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Noch 24 Stunden - Die Abkehr© Felix Woitkowski"Noch 24 Stunden.", kräht ein Wichtel. "Wir müssen uns beeilen!" Die Gespräche am Tisch verstummen. Alle Blicke sind auf den Sprecher gerichtet. "Weihnachten ist eine Erfolgsgeschichte sondergleichen. Überall, wohin die Menschen kommen, wird das Fest frenetisch bejubelt. Vor uns steht die größte Geschenkeauslieferung aller Zeiten." "Bisher hat doch immer alles geklappt ...", wirft ein kleiner Elf ein. Während er spricht, speit er Gebäckkrümel über den Tisch. Mit dem Handrücken lässt er sie unter dem Tisch verschwinden und nimmt sich ein neues Plätzchen. "Ja, und so soll es auch bleiben. Aber durch die Erweitung unseres Zustellungsbereichs auf drei weitere Welten sind neue Herausforderungen auf uns zugekommen. Das sind allein vier bisher unbekannte Lebensformen mit jeweils mehr als acht Milliarden zu beschenkenden Einheiten." Die Faust des Redners geht schwungvoll auf die Tischplatte nieder. "Trotzdem darf nichts schief laufen. Wir haben einen Ruf zu verlieren." Nur gelegentliches Schmatzen übertönt das zustimmende Gemurmel. "Haben wir genug Bäume?" "Ja. Die Bevölkerungen sind versorgt, die Lager noch voll. Sollten die Nachfrage über die Maßen steigen, können wir immer noch innerhalb von sieben Minuten neue heranzüchten. Das ist eine Verbesserung um mehr als drei Sekunden zum Vorjahr. Auch unser neues Modell, die Nordmanntanne X3.2, hat in vielen Punkten gewonnen. Die Nadelstruktur ist stabiler, der Wasserverbrauch geringer und selbst in luftarmen Welten beginnt der Baum erst spät zu rieseln." "Auch der Schmuck ist fertig", meldete sich eine Fistelstimme zu Wort. "Lametta, Kugeln und Kerzen in allen erdenklichen Farben und Formen konnte wir in allen Märkten einführen und finden reißenden Absatz. Die aktuellen Umfragen bescheinigen uns eine 99%-ige Bejubelung unseres Sortiments ..." "Und die anderen 1%?" "Das sind Unentschlossene, die sich entweder noch nicht entscheiden konnten, noch mit genug Baumschmuck aus dem letzten Jahr versorgt sind oder einfach auf die Schmuckholographien warten wollen, die wir für nächstes Jahr bereits angekündigt haben." "Was macht der Kunstschnee?" "Soweit alles bereit." Der zuständige Zwerg krault sich zufrieden den Bart. "Unsere Kunstschneekanonen sind postiert und werden pünktlich am Heiligabend ihre weiße Pracht verbreiten. Wir haben sie so justiert, dass es zu keinen Nachteilen für Versorgung und Verkehr kommen wird. Staus, Lawinen, Chaos, mit denen wir in der Anfangszeit zu kämpfen hatten, sind ausgeschlossen. Auch bereiten uns hohe Temperaturen und Wasserarme Gegenden kein Kopfzerbrechen mehr. Es wird nichts schief laufen." "Und was ist mit XerXus, der neu hinzugekommenen Unterwasserwelt?" "Ich ..." Langsam gleitet die Hand aus seinem Bart und greift nach einem Plätzchen. Gierig betrachtet er es von allen Seiten vor seinen Augen, dann beißt er liebevoll hinein. "Ich sagte doch, es kann nichts schief gehen. Auch auf XerXus wird es dieses Jahr schneien." Sichtliche Erleichterung zeigt sich unter den Anwesenden. Erneut konnte ein Skandal abgewendet worden. Während dessen verspeist der Zwerg genüsslich eine Nussecke und grinst zufrieden in die Runde. "Was ist mit der Weihnachtsmusik? ... Geschichten? ... Tee? Stollen? Gebäck? ... Und natürlich den Geschenken?" Langsam kommt jeder in der Runde einmal zu Wort. Wie sich zeigt, ist alles so