Weihnachtsgeschichten - Adventsgeschichten
Kurzgeschichte Weihnachten Weihnacht Advent Geschichten für Weihnachtsmuffel
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Sternschnuppe

© Julia Dorst

Es gibt einen Tag im Jahr, dem kein Mensch sich entziehen kann. Schon Wochen vorher dekorieren sämtliche Geschäfte kunstvoll ihre Schaufenster mit Lichtern und glitzernden Kugeln und läuten das Fest damit ein, woraufhin sich Millionen Menschen in den alljährlichen Geschenke-Trubel stürzen ... Kinderaugen leuchten voller Vorfreude und auch die Erwachsenen besinnen sich in dieser Zeit auf die guten Werte des Lebens. Sie spenden Geld an wohltätige Zwecke oder beenden langjährige Fehden. Ja, sogar die Soldaten im Krieg halten Waffenstillstand, des besonderen Tages willen.

Es ist der 24. Dezember. Weihnachten.

Für die meisten Menschen ist dies ein ganz wunderbarer Tag, den sie im Kreise ihrer Familie verbringen. Mit liebevoll eingepackten Geschenken sitzen sie mit ihren Lieben an Heiligabend entspannt um den prächtig geschmückten Baum, verzehren eine leckere Gans und trinken gemütlich ein Glas Wein.

Ja, so stellt man sich ein perfektes Weihnachtsfest vor.

Aber, was ist mit den Menschen, die Weihnachten am liebsten vom Kalender verbannen würden? Jene, die keine liebende Familie haben, keinen Partner, keine Kinder... Die Übriggebliebenen, die sich vor diesem Tag fürchten wie vor dem Weltuntergang? Die Einsamen, verlassen und traurig ...

Linda saß in ihrem Auto und rieb fröstelnd die Handflächen aneinander. Obwohl die Klimaanlage schon auf Hochtouren lief, war ihr immer noch kalt. Seit vier Stunden stand sie nun schon im Stau auf der Autobahn. Es musste ein Unfall passiert sein, denn es ging partout nicht vorwärts und ein Krankenwagen war vor einer Weile mit lauter Sirene auf dem Seitenstreifen vorbeigeprescht.

Im Radio ertönte zum hundertsten Mal der abgedroschene Weihnachts-Song "Last Christmas". Angewidert verdrehte sie die Augen und schaltete flink einen anderen Sender ein, um an diesem ohnehin schon schlimmen Tag bloß nicht noch sentimental zu werden. Doch sie hatte kein Glück, auf dem nächsten Sender erschallte "Jingle Bells", ein weiterer brachte "White Christmas".

Es gab kein Entrinnen!

Jedes Jahr dasselbe Theater, dachte sie bei sich und massierte sich genervt die Schläfen. Könnte Weihnachten nicht einfach ausfallen? Verärgert runzelte sie die Stirn und piekste mehrmals zornig auf den Radioknöpfen herum, bis sie es gänzlich ausschaltete.

Sie war auf dem Weg zu ihrem Vater und dessen Freundin - wie in jedem verdammten Jahr. Nur dass ihr Vater sie im Grunde nur noch aus Höflichkeit einlud, nicht, weil er wirklich Interesse an ihr hatte. Das ganze Jahr über hatten sie kaum Kontakt und wenn doch, dann nur sporadisch oder weil er etwas von ihr brauchte ...

Ihre Mutter war schon vor Jahren gestorben und einen Lebenspartner hatte sie nicht, daher blieb ihr nichts anderes übrig, als das Fest bei ihm zu feiern. Die Vorstellung, an Heiligabend alleingelassen zu Hause zu sitzen, war noch weitaus schrecklicher als die Launen ihres jammernden und cholerischen Vaters zu ertragen.

Auch diesmal wieder hatte sie höflich bei sämtlichen Freunden, die sie kannte, angefragt. Doch jeder hatte eine andere Ausrede parat gehalten. An Weihnachten wollten die Menschen ungestört sein, im engen Kreise der Familie. Linda war da eindeutig nicht erwünscht, wenn sie auch ansonsten stets gut genug war, wenn jemand etwas brauchte ...

