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Weihnachtssurf

© Raiko Milanovic

Slider war gut drauf, als er ins Internet eintauchte. Er surfte flott über Websites und Domainen, glitt an Scannern und Virenkillern vorbei und huschte lautlos durchs Netz. So mochte es Slider, von niemand bemerkt und schon gar nicht erkannt raste er auf sein Ziel zu. Slider war echt gut drauf heute, er tippte locker Code ein und kein Bit kräuselte sich, als sein Datenschatten durch die Firewall glitt.

Slider schrieb: http://www42.see-vat-i-can/helgasdungeonvixens.xml und atmete tief ein, bevor sein Finger auf Enter herabstieß. Dann trat er aufmunternd gegen den PC, "Komm schon Süße!", und lehnte sich zurück.

In diesem Moment legte das Schicksal eine Hand auf seine Schulter und sprach: "Na?"

Ich sprang fast 'nen Meter hoch - meine Schwester hatte sich angeschlichen um wieder mal zu nerven.

"Was willst du?"

Sie schüttelte den Kopf, als sie den Bildschirm betrachtete.

"Warum surfst du nicht wie andere Jungens auch nach Titten?"

Ich antwortete nicht darauf.

"Wo sind Ma und De?"

"Falls du unsere Erziehungsberechtigten meinst, die sind im Wohnzimmer. Das heißt, sie sind noch eine Stunde vom Streiten und zwei Stunden vom Schmücken entfernt. Du kannst also ruhig noch ein paar Dominas besuchen."

Sagte ich schon, dass meine Schwester echt nervt?

Ich griff nach meinem TrackBall (Cyber-Spear M12!) und loggte aus. Der Zähler wurde wieder initialisiert, meine cookies gelöscht und ein randomisierter ftp-Kanal angewählt, damit Slider gehen konnte, wie er gekommen war - unerkannt.

Aber statt ins Netz zurückzukehren, blieb das Bild der Lederbekleideten. Es zitterte kurz und begann pixelweise sich aufzulösen. Zurück blieb ein kleines schwarzes Kreuz auf einem schneeweißen Schirm. Dann sagte eine Stimme: "Peccato - Sin - Peche - Sünde."

Meine Schwester prustete los und ich kippte mit dem Stuhl zum Bildschirm. Ein paar Minuten später lachte sie noch immer und die Stimme leierte weiter. Ich versuchte einiges, aber der Browser startete sich immer wieder selbst, und das Kreuz und die Stimme wechselten sich ab. "Peccato, Sin, Peche, Sünde!"

Mist!, schließlich löste ich das Problem auf die unelegante Art und zog das Kabel aus der Steckdose.

"Junge, Junge, wo hast du das denn her?", fragte meine Schwester, als sie sich endlich beruhigt hatte. Ich holte den Logschrieb aus dem Drucker.

http://www.vatican.va/purgatorium.xml

stand als letzte Zeile gedruckt. Sie beugte sich vor und ich hörte sie scharf Luft holen.

"Diese Schweine!"

Ich schaute entgeistert meine Schwester an, die den Logschrieb anfunkelte.

"Diese heuchlerischen, Schweine."

"Was?"

"Das ist Latein!"

"Ja und?"

"Wer, glaubst du, schreibt Internetadressen auf Latein und schiebt dir einen Virus unter, der was von Sünde faselt, wenn du eine pornographische Website besuchst?"

Mir dämmerte was.

"Der Papst!"

Meine Schwester schnaubte. "Nicht unbedingt gerade der. Aber jemand anderes, der sich nicht an sein Keuschheitsgelübde gehalten hat und sich die langen Abende mit Helgas Pornoseite vertrieben hat. Jemand mit schlechtem Gewissen. Einer, der etwas zu verlieren hat, wenn er erwischt wird. Also sitzt er weit oben in der Hierarchie."

Sagte ich schon, dass meine Schwester nervt, aber das sie auch das Klassengenie ist?

"Was heißt Purgatorium?", fragte ich.

