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Weihnachtsrausch© Anja SchlickWir schreiben das Jahr 2007. Um genau zu sein, Dezember 2007. Wie auch schon in den vergangenen Jahren, treibt mich dieser Monat an den Rand meiner nervlichen Kapazitäten. Wir, das sind mein entzückender Mann, unserer drei reizenden Kinder und ich, die ich mich - einem hinreißenden Werbespot folgend - gerne als Leiterin eines erfolgreichen Familienunternehmens sehe. Leider hat man ja bisher noch keine wirklich adäquate Bezeichnung für die Menschen - vorwiegend weiblichen Geschlechts - gefunden, die mit nicht enden wollender Geduld hinter den anderen Familienmitgliedern herräumen und es um die Mittagszeit immer wieder schaffen, etwas auf den Tisch zu stellen, was mindestens eine, wahrscheinlich aber drei der anwesenden Personen als scheußlich bezeichnen. In meinem früheren Leben, damit meine ich das vor der Zeit im Management, habe ich mir allergrößte Mühe gegeben, Weihnachten einfach zu ignorieren. Und zwar durch Flucht. Wenn Weihnachten arbeitnehmerfreundlich liegt, ist es geradezu prädestiniert, um sich mal so richtig lange aus dem Staub zu machen und dennoch mit den sowieso spärlich bemessenen Urlaubstagen zu geizen. Asiatische Metropolen eignen sich allein schon durch die dort herrschenden Außentemperaturen hervorragend, um einfach so zu tun, als gäbe es das christliche Fest überhaupt nicht. Aber, wie bereits eingangs erwähnt, handelt es sich bei uns um eine 5-köpfige Familie und somit ist diese Zeit vorbei, zumindest für die nächsten 20 Jahre. Schließlich kann man den lieben Kleinen ja nicht das Weihnachtsfest im Kreise der Familie mit Nikolaus, Tannenbaum und allem drum und dran vorenthalten und außerdem könnten wir es uns sowieso nicht mehr leisten, in den Schulferien mit 5 Personen in die Sonne zu fliehen. Kurz und gut. Wir feiern also Weihnachten so, wie man Weihnachten in unseren Breitengraden eben so feiert. Oder wie wir denken, dass man Weihnachten so feiert oder feiern sollte und haben als Devise das Minimax-Prinzip ausgeworfen: Minimaler Stress mit maximaler Weihnachtlichkeit. Diesem Motto folgend, hat sich mein Göttergatte, seines Zeichens Elektroingenieur, mit einer Unzahl an Lichterketten und aus Lichterketten bestehenden winterlichen Gebilden eingedeckt und unser Haus umwickelt. Den Strompreisen trotzend wird der außenliegende Helligkeitssensor mit den diversen Steckdosen der Leuchtschlangen gekoppelt und so wie dieser die Dämmerung erahnt, erscheint unser Haus in anmutigem Glanz. Reichlich anmutigem Glanz. Wenn unsere Kinder sich mit neuen Freunden verabreden und ich den Müttern den Weg erkläre, diese dann bei uns einlaufen und sagen: "Ach, ihr seid das mit dem Haus!" Dann demonstriere ich familiäre Einigkeit, tue so, als wäre diese Bemerkung als Kompliment gemeint gewesen und zeige mich erfreut, dass es außer uns noch mehr Menschen gibt, die sich Weihnachten auch was kosten lassen und nicht nur auf dieser karikativen Spendenschiene herumreiten. Nachdem sich nun also unser Haus auf Weihnachten eingestimmt hat, was Ende November passieren muss, kommt die nächste große Herausforderung für alle. Adventskalender! Denjenigen unter euch Lesern, die sich glücklich schätzen dürfen, Eltern zu sein, vielleicht auch von mehreren Kindern, läuft mit Sicherheit ein kalter Schauer über den Rücken. Nachdem sämtliche Versuche der letzten Jahre, dass sich meine Kinder an pädagogisch wertvollen Adventskalendern erfreuen, völlig fehlgeschlagen sind, bin ich nun auch zu der Supermarktvariante mit der leckeren Schokolade übergegangen. Aber jetzt stellt sich erst einmal das Problem der Örtlichkeit. Wo soll ich diese DIN A3-Pappen in grässlichem Design nur aufhängen? Im Flur? Geht nicht. Jeder der zur Tür hereinschaut, sieht sofort, dass man sich in unserem Hause ohne jeglichen erzieherischen Anspruch in die