gut wie möglich vorbereitet und an die jeweiligen Welten angepasst. Die Kerbaner können sich mit der Weihnachtsgans nicht anfreunden und ziehen Würstchen nebst Kartoffelsalat vor. Auf Samirn gibt es keinen Schall. Das Weihnachtsoratorium muss daher flüssig injiziert werden. Auf den zwei angeschlossenen Feuerwelten brennen die Stutenkerle immer an. Doch auch dafür hat sich eine Lösung gefunden. Selbst das Problem der fehlenden Schornsteine auf vielen Welten ist nach einem kurzen Wortwechsel nicht mehr der Rede wert. Schließlich entbrennt eine Diskussion, ob die Anzahl der Adventskranzkerzen an die Dauer der jeweiligen Sonnenumrundung angepasst werden soll, doch man kommt zu keinem Ergebnis. Eine Expertenkommission soll sich gemeinsam mit Vertretern der christlichen Kirche darüber beraten. Bis dahin wird die Entscheidung vertagt. Dann kommt Knecht Ruprecht an die Reihe: "Die Ruten sind einsatzbereit und an die genetische Beschaffenheit an die jeweiligen Nicht-Braven angepasst. Nur das Goldene Buch macht mir Sorgen." "Warum?" "Es wird zu schwer und zu dick. Selbst mit dem neuen Papier haben wir es nicht geschafft, es handlicher zu machen. Es sind einfach zu viele, über die wir Buch führen." "Dann teilt es auf. Oder steigt endlich auf den Binärcode um. Warum gibt es überhaupt noch das Buch?" "Tradition." Ruprecht wird laut. "Es war schon immer so. Ein Goldenes Buch! Ich ..." Die Anwesenden kennen seine Wutanfälle, ziehen die Köpfe ein und schweigen. "Vielleicht", meldet sich ein Elf beschwichtigend zu Wort. "Vielleicht können wir ja gemeinsam daran Arbeiten ... im nächsten Jahr." Gemeinsam drücken seine Sitznachbarn Ruprecht zurück auf seinen Stuhl und beruhigen ihn. Die Reihe gelangt an Rudolf. Seine Nase glüht rot, als er zu berichten beginnt: "Der Schlitten ist voll funktionstüchtig und die Staffel der Rentiere bereit. Wir werden wie jedes Jahr unser Bestes geben, aber ..." "Ja?" "Wir glauben, es ist nicht genug." "Warum nicht? Ihr seid mit der modernsten Technik ausgestattet. Bordcomputer, Navigationssysteme, Sauerstoffgräte. Eine neue Schutzschicht schützt euer Fell vor Hitze und Kälte gleichermaßen. Und das Geschirr am Schlitten ist so bequem wie noch nie. Außerdem haben wir in regelmäßigen Abständen überall in den bekannten Universen Rast- und Rentier-Wechsel-Dich-Stationen positioniert. Also was hindert euch daran, eure Arbeit zu tun?" "Wir sind zu langsam." Tumult kommt auf. "Das kann doch nicht sein ... Was sollen wir nur tun? ... Wie konnte das passieren? ... Lügner." Die einen sind verzweifelt, andere suchen bereits den Schuldigen. Plötzlich öffnet sich zischend die Tür und ein großer Schatten fällt auf den Tisch. Sogleich verstummen alle und blicken den Neuankömmling an. Der Weihnachtsmann hat den Raum betreten. "Wir ... äh ... sind so weit, Chef." Dieser nickt nur. "Zumindest fast", murmelt Rudolf und bekommt von Knecht Ruprecht sofort ein Klaps mit der Rute. "Still jetzt!" "Es ist schön, euch so eifrig arbeiten zu sehen." Der Weihnachtsmann seufzt. Unruhig verlagert er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und kratzt sich an seinem Bauch. "Das war es immer. Und ich war immer stolz, ein Teil von euch zu sein." "A-aber ...?", stottert ein Wichtel. "Wir haben Kriege überstanden, das Schmelzen des Nordpols, unseres einstigen Zuhauses, den Aufbruch der Menschheit zu den Sternen. Sogar die neuen Lebensformen haben wir integrieren können, worüber