilt, dass meine zukünftige Frau hier wohnt", setzte er hinzu und sah Equal erwartungsvoll an.

"Das Universum hat sich geirrt", entgegnete Trashboy und machte sich auf den Rückweg ins Haus. Dieser Typ war noch wahnsinniger als die anderen. Er würde seinen Mantel holen und diesem Irrenhaus entfliehen.

In einem letzten verzweifelten Versuch beschwor er die Nachbarin, den Eierpunsch aus ideologischen Gründen stehenzulassen, bevor er Miriam suchen wollte, um sich für immer zu verabschieden.

"Des versteh ja alles, aber ich ess' halt die Eier so gern!", sagte Frau Eckert trotzig und kippte noch mehr Zucker in ihr Glas.

In diesem Moment kamen die Schusters die Treppe hinabgetorkelt. Die Mutter sang, und der Vater rief "Linda, meine Weihnachtsfee!"

Linda, natürlich! Das Bürschchen im Garten war wohl der Ersatz für die Hausfrau, falls der Alte nach dem letzten Glas keinen mehr hochkriegte! Equal spürte, dass er dieser bürgerlichen Verlogenheit entfliehen musste, auch wenn er keine Möglichkeit mehr sah, seiner Freundin mitzuteilen, dass es vorbei war.

Als er die Tür hinter sich zugeknallt hatte, sah er den Jurastudenten mit seiner promiskuitiven Exfreundin knutschend hinter einem Busch. Wenn das Weltall heute irgendjemandem einen Wink gegeben hatte, dann nur ihm selbst. Wenigstens hatte er jetzt ein Problem weniger!

Beim nächsten Zeichen würde er hingehen und die Abendschule abbrechen, um sich voll dem Kampf zu widmen.

Er beschloss, sofort in Belas Bar vorbeizugehen, um Keks und Riot von der Organisation zu unterrichten. Unterwegs hielt er an der Mülltonne, um sich der Konsumscheiße von Miriams Geschenk zu entledigen. Beim Öffnen stach ihm eine wunderschöne, große, rote Fahne ins Auge. Er fischte sie gerührt aus der Tonne und musste sich eingestehen, dass das Universum vielleicht doch wusste, was es tat.

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SPIEGEL ONLINE Bestsellerautorin Patricia Koelle

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