Vorweihnachtszeit begibt. Im Kinderzimmer? Geht nicht. Unser jüngstes Kind würde es unter keinen Umständen akzeptieren, täglich nur ein Türchen zu öffnen. Außerdem malt Schokolade auch auf Teppich. Badezimmer? Fand ich gut, aber mein Mann wollte nicht in die Fließen nageln. Also hängten wir sie in den Keller. Das hatte zum einen den Vorteil, dass die Kindern diese nicht ständig vor der Nase hatten und ich darüber diskutieren musste, warum man nicht, wenn einer leergefuttert war, einfach noch einen oder zwei oder auch drei kaufen könne, um ein bisschen mehr Vorfreude zu erhaschen. Der technisch versierte Hausherr, dessen erklärtes Ziel "das lebendige Haus" ist, war in der Lage, die Treppenstufen so zu sensibilisieren, dass das Berühren von drei Paar Kinderfüßen einen Impuls an die Leuchtstoffröhre gab und diese sich ausschaltete. Da diese Familie nicht gerade mit Helden gesegnet ist und so ein Keller im Dunkeln schon unheimlich sein kann, war es einer der seltenen Zeitpunkte, den die drei in Eintracht - keiner ohne den anderen - verbrachten und das Projekt Kalenderschokolade meisterten. Leider wollte immer noch nicht so richtig besinnliche vorweihnachtliche Stimmung aufkommen, auch weil ich mich den Wünschen meiner Lieben widersetzte, aus romantischen Gesichtspunkten permanent den Kamin brennen zu lassen. Wir überlegten, wie wir aus dieser Misere herauskommen könnten. Es ist aber auch wirklich schwierig, sich bei frühlingshaften Temperaturen an Glühwein oder heißer Schokolade zu erfreuen. Da half nur eins. Der Tannenbaum musste her. Ein bisschen früher als bei den meisten üblich, aber der ganze Aufwand sollte sich schließlich auch lohnen. Wir machten uns, direkt nachdem der erste Weihnachtsbaum-Verkaufsstand geöffnet hatte an die Auswahl. Dieses Projekt oblag natürlich meinen Männern. Seiner Zahl 3 zwischen 4 und 37 Jahren, die das auch sehr ernst nahmen. Ich hatte lediglich den preislichen Rahmen vorgegeben und sie gebeten, sich den Platz, an welchem der Baum die nächsten Wochen verweilen sollte, nochmals anzuschauen. Nur so zur Sicherheit. Das Ergebnis war nahezu überwältigend. Der Hinweis mit dem vorgesehenen Platz wurde mit einer unwirschen Handbewegung beiseitegewischt und voller Eifer wurde das den Baum umwickelnde Netz im Garten durchtrennt und die volle Schönheit des Gewächses kam zum Vorschein. Dies sollte sich jedoch unmittelbar, nachdem auch meine Tochter und ich mit Ah's und Oh's die Vollkommenheit des Grüns bewundert hatten, als immenser Fehler herausstellen. Denn wäre er noch gebunden gewesen, hätte er sicherlich durch die Terrassentür gepasst. So aber begab man sich dringend auf Lösungssuche. Die Idee, ihn einfach im Garten zu lassen, fand ich nicht so gut, da es Heiligabend meist regnete und somit die Geschenke durchweicht werden würden. Als Banausentum wurde mein Vorschlag abgelehnt, die unteren und somit ausladensten Äste einfach abzuschneiden und damit die Rosensträucher im Vorgarten vor Frost zu schützen. Da wir das Objekt der Begierde aber auch nicht durch das Fenster bekommen konnten, entschlossen wir uns, unter zu Hilfenahme unseres Leiterwagens und mit vereinten Kräften, den Baum zurück zur Erwerbsstelle zu bringen und ihn für 2,50 Euro erneut Vernetzen zu lassen. Die hämischen Blicke der Umstehenden ignorierend, brachten wir das gute Stück nach Hause, und zwar direkt ins Wohnzimmer. Dort entfernten wir erst alle Möbelstücke, denn wie oben erwähnt hatten die Käufer das Platzangebot außer Acht gelassen. Als wir dann so dasaßen - auf unserem Sofa im Flur - erfreuten wir uns enorm der Prächtigkeit unseres Baums und beschlossen, diesen zügig zu schmücken. Da es schwierig ist, Kindern Begriffe wie "gleich", "bald" oder etwa "später" zu vermitteln, begab ich mich umgehend in den Keller, um zu eruieren, wohin die Kisten mit dem Deko-Material wohl im Laufe des vergangenen Jahres