"Reinigung oder Läuterung. Unser Freund hat ein schlechtes Gewissen. Er will nicht erwischt werden und er will verlorenen Schafen wie dir den rechten Weg weisen. Darum hat er den Virus hinterlassen." Sie verschränkte die Arme und funkelte das Kreuz auf dem Bildschirm an. "Ganz zu schweigen davon, dass der Heuchler seine Spuren verwischen wollte, indem er andere anschwärzt. Aber daraus wird nichts. Das zahlen wir ihm heim!"

Seit wann stand meine Schwester zu mir?

Ich brauchte fast eine Stunde, um meinem Rechner wieder hinzukriegen. Währenddessen kritzelte meine Schwester grübelnd auf einem Block. In so was ist sie echt altmodisch.

Schließlich hatte ich den Virus besiegt und Kreuz und Stimme erstanden nicht wieder auf. Also, waren gelöscht, meine ich.

"Nun?" Meine Schwester schaute auf.

"Bis der Baum fertig ist, brauchts noch eine gute Stunde. Dann machen wir uns alle fein zum Singen. Nochmals eine Stunde. Was immer wir auch vorhaben, darf höchstens neunzig Minuten dauern."

Sie nickte.

"Was schlägst du vor?"

Sie holte Luft.

"Da hat jemand versucht die Wahrheit zu vertuschen, indem er anderen etwas unterschiebt. Genau das werden wir auch tun. Aber diesmal um die Wahrheit ans Licht zu bringen."

"Und wie? Ich kann ja schlecht in einem Chat behaupten, dass jemand aus dem Vatikan eine Domina besucht. Interessiert doch niemand."

"Stimmt. Wie also bringen wir die Leute dazu nach der Wahrheit zu suchen?"

Ich zuckte schon wieder mit den Schultern.

"Sie müssen etwas nachschnüffeln, das interessanter ist als die Wahrheit."

"Ja, und?"

"Was ist interessanter als die Wahrheit?"

Ich guckte nur.

"Ein Gerücht."

Aah.

"Als Erstes brauchen wir eine Website über Verschwörungen."

Ich tippte schon.

http://www.all-cover-up.org

"Gut. Von dort aus müssen wir ein paar Links zum Vatikan legen."

"Wozu das?", fragte ich.

"Wir denken uns eine Verschwörung aus. Irgendeine phantastische Geschichte, die neugierig macht. Wenn wir sie direkt mit dem Vatikan und seinen unkeuschen Verbindungen zu Helga konfrontieren, wird es niemand glauben. Besser es verstecken und sie stöbern lassen. Und wir sorgen dafür, dass sie beim Stöbern auch auf unseren Christenmenschen stoßen."

"Super!", rief ich ehrlich begeistert. "Und was für eine Verschwörung?", wollte ich wissen.

Sie schob mir den Block zu.

Jesus

Vatican

Pope Leo

Inquisition

Turin Shroud

Hawking, Stephen J.

Reproductive medicine

las ich und noch ein paar Dinge mit jeder Menge Verbindungspfeilen. Ich schaute sie fragend an.

"Wir behaupten, dass der Vatikan Jesus geklont hat."

Ich musste so lachen, dass ich fast vom Stuhl fiel. Echt! Ich konnte mich nicht mehr einkriegen und vertippte mich ständig, weil ich immer wieder anfing zu kichern. Meine Schwester nervte mich dauernd, damit aufzuhören, aber ich nahm es locker und nervte zurück. Sie kicherte ja auch.

Als Erstes suchte ich eine passende Internetverbindung im Vatikan. Ein Kinderspiel für Slider. Er huschte durch ihr Sicherheitssystem und schaute sich um in ihrer Datenbank.

Es war unglaublich über was und wen der Vatikan alles Akten angelegt hatte. Tycho Brahe, Giordano Bruno und Hunderte andere, die ich nicht kannte, aber meine Schwester meinte, dass sie mit der Inquisition zu tun gehabt hatten.

"Um so besser", dachte ich und legte eine Verbindungen zu Stephen Hawking, er mochte den Vatikan nicht und er hielt Zeitreise für möglich. Ich überlegte kurz.

"Was hältst du von Leonardo da Vinci?", fragte ich meine Schwester.

"Wie?"

Endlich war sie mal verdutzt.

"Er hatte alles Mögliche erfunden."

"Ja und?", fragte diesmal meine Schwester.

Ich grinste.

