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Das Diner© Thomas LucchiWieder ist Weihnachten. Für sie ein ganz normaler Arbeitstag. Während die anderen zu Hause saßen und mit der Familie feierten, feierte sie mit ihrer Kundschaft. Meist ein Arbeitstag wie eben jeder andere. Schnell rein, Verkehr und dann das Geld. Lediglich ein paar Kerzen stellten diese Waschlappen an solchen Tagen auf und waren wohl noch deprimierter, als so schon. Da hieß es nicht viel reden. Probleme hemmten nur. Schnell rein und schnell wieder hinaus. An diesem Heiligabend war es ein Mann aus der Sommergasse. Stumm wartete sie nun darauf, dass die Tür aufgemacht wurde und ihr Klingeln beantwortet wurde. Es dauerte ziemlich lange, bis ein schlanker Herr in Anzug und Krawatte öffnete. "Guten Abend. Treten Sie doch bitte ein." Sie ging durch und wusste gleich, es würde heute wohl kein heißes Erlebnis, wie sie es erhofft hatte. Dieser Herr hier war ein kleiner Junge, der mit dreißig wohl immer noch so ahnungslos war wie ein Baby und der selbst nicht wusste, was er tat. "Also, wo ist dein Schlafzimmer, Süßer!", fragte sie mit großen Augen, so wie man es ihr beigebracht hatte. Der Mann wurde ganz verlegen und entgegnete: "Wollen wir nicht erst ein Gläschen Wein trinken?" Sie stimmte zu. Weihnachten war wohl auch einer der Tage, an denen sie am meisten gratis bekam, neben der Kohle. Sie setzte sich an den Tisch und begann sich zu wundern. Kerzen auf dem Tisch, Besteck und Teller? Sie war verwirrt. Er schenkte ihr ein Glas Wein ein und wollte sich gerade ihr gegenüber setzen, als sie ihn am Schlips hinunterzog: "Na, pass nur auf, dass du mich bezahlen kannst. Wenn wir zuerst dinieren und's dann erst tun, wird's teuer. Ich werde pro Stunde bezahlt." Doch der Mann ignorierte sie. Er ging kurz in die Küche und kam mit zwei Tellern wieder, auf denen feinstes rosig rotes Fleisch, Gemüse und jeweils zwei Kartoffeln lagen. Alles bedeckt mit feiner brauner Soße. "Bitte sehr! ... Ach, und frohe Weihnachten!" Er reichte ihr den Teller und setzte sich ihr gegenüber. Sie trank leicht geniert den Wein, so was hatte sie noch nie erlebt. Das war ein echt gutes Mahl. "Etwas ungewöhnlich!", sprach sie und probierte die Kartoffeln, dann fuhr sie fort: "…aber Kochen, das können Sie." Er lächelte verlegen und blickte dann nach unten. "Was kochen Sie so? Eher gut bürgerlich, oder eher schnell!" Sie hob die Achseln: "Ich bin selten zu Hause und da muss es dann schnell gehen. Versteht sich ja wohl. Sie scheinen viel Geld zu haben. Sie bestellen mich hierher und anstatt es aufs Nötigste zu begrenzen, bekochen Sie mich noch. Üblich ist das nicht!" Der Mann wurde ganz weiß im Gesicht. Es war als begriffe er nichts. Er starrte sie mit halb offenem Mund an und es war nicht ihr offenes Kleid, das ihren Körper stark betonte. Es war nicht ihr voller Busen, an dem er sich ergötzte, nein nur einzig und allein ihre Augen. So etwas spürte sie. Es war so anders als sonst. Still war es geworden. Sie aßen einen Moment lang weiter, während sie den Herrn vor sich anblickte: Was war er für ein Typ? Auf was stand der? Wild war der ganz sicher nicht. Nix mit Quicky. Eher langsam und gefühlvoll. Sie kannte so viele Varianten von Männern, dass hier wohl kaum was Neues auf sie warten würde. Wohl kaum. Sex ist Sex und Geld ist Geld. So einfach war das. Superreich schien er auch nicht zu sein. Dann doch eher das Weichei, das keinen hoch bekommt. Plötzlich wurde ihr eines klar. Das heute wurde kein ausgelassener Abend, an dem es heiß hergehen würde. Es würde beim Essen bleiben. Der Typ, der