gewandert sein könnten. Und tatsächlich, zwischen Planschbecken, einem Halloween-Geist und Unmengen von Osterhasen kamen unsere Indoor-Lichterketten und die Kugeln zu Tage. Nach wie vor begnügen wir uns mit der Kunststoffvariante eines bekannten Discounters. Den Worten meiner Schwiegermutter folgend erkennt man zwar auf den ersten Blick, dass es sich um Billigprodukte handelt, welche jedoch den charmanten Vorteil haben, dass sie, sollten zornige Kinder kurzfristig die versöhnlichen Aspekte des Weihnachtsfestes vergessen und sich mit eben solchen bewerfen, keine Schnittwunden verursachen. Nun dann bestach unser Baum nicht mehr nur noch durch Größe und Eleganz, nein, auch durch Üppigkeit. Da auch das Lebkuchenhaus, welches unsere Kinder mit Süßigkeiten beklebt haben, unter dem Gewicht dieser zusammenzubrechen drohte, vermute ich, dass es sich bei unserer Spezies nicht gerade um Minimalisten handelt. Die Vorbereitungen waren vollbracht. Sogar den Nikolaus hatten wir ohne größere Blessuren, nur mit ein wenig Übelkeit und Bauchschmerzen überstanden. Wir konnten uns nun voll dem Genuss weihnachtlicher Köstlichkeiten hingeben und die sinnliche und besinnliche Zeit genießen. Es waren nur noch wenige Tage bis zum Heiligen Abend. Jedoch hatten wir völlig verdrängt, dass Kinder jüngeren Alters noch kein Zeitgefühl haben und die Türchen des Adventskalenders offensichtlich nur mit Schokolade und nicht mit Weihnachten in Verbindung bringen. Erschwerend kommt hinzu, dass unsere Kinder unter einer mittelschweren bis schweren Form von Amnesie leiden. Die Frage nach der Häufigkeit der Nächte bis zur Nacht der Nächte kam pausenlos. Leider nicht nur am Tag sondern auch in der Nacht. Am Morgen des 20. Dezembers kroch ich, von Spuren völliger Übernächtigung gezeichnet, mit rotgeränderten Augen aus dem Bett. Seit vielen Nächten folgte ich von Panik getrieben und in Sorge um ihr Wohlbefinden mehrfach den Rufen unserer lieben Kleinen. Am Bett angekommen wurde dann immer wieder die alles beherrschende Frage nach der Häufigkeit des Aufstehenmüssens bis das Christkind kommt gestellt. Von Zorn und Verzweiflung getrieben kam es an diesem Tag zur Eskalation, als müslikauend unserer Ältester fragte, ob er nun noch 3 oder 4 mal schlafen müsse. In einem wilden Satz sprang ich über den Tisch, begab mich direkt zum Baum und begann laut schreiend, meine Kinder mit Lametta und Strohsternen zu bewerfen. Dazu schrie ich permanent, dass in diesem Hause nie wieder Weihnachten stattfinden würde, dass das sowieso alles Lug und Trug sei und sich der Papst der Kaufhäuser diesen blödsinnigen Brauch ausgedacht hätte. Als ich dann zum elektrischen Küchenmesser greifen wollte, um den Baum zu zersägen, kam mein Mann - einer Verschwörung gleich - den Kindern zu Hilfe und sperrte mich in die Gästetoilette, wo ich direkt einschlief. All das weiß ich heute nur aus Erzählungen. Ich schlief einen ganzen Tag und eine Nacht und als ich am 21. erwachte, sah die Welt schon wieder ganz anders aus. Viel weihnachtlicher. Und dann kam er wirklich. Der Tag X. Wie 100.000 andere auch, erinnern wir uns pünktlich zu diesem Datum daran, dass wir das ganze Jahr über Kirchensteuer zahlen und diese Institution doch heute mal nutzen könnten, um das Warten ein wenig zu verkürzen. Kurz vor 15 Uhr machten wir uns also auf den Weg zur Kirche. Aufgrund unserer familiären Konstellation besuchten wir den Kleinkindgottesdienst. Wie alle anderen auch. Die Kirche war so voll, dass ich mir überlegte, warum man das ganze nicht im Sommer stattfinden lassen könnte, denn die Dimensionen entsprächen eher dem Rahmen einer Open-Air-Veranstaltung. Außerdem hätte man dann auch nicht das Problem mit den dicken Jacken, die man aufgrund der Überfüllung des ohnehin überheizten Gebäudes auch noch anlassen musste. Entzückt über das vorbildliche Verhalten unserer eigenen Kinder, machten