"Schon gut, nur so 'ne Idee."

Dann tippte ich Code ein. Irgendein neugieriger Hacker würde bald herausfinden, dass eine Erfindung da Vincis in Wirklichkeit eine Zeitmaschine war, die der Vatikan dazu benutzte hat, das Grabtuch Jesu in die Gegenwart zu holen.

Dann legte ich eine Spur vom Vatikan zu einer Website, die sich intensiv mit dem Turiner Grabtuch beschäftigte. Ich änderte das Datum in den Logbüchern und manipulierte ein paar Einträge. Nicht zu offensichtlich, aber deutlich genug um zu sehen, dass jemand heimlich Dateien manipulierte. Klar, dass Hacker den Vatikan für denjenigen halten würden.

Danach legte ich eine Spur zu einer Reproduktionsklinik. Die klonten zwar nur Schafe, aber solche Details stören keinen aufrichtigen Verschwörungsliebhaber. Ich hinterließ die e-Mail Adresse des Vatikans, legte noch mal einen Link zu Helgas Pornosite und unserem heuchlerischen Freund dazu und überlies den Rest der Phantasie des Hackers.

Dann lehnte ich mich zurück: Fertig!

Erst am Weihnachtsfeiertag konnte ich wieder ins Netz gehen um zu checken, was unsere Schnitzeljagd so gebracht hatte.

Der Chat-Room brummte:

Die Geheimakten des Vatikan.
Leonardos Zeitmaschine.
Jesus ein geklonter Zeitreisender?
Dolly und der Jesusklon.
Die Verschwörung mit dem Grabtuch vom Turin.

Meine Schwester schüttelte nur den Kopf. Tja, nicht alle, die eine Verschwörung aufdeckten, konnten auch Deutsch.

Allerdings fanden wir nicht, wonach wir suchten.

"Nichts, kein Hinweis. Es hat nicht geklappt", sagte ich.

Meine Schwester biss die Zähne zusammen und suchte weiter. Schließlich: "Kardinal besucht Pornosites!"

Aber das war auch schon alles. Praktisch alle Postings beschäftigten sich mit dem geklonten Jesus.

"Vielleicht müssen wir noch ein bisschen warten", meinte ich.

Meine Schwester wiegte langsam ihren Kopf. "Gut, warten wir's ab."

Aber am nächsten Tag war es noch schlimmer. Ich verstand die Welt nicht mehr. Der Kardinal, der Pornosites besuchte, interessierte niemanden, aber überall tauchten Meldungen zu unserem Gerücht auf. Meine Schwester ging die Meldungen nacheinander durch ("Jesus, unser Klon?", war noch die harmloseste) während Weihnachtsmusik von unten herauf rieselte und der Christenheit vom neu geborenen Heiland kündete.

Wir klickten noch ein paar Seiten weiter ohne sonderlich auf den Kardinal zu achten und lasen Gerüchte, Vermutungen und Theorien - alle mit Quellenangaben. Unermüdliche Hacker hatten über Nacht Dateien aus dem Vatikan rausgeholt und das alte Latein mit einem Cross-Talk-Modul übersetzt. Jetzt gab es die Mitschriften der Inquisition auf Deutsch und Englisch. Und ebenso Unermüdliche hatten gekramt, bis sich Beweise für unsere Geschichte fanden.

Unsere Verschwörungstheorie wuchs und wuchs, aber draußen in der realen Welt schneite es und die Weihnachtsmusik aus dem Wohnzimmer nervte noch immer. Bald würde Weihnachten vorüber sein und kein Mensch sich für Jesus, ob geklont oder nicht, interessieren.

"Es hat nicht geklappt." Meine Schwester starrte wortlos auf den Bildschirm. Sie nervte zwar oft, aber jetzt tat sie mir leid.

"Komm, wir denken uns was anderes aus."

Sie drehte sich zu mir und zeigte auf den Schirm. Irgendjemand hatte seinen Beitrag mit einem Bild des jungen da Vinci unterlegt. Von seinen langen Haaren fielen funkelnd Schneeflocken und er schaute den Betrachter etwas mürrisch an; er war den Jesusbildern wirklich ähnlich.

"Was ist, wenn wir recht hatten?"

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Rechteinhaber.

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