ich besonders glücklich bin. Doch jetzt ..." Ein Träne kullert über seien Wange und verfängt sich im weißen Bart. "Jetzt muss ich gehen. Ich bin ausgebrannt, ich kann nicht mehr. Meine Zeit ist vorbei." Ohne ein weiteres Wort dreht er sich um und verlässt den Raum. Eine schweigende Schar von Anhängern, die ihm seit ewigen Zeiten zugearbeitet haben, bleibt entsetzt zurück. *** "Da kommst du ja endlich." Der Osterhase guckt demonstrativ auf seine Armbanduhr. "Was glaubst du, wie lang ich hier bleiben wollte. Es ist kalt, dunkel und dieses ewige Glöckchenklingen nervt. Außerdem mag ich keinen Zimt." "Ist ja schon gut." Mit gesenktem Kopf schlurft der Weihnachtsmann heran. Er murmelt etwas von Abschied und Morgen, fängt sich dann aber wieder und begrüßt den Wartenden. "Wollen wir nicht doch meinen Schlitten nehmen?" "Nein, mein Korb ist aerodynamischer, außerdem fliegt er auch ohne Rentiere." Ein Seufzen. "Du hast Recht." Zusammen betreten sie den Raumgleiter. "Und dort, wo wir hinfliegen, gibt es wirklich kein Weihnachten?" "Nein, auf Atheios gibt es keinen Schnee, keine Gans, kein Lamm, keine Eier und niemanden, der sich über das Fehlen beklagen könnte. Dafür gibt es viel Sonne, das Meer und Ruhe." "Ja." Aus der Steuerzentrale heraus sieht der Weihnachtsmann auf seinen verschneiten Stützpunkt hinab. Er sieht die eifrigen Helfer, die noch nichts von seinem Ausstieg wissen, beobachtet, wie die Rentiere sich auf ihrer Koppel für den langen Flug vorbereiten, und glaubt sogar in der Ferne die Berge von Päckchen und Paketen zu erkennen. "Können wir jetzt endlich?" "Einen Moment noch, ja?" Da klopft es. Doch der Weihnachtsmann reagiert nicht. "Guck du nur, ich geh schon." Der Osterhase läuft los und öffnet schwungvoll die Ausstiegsluke. "Was ist?" "D-das ist für den Weihnachtsmann." Ein Wichtel hält ihm einen großen braunen Jutesack hin. "Seine ... äh ... Sachen." Der Ostehase greift danach und knallt die Luke zu. Dann verriegelt er sie und beginnt mit der Startprozedur. "Jetzt geht es los. Weihnachten, Ostern, das liegt jetzt hinter uns. Wir sind raus aus der Nummer. Endlich. Atheios, Freiheit, wir kommen!" "Ja." Der Korb beginnt zuwackeln, Rauch hüllt ihn ein, dann steigt er langsam auf, den Sternen entgegen. "Ab heute bist du nur noch Klaus, nicht mehr der Weihnachtsmann, und mich nennst du ..." Der Weihnachtsmann durchwühlt den Sack. Eine frisch gezogene Tanne, eine Tüte Kunstschnee und Dosen voller Gebäck findet er darin, dazu einen Datenträger mit Musik, ein Liederbuch zum mitsingen und und und. Ein ganzes Weihnachtsstartupset für neuentdeckte Welten. "Hier, leg mal ein", sagt er und räuspert sich. "Was singen wir zu erst?" "Singen?" "Ja, es ist fast Weihnachten. Da singt man eben." "Haben wir nicht alldem abgeschworen?" "Willst du lieber Stille Nacht oder Ihr Kinderlein kommet?" "Weihnachtsmann, wir ..." "Oh, guck mal, hier ist auch etwas für dich. So schön eingepackt. Was es wohl ist? Willst du schon mal gucken?" "Weih... äh ... Klaus, ich ..." "Es ist ein Ros' entsprungen, aus ... Es sieht aus wie Ohrwärmer. Ob sie wohl passen? Probier mal." "Nein, verdammt. Ich dachte, wir ..." "... einer Wurzel zart ..." "RAUS!"
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Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. SPIEGEL ONLINE Bestsellerautorin Patricia Koelle
Weihnachtsgeschichten von Patricia Koelle
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