wir keinen Hehl daraus, dass wir keinerlei Verständnis dafür haben, wenn Leute sich mit Neugeborenen oder mit noch nicht diskussionsfähigen Kindern zu dieser Veranstaltung begeben, die weinend, schreiend oder gar laut lachend auffielen. Nachdem das Ende der weihnachtlichen Bilderbuchgeschichte - vorgetragen von zwei Übermüttern der Gemeinde - kaum noch zu verstehen war, waren alle sichtlich erleichtert nach dem "Ihr Kinderlein kommet" die Brieftasche zücken zu können und sich Richtung Ausgang zu quetschen. Dort angekommen hielt der Geistliche jedem den Klingelbeutel unter die Nase, denn der Weihnachts-Run soll sich ja auch für die Kirche lohnen und die heutige Kollekte ist selbstredend für die eigene Gemeinde bestimmt. Aus dem nun angedachten gemütlichen Spaziergang bis zur eigenen Haustür wurde natürlich nichts, denn es wäre ja möglich, dass das Christkind schon da gewesen war und so rannten unsere Jungs blindlings los. Und wir hinterher. Und siehe da, unter dem monströsen Baum in der Hausmitte lugten, in hellblaues Seidenpapier gewickelte Gaben hervor. Wie gerne hätten wir dieses Bild mit einer Kamera festgehalten: Unsere Kinder mit leuchtenden Augen und selig lächelnd, wie sie andächtig da stehen und sich am Anblick der Geschenke unter dem beleuchteten Baum erfreuen. Leider kam es nicht dazu. Die Augen unserer Kinder leuchteten zwar, aber es lag etwas eher Dämonisches in ihrem Blick, als sie das Papier zerfetzten. Auch war von Seligkeit nicht viel zu spüren, als jeder verstohlen schaute, ob der andere auch wirklich nicht mehr bekommen hatte als er selbst. Denn bei uns ist es, wie in den meisten Familien, dass immer alle viel weniger als alle anderen bekommen. Sei's drum, nachdem wir die erste Geschenkhürde genommen hatten, konnten wir den Vorbereitungsendspurt antreten. Ich warf mich im Schutzanzug in die Küche und versuchte mich an einem 5-Gänge-Menü. Da ich mich in diesen Sphären nicht unbedingt heimisch fühle, hatte ich auch für nichts anderes Augen als für meinen Bräter und das Sößchen. Mein Mann hingegen imponierte auf ganzer Linie. Er baute die Carrera-Bahn auf, brachte den Playmobil-Vulkan zum Ausbruch, gab der Babyborn das Fläschchen, baute das Piratenschiff zusammen, montierte den Kaufladen, deckte den Tisch, wechselte unserer Tochter die Windel und dekantierte den Wein. Anschließend schaffte er es, von allen drei Kindern die Kampfspuren der Bescherung zu entfernen, diese in Bundfaltenhose und Karohemd bzw. Kleidchen zu stecken und selbst entspannt lächelnd die Tür zu öffnen, als unsere Gäste sich bemerkbar machten. Da soll noch mal einer behaupten, Männer seien nicht multitaskingfähig. Und da waren sie nun: Unserer Familien. Wären wir in einem anderen Land, zum Beispiel in Indien aufgewachsen, wäre es nie zu dieser Verbindung gekommen, denn die gehen Beziehungen bekanntlich nur innerhalb der eigenen Kaste ein. Was ich nach Abenden wie es der heutige noch zu werden drohte, auch gar nicht so dumm finde. Es kamen pünktlich meine Eltern. Echte Hessen, die ihren Dialekt nicht gerade zur Schau stellen, aber auch nicht die Notwendigkeit sehen, mit diesem hinterm Berg zu halten. Arbeiter, gewerkschaftlich organisiert. Wie immer zu spät kamen meine Schwiegereltern. Sie zählen sich nicht nur gesellschaftlich sondern auch intellektuell zur Crème de la Crème des Landes und verweisen regelmäßig auf die Wichtigkeit der eigenen Person und der ihrer Freunde und Bekannten. Natürlich sind sie nicht gewerkschaftlich organisiert und haben auch wenig Verständnis für die politischen Robin Hoods. Hinzu kommt mein Bruder, der als Bodyguard seine politischen Ansichten aus der Bildzeitung bezieht und meine entsetzlich schlaue aber immens langweilige Schwägerin. Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, beglückt uns alle Jahre wieder die 98-jährige demente Großmutter meines Mannes. Da sich diese Familienzusammenkünfte auf den 24. Dezember beschränken, sind alle redlich bemüht, es nicht zu offenen Konflikten kommen zu lassen, was jedoch sowieso schwierig wäre, da der Redeanteil zu 95 % bei meinem Schwiegervater liegt, der sich in Monologen ergeht. Alle anderen reden, wenn überhaupt, dann leise und im Hintergrund über das Wetter, über Sport oder über Baumaßnahmen im Ort. Alles möglichst unverfänglich. Dennoch neige ich dazu, um das ganze besser ertragen zu können, mich zügig an dem exquisiten Rotwein, den wir uns zu dieser Gelegenheit gönnen, zu vergehen. Das Essen geht meist recht ereignislos vorüber. Da es sich bei unseren Familien nicht nur um sehr nette sondern auch wohlerzogene Menschen handelt, lobt natürlich jeder die kredenzten Speisen, auch wenn der ein oder andere Gang zu wünschen übrig ließ. Zur allgemeinen Belustigung trägt bei, dass oben erwähnte 98-jährige immer mal wieder jemanden aus der Runde fragt: "Entschuldigung, wer sind Sie eigentlich?" Auch die Tatsache, die Kroketten mit der Hand auf die Gabel zu stecken und dann das Rotkraut im Zickzack darüber zu legen, führt nicht nur bei den Kindern zu Gelächter. Während ich den Tisch abräume und die Essensreste beseitige, erleben die Kinder einen Geschenk-Tsunami, denn bei jeder Oma, jedem Opa, Tante, Onkel und und und, war natürlich das Christkind und hat ein Geschenkchen abgegeben. Die Christkinder wollen sich offensichtlich gegenseitig übertrumpfen und irgendwann muss ich die Trillerpfeife zur Hand nehmen, um den ganzen Krass-, Cool- und Geil-Rufen Einhalt zu gebieten. Den völlig überdrehten und benebelten Zwergen befehle ich den Rückzug und motzend, mich der Ungerechtigkeit beschimpfend, begeben sie sich zum Duell mit der Zahnbürste. Natürlich dauert es ewig, bis wirklich alle im Bett sind, aber irgendwann ist auch diese Schlacht geschlagen und ich stürze mich wieder in das Vergnügen im Erdgeschoss. Meine Eltern haben nur darauf gewartet, sich auch von mir verabschieden zu können und treten den Heimweg an, meinen Bruder im Schlepptau. Meine Schwägerin hat sich zwischenzeitlich bereits verdrückt, da sie wahnsinnige Kopfschmerzen hat. Und wir geben uns nun die nächsten Stunden den Ausführungen meiner Schwiegereltern hin. Da ich, wie bereits erwähnt, bemüht war, mich zu betrinken und dieses Unterfangen zum jetzigen Zeitpunkt recht weit fortgeschritten ist, nehme ich die Laute nur im Hintergrund wahr. Wahrscheinlich geht es um all die Gefahren, die auf uns und unserer Kinder zukommen werden und das früher alles viel besser war. Zwischendurch höre ich immer mal den Satz, so wir gehen jetzt mal, die Kinder lassen Euch schließlich morgen nicht ausschlafen. Daraufhin folgt ein synchrones Kopfschütteln von meinem Mann und mir, denn wir wollen es uns ersparen, wieder zu hören, dass mein Mann und seine Geschwister alle bereits mit drei Wochen durchgeschlafen haben und gerade am Wochenende nie, aber auch wirklich nie, vor zehn Uhr aufgestanden sind. Wir lassen geruhsam die Zeit verstreichen, denn Weihnachten ist schließlich nur einmal im Jahr und warum soll es uns am 25. Dezember besser gehen als am 1. Januar? Und irgendwann ist es dann auch vorbei. Alle weg oder schlafend. Dann lassen mein Mann und ich alles stehen und liegen, ziehen uns ganz warm an, kochen einen Tee, nehmen unserer Lieblingsschokolade und setzen uns auf unserer hell erleuchtete Terrasse, um uns die Sterne anzuschauen. Wir genießen die Kälte im Gesicht, lachen über den vergangenen Monat und freuen uns auf unsere Träume. Wenn wir dann endlich im Bett liegen, kann ich einfach nicht umhin, ihm ein "schön war's, oder" ins Ohr zu hauchen und mich dann zu bemühen, wenigstens einen Teil meines Rausches auszuschlafen.
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Weihnachtsgeschichten von Patricia Koelle
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