Das Leben ist grausam und die Welt ungerecht, schoss ihr durch den Kopf und sie unterdrückte mühsam die aufsteigenden Tränen. Wenn's drauf ankommt, dann lassen mich alle im Stich! Niemandem bin ich wichtig. Keiner mag mich ...

Unruhig zupfte sie an ihrem Schal und spielte mit den Knöpfen für die Lüftung herum.

Sie fühlte sich einsam und allein und ihr graute vor dem gemeinsamen Abend mit ihrem Vater und dessen Freundin, die sie noch weniger mochte als ihn. Als Letzte war sie heute aus dem Büro gegangen. Sie hatte sich noch um die Ablage gekümmert und Akten umsortiert, nur um den Moment ihrer Abfahrt so weit wie möglich hinauszuzögern. Mit Erfolg: sie war glücklicherweise genau in den Feierabend- und Pendlerverkehr geraten, der wie jedes Jahr im Chaos endete und nun stand sie schon seit Stunden auf der gleichen Stelle. Vermutlich würde sie nicht vor neun oder zehn Uhr bei ihrem Vater ankommen. So öde und nervtötend es auch sein mochte im Stau zu stehen, heute erfüllte es seinen Zweck.

Dann ist der halbe Abend wenigstens schon vorbei wenn ich ankomme und ich muss diese Farce nicht länger als unbedingt nötig aushalten ... Und morgen reise ich dann beizeiten wieder ab. Ach, wenn ich es doch schon hinter mir hätte...!

Wehmütig hob sie ihren Blick empor zum Himmel. Es war eine kalte, klare Nacht und der Sternenhimmel sah einfach fantastisch aus. Fasziniert ließ sie ihren Blick schweifen. Da - ganz plötzlich und geräuschlos - funkelte eine Sternschnuppe am Himmel auf. Nur für einen klitzekleinen Moment leuchtete sie hell am Himmel und zog einen glitzernden Schweif nach sich. Dann verschwand sie im Nichts.

Verzaubert von der Magie dieses besonderen Augenblicks schloss Linda aufgeregt die Augen und wünschte sich etwas ... Hibbelig rutschte sie auf ihrem Sitz hin und her.

Was wünsche ich mir denn?! Ich wünsche mir ... Dass ich endlich einen netten Mann kennenlerne! Ja, nett sollte er sein ... und treu natürlich auch! Das wäre toll! Bitte erfülle mir diesen Wunsch, liebe Sternschnuppe!

Lächelnd öffnete sie die Augen und starrte wie gebannt zum Himmel. Dann musste sie kichern und verschränkte die Arme.

Ob das etwas gebracht hat?!

Um sich abzulenken und gegen die aufkommende Langeweile anzukämpfen, zündete sie sich eine Zigarette an und kurbelte hastig ihr Fenster herunter. Kräftig blies sie den blauen Dunst in die kalte Nachtluft hinaus.

Nun kam auf der linken Spur wieder etwas Bewegung in den Stau, die Autos fuhren ein kleines Stück weiter. Linda drehte neugierig den Kopf zur Seite um zu schauen, welches Auto jetzt neben ihr stand.

Da stockte ihr mit einem Mal der Atem ... Beinahe hätte sie sich am Rauch ihrer Zigarette verschluckt, sie konnte es gerade noch rechtzeitig verhindern.

Ein attraktiver, gutaussehender Mann saß im Auto direkt nebenan und lächelte ihr freundlich zu ...

Lindas Gesicht lief sofort knallrot an und sie drehte hektisch ihren Kopf wieder nach vorn und starrte mit ängstlich geweiteten Augen geradeaus. Nur dass vor ihr ein großer Lkw stand, der jede Sicht versperrte. Ihr war unangenehm heiß, ihre Hände schwitzten und ihr Bauch kribbelte als flatterten tausend Schmetterlinge darin herum.