ihr da gegenüber saß, war höchstwahrscheinlich nicht einmal potent. Berufserfahrung nennt man so was. Sie aß noch drei Happen und wurde immer frustrierter. Da kassiert sie nun einen Herrn ab, der ihre Dienste nicht einmal in Anspruch nehmen würde. "Sie wollen keinen Sex!", sagte sie ganz frei und wartete seine Reaktion ab. Der Mann, seiner Deckung beraubt nickte: "Meine Eltern leben in Sydney, meine Freundin hat mich vor sechs Monaten verlassen und meine anderen Freunde haben ihre eignen Familie!" Plötzlich bekam sie Mitleid mit diesem armen Zwerg: "Also haben Sie mich nur bestellt, um nicht allein zu sein!" Er nickte. Eigentlich hätte sie einfacher nicht zu Geld kommen können. Essen und trinken und zwei Worte reden. Das war wirklich geschenkt. Da musste sie doch lächeln, nur für einen Moment. "So ist es. Na ja, es sieht wohl ziemlich hilflos aus. Aber ich hatte keinen Bock in irgendeine Kneipe zu gehen und mich dort zu besaufen!" Der Mann hatte wohl recht. Sie fühlte sich mit einem Mal so unwohl hier. Das war plötzlich alles so verbindlich. Sie wollte gerade aufstehen mit den Worten: "Das bringt nichts", doch da begann der Mann schon loszureden. Über seine Kindheit und Weihnachten und wie er dann nach Deutschland gekommen sei und zu wenig nach Sidney geschrieben hatte. Heute, nach sechs Jahre Berufsstress und etlichen ungeschriebenen Briefen nach Sidney, war sein Kontakt zu seinen Eltern abgebrochen. Seine Mutter wollte nicht mehr mit ihm reden, er habe sich fast nie gemeldet in letzter Zeit und somit wird er die Konsequenzen ziehen müssen. Sie würde ihn nie wieder anrufen, oder ihm einen Brief schicken. Für sie war er ein verlorener Sohn und das gab er ganz offen zu. Die beiden aßen zu Ende und dann brachte ihr Kunde sogar noch einen Nachtisch. Sie war bewegt, gerührt. Er hatte sie nur bestellt um nicht allein zu sein, es musste ihm wirklich schlecht gehen. "Bitte sehr!", der Herr reichte ihr eine Portion Vanilleeis und setzte sich wieder. Er hatte sich so viel Mühe gegeben. Also gab sie sich einen Ruck: "Ich werde kein Geld von Ihnen verlangen. Schließlich hab ich dir ja nix verkauft. Außerdem ist es mal etwas anderes." Sie blickte sich um, sah die Kerzen auf dem Tisch und die rote Tischdecke. Sie aß vom Eis und sprach dann weiter, völlig in Gedanken: "Ich hab eigentlich auch keinen. Meine Eltern wollen mit mir nichts zu tun haben, weil ich in dem Gewerbe bin, aber da bin ich nur, weil ich meine Schule geschmissen hab, ein totaler Fehler, das weiß ich jetzt, aber ich konnte nicht mehr umkehren. Drogen, Hunger und Obdachlosigkeit, trieben mich ins Gewerbe und das ist immer noch besser als tot." Und plötzlich lächelte sie: "Und du hast an mich gedacht. Ich will kein Geld von dir. Das ganze Essen und so, das hat schon Geld gekostet. Zwei traurige Seelen können ruhig mal zusammen Trübsal blasen." Sie reichte ihm die Hand über den Tisch hinweg und er ergriff sie. Den ganzen Abend sprachen sie weiter über dies und jenes, über Weihnachten, Familie, die Einsamkeit und das Leben an sich. So verging der Abend und schließlich brachte er sie wieder zurück zur Tür und man verabschiedete sich wieder. Ganz nüchtern, ganz anonym und knapp. So wie immer. Doch beide verspürten ein Gefühl von Glück. Glück darüber jemanden gefunden zu haben, der zuhört, der für einen da ist.
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Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. SPIEGEL ONLINE Bestsellerautorin Patricia Koelle
Weihnachtsgeschichten von Patricia Koelle
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