Jetzt reiß dich doch zusammen, ermahnte sie sich. Vielleicht ist es ein Zeichen! Schau zu ihm hin! Flirte mit ihm!

So nahm sie sich ein Herz und blinzelte ganz vorsichtig wieder in seine Richtung. Da vernahm sie ein summendes Geräusch neben sich und erschrak. Komisch - wo kam es bloß her?

Dann erkannte sie seinen Ursprung ...

Hilfe! Er fährt sein Beifahrerfenster nach unten!!!! Er wird mich ansprechen!!!! Oh, was mache ich nur?

Hoffentlich merkte er nicht, wie nervös und durcheinander sie war. Mutig hielt sie ihre Augen auf ihn gehaftet. Durch die heruntergelassene Scheibe konnte sie ihn jetzt noch deutlicher erkennen und - wow - war DER süß!!!

Ein wahrer Traummann! Er musste etwas älter sein als sie, vielleicht so um die vierzig. Er trug sein Haar kurz und sie bemerkte, dass seine Schläfen schon leicht ergraut waren. Mit verführerischen dunklen Augen lächelte er sie an, woraufhin Linda erneut errötete.

Bleib cool, bleib cool, sonst machst du noch alles kaputt!!!

Sie zwang sich zur Ruhe und lächelte zurück, wobei sie sich bemühte, so hübsch und sexy wie möglich auszusehen. Kerzengerade richtete sie sich auf, Bauch rein, Brust raus und schickte ein Stoßgebet in den Himmel, dass er an ihr interessiert sein möge.

"Guten Abend, junge Dame", rief er ihr schelmisch zu. Lindas Herz klopfte bis zum Hals, am liebsten hätte sie einen Freudenschrei ausgestoßen!

Na, das ist doch mal ein Kompliment, das man gerne von einem Mann hört! Er findet mich also "jung" ...

"Auch hallo!", rief sie, bemüht keck, zurück. Im selben Moment verfluchte sie sich weil es kein bisschen witzig klang. Sie hatte etwas Spontanes und Lässiges sagen wollen, einen "coolen" Spruch... Jedenfalls kein abgehacktes "hallo"!

Oh Gott! Oh Gott! Ich bin ja so eine Versagerin!, kreischte die Stimme in ihr und sie strich sich mit zittrigen Händen eine Haarsträne aus der Stirn.

Das ist so peinlich, dachte sie. So einfallslos! Was denkt er jetzt nur von mir? Wahrscheinlich, dass ich die unwitzigste und humorloseste Frau bin, die ihm je begegnet ist!

Vor Scham wäre sie am liebsten im Erdboden versunken.

Doch es kam anders...

"Na, so wie's aussieht werden wir noch eine Weile hier stehen", erwiderte er und legte den Kopf schief. Seine Stimme klang tief und männlich, Linda rieselte ein Schauer den Rücken hinunter. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu, "also ... äh ... hätten Sie etwas gegen eine Tasse Kaffee mit mir zusammen einzuwenden?"

Er bückte sich und kramte mit den Händen in seiner Tasche auf dem Beifahrersitz herum. Linda konnte es leise rascheln hören. Wenig später hielt er grinsend eine Thermo-Flasche in die Höhe und verkündete: "Hier, Madame! Frischer Kaffee! Ist garantiert noch heiß!" Erwartungsvoll schwenkte er sie durch die Luft und zwinkerte ihr aufmunternd zu.

Linda strahlte übers ganze Gesicht und ihr Herz machte einen Satz.

Oh mein Gott, wie süß! Das ist wahrhaft der schönste Augenblick meines Lebens!

Benommen öffnete sie ihre Fahrertür und stieg aus. Taumelnd ging sie auf sein Auto zu, sie spürte ihre Beine kaum noch.

"Ein Kaffee wäre ... wundervoll", stammelte sie und konnte ihr Glück kaum fassen ...

Na ja, vielleicht gibt es ja doch noch ein Happyend für mich ...

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